Aus pneumologischer Sicht bringt GINA 2014 eine Reihe beachtenswerter, aber zum Teil
auch diskussionswürdiger Veränderungen. Die wichtigste Änderung ist die erweiterte
Zielsetzung für das Asthma-Management: Nicht mehr allein Symptomkontrolle („Asthmakontrolle“)
soll angestrebt werden, sondern, analog zu den GOLD-Empfehlungen für die COPD, die
Abschätzung von zukünftigen Risikofaktoren. Risikofaktoren können den Krankheitsverlauf
verschlechtern, indem sie Exazerbationen begünstigen, zur Fixierung der Atemflusslimitierung
beitragen oder das Nebenwirkungsrisiko erhöhen. Dazu zählen z. B. Rauchen und Adipositas,
schlechte Inhalationstechnik, die Notwendigkeit häufiger Therapien mit oralen Kortikosteroiden
(OCS) oder hohen Dosen inhalativer Kortikosteroide (ICS). Neu ist die ausdrückliche
Empfehlung der Bestimmung der (absoluten) Eosinophilenzahl im Blut, eine sehr einfache
und in Deutschland überall verfügbare, bislang aber für die Risikoabschätzung beim
Asthma wenig praktizierte Untersuchung. Sie ist darüber hinaus zur Phänotypisierung
des Asthmas dringend erforderlich, um bald verfügbare Biologika wie Anti-IL5 Antikörper
sinnvoll im Rahmen der personalisierten Asthmabehandlung einsetzen zu können.
Sehr erfreulich ist, dass die unsäglichen Schweregrad-Definitionen früherer GINA-Versionen
([Tab. 1]) verlassen wurden, die eigentlich nur für das unbehandelte Asthma galten und nichtsdestotrotz
in hochkarätigen Publikationen verwirrend falsch verwendet wurden. Noch die ATS/ERS-Leitlinie
„Severe Asthma“ [1] vom Februar 2014 widersprach der damals gültigen GINA-Definition, als sie schweres
Asthma wie folgt definierte: „Requires treatment with guidelines suggested medications
for GINA steps 4 – 5 asthma (high dose ICS and LABA or leukotriene modifier/theophylline)
for the previous year or systemic CS for over 50 % of the previous year to prevent
it from becoming uncontrolled or which remains uncontrolled despite this therapy.”
Tab. 1
GINA 2004: Definition der Asthma-Schweregrade.
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Current Treatment Step
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Step 1: Intermittent
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Step 2: Mild Persistent
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Step 3: Moderate Persistent
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Patient Symptoms and Lung Function on Current Therapy
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Level of Severity
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Step 1: Intermittent
Symptoms less than once a week
Brief exacerbations
Nocturnal symptoms not more than twice a month
Normal lung function between episodes
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Intermittent
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Mild Persistent
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Moderate Persistent
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Step 2: Mild Persistent
Symptoms more than once a week but less than once a day
Nocturnal symptoms more than twice a month but less than once a week
Normal lung function between episodes
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Mild Persistent
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Moderate Persistent
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Severe Persistent
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Step 3: Moderate Persistent
Symptoms daily
Exacerbations may affect activity and sleep
Nocturnal symptoms at least once a week
60 % < FEV1 < 80 % predicted OR
60 % < PEF < 80 % of personal best
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Moderate Persistent
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Severe Persistent
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Severe Persistent
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Step 4: Severe Persistent
Symptoms daily
Frequent exacerbations
Frequent nocturnal asthma symptoms
FEV1 ≤ 60 % predicted OR
PEF ≤ 60 % of personal best
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Severe Persistent
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Severe Persistent
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Severe Persistent
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FEV1: forciertes expiratorisches Volumen in der 1. Sekunde; PEF: peak expiratory flow.
GINA 2014 fand eine der klinischen Praxis angepasste Definition der Schweregrade ([Tab. 2]). Das geht auch mit einer Änderung des therapeutischen Stufenschemas einher ([Abb. 1]) – dazu später mehr. Künftig soll der Schweregrad erst nach einigen Monaten unter
Controller-Therapie retrospektiv anhand des Medikationsbedarfs festgestellt werden:
Mildes Asthma benötigt einen kurz wirksamen Beta2-Agonisten bei Bedarf bzw. ein niedrig
dosiertes ICS, d. h. mildes Asthma kann auf Therapiestufe 1 oder 2 kontrolliert werden.
Moderates Asthma wird mit ICS plus lang wirksamem Beta2-Agonisten (LABA) gut kontrolliert
(Stufe 3), schweres Asthma benötigt moderate bis hohe ICS-Dosen plus LABA plus eventuell
weitere Controller (Stufe 4 und 5).
Tab. 2
GINA 2014 Abschätzung des Asthma-Schweregrades.
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Wie wird der Schweregrad ermittelt?
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Kategorien
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Mildes Asthma: gut kontrolliert mit Stufe 1 oder 2 (SABA bei Bedarf oder niedrig dosiertes ICS)
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Moderates Asthma: gut kontrolliert mit Stufe 3 (ICS/LABA niedrig dosiert)
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Schweres Asthma: benötigt Stufe 4/5 (ICS/LABA in moderater bis hoher Dosis ± Add-on-Medikation) oder
bleibt trotz dieser Therapie unkontrolliert
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SABA: short acting betaagonist; ICS: inhaled corticosteroid; LABA: long acting betaagonist;
LTRA: Leukotrien-Rezeptor-Antagonist; OCS: oral corticosteroid.
Abb. 1 GINA 2014 Pharmakotherapie.
Nach Herausnahme der Lungenfunktion aus den Kriterien, die die Asthmakontrolle bestimmen,
verlassen wir uns nun auf rein subjektive Angaben des Patienten. Bei einer Erkrankung
wie COPD, die eine persistente – zwar laut COPD-Definition behandelbare, aber wenn
wir ehrlich sind, nur wenig veränderbare – Einschränkung bedeutet und wo das Befinden
des Patienten die Hauptrolle spielt, mag das richtig sein. Beim Asthma dagegen könnte
der Verzicht auf objektive Lungenfunktionsdaten zur Überschätzung der Asthmakontrolle
führen, entsprechende Daten über Unterschätzung der Schwere der Bronchialobstruktion
durch den Patienten liegen in der Literatur vor [2]
[3].
Bemerkenswert ist die neue Asthma-Definition, die zwar zu Recht die Heterogenität
der Asthmaerkrankung betont und Symptome und Atemflusslimitierung als diagnostische
Kriterien aufführt, aber die bronchiale Hyperreagibilität (BHR) unter den Tisch fallen
lässt. Selbst wenn im Text versteckt Hinweise auf die Nützlichkeit der Prüfung der
bronchialen Hyperreagibilität gegeben wurden, ist für uns niedergelassene Fachärzte
die Streichung dieses Kriteriums aus der Asthma-Definition ein herber Verlust. Denn
bisher haben wir bei 80 % unserer jüngeren Asthmapatienten, die mit weitgehend normaler
Lungenfunktion in die Praxis kommen, das Asthma primär anhand von BHR und Symptomen
diagnostiziert. Es ist verwunderlich, dass dieses wichtige Diagnosekriterium zu einem
Zeitpunkt in den Hintergrund geraten ist, als erstmals in GINA auf die häufig inkorrekte
Asthmadiagnose hingewiesen wird [4]
[5]
[6]
[7]: 25 – 35 % der in der Allgemeinpraxis mit Asthmamedikamenten behandelten Patienten
haben gar kein Asthma.
Die neue Definition stellt uns zudem vor das Problem, dass sie die Abgrenzung gegen
die COPD erschwert. Danach finden sich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen
den Krankheitsbildern: Beiden liegen chronische Entzündungsprozesse zugrunde, ohne
dass näher differenziert wird, welcher Art diese Entzündung ist. Beide gehen mit Obstruktion
einher. Als Differenzierungsmerkmale sind vor allem die Variabilität der Obstruktion
sowie Symptommuster geblieben (die Reversibilität als Kriterium wurde aus der Definition
verbannt), die jedoch ebenfalls keine „harten“ diagnostischen Kriterien darstellen,
sondern lediglich die Wahrscheinlichkeit pro Asthma erhöhen oder erniedrigen.
Zu diesen Unsicherheiten passt, dass GINA dem Asthma-COPD-Overlap-Syndrom, kurz ACOS,
ein eigenes Dokument gewidmet hat, das praktisch vollständig ohne Evidenz auskommt,
gezwungenermaßen, denn es gibt keine qualitativ hochwertigen Studien zu dieser Mischform
von Asthma und COPD. Im Gegenteil: Praktisch alle modernen Asthma- und COPD-Studien
sorgten für den sorgfältigen Ausschluss von Patienten, die gewisse Kriterien der anderen
Erkrankung erfüllt haben. So wurden Raucher mit über 10 Packungsjahren aus allen Asthmastudien
ausgeschlossen, ungeachtet der Tatsache, dass der Anteil der Raucher unter Asthmapatienten
exakt dem Anteil der Raucher in der Allgemeinbevölkerung entspricht und daher solche
Ausschlusskriterien die externe Validität dieser Studien stark verringert haben [8].
Die schwache Evidenzlage schlägt sich bereits in der äußerst vagen Definition von
ACOS nieder, der zufolge ACOS „identifiziert wird durch die Charakteristika, die es
mit Asthma und COPD teilt“. Zweifellos ist es richtig anzuerkennen, dass es Patienten
gibt, die sowohl an Asthma als auch an COPD leiden. Inwieweit eine neue Entität zu
einem Zeitpunkt geschaffen werden musste, zu dem für diese Patienten noch keine evidenzbasierten
Kriterien für Diagnostik und Therapie existieren, kann diskutiert werden. Vorteilhaft
ist jedoch, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft gefordert wird, um Krankheitsbild,
Diagnostik und Therapie besser zu charakterisieren. Wir als Pneumologen müssen aufpassen,
dass nicht Patienten aus diagnostischer Unsicherheit in die ACOS-Schublade einsortiert
werden.
Positiv zu vermerken ist, dass endlich auch ein komplettes Kapitel für das frühkindliche
Asthma (unter 5 Jahren) verfügbar ist.
Der neue GINA-Report betont sehr stark die Wichtigkeit von Inhalatoren- und Inhalationstechnik,
denen – zu Recht – für den Therapieerfolg fast mehr Bedeutung beigemessen wird als
der Auswahl der Wirkstoffe per se. Das Device sollte für den Patienten einfach und
intuitiv anwendbar sein, um zu gewährleisten, dass die applizierten Wirkstoffe tatsächlich
dort ankommen, wo sie wirken sollen. An der Auswahl des Devices sollte der Patient
beteiligt werden, damit seine Wünsche und Fähigkeiten optimal berücksichtigt werden.
Dass GINA diesen letzten Aspekt, die Patientenwünsche und -skills, so in den Vordergrund
rückt, ist neu und sehr zu begrüßen. In der Praxis macht man häufig die Erfahrung,
dass eine inhalative Therapie genau daran scheitert, dass der Patient zu wenig in
die Entscheidung einbezogen wird. Die Deutsche Atemwegsliga hat auf ihrer Internetseite
(www.atemwegsliga.de) Videos für alle in Deutschland erhältlichen Inhalationsgeräte veröffentlicht, die
in diesem Sinne die Auswahl der Inhalatoren für den Patienten erleichtern können.
Das neue Stufenschema für die Therapie beinhaltet drei wesentliche Änderungen gegenüber
der früheren Version:
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Selbst für leichtes intermittierendes Asthma (Therapiestufe 1) sollte jetzt als mögliche
Therapie unter Berücksichtigung des zukünftigen Risikos ein ICS als Dauertherapie
in Erwägung gezogen werden. Das ist zwar pathophysiologisch möglicherweise richtig,
die Evidenz ist aber nicht eindeutig, dass hierdurch zukünftige Risiken verringert
würden [9]. Außerdem heilt ICS selbst bei früher Intervention das Asthma nicht [10]. In der täglichen Praxis werden nur sehr wenige über Monate hinweg beschwerdefreie
Patienten bereit sein, eine ICS-Dauertherapie über sich ergehen zu lassen. Es ist
auch nicht unumstritten, inwieweit es hierzu bessere Alternativen geben könnte in
Form einer intermittierenden ICS-Therapie [11] oder ICS /LABA Kombinationstherapie [12] – Optionen, die gar keine Erwähnung finden.
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Anders als die intermittierende ICS/LABA-Therapie findet jetzt die mit reichlich klinischer
Evidenz belegte MART-Strategie (Maintenance and reliever therapy), also die Verordnung der Kombination von ICS/LABA anstelle eines kurzwirksamen
Beta2-Agonisten auch als „Notfallmedikament“, einen prominenten Platz. Auf Therapiestufe
3, 4 und 5 können die Patienten anstelle eines reinen Beta2-Agonisten zusätzlich zur
niedrigstmöglichen ICS/LABA-Dauertherapie auch für die Bedarfssituation ein kombiniertes
Präparat bekommen mit dem rasch und lang wirksamen Beta2-Agonisten Formoterol und
einem niedrig dosierten ICS (Budesonid oder Beclomethason), sodass sie bei akuten
Symptomen immer eine ICS-Dosis zusätzlich inhalieren. Dahinter steht bekanntlich die
Überlegung, dass Akutsymptome Zeichen einer unzureichenden Entzündungskontrolle darstellen.
Von 4 ICS/Formoterol-Kombinationen auf dem deutschen Markt sind 3 für diese Indikation
zugelassen. Es ist auf jeden Fall zu begrüßen, dass MART nun auch Eingang in die offiziellen
Empfehlungen gefunden hat. Für die Mehrzahl der Asthmapatienten ist das eine relevante
Option.
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Auf Therapiestufe 5 wird jetzt für Patienten mit dem Phänotyp IgE-vermitteltes allergisches
Asthma die Anti-IgE-Therapie mit Omalizumab als Behandlung der ersten Wahl ausdrücklich
noch vor Verordnung von OCS, empfohlen. Hier ist eine kleine Revolution in der personalisierten
Medizin für Asthmapatienten eingeleitet worden. Auf Stufe 5 werden in der nahen Zukunft
weitere, für umschriebene Phänotypen geeignete personalisierte Therapien verfügbar
sein, zum Beispiel für das eosinophile Asthma.
Zuzustimmen ist auch der GINA-Empfehlung, dass auf Stufe 3 die niedrige ICS-Dosis
in Kombination mit einem LABA den Vorzug erhält, statt wie beispielsweise die deutsche
Nationale Versorgungsleitlinie Asthma (www.versorgungsleitlinien.de/themen/asthma) die Option eines höher dosierten ICS in Monotherapie als bevorzugte Alternative
aufzuführen.
Die Forderung von GINA, bei Erwachsenen das einmal verordnete ICS nicht mehr abzusetzen,
ist nicht nur realitätsfremd, sondern meiner Meinung nach schlicht falsch. Es gibt
viele Patienten, die in Rahmen von Virusinfekten oder saisonalen Allergieeinflüssen
(Pollenasthma) nur für wenige Wochen im Jahr inhalative Kortikosteroide benötigen.
Eine kontinuierliche ICS-Zwangsbehandlung solcher Patienten ist weder durchsetzbar
noch vernünftig: Schließlich haben auch ICS Nebenwirkungen und verursachen Kosten.
Einmal Kortison – immer Kortison würde auch die Akzeptanz seitens der Patienten verschlechtern.
Sollte eine als alternative Option auf Therapiestufe 1 begonnene ICS-Therapie wirklich
lebenslang fortgesetzt werden?
Für die Praxis hilfreich sind die Hinweise zur Therapieadjustierung, also Step-up
und Step-down, in denen auch die Abstände beschrieben sind, in denen die Qualität
der Asthmakontrolle überprüft werden sollte: Bei bereits therapierten stabilen Patienten
alle 3 – 12 Monate, bei Schwangeren alle 4 – 6 Wochen, nach Exazerbation binnen 1
Woche. Vor allem die ausführlichen Erläuterungen zur Step-down-Strategie ([Tab. 3]) werden viele Kollegen als sehr praxisrelevant und hilfreich empfinden, da bislang
solche Empfehlungen fehlten.
Tab. 3
Step-down der Controller-Therapie.
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Ziel
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Wann erwägen?
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wenn die Symptome gut kontrolliert sind und die Lungenfunktion stabil bleibt für ≥ 3
Monate
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keine Atemwegsinfektionen, keine Reisen und keine Schwangerschaft geplant
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Vorbereitungen
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Symptome dokumentieren und Risikofaktoren abschätzen
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sicherstellen, dass der Patient über einen schriftlichen Asthma-Aktions-Plan verfügt
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Follow-up-Visite in 1 – 3 Monaten vereinbaren
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Step-down mit verfügbaren Präparaten
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Absetzen des ICS wird bei erwachsenen Asthma-Patienten nicht empfohlen
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Als Fazit bleibt, dass angesichts der diagnostischen Unsicherheiten – Stichwort: Abgrenzung
gegen COPD und ACOS –, aber auch der Unterdiagnose und Überdiagnose des Asthmas sowie
der zunehmenden Zahl phänotypisch ausgerichteter Therapien Asthmapatienten künftig
noch stärker der fachärztlichen Kompetenz bedürfen, um individuell optimal und leitliniengerecht
behandelt zu werden.