Hintergrund zur Tabakentwöhnung
Hintergrund zur Tabakentwöhnung
In Deutschland versterben jährlich etwa 120 bis 140 Tausend Menschen an Tabak-assoziierten
Erkrankungen, dieses entspricht etwa einem Sechstel aller Todesfälle [1 ]. Die Tabakentwöhnung ist geeignet, die Morbidität und Mortalität für die großen
Volkskrankheiten koronare Herzkrankheit/Herzinfarkt, kardiovaskuläre Erkrankungen,
Bronchialkarzinom sowie COPD herabzusetzen. Die markanteste und schnellste Wirkung
der Herabsetzung der Mortalität ist bei der KHK/Herzinfarkt-Erkrankung zu verzeichnen
[2 ]
[3 ]. Das Bronchialkarzinom wird nach Tabakentwöhnung schrittweise weniger wahrscheinlich
[4 ]. Hervorzuheben ist daneben aber auch, dass beim manifesten Bronchialkarzinom das
Überleben nach Rauchstopp gegenüber dem Weiterrauchen verlängert ist [5 ]
[6 ]
[7 ]. Die für die Pneumologie so entscheidende und wichtige Erkrankung COPD wird durch
Rauchstopp in ihrem Fortschreiten in entscheidender Weise gebremst und die assoziierte
Mortalität wird herabgesetzt [8 ]
[9 ]
[10 ]
[11 ]. Zusammenfassend muss hervorgehoben werden, dass Tabakentwöhnung also nicht nur
Prävention, sondern für die genannten Erkrankungen in entscheidender Weise die oft
wirksamste (und kostengünstigste) Therapiemaßnahme darstellt [12 ].
Verhaltenstherapie mit medikamentöser Unterstützung stellt die wirksamste und kosteneffektivste
Maßnahme dar. Evidenz hierzu ist in den aktuell verfügbaren Leitlinien mit höchstem
Evidenzgrad und Empfehlungsgrad vorhanden [12 ]
[13 ]
[14 ].
Etablierte Gruppen-Entwöhnungsprogramme bieten 3 – 6 Gruppen-Termine an und setzen
zusätzlich in unterschiedlichem Ausmaß/Ausprägungsgrad die medikamentöse Unterstützung
mit den in Deutschland hierfür zugelassenen Substanzen Bupropion, Nikotinersatz sowie
Vareniclin ein. Erfolgsquoten der am weitesten verbreiteten Programme Rauchfreiprogramm
sowie WIT-Programm liegen bei etwa 30 % 12-Monate-Abstinenz [15 ]
[16 ].
Das in der folgenden Evaluation eingesetzte Programm des Bundesverbandes der Pneumologen
„Mein Nichtraucherprogramm“ lehnt sich an die oben genannten etablierten Programme
an [17 ]. Es ist in seinem Zuschnitt auf den Einsatz in der ärztlichen Praxis optimiert und
besteht aus verhaltenstherapeutischen Maßnahmen der Vorbereitung, Umsetzung und Stabilisierung
des Rauchstopps in drei 3-Stunden-Gruppencoaching-Sitzungen im jeweils etwa wöchentlichen
Abstand ([Abb. 1 ]). Dazwischen erhalten die Teilnehmer individuelle unterstützende Telefonberatungen
vor und nach dem Rauchstopp-Termin. Das Programm ist zertifiziert durch die „Zentrale
Prüfstelle Prävention“ des Spitzenverbandes der Krankenkassen für den Einsatz und
insbesondere für die Teil-Kostenerstattung gemäß § 20 SGB V (Prävention).
Abb. 1 Zeitschema „Mein Nichtraucherprogramm“.
Die Rekrutierung von Teilnehmern erfolgt in der Praxis durch eine 2-Schritte-Motivation:
Zunächst erfolgt die Klärung der Bereitschaft für Schritte in Richtung der Umsetzung
der Tabakentwöhnung mittels der Motivational-Interviewing-Technik (MI) innerhalb eines
kurzen Gesprächs, das in der Sprechstunde in der Regel auf etwa 2 – 3 Minuten begrenzt
wird [18 ]
[19 ]. Im Fall eines weiteren Interesses bzw. einer klar erkennbaren Bereitschaft wird
eine neutral gehaltene Informationsveranstaltung über die Tabakentwöhnung angeboten.
Diese findet in der Regel am Abend in der Praxis im Rahmen von 10 – 15 Teilnehmern
statt. Explizit wird hier den Teilnehmern deklariert, dass die Einleitung der Therapie/des
Coachings mit der Veranstaltungsteilnahme noch nicht verbunden ist. Erst danach entscheiden
sich die Teilnehmer, ob sie in das „Mein Nichtraucherprogramm“-Coaching aufgenommen
werden möchten. Etwa 60 % der Teilnehmer entscheiden sich nach dieser 2-Schritte-Motivation
für die Teilnahme am Programm [20 ]. Das Programm wird begleitet von einem eigens erstellten Patientenmanual „Mein Nichtraucherbuch“
[21 ].
Das Programm hebt in sehr klarer und konkreter detaillierter Weise auf die Möglichkeiten
der medikamentösen Unterstützung ab. Die Bereitstellung dieser medikamentösen Unterstützung
ist im Setting der Arztpraxis besonders leicht durchführbar, da die Beratung zur evtl.
eingesetzten Medikation, das Erfassen von eventuellen Nebenwirkungen und die Durchführung
entsprechender Maßnahmen sowie die Rezeptierung rezeptpflichtiger Medikation ohne
weitere Barrieren möglich ist.
Material und Methoden
Durchführung in einem Studienzentrum (Lungenarztpraxis Tegel, Schloßstr. 5, 13507
Berlin, www.lungenarztpraxis-tegel.de ). Durchführung durch einen in der Tabakentwöhnung erfahrenen und für das Programm
spezifisch trainierten Psychologen und psychologischen Psychotherapeuten unter Zuhilfenahme
des für das Programm verfügbaren Trainermanuals [22 ].
Zwischen September 2012 und Februar 2014 wurden 105 Teilnehmer motiviert und führten
die Tabakentwöhnung innerhalb des Programms vollständig durch. Die Motivation erfolgte
in der Regel in einem zweistufigen Verfahren: Zunächst wurde innerhalb der pneumologischen
Sprechstunde durch ein kurzes Motivational Interviewing-Gespräch entsprechend dem
5-A-Konzept der Raucherstatus erfragt und überprüft, inwieweit Handlungsbereitschaft
in Richtung Entwöhnung besteht. Überwiegend wurden Patienten angesprochen, bei denen
die Dringlichkeit für die Tabakentwöhnung aus Gründen ihres eigenen Krankheitsverlaufes
besonders hoch war. Es befanden sich unter den Teilnehmern 76 % Patienten mit chronischen
Erkrankungen. Von jenen hatten 75 % – auch – Erkrankungen der Lunge, unter denen die
COPD mit 74 % am häufigsten war ([Abb. 2 ]). Im Falle eines Interesses an weiteren Schritten für die Entwöhnung wurde den Patienten
zunächst die Teilnahme an einer 2-Stunden-Informationsveranstaltung zur Tabakentwöhnung
angeboten, die vom „Mein Nichtraucherprogramm“-Trainer durchgeführt wurde. Diese Informationsveranstaltung
wurde ausdrücklich als offenes Angebot deklariert, das die Entscheidung für oder gegen
die Teilnahme am Programm nicht vorwegnimmt. Für die Teilnahme an der Informationsveranstaltung
wurde eine Schutzgebühr von 10 Euro verlangt. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer der
Informationsveranstaltung entschieden sich danach für die Durchführung des Programms.
Abb. 2 Anteil der Patienten mit chronischen Erkrankungen.
Die Teilnahme am Programm beinhaltete Kurskosten von 300 Euro, die die Patienten aus
eigenen Mitteln bezahlen mussten. Auf Antrag konnten sie gemäß § 20 SGB V nach Vorlage
des Teilnahme-Zertifikates eine Teilerstattung (zwischen 75 und 150 Euro) von ihrer
Krankenkasse erhalten.
Alle Teilnehmer erhielten Informationen zur medikamentösen Unterstützung mit Nikotinersatz,
Bupropion und Vareniclin (Medikamente für die Tabakentwöhnung in Deutschland zugelassen).
Für Vareniclin erhielten die Patienten in der Praxis ggf. die Verordnung (Privatrezept).
Die medikamentöse Unterstützung der Tabakentwöhnung ist in Deutschland durch gesetzliche
Krankenversicherungen nicht erstattungsfähig (§ 34 SGB V). Entsprechend müssen die
Kosten von den Teilnehmern selbst getragen werden. Eine medikamentöse Unterstützung
kostet in Abhängigkeit von Auswahl und Dosierung in der Regel etwa 100 Euro/Monat,
für eine empfohlene Dauer von 3 Monaten dementsprechend etwa 300 Euro.
Alle Teilnehmer wurden telefonisch bzw. persönlich 3, 6 und 12 Monate nach Abschluss
des Kurses (3. Kurstermin) zu ihrer Abstinenz bzw. zu Rückfällen und zum Gewichtsverlauf
befragt. Eine Verifikation durch Messung des Kohlenmonoxids (CO) erfolgte nicht.
Ergebnisse
Nach dem oben stehenden Vorgehen ergab sich ein Untersuchungskollektiv mit einer Geschlechterverteilung
w/m = 55/37 % (8 % ohne Geschlechtsangabe). Der Bildungsgrad zeigte eine annähernde
Gleichverteilung der Merkmale Hauptschulabschluss, mittlere Reife sowie Hochschulreife
(30 %/41 %/26 % – 3 % ohne Angaben). Entsprechend der Rekrutierung aus dem Praxisbetrieb
ergab sich eine Mehrheit der Teilnehmer mit einer chronischen Erkrankung, wobei Lungenerkrankungen
und hierunter die COPD überwiegen ([Abb. 2 ]).
Der Suchtgrad zur Bemessung der Tabakabhängigkeit (Fagerströmtest) ergab einen Mittelwert
von 5,87 Punkten und ist damit vergleichsweise hoch ([Abb. 3 ]).
Abb. 3 Grad der Abhängigkeit nach Fagerströmtest.
Die große Mehrheit der Teilnehmer wählte unter den angebotenen Medikamenten Vareniclin,
nur eine verschwindende Minderheit entschied sich für Nikotinersatz bzw. Bupropion.
Zum Kurs 2 erhielten 93 % der Teilnehmer die Empfehlung zur medikamentösen Unterstützung
der Entwöhnung. 98 % davon lauteten auf Vareniclin. Zum Zeitpunkt Kurs 3 ergab die
Befragung, dass 79 % der vorstehenden Empfehlung gefolgt waren. Bei der Entscheidung
für oder gegen diese Medikation hatte der Rat des Arztes das größte Gewicht. Hiernach
folgten die Erfahrung von Freunden, die Kostenbelastung durch das Medikament (nicht
erstattungsfähig), die Sorge vor evtl. Nebenwirkungen sowie an letzter Stelle die
Zweifel an der eventuellen Wirksamkeit ([Abb. 4 ]).
Abb. 4 Einflussfaktoren auf die Bereitschaft zu einer unterstützenden Arzneimitteltherapie.
Nach 12 Monaten fand sich (Intention-to-treat-Ansatz) eine Abstinenzquote von 46 %
sowie eine Rückfallquote von 54 % (43 % gaben an, wieder zu rauchen, 11 % der Teilnehmer
wurden für die Abschlussbefragung nicht erreicht und sind damit als rückfällig zu
werten) ([Abb. 5 ]).
Abb. 5 Verlauf der Abstinenzquote über 12 Monate.
Der Einfluss des Bildungsgrades auf die 12-Monate-Abstinenz zeigte sich gering (48 %
vers. 43 % im Vergleich der Gruppen Mittlere Reife/Abitur versus Hauptschule/ohne
Schulabschluss). Eine Rolle dürfte hierbei der in der Abitur-Gruppe etwas geringere
Suchtgrad gegenüber der Hauptschulgruppe (5,79 vers. 6,15 Punkte) spielen. Wunsch
und Zuversicht für den Erfolg waren im Vergleich der Hauptschul-Gruppe gegenüber der
Abitur-Gruppe annähernd gleich. Ein etwas markanterer Erfolgsparameter für die Langfristabstinenz
bildet sich durch das Raucher-/Nichtraucherumfeld ab. Teilnehmer, deren Partner Nichtraucher
waren, erreichten 46 % Langfristabstinenz gegenüber 38 % bei denjenigen, deren Partner
Raucher war ([Abb. 6 ]).
Abb. 6 12-Monats-Abstinenz in Abhängigkeit vom Raucherstatus des Partners.
Erwartungsgemäß zeigte sich im Gewichtsverlauf bei der Abstinenz-Gruppe eine Gewichtszunahme
von im Mittel 8 %, während der Gewichtsverlauf bei den am Ende rückfälligen Teilnehmern
überwiegend nahezu ohne Zunahmetendenz war ([Abb. 7 ]).
Abb. 7 Gewichtsänderung bei abstinenten und rückfälligen Kursteilnehmern (Ausgangsgewicht = 100 %).
Diskussion
Das Langfrist-Ergebnis der 12-Monate-Abstinenz von 46 % befindet sich in guter Übereinstimmung
mit einem Ergebnis, das unter ähnlichen Bedingungen mit vergleichbaren verhaltenstherapeutischen
Interventionen und medikamentöser Unterstützung bereits gefunden wurde [23 ]. Somit erhärten sich Daten, die dafür sprechen, dass eine besonders hohe Abstinenzquote
im gewählten Setting mit den eingesetzten Interventionen Verhaltenstherapie/medikamentöse
Unterstützung erreicht werden kann. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass dieser
hohe Abstinenz-Erfolg auch erreichbar war trotz der Bedingungen der fast vollständigen
Selbstzahlungs-Verpflichtung für die Gruppen-Intervention und die medikamentöse Unterstützung.
Ähnliche Programme erreichen durchschnittlich im Nicht-Praxis-Setting und bei geringerer
Betonung medikamentöser Unterstützung 12-Monate-Abstinenzquoten von knapp über 30 %
und damit eine um ein Drittel niedrigere Erfolgsquote [15 ]. Besonders hoch ist das hier vorgelegte Ergebnis im Lichte der vergleichsweise hohen
Tabakabhängigkeit zu werten. Vergleichsstudien zur Zulassung etwa von Vareniclin wurden
mit Kollektiven durchgeführt, deren Fagerström-Score deutlich niedriger lag [24 ]
[25 ]
[26 ]
[27 ]. Ein bedeutsamer Abstinenz-steigernder Faktor dürfte in der hohen Kontinuität der
Betreuung liegen: Die Mehrzahl der Patienten wurde im Rahmen ihrer dauerhaften Behandlung
der Grunderkrankung (mehrheitlich COPD) für die Entwöhnungsmaßnahme gewonnen. Diese
Teilnehmer sind in der Praxis auch danach und in den Folgejahren Patienten und selbstredend
wird bei ihnen der Raucherstatus nach Ende der Intervention regelmäßig abgefragt.
Das Wissen über die jeweils bevorstehende Abfrage dürfte für sich genommen ein wesentlicher
Rückfall-präventiver Erfolgsfaktor sein. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist wahrscheinlich
in der niederschwelligen Verfügbarkeit der medikamentösen Unterstützung zu sehen.
Während vergleichbare Programme wie das „rauchfrei-Programm“ [15 ] medikamentöse Unterstützung in der Regel zwar ansprechen und über sie informieren,
können in der ärztlichen Praxis mühelos das verschreibungspflichtige Medikament verordnet
und Fragen zu eventuellen Nebenwirkungen vorab geklärt werden. Im Falle von Nebenerscheinungen
steht der Arzt zur Beurteilung und zur Einleitung adäquater Maßnahmen niederschwellig
zur Verfügung. Der Abstinenz-Erfolg war größer, wenn die Partnerin/der Partner Nichtraucher
war. Dieses bestätigt frühere Beobachtungen der Konkordanz gesundheitsbezogenen Verhaltens
bei Partnern bzw. in der Peer-Group [28 ]
[29 ]. Eine Limitation ergibt sich daraus, dass die Erhebung der Abstinenz durch Befragung,
nicht jedoch durch zusätzliche Erfassung des Kohlenmonoxids (CO)
erfolgte.
Zusammenfassend darf gefolgert werden, dass die Kombination des verhaltenstherapeutischen
Gruppencoachings im 3-Termine-Kompaktmodell, kombiniert mit dem konsequenten Einsatz
medikamentöser Unterstützung (überwiegend Vareniclin), im Setting der Facharztpraxis
eine besonders hohe Langfrist-Abstinenzquote erwarten lassen darf.