In einer Zeit, in der die evidenzbasierte Medizin auf dem Sektor der Naturmedizin
mit zweierlei Maßen gemessen wird, ist es unumgänglich, Position zu beziehen. Aus
ärztlicher Sicht bedeutet dies, dass wir primär, soweit wir den Einsatz von Synthetika
vermeiden wollen oder sogar müssen, auf Phytopharmaka zurückgreifen, denn die pflanzlichen
Arzneimittel sind − ähnlich chemisch definierter Arzneimittel − auf Qualität, Wirksamkeit
und Sicherheit geprüft und mit definierten Indikationen nach nationalen (AMG) und
internationalen Richtlinien (EU) zugelassen. Einige sind durch Metaanalysen, Cochrane
und IQWIG positiv bewertet und können als echte Alternativen zu Synthetika gesehen
werden. Dies trifft nicht für Nahrungsergänzungsmittel zu, da hier aus ärztlicher
Sicht die hohe Qualität fehlt, um dem Patienten eine wirksame und sichere Alternative
auf dem Gebiet der Phytotherapie anbieten zu können.
In der Gynäkologie und Geburtshilfe ist dies von besonderer Bedeutung. Auf dem Gebiet
der Geburtshilfe steht uns derzeit kein einziges Phytopharmakon zur Verfügung. Anders
verhält es sich auf dem Gebiet der Gynäkologie, wo wir pflanzliche Arzneimittel zur
Behandlung von Wechseljahresbeschwerden haben, beispielsweise Cimicifuga-racemosa-Extrakte, pflanzliche Arzneimittel zur Behandlung zyklusabhängiger Beschwerden,
wie Agnus-castus-Extrakte, aber auch weitere pflanzliche Zubereitungen wie z. B. aus dem Sibirischen
Rhabarber.
Wir haben es also auch auf dem Gebiet der Gynäkologie und Geburtshilfe mit erheblichen
Indikationslücken zu tun. Bei der Behandlung von Wechseljahresbeschwerden und Zyklusunregelmäßigkeiten
haben wir jedoch Studien mit einem Evidenzlevel von Ia und Ib, die einen entsprechend
hohen Empfehlungsgrad rechtfertigen. Damit sind wir nicht mehr auf dem Gebiet der
Komplementärmedizin unterwegs, sondern auf dem Gebiet der konventionellen Medizin,
da hier Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eindeutig belegt sind. Hier geht
es nicht um die komplementäre Anwendung, sondern um eine echte Alternative.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass die Beiträge zu Cimicifuga racemosa und Agnus castus diese Bandbreite verdeutlichen, die ich versucht habe, zu beschreiben. Neue erste
Studien zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden mit dem medizinischen Honig können
wir nur begrüßen, da unsere Patientinnen eben nicht mit Synthetika in den Wechseljahren
behandelt werden wollen, sondern stets nach Alternativen fragen. Trotz schwieriger
legislativer Vorgaben und dem „Abtauchen“ verschiedener hochwertiger Arzneimittel
in den Nahrungsergänzungsmittelsektor sollten wir uns nicht hinreißen lassen, die
Evidenz mit zweierlei Maß zu messen. Als Ärzte brauchen wir eine möglichst hohe Evidenz.
Diese ist glücklicherweise auf dem Gebiet der Gynäkologie eindeutig zu haben, obwohl
wir auch hier Indikationslücken zu beklagen haben.
Es grüßt Sie herzlich