Z Orthop Unfall 2014; 152(04): 302-303
DOI: 10.1055/s-0034-1390200
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Medizin für Menschen ohne Papiere – Medibüro - Nicht mehr als eine Notversorgung

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Publikationsdatum:
16. September 2014 (online)

 

Am liebsten wäre ihm, seine Arbeit wäre nicht nötig. David Saiger (Jahrgang 1987) spricht für das Medibüro Berlin und berichtet vom Hilfsangebot für Asylbewerber, Flüchtlinge und Menschen ohne Aufenthaltspapiere für Deutschland.

? Als Adresse des Medibüros Berlin findet man im Internet Gneisenauerstraße 2a, dort findet auch Ihre Beratung statt?

Genau. Ich bin seit ein paar Jahren mit dabei. Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus sind sozusagen unser erstes Klientel. Wir bieten allerdings keine medizinische Diagnostik oder Behandlung, vermitteln diese Menschen vielmehr bei Bedarf an Ärzte aus unserem Netzwerk, oder an andere Beratungsstellen.

? Wie finden die Leute Sie?

Das meiste spricht sich wohl herum. Einige kommen, weil sie es im Internet gelesen haben, manche werden auch wiederum von anderen Beratungsstellen zu uns geschickt.

? Wie viele Menschen kommen zu Ihnen?

Es sind ungefähr 20 pro Termin. Wir erheben kaum Daten, gerade weil es ein niederschwelliges Projekt sein soll. Wir sehen als groben Überblick so 1000 bis 1500 Vermittlungen pro Jahr. Etwa zwei Drittel sind Leute ohne gültige Aufenthaltspapiere, ein Drittel sind Leute aus neuen EULändern, die keinen Zugang zum Sozialsystem haben, etwa aus Rumänien oder Bulgarien.

? Wie viele Leute arbeiten beim Medibüro Berlin mit?

Das sind einige Dutzend. Hinzu kommen über 100 Ärzte, Hebammen und Therapeuten in unserem Netzwerk. Wir haben auch Kooperationen mit Kliniken, etwa für Geburten.

? Geburten?

Die Geburtsvorsorge ist heute in Berlin anonym und kostenlos möglich über die Gesundheitsämter. Die Entbindung wird aber nur finanziert, wenn eine Duldung beantragt wurde, so dass wir hier oft einspringen müssen. Wir haben Absprachen mit einigen Kliniken, in denen wir Entbindungen zu vergünstigten Tarifen durchführen können. Ich muss aber gleich dazu sagen, dass wir das nicht in dem Umfang machen können, wie es Bedarf gibt.

? Hatten Sie nie Kontakt mit der Polizei? Im Prinzip müsste die ja nur in der Gneisenauerstraße vor der Türe stehen und die Pässe kontrollieren, wenn sie Menschen ohne Papiere überführen wollte.

Es gab die Angst, dass so etwas passieren würde, als das Medibüro Berlin 1996 entstanden ist. Das ist bisher aber nicht passiert.

? Ärzte laufen kein Risiko, dass sie wegen der Behandlung von Patienten ohne Papiere Probleme wegen möglicher Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt bekommen. Aber Sie sind erst Student. Kein Thema für Sie?

Nein, das ist kein Thema – und auch rechtlich klar geregelt, nicht nur für Berufstätige, sondern auch für das sogenannte ‚Ehrenamt‘.

? Es gibt an die 30 solcher Medibüros im Bundesgebiet. Wie gut sind Sie vernetzt?

Wir sind mit den anderen im Kontakt, es gibt aber keinen Dachverband. Es gibt einen Austausch und ein jährliches Treffen.

? Und wie stark sind Sie mit Einrichtungen wie den Maltesern oder der Ärztekammer Berlin vernetzt?

Da gibt es einzelne Kontakte. Manchmal kommen Patienten, die bei den Maltesern waren, zu uns. Etwa wenn sie dort ein Medikament verschrieben bekommen haben, dass sie aber selber nicht bezahlen können.

? Dann bezahlen Sie?

Wir können die Kosten für manche Medikamente und Untersuchungen übernehmen. Wir haben dafür einen Topf aus Spendengeldern, der, das darf ich hinzufügen, immer mal wieder leer ist.

? Angenommen, jemand kommt mit heftiger Arthrose im Kniegelenk. Erleben Sie solche Fälle?

Ja. Was wir dann vermitteln, sind zunächst Allgemeinarzttermine. Prinzipiell vermitteln wir meist erst zum Allgemeinarzt und dann bei Bedarf weiter zu einem Spezialisten.

? Was ist mit den Kosten?

Die Ärzte, die bei uns mitmachen, stellen ihre Arbeitszeit unentgeltlich zur Verfügung. Klar ist, dass viele uns nur bestimmte Termine und Zeitfenster zur Verfügung stellen. Was wir direkt finanzieren sind manche Laborkosten oder auch bildgebende Verfahren.

? Auch mal ein MRT?

Unsere Möglichkeiten nehmen leider ab, je teurer und aufwändiger die Untersuchung wird. Bei allem, was wir machen, kann man auf jeden Fall sagen, dass es keine gleichwertige Versorgung zur Regelversorgung ist.
Wenn es etwa um Orthopädie geht, wird es eher knapp. Eine MRT-Aufnahme wäre vielleicht mal finanzierbar, aber die Frage ist, was danach mit den Konsequenzen aus dem Befund der Aufnahme sein wird. Wenn das eine OP ist, dann ist leider schnell ein Punkt erreicht, wo wir nicht mehr finanzieren können.

? Und dann? Kennen Sie einen Fall, wo sie die Implantation eines künstlichen Hüftgelenks in einem Berliner Krankenhaus vermittelt haben?

Nein, solch große Operationen können wir nicht finanzieren.

? Was bleibt dann?

Physiotherapie können wir teilweise noch vermitteln, auch Schmerzmedikamente. Darüber hinaus aber vieles nicht, was eigentlich indiziert wäre. Es ist Teil unseres Selbstverständnisses, dass wir es ablehnen, für Fehler im System gerade zu stehen – und man sieht an diesem Beispiel sehr gut, dass wir auch gar nicht die Möglichkeiten dazu haben.

? Laut Asylbewerberleistungsgesetz, bekommen Betroffene vor allem die Versorgung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen erstattet.

Ja, und prinzipiell auch Dinge, die für die Aufrechterhaltung der Gesundheit unbedingt notwendig sind. Wir reden hier aber jetzt von Leuten im Asylverfahren, die den Weg zum Sozialamt überhaupt gehen können, und die dann genau dort diese Leistungseinschränkungen erfahren. Für die Illegalisierten kommt dieser Schritt ohnehin nicht in Frage. Aber auch für Menschen im Asylverfahren muss man sagen, dass sie eben nur drittklassige Medizin erhalten, weil viele Dinge ausgespart sind.

? Zurück zur Gruppe der Menschen ohne Papiere. Was ist bei einem Notfall?

Im Notfall müssen diese Menschen im Krankenhaus behandelt werden, was nach meinem Eindruck meist auch geschieht.
Ein Problem ist, dass die Finanzierung nicht geklärt ist und dass bislang die Krankenhäuser häufig auf den Kosten sitzen blieben. Es gibt bisher die Möglichkeit hinterher, nach dem Nothilfeparagraphen (SGBXII, § 25) beim Sozialamt abzurechnen. Das wurde nach meiner Kenntnis aber von den Kliniken ohnehin eher selten versucht, weil das sehr aufwändig ist bzw. die Sozialhilfeämter meist primär ablehnen. Ein Gerichtsverfahren wurde meist nur bei hohen Kosten angestrebt.
Mittlerweile gibt es zu dem Notfallparagraphen obendrein ein neues Urteil des Bundessozialgerichts vom letzten Herbst, das diese Möglichkeit weiter einschränkt.

? Und jetzt?

Bis zur Bundesregierung ist durchgedrungen, dass es hier eine gesetzliche Lücke gibt. Sie soll im Rahmen der anstehenden Novelle des AsylbLG behoben werden, wobei die bisherigen Entwürfe nicht sehr vielversprechend sind.

? Wenn das Krankenhaus notfallmäßig behandelt und, zumindest bis Ende letzten Jahres, versucht hat, sich die Kosten vom Sozialamt zu holen, dann galt und gilt der verlängerte Geheimnisschutz. Klappt das?

Mir sind zumindest keine Fälle bekannt, wo das nicht geklappt hat, dass etwa doch Daten an eine Ausländerbehörde gereicht worden wären.

? Bei planbaren Leistungen war es hingegen bislang so, dass Betroffene erst selber zum Sozialamt müssen, um sich dort einen Behandlungsschein zu holen.

Ja, und unsere Erfahrung ist, dass das Leute eben überhaupt nicht machen. Weil die Daten weiter gegeben werden, somit ist dieser Weg blockiert, bevor man ihn überhaupt beschreiten kann.

? Sehen Sie medizinische Folgen?

Man muss sagen, dass die Leute im Allgemeinen erst in einem späteren Krankheitsstadium zu uns kommen. Im Notfall funktioniert eine gewisse Behandlung in der Anonymität zumindest noch halbwegs über das Krankenhaus. Aber die Behandlung davor wird eben nicht ermöglicht. Das ist ja einer der Gründe, warum die Medibüros überhaupt entstanden sind.
Weil die eigentlich gesetzlich vorgeschriebenen Wege nicht funktionieren. Allerdings ist das Medibüro Berlin eben auch mit der Idee entstanden, dass es uns eines Tages nicht mehr geben muss, weil man eine politische Lösung für das Problem auf die Wege bringt. Das ist bislang nicht gelungen, uns gibt es nach 18 Jahren immer noch.

? Was möchten Sie?

Da wäre 1. unsere Forderung nach Abschaffung des § 87 im Aufenthaltsgesetz. Dieser Übermittlungsparagraph, der Sozialämter verpflichtet, Daten eines Menschen ohne Papiere an die Ausländerbehörde zu geben. Wenn das nicht mehr gegeben wäre, könnten die Betroffenen zum Sozialamt gehen und dort die Kostenübernahme zumindest für die Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz überhaupt erst mal beantragen. Zugleich muss die entsprechende Regelung auch aus dem Asylbewerberleistungsgesetz heraus.

? Wie praxisrelevant ist diese Furcht eigentlich? Kennen Sie Fälle, wo Menschen ihre Identität gegenüber dem Sozialamt aufgedeckt haben und danach tatsächlich abgeschoben wurden?

Nein, kenne ich nicht, aber ich glaube, das liegt daran, dass dieser Weg überhaupt nicht in Anspruch genommen wird. Manche Betroffene haben ja schon Angst, nur zu uns zu kommen.

? Gibt es vielleicht auch mal Sachbearbeiter auf einem Sozialamt, die sagen, naja, jetzt drücke ich mal beide Augen zu und melde das nicht an die Ausländerbehörde?

Darauf würde ich mich nicht verlassen.

? Welche Forderungen haben Sie noch?

Wir fordern, dass das Asylbewerberleistungsgesetz mit seinen Einschränkungen abgeschafft wird. Wir wünschen eine reguläre medizinische Versorgung aller hier lebenden Menschen unabhängig vom Aufenthaltsstatus und ihrem Herkunftsland.

? Der letzte Deutsche Ärztetag und die Bundesärztekammer haben am Ende ähnliche Forderung und schlagen einen anonymen Krankenschein vor …

Dieses Konzept ist auch immer wieder bei den Medibüros diskutiert worden. Das wäre auf jeden Fall eine starke Verbesserung der Situation, wenngleich es trotzdem nicht die Gleichsetzung mit allen anderen Versicherten bedeutet. Der Anonyme Krankenschein wurde in Berlin vor Jahren auch mit dem früheren Senat diskutiert. Im Moment ist das wieder in weite Ferne gerückt.

? Ein Punkt, den Sie noch ansprechen möchten?

Dass wir wenige Orthopäden haben im Netzwerk und gerne einige mehr hätten. Eine Gruppe, die auch schwierig ist, sind Zahnärzte. Wir freuen uns sehr über engagierte Ärzte, die zu uns stoßen.

Das Interview führte BE

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