Z Orthop Unfall 2014; 152(04): 297-299
DOI: 10.1055/s-0034-1390198
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Medizin für Menschen ohne Papiere – „Der Gesetzgeber muss die Kostenübernahme bei Notfällen neu regeln“

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Publication Date:
16 September 2014 (online)

 
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Rechtsanwältin Silke Rumpel (Jahrgang 1975) arbeitet als Fachanwältin für Sozialrecht in der Kanzlei Zimmer und Bregenhorn-Wendland in Bochum. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit sind Kosten- und Abrechnungsfragen im Sozialrecht.

Fachanwältin Silke Rumpel erläutert die Vorschriften zur medizinischen Versorgung für Menschen ohne Aufenthaltspapiere und erklärt, warum Krankenhäuser und Ärzte derzeit bei deren Notfallversorgungen das volle finanzielle Risiko tragen.

? Auch Menschen, die hierzulande ohne gültige Papiere leben, brauchen mitunter einen Arzt. Welche Ansprüche auf Kostenübernahme haben sie?

Für die Beurteilung, welche Ansprüche auf Kostenübernahme bestehen, ist es zunächst erforderlich, den Begriff der aufenthaltsrechtlichen Illegalität näher zu erläutern.

? Bitte …

Die aufenthaltsrechtliche Illegalität ist in § 95 Aufenthaltsgesetz als Straftat geregelt. Und dafür ist eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vorgesehen.
Zu erwähnen bleibt auch, dass es die Möglichkeit der Beihilfe zu dieser Tat gibt. Nach § 96 Aufenthaltsgesetz ist vor allem strafbar, wenn man kontinuierlich Hilfe dazu leistet, dass Menschen ohne aufenthaltsrechtlichen Titel hier leben.

? Schafft das für Ärzte ein Problem, wenn sie solche Patienten behandeln?

Nein. Ärzte sind aufgrund ihres Berufsethos verpflichtet, notleidenden Menschen zu helfen. Das ist heute in der juristischen Praxis keine Frage mehr.

? Welche Rechte auf Kostenübernahme medizinischer Behandlung haben diese Menschen?

Auch diese Personen sind gemäß § 1 Absatz 1 Nummer 5 Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt. Dort ist festgelegt, dass Personen, die nicht gemeldet sind und die gleichzeitig „vollziehbar ausreisepflichtig“ sind, einen Anspruch auf Leistungen haben.

? Und was wird bezahlt?

Das ist in § 4 und § 6 AsylbLG festgelegt. § 4 erklärt ein Recht auf Versorgung bei akuten Erkrankungen, und bei Schmerzzuständen. Laut Definition ist von einer akuten Erkrankung auszugehen bei einem plötzlichen Auftreten, bei einem heftigen und kurzfristigen Krankheitsverlauf. Langfristige Behandlungen, die chronischen Erkrankungen, fallen aus § 4 heraus. Anders ist das wiederum, wenn jemand aufgrund einer chronischen Erkrankung unter Schmerzen leidet.

? Ein Beispiel? Nehmen wir an, ein Patient kommt mit einem massiven, akuten Bandscheibenvorfall und Schmerzen in die Praxis – hätte er dann ein Recht auf Behandlung und Kostenübernahme?

Hat er. Da muss man dennoch schauen, dass zunächst einmal nur der akute Schmerz vorrangig behandelt werden muss. Es kann sein, dass der Patient generell nur ein Recht hat auf diese Schmerzbehandlung hat.

? Im Asylbewerberleistungsgesetz steht auch, dass die „zuständige Behörde“, das Sozialamt, darüber entscheidet, welche Behandlung übernommen wird. Wie rechnet der Arzt ab, wenn er so einen Patienten behandelt?

Das ist ganz schwierig, besonders bei der aktuellen Rechtsprechung. In diesem Fall muss geprüft werden, ob der Arzt gegenüber dem Sozialhilfeträger einen eigenen Anspruch auf die Vergütung hat. Und da gilt, dass die Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz höchstpersönlicher Natur sind.

? Was heißt das?

Die Ansprüche sind nicht übertragbar, die muss ein Betroffener schon selber beim Amt geltend machen. Es empfiehlt sich daher für die Ärzte und Krankenhäuser darauf hinzuwirken, dass die Patienten ihre Ansprüche nach § 4 und § 6 an das Amt stellen.

? Ein Arzt kann sich nicht selber an das Telefon hängen und das Sozialamt fragen, ob die Kosten der Behandlung übernommen werden?

Nein. Der Betroffene muss selber zum Sozialamt gehen.

? Damit aber reden wir hier wohl über graue Theorie. Viele Experten einschließlich der Bundesärztekammer kritisieren das als quasi unüberwindbare Hürde, die in der Praxis eine medizinische Behandlung verhindert, weil die Betroffenen aus Furcht vor Entdeckung kaum zu einem Amt gehen dürften.

Genau, deshalb sind die Ansprüche in der Praxis kaum umsetzbar.

? Kennen Sie überhaupt Fälle, dass jemand zum Sozialamt geht, sich dort outet, zumal das Amt ja dann die Ausländerbehörde informieren muss?

In Ausnahmen ja. Da hatten wir aktuell ein Verfahren, eine Notfallbehandlung. Der Patient war so schwer verletzt worden, dass er gar nicht mehr für sich selber sprechen konnte. In seinem Fall gab es zugleich einen klaren Grund gegen eine drohende Abschiebung – er war und ist dafür schlicht nicht transportfähig. Für den Patienten war es daher von großem Vorteil, ihn der Legalität zuzuführen. So konnten am Ende auch die Behandlungskosten in erheblicher Höhe über das Sozialamt laufen.

? Bei solch einem Notfall ist aber ohnehin kaum Zeit, für lange Wege zum Sozialamt für einen Behandlungsschein …

Das ist richtig. Bei akuten Notfällen muss ein Krankenhaus sofort behandeln. In diesen Fällen muss der Arzt oder das Krankenhaus dann hinterher schon den Patienten auffordern, seinen höchstpersönlichen Leistungsanspruch gegenüber dem Sozialamt geltend zu machen.

? Es gibt doch den so genannten Verlängerten Geheimnisschutz, der Betroffenen zumindest eine Notfallbehandlung im Schutz der Anonymität ermöglicht, weil in diesen Fällen Krankenhäuser im Nachhinein direkt bei den Ämtern abgerechnet haben?

Das war bis vor kurzem so möglich, ja. Bis zum 30.10.2013 haben Krankenhäuser und Ärzte über den so genannten Nothelferparagraph nach § 25 SGB XII die Behandlungskosten bei Vorliegen der Voraussetzungen vom Sozialamt erstattet bekommen. Das SGB XII regelt die Sozialhilfe. Dieser Paragraph legt fest, dass jemand, der in einem Eilfall einem Anderen Leistungen erbringt, die Aufwendungen vom Sozialamt erstattet bekommt. Analog wurde damit auch bei Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in Notfällen argumentiert, so dass Ärzte und Krankenhäuser die Kosten aus einem eigenen Anspruch gegenüber den Sozialhilfeträgern geltend machen konnten. Und so lange Sozialämter die Daten über den Aufenthaltsstatus eines Patienten von Ärzten und Krankenhäusern erhalten, dürfen sie diese Kenntnis in der Tat eben nicht an die Ausländerbehörde weiter reichen – der verlängerte Geheimnisschutz.

? Klappt das in der Praxis?

Klappt das in der Praxis?

? Also geht doch – eine Nische, über die solche Patienten in schweren Fällen eine für sie kostenlose Behandlung erfahren, ohne dass die Ausländerbehörde von ihnen erfährt?

Das geht heute eben nicht mehr. Diese Sicht wurde mit Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.10.2013 geändert. Das Bundessozialgericht hat in diesem Urteil klargestellt, dass es im Asylbewerberleistungsgesetz keine Regelungslücke gebe. Und deswegen brauche man auch nicht die Analogie zum Sozialhilfegesetz (Anm. Red. Az.: B 7 AY 2/12 R).

? Was bedeutet das jetzt für die Praxis?

Krankenhäuser, die notfallmäßig Patienten aufnehmen, die ohne legalen aufenthaltsrechtlichen Status hier sind, haben keine eigene Anspruchgrundlage, um finanzielle Forderungen geltend zu machen. Nur die Patienten haben ihn.
Anders formuliert: Derzeit tragen Ärzte und Krankenhäuser bei allen Notfallbehandlungen solcher Menschen das ganze ökonomische Risiko. Aus diesem Grund können wir unseren Mandanten, den Krankenhäusern, auch generell nicht mehr dazu raten, über diesen § 25 SGB XII eine Kostenerstattung zu erwirken.
Was bleibt, ist dem Patienten eine Rechnung in die Hand zu geben und zu hoffen, dass der Gesetzgeber tätig wird und eine dem § 25 SGB XII entsprechende Vorschrift in das AsylbLG aufnimmt.

? Was meinen Sie damit?

Es ist wünschenswert, dass der Gesetzgeber dieses Problem möglichst bald klärt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist an dem Thema dran und hat sich bereits an die Bundesregierung gewandt. Der Gesetzgeber wird tätig werden. Was kommt und wann etwas kommt, kann ich allerdings nicht sagen. In der Zwischenzeit halten wir es für eine Überlegung wert, an die Sozialhilfeträger heranzutreten und mit ihnen Verträge für solche Notfallversorgungen zu schließen.

? Das müsste jedes Haus mit jedem Sozialamt dann machen, das gibt Tausende von Verträgen..

Nein, man könnte das so gestalten, dass die Krankenhausgesellschaften Verträge abschließen.

? Noch ein anderer Aspekt: angenommen, ein Asylbewerber, also jemand mit legalem Aufenthaltsstatus, hat eine so massive Hüftarthrose, dass jetzt eigentlich eine künstliche Hüfte ansteht. Hat er eine Chance auf Kostenübernahme für solch eine Versorgung?

Schwierig, ich kenne keinen Fall und wir haben auch keinen in unserer Datenbank. Da wird geprüft, ist die künstliche Hüfte wirklich erforderlich, oder reicht nicht doch eine schmerztherapeutische Behandlung aus?
Zu dem Thema gibt es auch zahlreiche Gerichtsurteile. So hatte zum Beispiel das Verwaltungsgericht Gera 2003 über den Fall eines Patienten zu urteilen, der eine Hüftkopfnekrose mit weitgehend zerstörten Hüftköpfen hatte. Das Gericht hat geurteilt, dass es nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz nur die Kostenübernahme für eine Schmerzbehandlung gibt.
Dennoch muss man sagen, der §6 Asylbewerberleistungsgesetz eröffnet durchaus noch weitere Behandlungsmöglichkeiten.

? Welche?

Wenn eine Behandlung unerlässlich ist, dann gelingt die Kostenerstattung über den § 6. Bei Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus wird es schwierig, die Kosten für eine künstliche Hüfte zu realisieren.

? Da setzt genau eine Kritik aus den Reihen der Ärzte an, die eine Gleichbehandlung fordern. Am Ende möglichst eine Regelversorgung für alle nach SGB V …

In der Tat ist der Leistungsumfang im Asylbewerberleistungsgesetz deutlich geringer als im SGB V und ich finde, hier kann man eine Parallele zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 ziehen. Jenes Urteil, in dem das Bundesverfassungsgericht erklärt hat, dass Asylbewerber Anspruch auf die gleichen Leistungen zur Existenzsicherung haben wie Sozialhilfebedürftige [ 1 ].

? Welche Parallele wollen Sie ziehen?

Das Gericht hat sich da zwar nicht zu den medizinischen Leistungen geäußert, wohl aber einen für unsere Frage wichtigen Hinweis gegeben. Es hat erklärt, dass migrationspolitische Erwägungen bei der Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums keine Rolle spielen dürfen. Hier könnte man jetzt die Parallele ziehen.
Ich finde es sehr wünschenswert, wenn die Ungleichbehandlung auch bei den medizinischen Leistungen aufgehoben wird.

? Medizinische Leistungen, wie im SGBV definiert, auch für alle Asylbewerber und für Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus?

Ich wünsche mir zumindest, dass der Leistungsumfang deutlich erweitert wird. Insbesondere auch für Kinder und Jugendliche. Dass Kinder beispielsweise generell geimpft werden können…

Das Interview führte BE


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