Radiologie up2date 2015; 15(02): 101-104
DOI: 10.1055/s-0034-1392232
Der besondere Fall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Eine ungewöhnliche Intoxikation

A. Lakghomi
,
H. Strunk
,
N. Ney
Further Information

Korrespondenzadresse

Asadeh Lakghomi
Universitätsklinik Bonn
Radiologische Klinik
Sigmund-Freud-Straße 25
53127 Bonn

Publication History

Publication Date:
23 June 2015 (online)

 

Fallvorstellung

Ein 39-jähriger Patient stellte sich mit deutlicher Verschlechterung des Allgemeinzustands vor. Es bestand intermittierendes Erbrechen, deutliche Abgeschlagenheit, Fieber und Nachtschweiß. Bei der körperlichen Untersuchung fand sich eine erythematöse, nicht druckdolente Erhabenheit (ca. 3-mal 3 cm) an der linken Unterarminnenseite, die sich ebenfalls in den letzten 2 Wochen entwickelt hatte. Die primäre Routinelabordiagnostik war nicht richtungweisend. Zur weiteren Abklärung wurde eine native CT des Thorax und des Abdomens durchgeführt (Abb. [1]).


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Bildanalyse

CT von Thorax und Abdomen. Die CT-Aufnahmen von Thorax und Abdomen zeigten sehr röntgendichte Partikel mit einer Größe von maximal 5 mm (avg-HU: ca. 800 – 3200) in der Lunge, im Perikard, in den Nieren, in der Leber und in der Darmwand (Abb. [1]). Eine geringe Betonung der Partikel in den basalen Lungenabschnitten beidseits war festzustellen.

CT Ellenbogen. Aufgrund der geröteten Verhärtung am rechten Arm wurde zusätzlich eine CT des Ellenbogens durchgeführt (Abb. [2]), die ebenfalls metalldichte Partikel etwa im Verlauf der oberflächlichen Armvenen zeigte. Bis auf die Fremdkörper präsentierten sich keine weiteren Auffälligkeiten. Eine zusätzlich angefertigte Schädel-CT ergab einen unauffälligen Befund.

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Abb. 1 Axiale CT-Rekonstruktion. a Thorax. b Abdomen.
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Abb. 2 3D-Rekonstruktion einer nativen CT des rechten Ellenbogens.

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Diagnose und Verlauf

Radiologisch wurde die Verdachtsdiagnose einer Quecksilberintoxikation gestellt. Zur Diagnosesicherung wurde der Armbefund unter Durchleuchtung biopsiert (Abb. [3]). Die Aufarbeitung ergab, dass es sich bei dem gewonnenen Material um metallisches Quecksilber handelte. Es lag nahe, dass jemand das Quecksilber über eine Armvene eingebracht hatte, wobei es zu einem Extravasat gekommen war. Zum Vorgang befragt, stritt der verhaltensauffällige Patient ab, dass durch ihn selbst oder gar durch Dritte irgendeine Substanz eingebracht worden war. Ein psychiatrisches Konsil brachte keine Klärung der Situation.

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Abb. 3 Durchleuchtung des Unterarms und des Punktats.

Es wurde eine Chelattherapie mit Dimercaptopropansulfonat eingeleitet. 2 Wochen danach berichtete der Patient über Dyspnoe und eine geringe Angina pectoris. Zudem entwickelte er progrediente Kopfschmerzen und einen Ruhetremor der linken Hand. Diese Symptomatik besserte sich im weiteren Verlauf.


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Diskussion

Krankheitsbild

Fälle einer i. v. Intoxikation mit Quecksilber sind in der Literatur selten. Meist steht eine suizidale Absicht dahinter. Quecksilber kommt in unterschiedlicher Form in der Industrie, Medizin und Umwelt vor. Eine nicht beabsichtigte Intoxikation geht häufig auf eine Inhalation oder eine Ingestion zurück. Hierbei unterscheidet man zwischen einer akuten und einer chronischen Form. Die chemische Zusammensetzung des Quecksilbers und seine Dosis sind ausschlaggebend für die Toxizität [1].

Organisches Quecksilber. Typisch für eine Vergiftung mit organischem Quecksilber ist das verzögerte Auftreten der Symptome nach Exposition. Was während der Latenzphase geschieht, ist z. T. noch nicht klar. Die Toxizität des organischen Quecksilbers wird auf die Affinität zu Schwefelmolekülen der körpereigenen Proteine zurückgeführt. Diese Wechselwirkungen führen zur verstärkten Aufnahme in Nervenzellen, die hierdurch geschädigt werden können. Die bekannteste Verbindung dieser Gruppe ist das Methylquecksilber. Seine Ingestion führt zu teilweise irreversiblen Schäden des Nervensystems mit Ataxie, Tremor bis hin zu Bewusstseinsstörungen und Delir. In Tierversuchen zeigten sich auch Nieren- und Herzmuskelschädigungen sowie Reaktionen der Haut. Eine Inhalation kann zu leichtgradigen Pneumonien führen. Auch hier steht die zentralvenöse Symptomatik im Vordergrund. Die Verteilung aus dem Blut in das Gewebe verläuft langsam, sodass auch bei einer i. v. Injektion die Beschwerden erst im späteren Verlauf auftreten können [1].

Anorganisches Quecksilber. Anorganisches Quecksilber (wie z. B. HgCl) führt häufig zu sehr schwerwiegenden Intoxikationen. Die Salze werden im Körper in 2-wertiges Hg überführt, das eine hohe Affinität zu epithelialem Gewebe aufweist. Dieses akkumuliert in den Nervenzellen und wird über die Niere ausgeschieden, was durch ausgeprägte Nekrosen des Nierenepithels zu unterschiedlichen Graden einer Nierenfunktionseinschränkung führen kann. Bereits 1 g des 2-wertigen Quecksilbers kann tödlich sein. Das oxidierte Quecksilber kann zudem die Blut-Hirn-Schranke überqueren, wobei bereits Serumspiegel über 5 mg/dl neurotoxische Effekte mit Tremor, Gesichtsfeldausfällen und auch Depressionen verursachen können. Eine Ingestion äußert sich in brennenden Schmerzen im Mund-Rachen-Bereich mit rasch eintretenden Bauchkrämpfen und Erbrechen sowie in schweren Kolitiden und blutigen Diarrhöen. Die Inhalation führt zu einer durch die geringere Dosis schwächer ausgeprägten, aber ähnlichen Symptomatik. I. v. Intoxikationen enden i. d. R. letal [10].

Elementares Quecksilber. Metallisches Quecksilber ist bei Raumtemperatur flüchtig und kann giftige Dämpfe ausbilden. Das elementare Quecksilber hat eine lokale physikalische Wirkung, die z. B. zu einer Druckerhöhung im pulmonal-arteriellen System führen kann [7]. Die Toxizität wird jedoch erst nach der Oxidation zum 2-wertigen Quecksilber im Blut verstärkt. Hierdurch kann es im ganzen Organismus akkumulieren und ähnlich wie bei Vergiftungen mit Quecksilbersalzen wirken. Eine weitere Erhöhung der Toxizität entsteht durch Methylierung des Quecksilbers im Körper. Die dadurch entstehenden organischen Verbindungen können problemlos durch Membranen transportiert werden und sich zügig im Körper ausbreiten. Bei einer Inhalation steht die pulmonale Symptomatik mit Beschwerden wie Husten bis hin zur Pneumonie und der Entwicklung eines Lungenödems im Vordergrund [9]. Eine orale Aufnahme bleibt aufgrund der mangelnden Resorbierbarkeit häufig asymptomatisch oder äußert sich in einer leichten Reizreaktion des Magen-Darm-Trakts [2].

Im hier beschriebenen Fall handelt es sich um eine i. v. Intoxikation. Die resultierenden Mikroembolien in der Lunge können zu Dyspnoe und Angina pectoris führen. Aufgrund der ausgeprägten Oberflächenspannung der Quecksilberteilchen und der hierdurch enormen Elastizität können die Tröpfchen jedoch die Lungenkapillaren passieren. Durch Langzeitbeobachtungen aus der Literatur ist bekannt, dass die embolisierten Partikel aufgrund der überaus schlechten Löslichkeit Jahrzehnte persistieren können [3]. Interessant ist, dass zerebrale Embolien nach i. v. Applikation nahezu nicht beschrieben sind. Zum einen liegt dies daran, dass ein beträchtlicher Teil im kleinen Kreislauf abgefangen wird. Zum anderen besitzt das metallische Quecksilber ein hohes Gewicht, was auch Auswirkungen auf die Verteilung mit dem Blutstrom haben kann, die mutmaßlich auch durch die Körperhaltung beeinflusst wird. Bei einem Paravasat bildet sich ein Quecksilberdepot, das in Form von Granulomen imponiert [6]. Dies führt zu einer fokalen Entzündung und ist gelegentlich auch mit Abszessen und Nekrosen verbunden.

Exposition. Eine Exposition ist am Arbeitsplatz, aber auch in privaten Haushalten durch z. B. beschädigte Quecksilberthermometer, Energiesparlampen oder auch Batterien möglich. In Kohlekraftwerken können organische Quecksilberabfallprodukte entstehen, die Wasser und in der Folge auch Fische kontaminieren und bei deren übermäßigem Verzehr gesundheitsgefährdende Quecksilberspiegel im Blut entstehen können (Hunter-Russel-Syndrom, Minamata-Krankheit) [1]. Die in der Bevölkerung geläufigste Substanz, die mit Quecksilbervergiftungen in Verbindung gebracht wird, ist das Dentalamalgam. Es wurde vermutet, dass die biologischen Effekte, die durch das Amalgam verursacht werden, denen der giftigen Quecksilberdämpfe gleichen könnten. Diese Auswirkungen sind u. a. auch durch die geringe Dosis jedoch nicht eindeutig bewiesen. Weitere derzeitige Anwendungsgebiete sind z. B. quecksilberhaltige Konservierungsmittel in Impfstoffen oder quecksilberhaltige Medikamente wie z. B. bestimmte Antiseptika. In Südamerika wird Quecksilber teilweise noch für religiöse Praktiken verkauft. Es wird im Haus und um das Bett verstreut oder in Kerzen verbrannt. In den USA wurden allein durch diese Praktiken erhöhte Quecksilberdämpfe in der Luft sowie zeitweise erhöhte Grundwasserspiegel nachgewiesen. Bemerkenswert ist der Einsatz von Quecksilber zur Behandlung einer Obstipation oder einer Dyspepsie. Vor ca. 400 Jahren wurden überdies sexuell übertragbare Erkrankungen wie z. B. die Syphilis durch eine lokale Auftragung von quecksilberhaltigen Salben, durch eine inhalative oder orale Aufnahme von Quecksilber sowie teilweise durch eine direkte Injektion in die Urethra behandelt [1].


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Diagnostik

Die klinische Präsentation der Vergiftungen ist oft unspezifisch und kann nicht allein zur Diagnose führen. Die bildgebende Diagnostik mit Darstellung der Quecksilberpartikel kann im Fall einer elementaren Quecksilberembolie den möglichen ersten Hinweis zur Diagnose liefern. Hier ist eine periphere, die Basis bevorzugende Verteilung im Thorax typisch. Meistens finden sich kleinere Partikel, die eine Größe von 1 cm nicht übersteigen. Organische und anorganische Quecksilberverbindungen entziehen sich i. d. R. der radiologischen Diagnostik. In diesen Fällen können Blut-, Haar- und Urinproben die Diagnose klären [5].


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Therapie und Prognose

Die Möglichkeiten der Behandlung solcher Intoxikationen sind beschränkt. Bei elementarem Quecksilber besteht zum einen die Option, die erreichbaren Quecksilberspeicher operativ zu entfernen. Chelatoren enthalten Schwefelgruppen, die wie bereits erwähnt eine hohe Affinität zu Quecksilber aufweisen. Mittel der Wahl ist 2,3-Dimercapto-1-propansulfonsäure (DMPS), weitere mögliche Chelatoren sind 2,3-Dimercaptobernsteinsäure, D-Penicillamin, Dimercaprol und auch N-Azetylzystein. Die Indikation für eine Therapie mit Chelatbildnern wird bei Quecksilberspiegeln von > 1000 nmol/l bei asymptomatischen Patienten und bei Quecksilberspiegeln von > 500 nmol/l bei symptomatischen Patienten gestellt [5]. Inwieweit die Behandlung mit DMPS den weiteren Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann, wird kontrovers diskutiert. Auch die Vorstellung, dass man mit DMPS das ganze Quecksilber ausspülen kann, ist deutlich verfehlt. So kann eine Chelattherapie höchstens ca. 1 mg des Quecksilbers pro Tag entfernen. Für eine alleinige Dosis von 10 g (< 1 ml) Quecksilber würde die vollständige Ausscheidungszeit mit DMPS ca. 27 Jahre dauern. Die eigentliche Wirkung der DMPS wird auf die sofortige Senkung der Quecksilberkonzentration im Blut und die dadurch reduzierten Beschwerden zurückgeführt [1].


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Fazit

Die Symptome einer willkürlichen oder unwillkürlichen Quecksilberintoxikation sind sehr variabel, unspezifisch und können somit ohne Anamnese nicht allein zur Diagnose führen. Der vorgestellte Fall zeigt einen eher ungewöhnlichen Intoxikationsweg, bei dem die Bildgebung einen wesentlichen Beitrag zur Diagnosefindung liefern konnte. Prognostische Aussagen sind bei Merkuralismus nicht eindeutig zu tätigen. Eine Chelatortherapie mit DMPS kann dennoch bestehende Symptome lindern.


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Interessenkonflikt: kein Interessenkonflikt angegeben

  • Literatur

  • 1 Syversen T, Kaur P. Die Toxikologie des Quecksilbers und seiner Verbindungen. Perspectives in Medicine 2012; 2: 133-150
  • 2 McFee RB, Caraccio TR. Intravenous Mercury Injection and Ingestion: Clinical Manifestations and Management. Clinical Toxicology 2001; 39: 733-738
  • 3 dell’Omo M, Muzi G, Bernard A et al. Long-term toxicity of intravenous mercury injection. The Lancet 1996; 348: 64
  • 4 Peterson N, Harvey-Smith W, Rohrmann  Jr CA. Radiographic Aspects of Metallic Mercury Embolism. AJR 1980; 135: 1079-1081
  • 5 Seidel C. Subcutaneous Injection of Elemental Mercury: A Case Report with Blood and Urine Levels During Therapy. Clinical Toxicology 2009; 47: 502
  • 6 Bradberry SL, Feldmann MA, Braithwaite A et al. Elemental mercury-induced skin granuloma: A case report and review of the literature. J Toxicol Clin Toxicol 1996; 34: 209-216
  • 7 Buxton JT Jr, Hewitt C, Gadsden RH et al. Metallic mercury embolism. JAMA 1965; 193: 103-105
  • 8 Hill DM. Self-administration of mercury by subcutaneous injection. Brit Med J 1967; 1: 342-343
  • 9 Wallach L. Apiration of elemental mercury – evidence of absorption without toxity. N Engl J Med 1972; 287: 178-179
  • 10 Dittmann V, Pribilla O. Suizid durch intravenöse Injektion von Sublimatlösung. Z Rechtsmed 1985; 94: 301-307

Korrespondenzadresse

Asadeh Lakghomi
Universitätsklinik Bonn
Radiologische Klinik
Sigmund-Freud-Straße 25
53127 Bonn

  • Literatur

  • 1 Syversen T, Kaur P. Die Toxikologie des Quecksilbers und seiner Verbindungen. Perspectives in Medicine 2012; 2: 133-150
  • 2 McFee RB, Caraccio TR. Intravenous Mercury Injection and Ingestion: Clinical Manifestations and Management. Clinical Toxicology 2001; 39: 733-738
  • 3 dell’Omo M, Muzi G, Bernard A et al. Long-term toxicity of intravenous mercury injection. The Lancet 1996; 348: 64
  • 4 Peterson N, Harvey-Smith W, Rohrmann  Jr CA. Radiographic Aspects of Metallic Mercury Embolism. AJR 1980; 135: 1079-1081
  • 5 Seidel C. Subcutaneous Injection of Elemental Mercury: A Case Report with Blood and Urine Levels During Therapy. Clinical Toxicology 2009; 47: 502
  • 6 Bradberry SL, Feldmann MA, Braithwaite A et al. Elemental mercury-induced skin granuloma: A case report and review of the literature. J Toxicol Clin Toxicol 1996; 34: 209-216
  • 7 Buxton JT Jr, Hewitt C, Gadsden RH et al. Metallic mercury embolism. JAMA 1965; 193: 103-105
  • 8 Hill DM. Self-administration of mercury by subcutaneous injection. Brit Med J 1967; 1: 342-343
  • 9 Wallach L. Apiration of elemental mercury – evidence of absorption without toxity. N Engl J Med 1972; 287: 178-179
  • 10 Dittmann V, Pribilla O. Suizid durch intravenöse Injektion von Sublimatlösung. Z Rechtsmed 1985; 94: 301-307

Zoom Image
Abb. 1 Axiale CT-Rekonstruktion. a Thorax. b Abdomen.
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Abb. 2 3D-Rekonstruktion einer nativen CT des rechten Ellenbogens.
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