In den Krisenzeiten des 20. Jahrhunderts, etwa am Ende des 2. Weltkriegs, sah man
keine
übergewichtigen Menschen. Und die Sterblichkeit an Diabetes ging zurück, wie die klassischen
Studien von Himsworth ([1]) zeigten. Dies demonstriert den
entscheidenden Einfluss der Ernährung auf den Phänotyp der Adipositas. In letzter
Zeit wird
zunehmend über den Genotyp geforscht, die Vererbung. So groß die Erkenntnisse auf
genetischem
Gebiet auch sind, darf dies keineswegs zu einer resignativen Haltung führen, wenn
man adipöse
Eltern hat. Mit den elterlichen Genen ist es nämlich wie beim Kartenspiel: Man kann
sich zwar
die Eltern nicht aussuchen, wie auch nicht das zugeteilte Blatt beim Spiel. Aber ein
guter
Spieler kann auch mit einem mäßigen oder sogar schlechten Blatt gewinnen, während
ein schlechter
Spieler auch mit einem guten Blatt verlieren kann.
Für die Adipositas gilt der pathogenetische Grundsatz, dass für die Ausprägung einer
Erkrankung
endogene und exogene Faktoren zusammenwirken. Was kann man tun, um der Adipositas
entgegenzuwirken oder diese abzubauen? Es sind die zwei wichtigen Faktoren des Lebensstils,
die
Ernährung und die körperliche Bewegung, die jeder Mensch selbst zu steuern imstande
sein sollte.
Dass übrigens hypokalorische Ernährung das Leben verlängern kann, sieht man an den
berühmten
Experimenten mit dem Wurm C. elegans: Unter Hungerernährung leben diese Tiere länger
als solche
mit freiem Futterzugang. Die Lebensmittelkarten mit der erzwungenen Hungerernährung
der
Nachkriegszeit lassen grüßen!
Körperliche Aktivität ist der eine wichtige Faktor. Leider ist der dadurch erzielte
Kalorienverbrauch nicht so groß wie viele Menschen annehmen. Und er wird oft durch
im Anschluss
gesteigerte Kalorienzufuhr, etwa durch hochkalorische Getränke, wieder wettgemacht.
Also kommt
der Ernährung die entscheidende Bedeutung zu.
Im Juni 2014 ist die neue „S3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas“ der
Deutschen
Adipositas-Gesellschaft zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
und anderen
Fachgesellschaften erschienen ([2]). Sie räumt mit dem
„Diät-Mythos“ auf, dass die Zusammensetzung der Nahrung eine Rolle spielt. Es kommt
allein auf
den Gesamtkaloriengehalt an. Vergleichsuntersuchungen der vielen Diätschemata wie
Atkins-Diät,
Punkte-Diät, Brigitte-Diät, Low carb oder Low fat hatten dies ergeben. In den USA
ist daher
vielerorts vorgeschrieben, für Imbisse wie etwa Big Macs oder Pizza die Gesamtkalorienzahl
auszuweisen. Täglich 500 Kilokalorien unter dem Tagesbedarf zu essen, ist das probate
Mittel, um
langfristig ein niedrigeres Körpergewicht zu erreichen und auch zu halten.
Abschließend der Rat, den ich meinen Patienten gebe (Evidenzklasse IV, als „Expertenmeinung“):
Langsam essen, nach jedem Bissen Messer und Gabel wieder auf den Teller legen und
20 Mal kauen.
Erst dann weiteressen. Es braucht nach meiner Erfahrung etwa 20 Minuten, bis sich
Sättigungsgefühl einstellt. Und viele Experten empfehlen auch die alte „Einer-Regel“:
Immer nur
1 Stück Brot, nur 1 Kartoffel, nur 1 Glas Bier …
Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Schatz,
Bochum