Abb.: E. Trompetter
Warum ist die Berufspädagogik Ihre Leidenschaft?
An den Studiengängen der Berufspädagogik schätze ich, dass ich mit Studierenden arbeiten
kann, die bereits eine gewisse Berufs- und Lebenserfahrung haben, an die ich im Studium
gut anknüpfen kann. Dass ich ausgerechnet in meiner Heimatstadt Bielefeld eine Professur
erhalten habe, die meinen Interessen und Qualifikationen entspricht, halte ich für
einen sehr glücklichen Zufall.
Was möchten Sie Ihren Studierenden mit auf den Weg geben?
Ich denke, für künftige Berufspädagogen ist es wichtig, dass sie sich die Freude daran
erhalten, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten und sie mit der Weitergabe
des eigenen Wissens zu fördern. Für die Professionalisierung der Physiotherapie wäre
es hilfreich, wenn die Absolventen der Physiotherapie-Ausbildung treu blieben.
… ist 53 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie in Bielefeld. Nach ihrem Lehramtsstudium
der Fächer Biologie und Sport an der Universität Bielefeld entschied sie sich, Physiotherapeutin
zu werden. Während der Ausbildung war sie durch ihr pädagogisches Vorwissen über die
Art des Lehrens und Lernens immer wieder irritiert. Ihr großes Interesse an Sport,
Pädagogik und Physiotherapie führte sie dann an die Universität zurück und sie promovierte
im Fach Sportwissenschaften. Im Anschluss daran baute sie mit drei Kollegen ein ambulantes
Rehazentrum in Bielefeld auf. 2001 erhielt Beate Klemme eine Professur für Therapie-
und Rehawissenschaften an der Fachhochschule Bielefeld. Dort hat sie die berufspädagogischen
Studiengänge „Berufliche Bildung Therapie“ (Bachelor of Arts) und „Berufspädagogik
Pflege und Therapie“ (Master of Arts) entwickelt. Seitdem bildet sie Physio- und Ergotherapeuten
zu Fachlehrern aus. Ihr Steckenpferd ist das Clinical Reasoning, über das sie bereits
ein Buch geschrieben hat. Für sie ist das Konzept der Schlüssel zum berufsspezifischen
Denken und Handeln. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten mit ihrer Familie und
ihren Freunden. Zudem ist sie vielfältig kulturell interessiert und treibt gerne Sport.
Lehrer spezifisch qualifizieren
Das Tätigkeitsfeld
In Deutschland gibt es für die Ausbildung von Lehrkräften in Therapieberufen keine
bundesweit einheitliche Regelung. Während in den neuen Bundesländern der Abschluss
eines pädagogischen Universitätsstudiums erforderlich ist, genügt in den alten Ländern
die Berufszulassung als Voraussetzung für die Lehrtätigkeit an einer Berufsfachschule.
Auch die Ausbildung der Anleiter in der praktischen Ausbildung ist nicht geregelt.
Doch das Bewusstsein, dass eine hochschulische Ausbildung für die Lehre sinnvoll ist,
ist in den Therapieberufen inzwischen gewachsen. Seitens der Politik fehlt in den
alten Bundesländern jedoch ein klares Bekenntnis zur akademischen Lehrerbildung. Das
liegt unter anderem daran, dass die Berufsfachschulen in den Bundesländern unterschiedlichen
Ministerien unterstellt sind und dadurch eine einheitliche Vorgehensweise erschwert
wird. Seit vielen Jahren engagieren sich vereinzelt Berufsangehörige für eine bessere
Qualifizierung der Lehrenden. So auch Beate Klemme. Als sie ihre Professur an der
Fachhochschule Bielefeld antrat, erhielt sie den Auftrag, sich mit der Fachdidaktik
der Physiotherapie auseinanderzusetzen. Keine leichte Aufgabe, denn für die Konzeption
entsprechender Studienmodule gab es im deutschsprachigen Raum keine Literatur. Die
Herausforderung bestand darin, eine Balance zwischen Konzepten aus den Nachbardisziplinen,
wie der Pflege, und eigenen Strukturen zu finden. Interessante Impulse, insbesondere
zum Clinical Reasoning, holte sie sich zudem aus den Ländern Australien und Kanada.
So schaffte sie in Bielefeld ein einzigartiges berufspädagogisches Bildungsangebot.
Das Bachelorstudium ist auf sechs Semester angelegt (www.fh-bielefeld.de/studienangebot). In Modulen wie „Modelle der Therapiewissenschaften“ oder „Fachbezogene Forschung
und Evidence Based Practice“ erweitern und vertiefen Physio- und Ergotherapeuten ihr
Wissen in den Bereichen Therapie und Gesundheit. Zudem beschäftigen sie sich mit der
Grundlage der Berufspädagogik, der Didaktik und der Psychologie beruflichen Lehrens
und Lernens. Der anschließende Master setzt einen mit mindestens „gut“ bewerteten
Bachelorabschluss in den Bereichen Pflege, Physio- oder Ergotherapie voraus und dauert
vier Semester. In ihm vertiefen die Studierenden ihre pädagogischen, fachwissenschaftlichen
und organisatorischen Kompetenzen und beschäftigen sich mit den Themen Schulentwicklung
und - organisation und Bildungsforschung. Beate Klemme kann heute auf eine 13-jährige
Erfahrung in der Lehrerbildung zurückblicken.
Erkenntnisse
Beate Klemme gewann aus ihrer bisherigen Arbeit die Erkenntnis, dass …
-
> die Absolventen der berufspädagogischen Studiengänge sehr unterschiedlich in den
Berufsfachschulen aufgenommen werden. Ihre Kompetenzen werden vom Lehrerkollegium
teilweise geschätzt, teilweise aber auch kritisch betrachtet.
-
> die Absolventen in der Berufseinstiegsphase oft nicht als Anfänger wahrgenommen,
sondern von Beginn an als Experten eingestuft und angesprochen werden. Ihnen fehlt
eine Schonzeit, um sich in ihrem neuen Beruf auszuprobieren.
-
> es erforderlich ist, die Studierenden intensiv auf mögliche Schwierigkeiten der
Rollenfindung in der Praxis vorzubereiten.
-
> Absolventen, die sich bereits in einer Berufsfachschule etabliert haben, oft den
Weg für die Einstellung weiterer Berufspädagogen ebnen.
Fazit
Zusammenfassend kann Beate Klemme festhalten, dass …
-
> die Lehre und Ausbildung in den Therapieberufen spezifische Kompetenzen und damit
eine umfassende hochschulische Qualifizierung erfordern. Deshalb plädiert sie für
eigenständige berufspädagogische Studiengänge in diesem Feld.
-
> die Qualifizierung sich an sonst üblichen akademischen Lehrerausbildungen orientieren
muss. Damit würden die Therapieberufe ihren Status als ewiger „Sonderfall“ in der
berufspädagogischen Fachwelt überwinden.