Liebe Leserinnen und Leser,
das medizinische Alleinstellungsmerkmal der Intensivmedizin besteht darin, den Ausfall
lebenswichtiger Funktionen rechtzeitig zu erkennen und diese passager hinreichend
aufrechtzuerhalten. Die Krankheit, welche die Vitalfunktionen beeinträchtigt, wird
nicht wie in anderen Bereichen der Medizin durch die Intensivtechniken geheilt, sondern
durch die Genesungskompetenz des Patienten und kausale Therapieansätze. Deshalb kann
nachhaltige Intensivtherapie nur erfolgreich sein, wenn sie von dem breiten Wissensstand
ihrer Mutterfächer getragen wird.
Länger dauernde zerebrale Anfälle (Status epilepticus) sind ein gutes Beispiel hierfür.
Der Anfall selbst, die zugrundeliegende Ursache und/oder die erforderlichen Antikonvulsiva
bedingen Intensivpflichtigkeit. Eine erfolgreiche Behandlung erfordert jedoch darüber
hinaus eine wirksame Behandlung der Anfallsursache und die Behandlung mit spezifischen
Antiepileptika. Deshalb haben wir einen Neurologen und einen Neuropädiater eingeladen,
in 2 Übersichtsartikeln den aktuellen Kenntnisstand zur Behandlung akuter zerebraler
Anfälle in allen Altersgruppen inhaltlich zu erläutern, wissenschaftlich zu begründen
und anschaulich zu schildern.
Der Neurologe F. Rosenow unterscheidet beim zerebralen Anfall 4 eskalierende Therapiestufen.
In den ersten beiden gelingt die erfolgreiche Behandlung binnen 30 min mit Benzodiazepinen
bzw. Phenytoin, Valproat, Levetiracetam oder Phenobarbital. Die 3. Therapiestufe
erfordert jedoch bereits eine Sicherung der Atemwege durch Intubation und Beatmung
wegen des erforderlichen Einsatzes narkotisch wirkender Medikamente. Wenn trotz Narkose
der Status refraktär bleibt, muss auf nicht adäquat evidenzbasierte experimentelle
Therapieansätze zurückgegriffen werden. Parallel zu diesen Maßnahmen müssen kausal
behandelbare Ursachen gesucht und behandelt werden.
Bei Kleinkindern dominieren rein zahlenmäßig sogenannte Fieberkrämpfe, wie der Neuropädiater
T. Bast schildert. Diese Fieberkrämpfe (besser: infektassoziierte zerebrale Anfälle)
sind bei adäquater Therapie harmlos. Bei der Behandlung durch den wenig erfahrenen
Arzt überwiegen sogar die Risiken der Therapie die Risiken des Anfalls. Doch selbst
für den erfahrenen Arzt ist es initial nicht immer einfach, Fieberkrämpfe von potenziell
bedrohlichen epileptischen Anfällen zu unterscheiden. Besonders schwerwiegend ist
es, wenn eine gut behandelbare und behandlungspflichtige Ursache übersehen wird, wie
z. B. eine Hypoglykämie.
Wenn Sie diese beiden didaktisch gut aufbereiteten Beiträge gelesen haben, sind Sie
den notfall- und intensivmedizinischen Herausforderungen bei zerebralen Anfällen in
jeder Altersgruppe gewachsen.
Gerhard Jorch