physiopraxis 2014; 12(05): 18-19
DOI: 10.1055/s-0034-1381292
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Die Frau fürs Pädagogische

Beate Klemme
Eva Trompetter

Subject Editor:
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Publication Date:
19 May 2014 (online)

 

Ihr beruflicher Werdegang begann ursprünglich in der Pädagogik. Über die Sportwissenschaften kam Beate Klemme dann zur Physiotherapie. Heute verbindet die Professorin ihre Kompetenzen und bildet an der Fachhochschule Bielefeld Physio- und Ergotherapeuten zu qualifizierten Fachlehrern aus. Sie ist davon überzeugt, dass Lehrende spezifische Kompetenzen benötigen.


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Abb.: E. Trompetter

Warum ist die Berufspädagogik Ihre Leidenschaft?

An den Studiengängen der Berufspädagogik schätze ich, dass ich mit Studierenden arbeiten kann, die bereits eine gewisse Berufs- und Lebenserfahrung haben, an die ich im Studium gut anknüpfen kann. Dass ich ausgerechnet in meiner Heimatstadt Bielefeld eine Professur erhalten habe, die meinen Interessen und Qualifikationen entspricht, halte ich für einen sehr glücklichen Zufall.


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Was möchten Sie Ihren Studierenden mit auf den Weg geben?

Ich denke, für künftige Berufspädagogen ist es wichtig, dass sie sich die Freude daran erhalten, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten und sie mit der Weitergabe des eigenen Wissens zu fördern. Für die Professionalisierung der Physiotherapie wäre es hilfreich, wenn die Absolventen der Physiotherapie-Ausbildung treu blieben.

Beate Klemme …

… ist 53 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie in Bielefeld. Nach ihrem Lehramtsstudium der Fächer Biologie und Sport an der Universität Bielefeld entschied sie sich, Physiotherapeutin zu werden. Während der Ausbildung war sie durch ihr pädagogisches Vorwissen über die Art des Lehrens und Lernens immer wieder irritiert. Ihr großes Interesse an Sport, Pädagogik und Physiotherapie führte sie dann an die Universität zurück und sie promovierte im Fach Sportwissenschaften. Im Anschluss daran baute sie mit drei Kollegen ein ambulantes Rehazentrum in Bielefeld auf. 2001 erhielt Beate Klemme eine Professur für Therapie- und Rehawissenschaften an der Fachhochschule Bielefeld. Dort hat sie die berufspädagogischen Studiengänge „Berufliche Bildung Therapie“ (Bachelor of Arts) und „Berufspädagogik Pflege und Therapie“ (Master of Arts) entwickelt. Seitdem bildet sie Physio- und Ergotherapeuten zu Fachlehrern aus. Ihr Steckenpferd ist das Clinical Reasoning, über das sie bereits ein Buch geschrieben hat. Für sie ist das Konzept der Schlüssel zum berufsspezifischen Denken und Handeln. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten mit ihrer Familie und ihren Freunden. Zudem ist sie vielfältig kulturell interessiert und treibt gerne Sport.


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Lehrer spezifisch qualifizieren

Das Tätigkeitsfeld

In Deutschland gibt es für die Ausbildung von Lehrkräften in Therapieberufen keine bundesweit einheitliche Regelung. Während in den neuen Bundesländern der Abschluss eines pädagogischen Universitätsstudiums erforderlich ist, genügt in den alten Ländern die Berufszulassung als Voraussetzung für die Lehrtätigkeit an einer Berufsfachschule. Auch die Ausbildung der Anleiter in der praktischen Ausbildung ist nicht geregelt. Doch das Bewusstsein, dass eine hochschulische Ausbildung für die Lehre sinnvoll ist, ist in den Therapieberufen inzwischen gewachsen. Seitens der Politik fehlt in den alten Bundesländern jedoch ein klares Bekenntnis zur akademischen Lehrerbildung. Das liegt unter anderem daran, dass die Berufsfachschulen in den Bundesländern unterschiedlichen Ministerien unterstellt sind und dadurch eine einheitliche Vorgehensweise erschwert wird. Seit vielen Jahren engagieren sich vereinzelt Berufsangehörige für eine bessere Qualifizierung der Lehrenden. So auch Beate Klemme. Als sie ihre Professur an der Fachhochschule Bielefeld antrat, erhielt sie den Auftrag, sich mit der Fachdidaktik der Physiotherapie auseinanderzusetzen. Keine leichte Aufgabe, denn für die Konzeption entsprechender Studienmodule gab es im deutschsprachigen Raum keine Literatur. Die Herausforderung bestand darin, eine Balance zwischen Konzepten aus den Nachbardisziplinen, wie der Pflege, und eigenen Strukturen zu finden. Interessante Impulse, insbesondere zum Clinical Reasoning, holte sie sich zudem aus den Ländern Australien und Kanada. So schaffte sie in Bielefeld ein einzigartiges berufspädagogisches Bildungsangebot. Das Bachelorstudium ist auf sechs Semester angelegt (www.fh-bielefeld.de/studienangebot). In Modulen wie „Modelle der Therapiewissenschaften“ oder „Fachbezogene Forschung und Evidence Based Practice“ erweitern und vertiefen Physio- und Ergotherapeuten ihr Wissen in den Bereichen Therapie und Gesundheit. Zudem beschäftigen sie sich mit der Grundlage der Berufspädagogik, der Didaktik und der Psychologie beruflichen Lehrens und Lernens. Der anschließende Master setzt einen mit mindestens „gut“ bewerteten Bachelorabschluss in den Bereichen Pflege, Physio- oder Ergotherapie voraus und dauert vier Semester. In ihm vertiefen die Studierenden ihre pädagogischen, fachwissenschaftlichen und organisatorischen Kompetenzen und beschäftigen sich mit den Themen Schulentwicklung und - organisation und Bildungsforschung. Beate Klemme kann heute auf eine 13-jährige Erfahrung in der Lehrerbildung zurückblicken.


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Erkenntnisse

Beate Klemme gewann aus ihrer bisherigen Arbeit die Erkenntnis, dass …

  • > die Absolventen der berufspädagogischen Studiengänge sehr unterschiedlich in den Berufsfachschulen aufgenommen werden. Ihre Kompetenzen werden vom Lehrerkollegium teilweise geschätzt, teilweise aber auch kritisch betrachtet.

  • > die Absolventen in der Berufseinstiegsphase oft nicht als Anfänger wahrgenommen, sondern von Beginn an als Experten eingestuft und angesprochen werden. Ihnen fehlt eine Schonzeit, um sich in ihrem neuen Beruf auszuprobieren.

  • > es erforderlich ist, die Studierenden intensiv auf mögliche Schwierigkeiten der Rollenfindung in der Praxis vorzubereiten.

  • > Absolventen, die sich bereits in einer Berufsfachschule etabliert haben, oft den Weg für die Einstellung weiterer Berufspädagogen ebnen.


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Fazit

Zusammenfassend kann Beate Klemme festhalten, dass …

  • > die Lehre und Ausbildung in den Therapieberufen spezifische Kompetenzen und damit eine umfassende hochschulische Qualifizierung erfordern. Deshalb plädiert sie für eigenständige berufspädagogische Studiengänge in diesem Feld.

  • > die Qualifizierung sich an sonst üblichen akademischen Lehrerausbildungen orientieren muss. Damit würden die Therapieberufe ihren Status als ewiger „Sonderfall“ in der berufspädagogischen Fachwelt überwinden.


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Abb.: E. Trompetter