Einleitung
Die Resektion von Tumoren des Gehirns stellt für den Chirurgen eine besondere Herausforderung dar. Die Entfernung vom gesunden Hirngewebe führt unweigerlich zu einer Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, welche sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und auch im verschiedenem Maße kompensiert werden kann. Häufig kann sogar noch durch Tumor infiltriertes Gewebe zum großen Teil funktionstüchtig sein. Daher ist es in der Neurochirurgie essenziell, die Tumorresektion auf das unmittelbar erkrankte Gewebe zu beschränken. Häufig ist aber auch dieses Ziel ohne ein funktionelles Defizit nicht zu erreichen. Erschwert wird diese Aufgabe dadurch, dass sich Gehirntumoren auch unter Einsatz des Operationsmikroskops nur schlecht vom Marklager des Gehirns unterscheiden lassen. Häufig sind auch die Tumorgrenzen aufgrund des infiltrativen Tumorwachstums sehr unscharf. Andererseits ist eine vollständige Tumorresektion einer der wichtigsten prognostischen Faktoren.
Die beste Methode, einen Gehirntumor darzustellen, bietet die Magnetresonanztomografie (MRT). Um die hier gewonnenen Informationen optimal während der Operation zu nutzen, wurde die Neuronavigation entwickelt. Sie erlaubt es dem Operateur, die Bildinformation auf den Operationssitus zu übertragen. Diese Information kann entweder auf dem Display der Neuronavigation angezeigt oder in das Okular des Operationsmikroskops eingeblendet werden (siehe [Abb. 1]) [1]. Die Limitation dieser Methode liegt aber darin, dass während einer Tumorresektion die intrakranielle Anatomie verändert wird und die präoperativ gewonnenen MRT-Daten unter dem Eingriff nicht mehr der Realität entsprechen. Die intraoperative MRT (iMRT) ermöglicht durch Akquisition eines neuen Datensatzes, die intraoperativ veränderte Situation widerzuspiegeln [2]. Seit der Entwicklung der ersten Installationen Ende der 90er-Jahre konnten mehrere Studien den Nutzen des hohen technischen, materiellen und personellen Einsatzes demonstrieren [3], [4], [5], [6].
Abb. 1 Darstellung des Operationssitus am Bildschirm der Navigation. Die linke Bildhälfte zeigt den Situs zu Beginn der Tumorresektion. Im Mikroskopbild werden die Tumorgrenzen in der Fokusebene mit durchgezogener Linie und die maximale Tumorausdehnung entlang der optischen Achse mit gestrichelten Linien eingeblendet. Das blaue Fadenkreuz repräsentiert den Fokuspunkt des Mikroskops. Unter der Resektion (rechte Bildhälfte) wird der Fokus in die Tiefe verlagert, was man in den MRT-Aufnahmen gut verfolgen kann.
Durch die enorme Weiterentwicklung der diagnostischen Magnetresonanztomografie wurden auch die Möglichkeiten und Einsatzgebiete ihrer intraoperativen Anwendung erheblich erweitert. Scanner mit höheren Feldstärken können nicht nur immer feinere anatomische Strukturen auflösen, sondern auch funktionelle Einheiten und metabolische Prozesse darstellen [7], [8]. Diese Eigenschaften erlauben es, die neurochirurgischen Operationen am menschlichen Gehirn nicht nur effektiver, sondern auch sicherer und risikoärmer durchzuführen. Darüber hinaus bieten moderne Installationen in integrierten Hybrid-OPs einen MRT-kompatiblen Anästhesiearbeitsplatz und einen einfachen und effizienten Transfer des Patienten zwischen dem OP-Bereich und dem Scanner, die den Hygienestandards eines neurochirurgischen OPs entsprechen und eine Gefährdung des Patienten verhindern.
Aufbau
Im Laufe der Zeit haben sich mehrere Lösungen für die Implementation der intraoperativen MRT entwickelt. Unterscheiden kann man Installationen mit Niederfeldscannern mit Magnetfeldstärken bis 0,5 T. Diese Scanner bieten die Möglichkeit einer kompakten Installation, die auch nachträglich in fast jedem Operationssaal möglich ist. Die Scanner sind i. d. R. mobile Geräte, die nicht größer als ein konventioneller C-Bogen sind. Zur Bildakquisition wird der Magnet über dem Kopf des Patienten positioniert und nach der Messung wieder entfernt. Der wesentliche Nachteil dieser Lösung ist die im Vergleich zu diagnostischen MRT-Aufnahmen deutlich geringere Bildqualität, ein eingeschränkter Untersuchungsbereich und die Beschränkung auf konventionelle morphologische Bildgebung. Im Gegensatz dazu stehen die Installationen mit Hochfeldscannern mit Feldstärken ab 1,5 T. Für diese Installationen werden i. d. R. leicht modifizierte konventionelle Scanner verwendet. Sie bieten den Vorteil der Bildgebung in üblicher diagnostischer Qualität mit einem breiten Spektrum an verfügbaren Bildgebungsmodalitäten. Diese Installationen können entweder für eine dezidierte intraoperative Anwendung oder auch für eine kombinierte diagnostische und intraoperative Anwendung ausgelegt sein. Davon abhängig kann der Scanner entweder direkt im Operationssaal installiert sein (siehe [Abb. 2]) oder sich im Nebenraum befinden. Üblicherweise wird zur Bildgebung der Patient in den Scanner transferiert. Dabei verbleibt der offene Kopf in einer rigiden, für die mikrochirurgische Operationstechnik unerlässlichen Halterung fixiert. In diese Halterung ist die MR-Spule integriert, um die optimale Bildqualität zu erhalten. Zur Bildakquisition wird der Operationssitus steril abgedeckt und der Patient in den Scanner transferiert. Nach der Messung wird der Patient zurück in den OP-Bereich transferiert. Die unsterile Abdeckung wird entfernt und der Situs neu abgedeckt. Der Patiententransfer muss erschütterungsarm erfolgen, damit ein Ausreißen des Kopfes aus der Halterung oder eine Verletzung des Gehirns vermieden wird. Während der Messung und des Transfers muss auch für eine adäquate Überwachung der Vitalparameter und Steuerung der Anästhesie gesorgt werden. Dafür ist ein MR-kompatibler Anästhesiearbeitsplatz erforderlich.
Abb. 2 Integrierter neurochirurgischer Operationssaal „Brainsuite®“ während eines intrakraniellen Eingriffs. Der Patient befindet sich in OP-Position. Instrumententische sind ganz rechts im Bild. Die Operation erfolgt unter Einsatz des deckenmontierten OP-Mikroskops. Zum Scan wird der Patient auf dem angepassten OP-Tisch um 90° zum Scanner (im Hintergrund zu sehen) geschwenkt. Der Kopf ist in einer MR-kompatiblen Halterung mit integrierter 8-Kanal-Spule fixiert. Links im Bild findet sich der MR-kompatible Anästhesiearbeitsplatz. Die integrierte Neuronavigation verfügt über eine deckenmontierte Infrarotstereokamera (oben im Bild) und einen ebenfalls deckenmontierten berührungsempfindlichen Bedienmonitor.
Die eigentliche Operation erfolgt hingegen außerhalb des Magnetfelds und kann daher mit konventionellem Instrumentarium durchgeführt werden. Es muss allerdings streng darauf geachtet werden, dass keine magnetischen Gegenstände in die Nähe des Magnetfelds geraten. Bei den Scannerinstallationen im OP-Saal ist also zusätzlich zu einer Kontrolle vor dem Patiententransfer, bei der sichergestellt werden muss, dass am Patienten keine magnetischen Instrumente verblieben sind, auch während des gesamten OP-Betriebs darauf zu achten [9]. Ein speziell geschultes Personal ist für den Betrieb eines OP-Saals mit iMRT unerlässlich.
Behandlung
Die Durchführung einer Hirntumorresektion in einem modernen Hybrid-OP unterscheidet sich nur wenig von der Durchführung in einem Standard-OP. Der narkotisierte Patient wird auf dem OP-Tisch gelagert und Kopf wird in der Kopfhalterung fixiert. Hier besteht im Vergleich zu einer konventionellen Operation eine gewisse Einschränkung der Bewegungsfreiheit, da der Kopf mit Kopfhalterung später in die Bohrung des Scanners hineinpassen muss. Die Navigation kann entweder über die Hautoberfläche oder Fiducials registriert werden. Darüber hinaus hat man bei schwierigen Lagerungen auch die Möglichkeit einer automatischen Registrierung durch Anfertigung eines Registrierungsscanns. Diese Möglichkeit bietet die optimale Navigationsgenauigkeit, erfordert aber einen zusätzlichen MRT-Scan. Die eigentliche Operation erfolgt dann wie in einem konventionellen Operationssaal. Wenn der Operateur den Eindruck hat, den Tumor vollständig entfernt zu haben oder die Navigationsgenauigkeit aufgrund von Brainshift ungenügend ist, wird eine MRT-Untersuchung durchgeführt. Mit den neu gewonnen Daten kann die Navigation aktualisiert werden. Wenn nötig, kann dann der evtl. verbliebene Tumorrest sicher angegangen werden. Die Schritte können dabei nach Bedarf mehrfach wiederholt werden (siehe [Abb. 3] und [4]).
Abb. 3 Präoperative T2-gewichtete axiale Sequenz. Die linke Bildhälfte zeigt das präoperative Planungsbild mit violett markiertem Tumor, der sich vom umliegenden gesunden Hirngewebe durch stärkeres T2-Signal abhebt, wobei die Grenzen sehr unscharf sind. Die rechte Bildhälfte zeigt die intraoperative Situation bei dem gleichen Patienten. Durch Resektion von Tumorgewebe und Verlust von Liquor kommt es zum Brainshift. Der grün markierte Tumorrest liegt außerhalb der ursprünglich eingezeichneten Tumorkontur. Bei direktem Vergleich zeigt sich, dass sich dieser Bereich ursprünglich innerhalb der Kontur befand. Da sich der Tumor in unmittelbarer Nachbarschaft des motorischen Sprachzentrums (Broca) sowie des primär motorischen Kortexes befindet, ist eine genaue Einhaltung der Resektionsgrenzen unerlässlich.
Abb. 4 Intraoperative Bildgebung während der Resektion eines ausgedehnten Oligoastrozytoms WHO-Grad III. Links oben ist das präoperative Bild. Die blaue Linie zeigt die geplanten Resektionsgrenzen. Die gelbe Linie markiert die Pyramidenbahn. Rechts oben ist die 1. intraoperative Aufnahme. Diese zeigt eine annähernd vollständige Tumorresektion. Rot eingezeichnet ist ein zu resezierender Tumorrest, welcher in unmittelbarer Nähe der Pyramidenbahn belassen wurde, weil es während der Resektion zu einem deutlichen Brainshift gekommen war. Er ist deutlich an dem Spalt zwischen Kortexoberfläche und Schädelkalotte links parietal sowie dem gesunden Hirnparenchym, welches sich nun innerhalb der initialen blauen Markierung befindet, zu erkennen. Links unten ist die gleiche Schicht am Ende der Operation. Man kann die vollständige Entfernung des Tumors einschließlich des kleinen Restes an der Pyramidenbahn gut erkennen. Rechts unten ist ein Verlaufs-MRT 3 Jahre nach der Operation.
Die Verwendung von zusätzlichen Hilfsmitteln wie Fluoreszenzmikroskopie, intraoperative Sonografie oder Elektrophysiologie ist dabei ohne Einschränkung möglich [10], [11]. Vor allem das intraoperative elektrophysiologische Monitoring gewinnt zunehmend an Bedeutung. Mithilfe dieses Verfahrens ist es möglich, gewisse Gehirnfunktionen auch bei narkotisiertem Patienten kontinuierlich während der Operation zu überwachen [12]. Das ergänzt sich mit der iMRT besonders gut, weil man dadurch auch die intraoperativen Veränderungen in der Elektrophysiologie morphologisch verifizieren kann. Vor allem das Monitoring des primär motorischen Kortexes und der Pyramidenbahn gehört in unserer Klinik zum Standard bei Eingriffen in der Nähe dieser Strukturen. Dabei kann das Monitoring während des mehrstündigen Eingriffs eine Amplitudenminderung der motorisch evozierten Potenziale (MEP) aufweisen und auf die Gefahr einer postoperativen Parese hindeuten. Allerdings kann diese Amplitudenminderung mehrere Ursachen haben und nicht immer liegt es daran, dass die Strukturen durch die Resektion geschädigt werden. Um zu entscheiden, ob mit der Resektion ohne hohes Risiko einer bleibenden Parese fortgefahren werden kann, ist die iMRT hilfreich.
Von über 800 in unserer Einrichtung durchgeführten Operationen mit iMRT waren es in 55 % Operationen bei glialen Tumoren, 24 % Tumoren der Hypophysenregion, 10 % nichtgliale Tumoren, 9 % vaskuläre Malformationen, 2 % epilepsiechirurgische Eingriffe und 8 % sonstige Operationen. In einer eigenen Auswertung von 158 Patienten mit primären ZNS-Tumoren führte der Einsatz der iMRT bei 106 (67,1 %) Patienten zur Identifikation von einem Tumorrest und zu einer Fortsetzung der Resektion. Bei 51 von diesen Patienten konnte dadurch der Tumor vollständig reseziert werden, was einer Steigerung der Rate an kompletten Resektionen um 32,2 % entspricht. Bei transsphenoidalen Operationen an Hypophysentumoren konnte durch Identifikation des Tumorrests im intraoperativen MRT in 27,9 % der Eingriffe eine Vervollständigung der Tumorresektion erreicht werden [13].
Zusammenfassung
Durch überzeugende klinische Ergebnisse und technische Innovationen, die Installation und Betrieb deutlich erleichtern konnten, fand die iMRT in der Neurochirurgie in den letzten Jahren eine zunehmende Verbreitung. Das primäre Einsatzgebiet der iMRT ist bei der Operation glialer Tumoren des Gehirns. Mit der iMRT kann nicht nur die intraoperative Resektionskontrolle erfolgen, die in vielen Fällen zu einer Fortführung der Resektion führt, sie kann auch zur Validierung des intraoperativen elektrophysiologischen Monitorings eingesetzt werden. Darüber hinaus sind durch neue bildgebende Modalitäten wie Diffusions- und Perfusionsbildgebung neue Einblicke in die Tumorbiologie auf der einen und Gehirnfunktion auf der anderen Seite möglich geworden, die u. U. zu einer neuen Betrachtung des Operationsziels führen können. In der Gliomchirurgie konnten mehrere Studien einen günstigen Einfluss der iMRT auf das Ausmaß der Tumorresektion und auch auf das Outcome der Patienten zeigen. Zunehmend findet die iMRT auch Einsatz in der transsphenoidalen Resektion der Hypophysenadenome. Auch hier sind Studien, die eine höhere Rate an vollständigen Tumorresektionen zeigen, publiziert worden. Mit der Weiterentwicklung der MRT-Technik ergeben sich in vielen Bereichen neue Möglichkeiten der Bildgebung mit Darstellung von funktionellen Arealen und Faserbahnen, welche dem Chirurgen ein risikooptimiertes Vorgehen und eine geringere Morbidität ermöglichen. Die iMRT ist ein sehr nützliches Verfahren in der Behandlung ausgewählter Tumoren des Gehirns. Aufgrund von hohen Investitionskosten, einem nicht unerheblichen personellen Aufwand und der erforderlichen Expertise bleibt sie wohl ein Verfahren, das nur spezialisierten Zentren vorbehalten sein wird.