Einleitung
Lungenkrebs ist bei Männern die häufigste und bei Frauen die dritthäufigste Krebstodesursache
in Deutschland. 2010 kamen auf knapp 35 000 neu erkrankte Männer und 17 000 neu erkrankte
Frauen 29 400 bzw. 13 600 lungenkrebsbedingte Todesfälle [1]. Während die altersstandardisierten Erkrankungs- und Sterberaten seit Ende der 1990er
Jahre bei Männern rückläufig waren, stiegen sie bei Frauen weiter an [1]. Vergleichbare Zahlen zeigen sich für die meisten westlichen Länder. In den USA
beispielsweise ist Lungenkrebs bei Männern und Frauen jeweils die zweithäufigste Krebsart
und die Entität, die die meisten Todesopfer fordert [2]. Hauptrisikofaktor für eine Lungenkrebserkrankung ist in diesen Ländern mit großem
Abstand das Rauchen. Der wichtigste Erklärungsfaktor für die gegenläufige Entwicklung
von Erkrankungs- und Sterberaten bei Männern und Frauen ist der starke Anstieg der
Zahl der Raucherinnen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Je nach Lungenkrebsart
sind die Überlebenschancen unterschiedlich gut, im Vergleich mit anderen soliden Tumoren
aber relativ ungünstig. Bei Frauen ergibt sich für ICD-10 C33-C34 insgesamt eine relative
5-Jahres-Überlebensrate von 21 %, für Männer von nur 16 % [1], und die medizinischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte bei Diagnose und Therapie
konnten sich bislang auch international nur geringfügig im Überleben von Lungenkrebspatienten
niederschlagen [3]
[4]
[5]
[6]. Die hohe Inzidenz und die ungünstige Prognose bei zugleich hoher Forschungsintensität
werfen die Frage auf, wie es gelingen kann, aktuelles (Leitlinien-)Wissen, die Zusammenarbeit
im multidisziplinären Team und hohe professionelle Expertise flächendeckend umzusetzen
und jedem Patienten zugänglich zu machen.
Das Zertifizierungsprogramm Lungenkrebs der Deutschen Krebsgesellschaft
Um die Versorgung von Lungenkrebspatienten zu verbessern, wurden in den vergangenen
Jahren von den Fachgesellschaften und der Politik zahlreiche Initiativen auf den Weg
gebracht, darunter die Entwicklung von Leitlinien [7] und die Etablierung von zertifizierten Zentren. Laut Nationalem Krebsplan ist ein
Zentrum „ein Netz von qualifizierten und gemeinsam zertifizierten, multi- und interdisziplinären,
transsektoralen und ggf. standortübergreifenden Einrichtungen (Krankenhäuser, vertragsärztliche
Versorgung, Rehabilitationseinrichtungen), die, sofern fachlich geboten, möglichst
die gesamte Versorgungskette für Betroffene abbilden“ [8]
[32]. Seit 2008 können sich Lungenkrebszentren nach den Anforderungen der Deutschen Krebsgesellschaft
(DKG) zertifizieren lassen, die im Erhebungsbogen für Lungenkrebszentren formuliert
sind [9]. Der Erhebungsbogen wird von der Zertifizierungskommission Lungenkrebszentren der
DKG entwickelt und regelmäßig aktualisiert. Wie bei den anderen Zertifizierungsprogrammen
der DKG sind die Inhalte der evidenzbasierten Leitlinie bei der Entwicklung der Anforderungen
berücksichtigt. Das Update der S3-Leitlinie für Lungenkrebs wird für 2015 erwartet.
Während des Update-Prozesses werden Qualitätsindikatoren aus den starken Empfehlungen
der Leitlinie abgeleitet, die – falls einer Messung zugänglich – im Rahmen der Zertifizierung
angewendet werden [10]. Die Abstimmung über die Anforderungen erfolgt durch die Zertifizierungskommission
mit über 30 Mitgliedern, die von den an der Versorgung beteiligten Fachgesellschaften,
Berufsverbänden und Arbeitsgemeinschaften benannt sind. Die Anforderungen beziehen
sich auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die Leitlinienempfehlungen und die
Behandlungsexpertise und beinhalten auch Vorgaben zu Mindestmengen, deren Zusammenhang
mit der Versorgungsqualität in zahlreichen Studien gezeigt werden konnte, zuletzt
auch für den Lungenkrebs [11]
[12].
Während die Zertifizierungskommission innerhalb des Zertifizierungssystems die Legislative
darstellt, wird die Exekutive von onkologisch tätigen und speziell qualifizierten
Fachexperten gebildet, die die Umsetzung der Anforderungen durch Audits vor Ort überprüfen.
In Vorbereitung der Audits werden zertifizierungsrelevante Daten erhoben, die Auskunft
über die Erfüllung der fachlichen Anforderungen geben. Die Exekutive wird über OnkoZert,
das Zertifizierungsinstitut der DKG, gesteuert. Der „Ausschuss Zertifikaterteilung“,
der aus drei erfahrenen Auditoren besteht, entscheidet nachfolgend über die Vergabe
des Zertifikats (Judikative). Grundlage für diese Entscheidung ist der Auditbericht,
in dem die Fachexperten Stellung zur Umsetzung der Anforderungen beziehen. Für die
Zertifikatserteilung ist bei der Erst- und Wiederholungszertifizierung die vollständige
Erfüllung der Kernanforderungen (Mindestzahlen, strukturelle Anforderungen) zwingend.
In der Laufzeit des Zertifikats (3 Jahre) werden geringfügige Abweichungen bei den
Mindestzahlen toleriert, sofern die strukturellen Merkmale erhalten bleiben und Maßnahmen
zur Behebung der Abweichungen ergriffen werden.
In diesem Beitrag werden die Ergebnisse der Kennzahlen vorgestellt, die im Rahmen
der Zertifizierung der Auditjahre 2012 und 2013 (Kennzahlenjahre 2011 und 2012) erhoben
wurden.
Material und Methoden
Datenerhebung: Alle Zentren, die sich nach den Anforderungen der DKG (re-)zertifizieren lassen wollen,
berichten vor dem jährlichen Audit die Kennzahlen des vorangegangen Jahres mittels
elektronischen Fragebogens. Die Angaben werden dann vom Zertifizierungsinstitut OnkoZert
auf Vollständigkeit und Plausibilität geprüft. Die meisten Kennzahlen haben Plausibilitätsgrenzen
und/oder Sollvorgaben. Werden diese nicht erreicht, müssen die Zentren die Über- oder
Unterschreitungen begründen. Die Fachexperten nehmen vor dem Audit Einsicht in die
Kennzahlen und prüfen die Angaben durch Einsicht in eine Stichprobe der Patientenakten
bei der Begehung. Im Jahr nach den Audits werden die Kennzahlen der Öffentlichkeit
mittels anonymisierten Benchmark-Berichts vorgestellt [13].
Auswahl der Kennzahlen: Von insgesamt 21 erhobenen Kennzahlen werden hier 18 vorgestellt. Sie beziehen sich
auf die fachliche Expertise und die interdisziplinäre Zusammenarbeit gleichermaßen.
Statistische Analyse: Wir berichten die Zahl der zertifizierten Standorte und Zentren sowie der behandelten
Primärfälle in den Jahren 2011 und 2012 ([Tab. 1]), außerdem für 2012 absolute Häufigkeiten für die Art der durchgeführten Behandlung
(operativ oder nicht-operativ), stratifiziert nach Stadien ([Abb. 1]). Für die Kennzahlen des Jahres 2012 berichten wir, wenn möglich, absolute und relative
Häufigkeiten, ansonsten absolute Häufigkeiten (z. B. Anzahl der behandelten Primärfälle)
([Tab. 2]). Zusätzlich stellen wir den Anteil der Standorte, die die Sollvorgaben erfüllt
haben, sowie Minimum, Maximum und Median der Kennzahlerfüllung auf Standortebene für
2011 und 2012 dar. Die Auswertungen werden mit der Data-WhiteBox, dem von OnkoZert
entwickelten Benchmarkingtool, durchgeführt. Aus 35 Standorten liegen für 2012 auswertbare
Daten vor. Die Standorte, für die keine Daten vorliegen, waren entweder nicht das
gesamte Kalenderjahr hindurch zertifiziert oder wechselten im Laufe des Jahres das
Tumordokumentationssystem.
Tab. 1
Zertifizierte Zentren und behandelte Primärfälle.
|
Stand 31.12.2013
|
Stand 31.12.2012
|
zertifizierte Zentren
|
38
|
34
|
zertifizierte Standorte
|
42
|
38
|
Primärfälle gesamt
|
13 862 (2012)
|
12 875 (2011)
|
Primärfälle arithmetisches Mittel Zentrum
|
364 (2012)
|
379 (2011)
|
Primärfälle Median Zentrum
|
300 (2012)
|
369 (2011)
|
Abb. 1 Primärfälle nach Stadium und Art der Behandlung 2012 (13 483 Primärfälle aus 35 Standorten).
Tab. 2
Kennzahlen Lungenkrebszentren Kennzahlenjahre 2011 und 2012.
|
Kennzahl
|
2012: absolute Häufigkeit; ggf. Anteil Patienten insgesamt
|
2012: Median Standortebene; Minimum; Maximum
|
2011: Median Standortebene; Minimum; Maximum
|
Sollvorgabe
|
Anteil Standorte, die 2012 Sollvorgabe erfüllten
|
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
|
Prätherapeutische Tumorkonferenz
|
12 064/13 483; 89,5 %
|
92,9 %;
64,9 %;
100 %;
|
−/−
|
≥ 90 %
|
65,7 %
|
|
Tumorkonferenz nach operativer Primärtherapie Stadium IB–IIIB
|
2960/3261; 90,8 %
|
94,5 %;
73,2 %;
100 %
|
−/−
|
keine
|
−/−
|
|
Psychoonkologische Betreuung
|
3856/12 799; 30,1 %
|
28,5 %;
8,5 %;
86,9 %
|
50,5 %;
1,5 %;
92,2 %
|
keine
|
−/−
|
|
Beratung Sozialdienst
|
6214/12 799; 48,6 %
|
54,5 %;
21,5 %;
87,3 %
|
53,7 %;
20,6 %
90,8 %;
|
keine
|
−/−
|
|
Studienteilnahme
|
2829/13 483; 21,0 %
|
12,2 %;
0,0 %;
85,6 %
|
11,2 %;
0,8 %;
39,9 %
|
≥ 10 %
|
68,6 %
|
Fachliche Expertise
|
Primärfälle des Lungenkrebszentrums
|
13 483
|
344;
191;
945
|
369;
166;
871
|
≥ 200
|
94,3 %
|
|
Flexible Bronchoskopien pro Leistungserbringer
|
83 068
|
2327;
508;
5300
|
2661,5;
543;
4821
|
≥ 500
|
100 %
|
|
Interventionelle bronchologische Eingriffe (thermische Verfahren und Stenteinlagen)
|
2776
|
47;
5;
388
|
−/−
|
≥ 20
|
85,7 %
|
|
Lungenresektionen
|
4803
|
112;
74;
352
|
128;
68;
401
|
≥ 75
|
97,1 %
|
|
Anteil Pneumonektomien an Lungenresektionen
|
406/4803; 8,4 %
|
7,6 %;
0,9 %;
19,5 %
|
9,2 %;
3,5 %;
21,5 %
|
< = 25 %
|
100 %
|
|
Anteil broncho-/angioplastischer Operationen an Lungenresektionen
|
611/4803; 12,7 %
|
11,6 %;
3,1 %;
27,7 %
|
12,8 %;
5,7 %;
24,1 %
|
≥ 10 %
|
74,3 %
|
|
30-Tage-Mortalität nach Resektion
|
85/4803; 1,8 %
|
2,1 %;
0,0 %;
5,5 %
|
1,3 %;
0 %;
7,5 %
|
≤ 5 %
|
97,1 %
|
|
Postoperative Bronchusstumpf-/Anastomoseninsuffizienz
|
67/4803; 1,4 %
|
1,2 %;
0 %;
6,7 %
|
1,2 %;
0 %
5,0 %
|
≤ 5 %
|
97,1 %
|
|
Revisionsoperationen
|
269/4803; 5,6 %
|
6,1 %;
0,0 %;
10,4 %
|
6,4 %;
0,7 %;
14,0 %
|
≤ 10 %
|
94,3 %
|
|
Lokale R0-Resektionen im Stadium IA/B und IIA/B
|
3332/3387; 98,4 %
|
98,4 %:
96,2 %;
100 %
|
98,0 %;
96,2 %;
100 %
|
≥ 95 %
|
100 %
|
|
Lokale R0-Resektionen im Stadium IIIA/B
|
1015/1144; 88,7 %
|
90,0 %;
66,7 %;
100 %
|
88,2 %;
68,8 %
100 %
|
≥ 85 %
|
80 %
|
|
Thorakale Bestrahlungen
|
4729
|
115,5;
45;
506
|
109,5;
50;
315
|
≥ 50
|
96,9 %
|
|
Pathologische Begutachtungen
|
19 335
|
453;
224;
1206
|
483;
113;
5175
|
≥ 200
|
97,1 %
|
Ergebnisse
Mit Stand 31.12.2013 waren 38 Lungenkrebszentren (mit 42 Standorten) zertifiziert,
die 2012 13 826 erstmalig an Lungenkrebs erkrankte Patientinnen und Patienten behandelten.
Im Median waren dies 300 Patienten pro Zentrum ([Tab. 1]). Zwei der 42 zertifizierten Standorte befinden sich im Ausland. Sowohl die Zahl
der Zentren als auch die Gesamtzahl der Primärfälle stiegen von 2011 bis 2012.
[Abb. 1] zeigt die Primärfälle nach Stadium und Art der Behandlung 2012. Die mit Abstand
größte Gruppe war die der Stadium IV-Patienten, die zum weit überwiegenden Teil nicht
operiert wurden. Auch Stadium III-Patienten wurden – anders als Stadium I- und II-Patienten
– mehrheitlich nicht operiert.
[Tab. 2] zeigt die Ergebnisse der Kennzahlen für die Jahre 2011 und 2012. Dargestellt sind
die absoluten und relativen Häufigkeiten auf Patientenebene sowie Median, Minimum
und Maximum auf Standortebene. Die Ergebnisse des Kennzahlenjahres 2012 beruhen auf
den Angaben von 13 483 Patienten aus 35 Standorten und die des Kennzahlenjahres 2011
auf denen von 9739 Patienten aus 24 Standorten. Für sieben der Ende 2013 und 14 der
Ende 2012 zertifizierten Standorte können keine Daten für die Patient(inn)en der Jahre
2012 bzw. 2011 berichtet werden, da diese aufgrund einer Erstzertifizierung oder einer
Software des Tumordokumentationssystems nicht für das gesamte Kalenderjahr erhoben
werden mussten. Für Kennzahlen mit Sollvorgabe ist zudem der Anteil der Standorte
dargestellt, von denen die Sollvorgabe erfüllt wird. 12 der 15 Kennzahlen mit Sollvorgaben
werden von mindestens 80 % der Standorte erfüllt. Bei der Teilnahme an der prätherapeutischen
Tumorkonferenz (65,7 % der Standorte), der Studienteilnahme (68,6 %) und dem Anteil
broncho-/angioplastischer Operationen an Lungenresektionen (74,3 %) liegt der Anteil
unter 80 %. Bezogen auf die Standortmediane zeigt sich überwiegend ein leichter Anstieg
der Anforderungsumsetzung, beispielsweise bei der Beratung durch den Sozialdienst
oder dem Anteil Pneumonektomien an Lungenresektionen, allerdings gibt es auch Kennzahlen
mit Verschlechterungen bei der Umsetzung, am deutlichsten bei der psychoonkologischen
Betreuung (Median 2011: 50,5 %, 2012: 28,5 %).
Diskussion
Dieser Artikel leistet einen Beitrag zur Darstellung der Versorgungssituation von
Lungenkrebspatienten und damit zur Verbesserung der bislang ungenügenden Datenlage
[14]. Insgesamt zeigt sich, dass die Umsetzung der fachlichen Anforderungen zur Zertifizierung
durch die Deutsche Krebsgesellschaft weit fortgeschritten ist. Zudem zeigen sich leichte
Verbesserungen im Zeitverlauf. Bei den Kennzahlen zur Psychoonkologie und zur Sozialarbeit
ist die Umsetzung allerdings deutlich schwächer, was insbesondere daran liegen dürfte,
dass es keine Sollvorgaben gibt.
Die Diagnose des Tumors erfolgt häufig spät bei bereits inoperabler Krankheit, was
auch zur hohen Letalität beiträgt. Aussagen darüber, ob die in den zertifizierten
Zentren behandelten Patienten hinsichtlich des Stadiums repräsentativ für die Erkrankten
insgesamt sind, lassen sich derzeit nicht treffen: Die Gesundheitsberichterstattung
des Bundes weist darauf hin, dass der Anteil von Patienten mit fehlenden Angaben eine
bevölkerungsrepräsentative Abbildung der Stadien bei erstmalig erkrankten Lungenkrebspatienten
nicht zulasse [1], weshalb wir diese nicht mit den Angaben aus den zertifizierten Zentren vergleichen
können. Ein Blick auf die amtliche Statistik deutet aber darauf hin, dass inoperable
Patienten in höheren Stadien in Zentren unter-, operable Patienten hingegen überrepräsentiert
sind: Laut Statistischem Bundesamt wurden beispielsweise 2012 in Deutschland 10 866
anatomische Lungenresektionen bei der Diagnose Lungenkrebs (ICD C34) durchgeführt
(Stat. Bundesamt 2013). Dem stehen allein 4803 operierte Patienten mit Erstdiagnose
(Patienten mit Rezidiv nicht dokumentiert) in zertifizierten Zentren gegenüber. Von
den laut GBE in Deutschland jährlich 48 986 (2010) neuerkrankten Patienten werden
hingegen nur 13 862 in zertifizierten Zentren behandelt. Die Auswertungen legen daher
nahe, dass Patienten in einem fortgeschrittenen, nicht-operablen Stadium seltener
in interdisziplinär arbeitenden, zertifizierten Netzwerken behandelt werden.
Einige Kennzahlen werden im Zertifizierungssystem entitätsübergreifend erhoben, beispielsweise
die Betreuung durch Sozialdienst und Psychoonkologie sowie die Vorstellung in der
prätherapeutischen Tumorkonferenz. Dies ermöglicht den Vergleich der Versorgungssituation
für Patienten mit unterschiedlichen Krebserkrankungen. Während die Besprechung in
der Tumorkonferenz entitätsübergreifend bei fast allen Patienten erfolgt, zeigen sich
deutliche Unterschiede bei den Kennzahlen zum Sozialdienst und der Psychoonkologie,
wobei der Anteil der psychoonkologisch betreuten Lungenkrebspatienten im Vergleich
zu anderen Tumorerkrankungen gering ist [15]. Auch der standortbezogene Median der Lungenkrebspatienten, die durch Mitarbeiter
des Krankenhaus-Sozialdienstes beraten wurden, liegt nur im unteren Mittelfeld der
neun verschiedenen Organkrebszentren (Lunge: 54,5 %; zum Vergleich Brustkrebszentren
2012: 87,9 %) [16].
Wie in anderen Bereichen der Krebsversorgung ist auch bei der Behandlung von Lungenkrebs
die internationale Diskussion zu geeigneten Qualitätsindikatoren noch in vollem Gange
[17]
[18]. Die hier verwendeten Kennzahlen entsprechen in Teilen den Qualitätsindikatoren
aus anderen Ländern [19] und berücksichtigen darüber hinaus neben somatisch-medizinischen Aspekten der Behandlung
ausdrücklich auch die psychosoziale Versorgung. Abweichungen von den Sollvorgaben
bzw. Plausibilitätsgrenzen der Kennzahlen müssen begründet werden, wodurch sich beispielsweise
von Leitlinien abweichende Patientenpräferenzen, wie zum Beispiel die Ablehnung einer
bestimmten Therapie durch die Patienten, anders als in anderen Systemen nicht zwangsläufig
negativ auf die Bewertung der Versorgungsqualität und damit die Vergabe des Zertifikats
auswirken [20]. Entscheidend für die Bewertung der Versorgungsqualität ist die nachvollziehbare
Begründung bei Abweichung von Leitlinienempfehlungen. Das Benchmarking erfolgt anonym,
was dem Gedanken des strukturierten Dialogs des Zertifizierungssystems entspricht
und Anreize zur Falschangabe von Kennzahlen minimiert. Die Anforderungen werden regelmäßig
aktualisiert, zum Beispiel auf Grundlage aktueller medizinischer Entwicklungen oder
weil die Ergebnisse der im Rahmen der Zertifizierung gesammelten Daten dafür Hinweise
liefern.
Im Vergleich zu anderen Zentrumstypen, beispielsweise dem seit 2003 bestehenden Brustkrebszentrumsprogramm
[21], zeigen sich relativ große Unterschiede zwischen den Zentren bei der Umsetzung der
Anforderungen. Dies mag zum einen daran liegen, dass das System der Lungenkrebszentren
insgesamt jünger ist, kann aber auch ein inhärentes Merkmal der Versorgung von Lungenkrebspatienten
sein: Auch britische Untersuchungen fanden große Varianz zwischen den Versorgern,
die aber durch den Einsatz eines Auditverfahrens verringert werden konnte [22]. Es ist daher damit zu rechnen, dass die Unterschiede im Zeitverlauf durch die Durchführung
der Audits und die Diskussion und Reflexion der Ergebnisse mit den Fachexperten für
die DKG-zertifizierten Zentren in Zukunft kleiner werden.
Das Zertifizierungssystem für Lungenkrebszentren soll eine flächendeckend hohe Versorgungsqualität
für die gesamte Bevölkerung gewährleisten. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund
des ausgeprägten „sozialen Gradienten“ [23] bei Lungenkrebs von Bedeutung: Ein niedrigerer Sozialstatus hinsichtlich Bildung,
Beruf und Einkommen ist in Deutschland und im Ausland mit einem höheren Erkrankungsrisiko
für Lungenkrebs assoziiert [24]
[25]. Eine flächendeckende Betreuung in zertifizierten Zentren stellt sicher, dass Patienten
qualitätsgesichert versorgt werden. Davon können insbesondere sozialstatusniedrige
Patienten profitieren, die ansonsten aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen oder
geringer Gesundheitskompetenz Probleme hätten, eine gute Klinik aufzusuchen (Stichwort
„Versorgungsgerechtigkeit“). Allerdings wird bislang nur gut ein Drittel der Patienten
in zertifizierten Lungenkrebszentren behandelt. Viele der übrigen Patienten werden
in Krankenhäusern mit niedrigen Fallzahlen behandelt, in denen relevante Qualitätssicherungsmaßnahmen
fehlen, so etwa interdisziplinäre Tumorkonferenzen oder der Nachweis der operativen
Expertise. Die Auswertungen des Statistischen Bundesamts für 2012 zeigen beispielsweise,
dass 42 % der anatomischen Lungenresektionen bei der Diagnose Lungenkarzinom von insgesamt
272 Kliniken mit weniger als 76 Resektionen pro Jahr durchgeführt wurden. Unter diesen
272 Kliniken befanden sich darüber hinaus über 100 Kliniken mit weniger als zehn Resektionen
pro Jahr (Statistisches Bundesamt, DRG-Statistik). Vor dem Hintergrund der eingangs
genannten Studien zur Mindestmengendiskussion ist zumindest fraglich, ob dies im Sinne
der Patienten ist und ob bei einem so geringen Eingriffsvolumen eine hohe Expertise
aufrecht erhalten werden kann. Auf der anderen Seite zeigt die Auswertung auch, dass
im Jahr 2012 58 % der anatomischen Lungenresektionen in nur 47 High-Volume-Kliniken
(> 75 Eingriffe/Jahr) durchgeführt wurden, von denen 80 % nach den Anforderungen der
Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert waren. Diese erwünschte Konzentration der
Eingriffe auf wenige Kliniken, die ihre Expertise im Rahmen von Qualitätssicherungsmaßnahmen
wie der Zertifizierung nachweisen, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen.
Insbesondere die Durchführung von Tumorkonferenzen in multidisziplinären Teams leistet
einen wichtigen Beitrag, Diagnose und Behandlung unter Beteiligung der relevanten
Spezialisten auf hohem Niveau sicherzustellen und gerade auch bei konkurrierenden,
leitliniengetreuen Therapiemaßnahmen für den Patienten den in seinem Sinne besten
Therapieplan zu erarbeiten. Die Bedeutung der multidisziplinären Teams und der Tumorkonferenzen
wird in zahlreichen Konsenspapieren hervorgehoben, so beispielsweise bei [26]. Den Tumorkonferenzen können auch Teilnehmer per Videokonferenz zugeschaltet werden,
mit insgesamt guten Erfahrungen, ähnlich wie in vergleichbaren Ansätzen aus dem Ausland
[27]. Multidisziplinäre Tumorkonferenzen waren zuletzt Gegenstand zahlreicher Untersuchungen
(z. B. [28]
[29]
[30]) und entwickeln sich zu einem zentralen Aspekt der interdisziplinären Abstimmung.
Durch die gemeinsame Abstimmung im multidisziplinären Team sind Tumorkonferenzen auch
dem bloßen Einholen einer Zweitmeinung überlegen.
Eine bislang nur unzureichend erfüllte Anforderung ist der Einschluss von Patienten
in Studien. Dieses Problem ist nicht neu und wurde bereits mehrfach adressiert [26]. Ab 2015 beträgt die Sollvorgabe 5 statt wie zuvor 10 %. Es ist zu hoffen, dass
eine Zunahme an Versorgungsforschungsstudien und die Einrichtung von Studienportalen,
z. B. der Study-Box [http://www.studybox.de/], eine flächendeckende Erfüllung der Studienquote zukünftig sichert.
Anders als beispielsweise bei Brustkrebspatientinnen [31] fehlt es bislang an belastbaren Daten zur Patientenperspektive bei der Versorgung
von Lungenkrebs. Auch wenn aufgrund des insgesamt deutlich kürzeren Überlebens schwerer
umsetzbar, gibt es gute Vorbilder für einheitliche Patientenbefragungen aus dem Ausland,
beispielsweise den USA [32]. Es wäre wünschenswert, die Ergebnisse von Patientenbefragungen nicht nur im Rahmen
zentrumsinterner Qualitätsinitiativen auszuwerten, sondern auch im Vergleich über
Zentren hinweg und so von anderen zu lernen. Die Ergebnisse einzelner Befragungen
aus Deutschland zeigen beispielsweise noch deutlichen Bedarf bei der Informationsvermittlung
auf [33].
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass durch das Engagement der beteiligten Fachgesellschaften
und der Fachexperten ein Zertifizierungssystem für Lungenkrebszentren etabliert worden
ist, das fortwährend weiterentwickelt wird und das in einer zunehmenden Zahl zertifizierter
Zentren die Patientenversorgung konzentriert. Mit Hilfe der Zertifizierung stellen
die Zentren ihre Ergebnisse und damit die Qualität ihrer Arbeit dar, analysieren diese
während der Audits und setzen bei Notwendigkeit Veränderungsmaßnahmen in ihrem eigenen
Netzwerk um. Die Jahresberichte, in denen die Ergebnisse der Audits zusammengefasst
sind, ermöglichen dem Einzelzentrum seine Ergebnisse im Vergleich zu den Ergebnissen
der anderen Zentren einzuordnen und diese vor allem auch im Verlauf der Zeit zu beurteilen.
Damit ist ein wichtiges Instrument für die Qualitätssicherung und -verbesserung im
Sinne der Patienten im klinischen Alltag etabliert.