Psychiatr Prax 2014; 41(08): 412-413
DOI: 10.1055/s-0034-1387361
Debatte: Pro & Kontra
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verlängerung der psychiatrischen Weiterbildung – Pro

Prolongation of Psychiatric Training – Pro
Fritz Hohagen
Zentrum für Integrative Psychiatrie ZIP gGmbH
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Prof. Dr. Fritz Hohagen
Zentrum für Integrative Psychiatrie ZIP gGmbH
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. November 2014 (online)

 

Pro

Die Fort- und Weiterbildung in Psychiatrie und Psychotherapie stellt aktuell ein fachlich und gesundheitspolitisch hochaktuelles Thema dar. Im Jahre 2011 wurde von der Bundesärztekammer (BÄK) die Novellierung der Musterweiterbildungsordnung (MWBO) initiiert. Auf dem diesjährigen 117. Deutschen Ärztetag erfolgte ein Sachstandsbericht.


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Die eingebrachten Vorschläge werden derzeit in der noch bis 2015 dauernden Konsentierungsphase diskutiert, bevor die Beschlussphase in die Verabschiedung auf dem 119. Deutschen Ärztetag im Jahre 2016 münden soll.

Die grundlegende und für alle Fächer geltende Neuerung besteht darin, dass die Weiterbildung künftig kompetenzbasiert aufgebaut sein wird. Während sie sich bisher v. a. am Krankheitsbild und an der Pathogenese orientiert, sollen nun Fertigkeiten und Handlungskompetenzen im Vordergrund stehen. Für unser Fach bringt sich die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) federführend in die Entwicklung einer modernen MWBO ein. Der neue MWBO-Vorschlag der DGPPN benennt hierzu neben Diagnosegruppen sog. Kompetenzblöcke (z. B. diagnostische Verfahren, therapeutische Verfahren, Prävention, Rehabilitation, Geriatrie, Neuropsychologie), jeweils gegliedert in Kompetenzlevel.

Die Novellierung der MWBO eröffnet darüber hinaus den einzelnen Fächern die Chance einer kritischen Standortbestimmung und einer Integration wichtiger Neuerungen in die künftige Weiterbildung. Unbestritten ist, dass sich das Fach Psychiatrie und Psychotherapie in den letzten Jahren dynamisch verändert hat. Neue Entwicklungen haben vor allem in den immer wichtiger werdenden Bereichen Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Neuropsychologie, aber auch in der Psychotherapie und Psychopharmakotherapie, stattgefunden. Die Novellierung der Weiterbildung bietet nun die historische Chance, dem weiterentwickelten Verständnis der Pathogenese, Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen, das sich in neuen Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten niederschlägt, Rechnung zu tragen. Außerdem gilt es, die Weiterbildung den Erfordernissen einer veränderten Versorgungslandschaft sowie einer alternden Bevölkerung anzupassen und auf diese Weise die Identität unseres Faches neu zu definieren und langfristig attraktiv zu erhalten.

Die mit dem demografischen Wandel einhergehenden Veränderungen, wie die Zunahme älterer und hochbetagter und damit zunehmend multimorbider Patienten, sind offensichtlich. Die Sturz- und Dekubitusprophylaxe wird daher künftig ebenso wie die Hypertonie- und die Diabeteseinstellung zum Aufgabenfeld des Psychiaters gehören, dessen Rolle in der Behandlung geriatrischer Patienten wichtiger werden wird. Des Weiteren erfordern neue Entwicklungen im Bereich der psychotherapeutischen Behandlung psychiatrischer Patienten, wie die Ausdifferenzierung störungsspezifischer Psychotherapieformen und die Etablierung einer modularen Psychotherapie, zusätzliche Kompetenzen des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie. Neben der notwendigen Ausbildung in einem Verfahren der Richtlinienpsychotherapie spielen künftig auch zunehmend Verfahren der Kurzzeitpsychotherapie in der Behandlung psychiatrischer und psychosomatischer Patienten eine größere Rolle. Bezüglich der pharmakotherapeutischen Behandlung sind z. B. neue Wirkprinzipien in der Weiterbildung der künftigen Psychiater zu berücksichtigen. Sollen all die angesprochenen Entwicklungen, Innovationen und Veränderungen inhaltlich und zeitlich in angemessener Weise berücksichtigt und in die Weiterbildung integriert werden, ist dies in einem 5-jährigen Zeitraum logischerweise nicht mehr darstellbar. Vielmehr ist eine Erweiterung auf 6 Jahre inhaltlich geboten. Die Weiterbildungszeit in unserem Fachgebiet soll daher – unter Erhalt des Neurologie-Jahres – auf 6 Jahre erweitert werden. Eine Alternative zur 6-jährigen Weiterbildung, welche die bisherige Dauer von 5 Jahren aufrechterhielte, bestünde allenfalls in der Einführung möglicher Schwerpunktbildungen, z. B. für die Bereiche Gerontopsychiatrie, Abhängigkeitserkrankungen oder für spezielle Psychotherapie. Hierfür ist aber derzeit kein Konsens vorhanden, da die niedergelassenen Kollegen befürchten, dass wichtige therapeutische Leistungen, die in der Praxis durchgeführt werden, für die Basisversorgung dann nicht mehr abrechnungsfähig wären. Außerdem sehen viele in der Klinik tätige Psychiater damit eine drohende zu starke Aufgliederung unseres Faches verbunden. Wer die Schwerpunktbildung ablehnt und gegen eine Verlängerung der Weiterbildungszeit auf 6 Jahre ist, muss deshalb angeben, wo er die Weiterbildungsinhalte kürzen will und in Kauf nehmen, dass unser Fach möglicherweise Bereiche verliert, die im aktuellen Entwurf der DGPPN als integrale Bestandteile der Psychiatrie aufgeführt werden. Denkbar wäre die Ausgliederung der Geriatrie, was im Vergleich zu den Nachbardisziplinen Neurologie und Innere Medizin Nachteile bringen könnte, oder eine Kürzung im Bereich Psychotherapie – mit der Gefahr, hier im Vergleich zur Psychologie und Psychosomatik Kompetenzen zu verlieren.

Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, die es bei einer Verlängerung der Weiterbildungszeit auf sechs Jahre – die ja inhaltlich durch die zunehmende Komplexität unseres Faches bedingt ist – zu berücksichtigen gilt. Gerade kleinere Kliniken oder Kliniken ohne universitäre Anbindung haben möglicherweise Schwierigkeiten, das gesamte Spektrum der neuen Weiterbildungsordnung anzubieten. In Zukunft wird deshalb der Weiterbildungsverbund mehrerer Kliniken, ggf. unter Einbeziehung von Instituten immer wichtiger werden. Dies wurde erfolgreich in vielen Regionen Deutschlands umgesetzt. Darüber hinaus bietet die Fort- und Weiterbildungsakademie der DGPPN das gesamte Facharztcurriculum an, sodass vor allem Weiterbildungsinhalte, die vor Ort schwerer zu erlernen sind, in entsprechenden State of the Art-Symposien oder fertigkeitsorientierten Workshops vermittelt werden können.

Möglicherweise wird vor allem der erweiterte Psychotherapieteil als besonders schwierig zu realisieren erlebt. Hierzu muss man sagen, dass gerade die „modulare Psychotherapie“, die in Abgrenzung zur „Richtlinienpsychotherapie“ kurze, evidenzbasierte Interventionsmöglichkeiten anbietet, der psychiatrischen Praxis am ehesten entspricht und deshalb den Bedürfnissen unserer Patienten gerecht wird. Gerade schwer erkrankte Patienten profitieren oft nicht so sehr von starr angebotenen 50-Minuten-Gesprächen, sondern von psychotherapeutischen Interventionen, die eingebettet sind in die psychiatrische Therapie unter Einbeziehung anderer Behandlungselemente. Darüber hinaus weist ja auch die aktuelle Musterweiterbildungsordnung ca. 800 Stunden Psychotherapie auf – in den 20 Behandlungsfällen, die dokumentiert werden müssen, wobei der psychotherapeutische Teil gesondert aufgeführt werden soll. Insofern handelt es sich in diesem Bereich nicht um eine Erweiterung, sondern um ein Explizitmachen von Weiterbildungsinhalten, die bereits in der alten Weiterbildungsordnung aufgeführt waren.

Zusammenfassend ist unser Fach Psychiatrie und Psychotherapie so komplex geworden, dass man – will man die gesamten inhaltlichen Bereiche im Fach halten – wählen muss zwischen Schwerpunktbildung oder Verlängerung der Weiterbildungszeit. Alles andere bedeutet, dass unser Fach wichtige Inhalte verliert, die dann auch nicht mehr glaubwürdig von der Psychiatrie vertreten werden können.


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Fritz Hohagen

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