Inkontinenz ist eine Volkskrankheit, über die Betroffene schamvoll schweigen. Jede
vierte Frau leidet unter unkontrolliertem Urinverlust. Doch Inkontinenz ist kein Lebensschicksal,
das Betroffene ohne Aussicht auf Heilung hinnehmen müssen. Auf dem Jahreskongress
der Deutschen Kontinenz Gesellschaft im November 2014 in Frankfurt wurden aktuelle
Therapieoptionen und die Herausforderungen der Zukunft diskutiert.
Mit zunehmendem Alter – und noch gravierender – mit dem Ortswechsel in ein Senioren-
oder Pflegeheim steigen die Harninkontinenzraten dramatisch an. Nach Berechnungen
des Deutschen Krankenhausinstituts werden bis zum Jahr 2019 jedoch über 37 000 Ärzte
in den Praxen und Krankenhäusern fehlen. Wer soll also diese Patienten versorgen?
Prof. Klaus-Peter Jünemann, Erster Vorsitzender der Deutschen Kontinenz Gesellschaft
und Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,
plädiert für speziell ausgebildete Kontinenzschwestern nach österreichischem Vorbild.
„Sie müssen aber auch in der Lage sein, die einfachen differenzialdiagnostischen Schlüsse
zu ziehen, um daraus therapeutische Konsequenzen entwickeln zu können.
Übergewicht und Adipositas sind Mitursache für Krankheiten wie Diabetes, Krebs und
Herz-Kreislauf-Leiden – häufig vergessen werden sie aber als Risikofaktor für Harninkontinenz.
Mehrere Studien zeigen, dass das Risiko für das Auftreten einer Inkontinenz bei adipösen
Frauen rund doppelt so hoch ist wie bei normalgewichtigen Frauen. In einer großen
randomisierten prospektiven Studie an 338 inkontinenten Frauen wurden die Auswirkungen
einer Änderung des Lebensstils untersucht. Das Ergebnis zeigt, dass mit Ernährungsumstellung
und Bewegung ein deutlicher Rückgang der Inkontinenzepisoden zu verzeichnen ist. „Die
Folgeerkrankung Harninkontinenz kann durch Lebensstilmodifikationen, die im Wesentlichen
mit einer Gewichtreduktion und vermehrter Bewegung einhergehen, in vielen Fällen erfolgreich
behandelt werden“, lautet das Fazit von Prof. Axel Haferkamp, Direktor der Klinik
für Urologie und Kinderurologie am Universitätsklinikum Frankfurt.
Die richtige Ernährung spielt auch eine große Rolle bei Patienten mit Mastdarmkrebs,
die nach einer Operation mit Erhalt des Schließmuskels mit Stuhlproblemen wie erhöhten
Toilettengängen zu kämpfen haben. „Wir weisen unsere Patienten immer darauf hin, dass
sich die Kontinenzfunktion im Laufe des ersten Jahres deutlich verbessern kann“, betont
Prof. Wolf Otto Bechstein, Direktor der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie
am Universitätsklinikum Frankfurt. Durch Hinweise zur Ernährung und die Gabe von Medikamenten
zur Reduzierung der Stuhlhäufigkeit sowie Beratung zur Analhygiene lassen sich die
funktionellen Folgen der Mastdarmkrebsoperation lindern.
Der Beckenboden ist mit seinen alltäglichen Funktionen wie Harnkontinenz und Darmkontinenz
als entscheidende Zone auch für das sexuelle Erleben hochrelevant. Der nicht gewollte
Verlust von Urin als gravierender Einschnitt für das Sexualleben ist ein großes Problem
für Frauen – auch jüngere Frauen, die nach Schwangerschaft an Inkontinenz leiden.
Prof. Sven Becker, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum
Frankfurt, weiß: „Diese Frauen haben natürlich auch Angst vor dem unwillkürlichen
Verlust von Urin während des Geschlechtsverkehrs, was unweigerlich zu Vermeidungsstrategien
führt.“ Inzwischen steht eine Vielzahl von konservativen, physiotherapeutischen und
medikamentösen aber auch operativen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Nach einer Pressemitteilung (Deutsche Kontinenzgesellschaft)