Schlüsselwörter Schlucken - Dysphagie/Ätiologie/Diagnostik - Aspiration - Oropharynx/Pathophysiologie
- Laryngoskopie
Key words swallowing - disorders/etiology/diagnostics - aspiration - oropharynx/pathophysiology
- laryngoscopy
1. Einleitung
Der Begriff der Dysphagie umfasst alle schmerzlosen Einschränkungen der
Nahrungsaufnahme und des geregelten Transportes von Nahrung und ist eher eine
Symptombeschreibung als eine Diagnose. Der Schluckvorgang als zentrale Funktion
dient dem Transport von Speichel, Sekret, Flüssigkeit und Nahrung aus dem
Mund über den Schlund und die Speiseröhre in den Magen.
Schluckstörungen werden neben neurologischen und muskulär bedingten
Erkrankungen durch tumor- oder operationsbedingte Veränderungen im Kopf-,
Halsbereich, Ösophagus und Magen ausgelöst oder verstärkt
[1 ].
Dabei spielen Lokalisation, Behandlungsart, Heilungsverlauf und Prognose der
organischen Grunderkrankung eine große Rolle für das Ausmaß
der Dysphagie und deren Behandelbarkeit.
In diesem Positionspapier sollen Anamnese, klinische Untersuchung, Endoskopie,
diagnostische Bewertung der Befunde und Entscheidung über therapeutische
Möglichkeiten und deren Konsequenzen dargestellt werden, die
ärztlicherseits bei Patienten mit Dysphagie unternommen werden sollten. Die
Endoskopie des oberen Aerodigestivtraktes nimmt eine Schlüsselposition in
der Dysphagiediagnostik ein. Der Phoniater oder HNO-Arzt/Kopf- und
Halschirurg beurteilt bei der Endoskopie nicht nur den funktionellen Schluckvorgang,
sondern auch mögliche strukturelle Veränderungen des oberen
Aerodigestivtraktes. Die flexible endoskopische Schluckuntersuchung (FESU) bildet
die Grundlage des ärztlichen Handelns in diesem Positionspapier der
Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und
Halschirurgie (DGHNO-KHC) und der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und
Pädaudiologie (DGPP). Sie ist nicht gleichzusetzen mit der flexiblen
endoskopischen Bewertung des Schluckens (flexible endoscopic evaluation of
swallowing – FEES), ein Begriff für einen standardisierten
Untersuchungsablauf mit einer systematischen Auswertung der dabei erhobenen Befunde
[2 ].
Die flexible Endoskopie verlangt eine sichere Handhabung des Endoskops sowie profunde
Kenntnisse über die Anatomie, die Physiologie und die Pathophysiologie der
oberen Speise- und Luftwege. Mögliche Komplikationen bei der Vorbereitung
und der Durchführung der flexiblen Endoskopie macht das Bereithalten einer
entsprechenden Notfallausrüstung und den geschulten Umgang damit
erforderlich. Bei der flexiblen Endoskopie sind differenzialdiagnostische
Überlegungen relevant, da die Symptomatik einer Dysphagie mehrdimensional
sein kann.
Aus rechtlicher Sicht ergibt sich:
Die flexible Endoskopie setzt eine Aufklärung über die wesentlichen
Risiken des Eingriffs und Zustimmung des Patienten voraus. Sie darf
ausschließlich von Ärzten durchgeführt werden. Die flexible
Endoskopie des Aerodigestivtraktes gehört zum Fachgebiet der Hals-, Nasen-
und Ohrenheilkunde bzw. der Phoniatrie und Pädaudiologie [3 ].
2. Anatomische Grundlagen und Physiologie des Schluckens
2. Anatomische Grundlagen und Physiologie des Schluckens
2.1 Prä- und postnatales Schlucken
Zwischen den ersten zu beobachtenden Schluckvorgängen in der 11.
– 12. Schwangerschaftswoche (SSW) und einer weitgehenden Vervollkommnung
der Schluckkompetenz mit ca. 4 Jahren liegt eine sehr komplexe strukturelle
sowie funktionelle Entwicklung [4 ].
In der Embryonalperiode, 1. – 8. SSW, sind folgende Entwicklungsstufen zu
beobachten: in Woche 3 bildet sich ein primitiver Mund, in Woche 4
Kiemenbögen und Schlundtaschen, aus denen sich später Gesicht,
Nase, Mund, Larynx und Pharynx entwickeln.
Während der Fetalperiode, 9. SSW bis Geburt, beobachtet man folgendes: in
Woche 10 ist die Glottis geöffnet, in Woche 13 – 16 beginnt das
pharyngeale Schlucken mit getrennt ablaufenden Bewegungen von Lippen, Mund,
Pharynx und Ösophagus. In den Wochen 17 – 20 setzen
Saugbewegungen ein. In den Wochen 26 – 29 treten primitive Reflexe wie
phasisches Beißen oder Würgen auf. Der Fetus stimuliert seinen
Mund, reagiert mimisch auf bittere Stoffe im Fruchtwasser und schluckt bis zu
400+ml Fruchtwasser täglich. Ab Woche 32 kann der Fetus saugen
und schlucken, sodass Frühgeborene ab diesem Alter grundsätzlich
gestillt werden oder Flaschennahrung zu sich nehmen können.
Nach der Geburt sind frühkindliche Reflexe zu beobachten, die mit der
Nahrungsaufnahme und dem Schlucken zusammenhängen. Dazu gehören
Husten, Würgen, phasisches Beißen, der transversale
Zungenreflex/die Protrusion, der Suchreflex (Rooting), der Greifreflex
(Halten von Nahrung), der Babkin-Reflex (Hand-zum-Mund-Koordination) und der
palmomentale Reflex (Hand-zum-Mund-Koordination). Diese primitiven Reflexe
werden im Laufe des ersten Lebensjahres durch die Reifung des Gehirns sukzessive
unterdrückt.
Allgemein sind am Schluckvorgang 50 Muskelpaare und 5 Hirnnerven beteiligt.
Während des Schluckens setzt die Atmung aus (sogenannte
„Schluckapnoe“) und der Larynx verschließt sich. Dadurch
wird der Schutz der tiefen Atemwege sichergestellt.
2.2 Phasen des Schluckens
Die Phasen des Schluckens sind für flüssig und fest bzw. halbfest
unterschiedlich. Flüssigkeiten werden von der Mundhöhle ohne
Unterbrechung in die Speiseröhre geschluckt. Die Phasen des Schluckens
bei festen bzw. halbfesten Speisen werden nach der jeweiligen Lokalisation des
Speisebolus eingeteilt. Sie gehen ineinander über. Es werden
unterschieden:
Präorale oder antizipatorische Phase
Orale Vorbereitungsphase
Orale Phase
Pharyngeale Phase
Ösophageale Phase
2.2.1 Präorale oder antizipatorische Phase
Speisen und Getränke werden vor dem Öffnen des Mundes einer
Kontrolle (Geruch, Temperatur, Aussehen) unterzogen. Die Berührung
der Speisen mit den Lippen rundet diese Prüfung ab.
2.2.2 Orale Vorbereitungsphase
In der oralen Vorbereitungsphase wird die Nahrung erneut auf Geruch,
Geschmack, Temperatur und Volumen geprüft. Bei Missfallen kann der
Bolus wieder ausgespuckt werden, d.+h. diese Phase ist
willkürlich beeinflussbar, jedoch automatisiert. Ein positives
Feedback wirkt sich stimulierend auf die Schluckreflextriggerung aus. Die
orale Vorbereitungsphase dient der Bolusformung und -platzierung.
Zunächst erfolgt die Aufnahme, ggf. Zerkleinerung der Nahrung, und
die Vermischung mit Speichel.
Die mimische Muskulatur bewirkt den suffizienten Lippenschluss u. a.
durch die tonische Spannung des M. orbicularis oris; der M. buccinator
reguliert den Wangentonus. Seitlich in den Mundvorhof ausgewichene
Nahrungsteile werden zurück zwischen die Zähne geschoben.
Der VII. Hirnnerv, N. facialis, innerviert die mimische Muskulatur. Das
Kiefergelenk wird durch den beweglichen Kopf des Unterkiefers (Caput
mandibulae) und seine bewegliche Knorpelscheibe (Discus articularis) und die
knöcherne Unterkiefergrube (Fossa mandibularis) gebildet.
Für die Mahlbewegung des Kauens ist vor allem die seitliche Bewegung
des Unterkiefers wichtig. Die 32 Zähne des Erwachsenen sind mit
ihren Wurzeln fest im Ober- und Unterkiefer verankert und stehen leicht
versetzt in der Schlussbissstellung (Okklusion). Das Kauen ist eine
zyklische Bewegung mit exakt aufeinander abgestimmten Kiefer-, Wangen-,
Zungen- und Hyoidbewegungen. Durch die sensomotorische Kontrolle
können Bissverletzungen vermieden werden. Zur Kaumuskulatur
gehören 4 Muskeln, die von Ästen des N. mandibularis
versorgt werden. Der M. temporalis, der M. masseter und M. pterygoideus
medialis, der auch eine Vorschubbewegung bewirkt, schließen den
Kiefer. Der M. pterygoideus lateralis öffnet bei beidseitiger
Kontraktion den Mund.
Den knöchernen Rahmen für den Mundboden bildet der
Unterkiefer. Innen auf seiner Unterseite verlaufen längs der M.
geniohyoideus und quer der M. mylohyoideus.
Die Zunge formt den Bolus und schiebt ihn zwischen die Zähne
(Zungenspitze und Zungenränder schieben sich an die Alveolen) der
Speichel weicht den Bolus zu einer homogeneren Masse ein. Ein vorzeitiges
Abgleiten der Nahrung in den Pharynx wird durch die Anhebung des
posterodorsalen Teils der Zunge und Senkung des Gaumensegels verhindert.
Am Ende der Vorbereitungsphase öffnet sich der Verschluss zwischen
posterodorsaler Zunge und Gaumensegel kontrolliert und leitet damit den
Übergang von der oralen in die pharyngeale Phase ein.
Während des Kauens gleiten Teile der zerkleinerten Speisen
über die V-förmig abgesenkte Zungenmitte (Zungenfurche) in
die Valleculae.
In dieser Phase kann man unter dem Schutz der Epiglottis mit im Oropharynx
liegendem Bolus sprechen, ohne dass das Risiko einer Aspiration besteht
[5 ]. Bei halbflüssigem Bolus
kommt es früher zum Überlauf. Gleiten Teile des Bolus
über die wichtige Triggerzone der Plicae pharyngoepiglotticae
hinweg, wird der Schluckreflex ausgelöst.
Kleine Flüssigkeitsmengen können zwischen Zungengrund und
Gaumensegel in die Valleculae gleiten, ohne einen Schluckreflex
auszulösen. Mit dem Ausatmen erreichen die Duftmoleküle des
Bolus über den retronasalen Weg die Regio olfactoria. So gelangen
sensorische Informationen über die Rezeptoren zum Schluckzentrum und
verhindern oder fördern das Schlucken.
Die Dauer der oralen Vorbereitungsphase ist individuell sehr verschieden.
2.2.3 Orale Phase
Die orale Phase dient dem Bolustransport vom Mund in den Oropharynx. Sie kann
willkürlich gesteuert werden. Sie beginnt mit dem Einsatz der
Zungenspitzenbewegung und endet mit der Auslösung des
Schluckreflexes.
Durch den dichten Kontakt der Zungenspitze und der vorderen
Zungenränder an den Alveolen bildet sich eine Zungenfurche
für den Bolus. Die Zungenmuskulatur inseriert im Mundboden. Sie wird
vom N. hypoglossus innerviert. Man unterscheidet die Außenmuskulatur
(M. genioglossus, M. hyoglossus, M. styloglossus) von der Innenmuskulatur
(M. longitudinalis, M. verticalis, M. transversus). Die extrinsische
Zungenmuskulatur zieht bei Kontraktion den gesamten Zungenkörper mit
dem Bolus von vorn nach hinten. Die intrinsische Zungenmuskulatur
befördert den Bolus in einer wellenförmigen Bewegung entlang
des Gaumendaches nach hinten. Das Schließen des Mundes
unterstützt diesen Vorgang. Zwischen Gaumensegel und Zunge kann das
„Gaumensegel-Tor“ differenziert geöffnet werden, um
einige Tropfen oder einen ganzen Bolus passieren zu lassen.
Die orale Phase kann beim Speichelschlucken und/oder Nachschlucken
von Speisen eingeschränkt sein oder fehlen.
2.2.4 Pharyngeale Phase
Der Pharynx ist ein ca. 12 – 15+cm langer Muskelschlauch von
der Schädelbasis bis zum Speiseröhreneingang. In ihm kreuzen
Luft- und Speiseweg. Pharynx und Ösophagus sind zwischen
Schädelbasis und Zwerchfell elastisch aufgehängt.
Gleichzeitig ist der Atemweg mit Hyoid und Larynx zwischen
Schädelbasis und Mandibula einerseits und oberer Thoraxapertur
andererseits über Muskel und Bänder elastisch vergurtet.
Damit wird verständlich, dass das gesamte System, z.+B.
durch eine Hiatushernie, in seiner Funktion beeinflusst wird.
Der Pharynx wird in 3 Etagen unterteilt: Der Nasopharynx reicht vom
Rachendach bis zum Gaumensegel und steht vorne über die Choanen mit
der Nasenhöhle und über die Tuba auditiva mit dem Mittelohr
in Verbindung. Der Oropharynx reicht vom Gaumensegel nach kaudal bis zur
Plica pharyngoepiglottica und öffnet sich nach vorne zur
Mundhöhle. Der Hypopharynx erstreckt sich vorne von der Epiglottis,
seitlich über die aryepiglottische Falte zur Incisura
interarytenoidea. Der Recessus piriformis liegt seitlich von der
aryepiglottischen Falte und zieht bis zum oberen Ende des Ösophagus.
Der Hypopharynx hat Zugang zum Larynx und zum Ösophagus.
Der Pharynxschlauch wird durch die 3 Schlundschnürer, Mm.
constrictores pharyngis, und die Schlundheber, Mm. levatores pharyngis
gebildet. Die Schlundschnürer bestehen aus dem M. constrictor
pharyngis superior (N. glossopharyngeus, N. IX), der sich beim Schlucken als
sog. Passavantscher Ringwulst dem Gaumensegel entgegenwölbt und den
Nasopharynx abschließt. Ein zirkulärer Muskelzug vor den
Nasengängen, der von M. Strahl als Rhinosphinkter bezeichnet wurde,
ist in etwa 9+% der ambulanten HNO-Patienten vorhanden [6 ]. Er schließt kurz vor dem
Velumverschluss und öffnet kurze Zeit nach der Relaxation. Es wird
angenommen, dass er eine Schutzfunktion für den Nasenrachen und
damit für Nase, Nasennebenhöhlen, Tube und Mittelohr
übernimmt.
Weitere Muskeln wie der M. constrictor pharyngis medius (Plexus pharyngeus,
Nn. glossopharyngeus und vagus, N. IX und N. X) und der M. constrictor
pharyngis inferior (N. X) unterstützen das Vorschieben des
Nahrungsbolus.
In der pharyngealen Phase wird der Bolus durch die
Rückwärtsbewegung der Zunge in den Hypopharynx
gedrückt. Während einer ruhigen Endoskopie sieht man, wie
der Bolus in der leicht eingekerbten Mitte der Zunge unter der beweglichen
Uvula durch in die Vallecula gleitet. Das Zungenbein wird angehoben und
bewegt sich nach ventral. Der Kehlkopf wird, unterstützt durch den
M. thyrohyoideus, nach vorne oben gezogen, und es entsteht durch die
Öffnung des Hypopharynx (Raumerweiterung) eine Sogwirkung.
Gleichzeitig setzen die Verschlussmechanismen ein: das Gaumensegel hebt sich
an die Rachenhinterwand, der Kehldeckel legt sich über den Kehlkopf,
der supraglottische Raum verengt sich, die Stimmlippen und Taschenfalten
schließen sich und die Aryknorpel kippen in das Lumen und legen sich
über die Stimmlippen. Die Epiglottis hebt sich mit der Kontraktion
des M. thyrohyoideus und senkt gleichzeitig den Oberrand gegen die
Pharynxhinterwand, um den Bolus aufzufangen. Dabei bleibt die Position des
Os hyoideum relativ stabil.
Der Schluckreflex wird je nach Qualität des Berührungsreizes
an den vorderen Gaumenbögen, den plicae pharyngoepiglotticae oder
der postkrikoidalen Schleimhaut ausgelöst [6 ] und ist inter- und intraindividuell variabel, bolus- und
altersabhängig. Er ist willentlich nicht beeinflussbar. Die
Triggerung ist ausschließlich taktil (thermische Reize spielen
physiologisch keine Rolle).
Wässrige Substanzen werden als Kontinuum in Bruchteilen einer Sekunde
abgeschluckt. Dickflüssige und feste Speiseanteile werden in den
Valleculae gesammelt und kaskadenförmig geschluckt. Daher kann man
sich mit einer durch Speise gefüllten Vallecula unterhalten, was bei
Flüssigkeiten ausgeschlossen ist.
Bei Säuglingen ist der harte Gaumen ohne Zähne flacher, und
der Ringknorpel und der Kehlkopf stehen wesentlich weiter kranial als beim
Erwachsenen. Der Kehldeckel schiebt sich hinter den weichen Gaumen, der
Larynx öffnet sich direkt in den Nasopharynx; der Luftweg ist vom
Speiseweg durch den höher stehenden Larynx besser getrennt und vor
Aspiration geschützt. Beim Saugen können Säuglinge
deshalb atmen ohne zu aspirieren, aber beim Schlucken kommt es ebenso wie
beim Erwachsenen zur Schluckapnoe.
Durch die starke Rückwärtsbewegung des Zungengrundes an die
Rachenhinterwand, die ebenfalls kontrahiert, wirkt die Zunge beim
Weitertransport des Bolus wie ein Stempel. Gleichzeitig kommt es zur
Bewegung des Zungenbeins (Os hyoideum) und des Kehlkopfes nach anterior und
superior. Der M. geniohyoideus und M. mylohyoideus bewegen das Zungenbein
beim Schlucken nach vorn oben. Das erweitert den Pharynx und
verkürzt ihn um etwa ein Drittel.
Zum Schutz der tiefen Atemwege schließt sich der Kehlkopf in 4
Ebenen: Stimmlippenschluss, Aneinanderlegen der Taschenfalten,
Annäherung der Aryknorpel an den Petiolus sowie Dorsalkippung der
Epiglottis. Während des Schluckens kommt es zum reflektorischen
Atemstopp.
Zum Abschluss der pharyngealen Phase kommt es zur Öffnung des oberen
Ösophagussphinkters (OÖS), der erstmals von Killian
beschrieben wurde. Nach manometrischen, elektromyografischen und
radiologischen Ergebnissen beschränkt sich die Verschlusszone des
oberen Ösophagussphinkters nicht auf den M. cricopharyngeus. Es
werden kaudale Teile der Pars thyropharyngea des unteren
Schlundschnürers und kraniale Abschnitte der zervikalen
Ringmuskelschicht des Ösophagus funktionell mit einbezogen [7 ]. Ein submuköses Polster der
postkrikoidalen Region hilft als kavernöses Kissen den OÖS
zu verschließen.
Die Öffnung des OÖS verläuft in mehreren
Schritten:
Relaxation
Öffnung
Erweiterung der Öffnung
Kollaps
Schluss
Der OÖS relaxiert ca. 0,1+s vor der Kehlkopfhebung. Durch die
Kontraktion des M. thyrohyoideus mit leichtem Kippen und Aufsteigen der
Epiglottis (Elevation), gefolgt von der Vorwärtsbewegung des Larynx
nach vorne oben, öffnet sich passiv die Muskelschlinge zwischen
Kehlkopf und Rachenhinterwand vor Ankunft des Bolus. Die Kontraktionswelle
der Konstriktormuskulatur drückt mit dem Zungenstempel den freien
Rand der Epiglottis nach unten. Über ihn erreicht der Bolus wie eine
Dachlawine die obere Speiseröhre. Der Bolusdruck beeinflusst die
Weite der OÖS-Öffnung. Sobald der Bolus im Ösophagus
ist und der Larynx und das Os hyoideum in ihre Ruheposition
zurückgekehrt sind, schließt sich der OÖS mit einem
Dauertonus [8 ]. Während das
Gaumensegel bereits erschlafft, wird die Epiglottis durch die noch
bestehende kaudale Kontraktion über dem Larynxeingang geschlossen
gehalten. Sobald die Epiglottis in die Ruheposition zurückgekehrt
ist, öffnet sich der Kehlkopf wieder zur Atmung, und die pharyngeale
Phase ist beendet.
2.2.5 Ösophageale Phase
Die Speiseröhre beginnt etwa in Höhe des 6. Halswirbels und
bildet einen ca. 25+cm langen elastischen Muskelschlauch. Die
gesamte Strecke von den Schneidezähnen bis zum Mageneingang
beträgt ca. 40+cm. Der Ösophagus wird vom N. vagus
über den Plexus oesophageus und vom Truncus sympathicus innerviert.
Die peristaltische Bewegung wird vom N. vagus gefördert, vom
Sympathikus gehemmt.
Der Ösophagus mündet spitzwinklig in den Magen (Incisura
cardiaca, Hisscher Winkel).
Es ergeben sich durch den anatomischen Verlauf 3 Engen: 1. die Angustia
cricoidea (durch den Ringknorpel), die engste Stelle des Ösophagus
(ca. 15+mm Durchmesser), 2. die Angustia aortica (durch die Aorta)
und 3. die Angustia diaphragmatica (durch das Zwerchfell).
Veränderungen der Umgebungsstrukturen im Bereich der Engen
können zu Schluckstörungen führen.
Die obere Enge wird durch den OÖS verschlossen. Die
Speiseröhre besteht im obersten Viertel aus quergestreifter, im
zweiten Viertel zusätzlich aus glatter und in der unteren
Hälfte nur aus glatter Muskulatur. Die Muskelfasern verlaufen
außen schraubenförmig (äußere
Längsmuskelschicht) und innen schräg oder zirkulär
(innere Ringmuskelschicht). Sie bilden eine funktionelle Einheit [9 ].
Bei der Peristaltik unterscheidet man eine primäre und eine
sekundäre Welle. Die Beförderung des Bolus mit der
reflektorischen primären Welle benötigt zwischen 4 und
40+s bis zum Magen. Flüssigkeiten können bei
Öffnung des oberen und insuffizientem unterem
Ösophagussphinkter (UÖS) in nur einer Sekunde durch die
Stempelkraft von Zunge, Mundboden und Killian-Muskel in den Magen gespritzt
werden. Besteht eine Hiatushernie, verliert die Speiseröhre ihre
Spannung und kollabiert. Bei aufrechter Position wird der Bolustransport
durch die Schwerkraft unterstützt.
Durch mechanische Reizung (Speisereste) an der Wand wird die
sekundäre Welle ausgelöst. Sie fungiert als sogenannte
Reinigungswelle. Die Speiseröhre besitzt eine hohe
Längsspannung, sodass es grundsätzlich möglich ist,
auch im Kopfstand zu schlucken.
2.3 Zentrale Steuerung des Schluckens
Der komplexe Steuerungsvorgang des Schluckens findet in verschiedenen
Hirnstrukturen statt. Es bestehen Verbindungen in beiden Richtungen zwischen dem
Großhirnkortex, den kortikobulbären Bahnen, dem Hirnstamm und
der peripheren Schluckmuskulatur.
In der oberen Medulla oblongata liegen Strukturen, die als „Central
Pattern Generators for Swallowing“ (CGPs) bezeichnet werden [10 ]. Man unterscheidet einen dorsomedialen
(„Dorsal Swallowing Group“, DSG) von einem ventrolateralen
(„Ventral Swallowing Group“, VSG) Anteil. Im dorsalen Anteil
wird das räumlich-zeitliche Zusammenspiel der Schluckmuskeln
koordiniert. Der Nucleus tractus solitarii ist Teil der hinteren Schluckgruppe
und verarbeitet sensible Reize aus dem oropharyngolaryngealen Bereich
(Temperatur, Berührung usw.). Von der ventralen Gruppe werden diese
Informationen an die schluckrelevanten Hirnnervenkerne (V, VII, IX, X und XII)
weitergeleitet.
Die schluckrelevanten Bereiche des Kortex sind u.+a. das frontoparietale
Operkulum und die vordere Insel, die vor allem beim willkürlichen
Schlucken aktiv ist [11 ].
Unabhängig von der Händigkeit besteht eine interindividuell
unterschiedliche Schluckdominanz; d.+h. eine Seite des Großhirns
besitzt einen größeren Schluckkortex als die andere [12 ].
Nach zahlreichen Untersuchungen (fMRT, PET, Läsionsstudien u. a.)
der letzten Jahre geht man davon aus, dass wahrscheinlich die linke
Hemisphäre eher für die orale Vorbereitungsphase und die orale
Phase zuständig ist, während die rechte Hemisphäre eher
in der pharyngealen Phase dominiert [13 ]
[14 ]. Typisch für einseitige
Läsion des dominanten Schluckkortex ist eine verzögerte
Schluckreflextriggerung [15 ].
Die ösophageale Phase läuft weitgehend selbstständig ab,
unterliegt aber auch zentralen Einflüssen, vor allem aus der Medulla
oblongata [16 ].
Ein Zusammenfassung der verchiedenen Schluckphasen zeigt [Tab. 1 ].
Tab. 1 Phasen des Schluckvorganges (nach [17 ]).
Phase
Funktionsablauf
Dauer
Motorische Steuerung
orale Vorbereitungsphase
Aufnahme, Zerkleinerung der Nahrung, Durchmischung mit
Speichel, Bolusformung durch die Zunge, Sammlung in der
„Zungenschüssel“, Abschluss der
Mundhöhle durch Velum-Zungenbasiskontakt
variabel (abhängig von Gewohnheit, Beschaffenheit der
Nahrung)
willkürlich
orale Transportphase
Beförderung des Bolus in die hintere
Mundhöhle durch Anhebung und
Rückwärtsbewegung der Zunge
≤ 1 s
willkürlich
pharyngeale Phase
Auslösung des Schluckreflexes, Transport des Bolus im
Pharynx durch Stempeldruck der Zunge und die
Pharynxperistaltik, Verschluss des Nasopharynx, Anhebung,
Vorwärtsbewegung und Verschluss des Larynx,
Öffnung des oberen Ösophagussphinkters
(OÖS)
≤ 1 s
reflektorisch
ösophageale Phase
Transport des Bolus durch den Ösophagus durch
peristaltische Wellen, Öffnung des unteren
Ösophagussphinkters (UÖS)
4+–+40+s
reflektorisch
3. Klinik der Dysphagien
3.1 Pathophysiologie des Schluckens
3.1.1 Dysphagieeinteilung nach Lokalisation
Je nach Lokalisation rufen Läsionen bestimmte Symptome hervor. [Tab. 2 ] zeigt eine entsprechende
Zusammenstellung.
Tab. 2 Symptome oropharyngealer und ösophagealer
Dysphagie (modifiziert nach [18 ]).
oropharyngeale Dysphagie
Drooling mangelnde orale Boluskontrolle und
Transport Residuen im Cavum
oris Schwierigkeiten, den Schluckvorgang
einzuleiten nasale
Penetration Steckenbleiben von Nahrung im Hals,
Husten, Räuspern,
Regurgitation Änderung des Stimmklangs
während oder direkt nach dem Essen, Trinken oder
der Medikamenteneinnahme verlängerte
Essdauer Notwendigkeit einer Änderung der
Nahrungskonsistenz verstärkte
Verschleimung gehäufte Infekte,
Pneumonien Gewichtsabnahme
ösophageale Dysphagie
Halsschmerzen, thorakale Schmerzen, Brennen in der
Herzregion Globusgefühl (physiologisch
bei gefülltem Magen, bei Überlauf in die
Speiseröhre und bei dem resultierenden
Rückfluss in die obere
Speiseröhre) Regurgitation von Speisen
und Tabletten rezidivierende Pneumonien oder
Exazerbation von Asthma und COPD Hustenattacken
beim Hinlegen nach dem
Essen „Feststecken“ von Nahrung
im Hals, hinter dem Brustbein Gewichtsabnahme
Dysphagien können prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten.
Pathophysiologische Aspekte im Kindesalter werden im Kapitel
„Dysphagiediagnostik bei Kindern“ besprochen.
Störungen der präoralen Phase können als mangelndes
Hunger- oder Durstgefühl, unzureichende visuelle Erfassung der
Nahrung oder manuelle Unzulänglichkeiten bei der mundgerechten
Zerkleinerung der Nahrung beobachtet werden [19 ]. Diese Probleme werden hier nicht näher
beschrieben.
3.1.2 Strukturveränderungen
In ruhiger Respiration beurteilt man Schleimhautbeschaffenheit, Symmetrie der
Strukturen, Defekte, Narben, Ödeme und Vorwölbungen der
Rachenhinterwand. Bei Patienten nach Kopf-/Hals-Tumortherapie
können Veränderungen der Schleimhaut das
Schluckvermögen beeinträchtigen. Mukosaveränderungen
sind Rötung, Schwellung, Ulzera, später auch Atrophie,
narbige Veränderungen und Trockenheit ([Abb. 1 ]). Eine Verplumpung der Epiglottis schränkt die
normale Dorsalflexion während des Schluckens ein und ist damit ein
Aspirationsrisiko [20 ].
Abb. 1 Transnasale Endoskopie 8 Tage nach
Cricohyoidoepiglottopexie, postoperative Schwellung ohne erkennbares
Lumen, Aspiration und Speichelretention.
Eine Refluxsymptomatik gefährdet Patienten mit Dysphagie besonders,
da Magensaft aspiriert werden kann. Refluxzeichen sind Ödeme der
Larynxstrukturen, ein Pseudosulkus der Stimmlippen durch ein
infraglottisches Ödem von der vorderen Kommissur bis zur Hinterwand
des Larynx, eine Verdickung der Schleimhaut der Interarytenoidregion, eine
verstärkte Gefäßzeichnung, Ulzera und Granulationen
von Aryknorpeln und Stimmlippen sowie zäher Schleim in Hypopharynx
und Larynx [21 ]
[22 ].
3.1.3 Paresen
Zentrale und periphere Paresen können einen ungenügenden
Glottisschluss während des Schluckens verursachen. In einer Studie
mit 2 650 Patienten mit Dysphagie wiesen 4,5+% der
Patienten Stimmlippenparesen auf. Die Aspirationsrate betrug bei einer
rechtsseitigen Parese 37+%, bei einer linksseitigen
42+% und bei beidseitiger Parese 50+%. Das
Aspirationsrisiko, insbesondere bei Flüssigkeiten, war 2,5-fach
höher als für Patienten ohne Parese [23 ]. Aufgrund der über die
Stimmlippenbeweglichkeit hinausgehenden motorischen und sensiblen Funktionen
erhöht sich bei Lähmung von N. glossopharyngeus, N. vagus
und N. hypoglossus das Aspirationsrisiko nochmals erheblich ([Abb. 2 ]
[3 ]).
Abb. 2 72-jährige Patientin mit Zungengrundstruma und
linksseitiger Stimmlippenparese. Sichtbare Speichelretentionen im
Recessus piriformis, Penetration, stille Aspiration.
Abb. 3 70-jährige Patientin mit beidseitiger
Stimmlippenparese nach totaler Thyroidektomie, Neck dissection,
Radiatio. Chronische Radiodermatitis. Larynx durch Vernarbung
deutlich nach ventral verlagert. Eingeschränkte
supraglottische Sensibilität. Der OÖS ist offen,
Schaumspeichelpooling. Penetration.
3.1.4 Hyperkinesen
Unwillkürliche rhythmische Bewegungen des Gaumensegels, der
Rachenhinterwand und des Kehlkopfs mit Frequenzen von 1 –
3+/s mit schnellerer Adduktions- und langsamerer
Abduktionskomponente sind besonders häufig bei Patienten mit
Kleinhirn- und/oder Hirnstammläsionen sowohl in Ruhe (sogar
im Schlaf) als auch bei willkürlichen und reflektorischen Bewegungen
vorhanden. Sie sind bisweilen schon von außen an nystagmusartigen
Bewegungen des Kehlkopfs und/oder des Mundbodens/der
Halsmuskulatur erkennbar. Da der Glottisschluss zwar möglich, aber
zeitlich nicht mit den Schluckphasen synchronisiert ist, kann es durch den
funktionell insuffizienten Glottisschluss zur Aspiration kommen [24 ].
3.1.5 Sensibilitätsstörungen
Hinweise auf eine Sensibilitätsstörung des Kehlkopfs sind
Überlauf von Speichel oder Speisebrei in die Glottis mit und ohne
Hustenreflex, Reizerscheinungen in Glottis und Subglottis in Form von
Rötung und Gefäßinjektion sowie gurgelnde und raue
Stimmqualität ([Tab. 3 ]).
Tab. 3 Übersicht zur Nomenklatur von Symptomen
bei Schluckstörungen.
Drooling
Herauslaufen des Bolus oder Speichels aus dem Mund
Regurgitation
Hochwürgen von Nahrung
Leaking
Herabgleiten des Bolus in den Rachen vor
Auslösung des Schluckreflexes aufgrund
gestörter Oralmotorik und/oder
Sensibilität mit beeinträchtigter
Boluskontrolle
Pooling
Ansammlung von Substanzen im Hypopharynx aufgrund
fehlender oder verspäteter Auslösung des
Schluckreflexes
Residuen oder Retentionen
Ansammlungen von Speichel, Sekret und Bolusanteilen in
der Mundhöhle, an den Hypopharynxwänden,
in den Valleculae, den Recessus piriformes und in der
Postkrikoidregion
Penetration
Eintreten von Speichel, Sekret oder Bolusanteilen in den
Kehlkopf ohne Durchtritt durch die Stimmlippenebene
Aspiration
Durchtritt von Speichel, Sekret oder Bolusanteilen durch
die Stimmlippenebene
nasale Regurgitation/Penetration
Übertritt von Speichel, Sekret oder Bolusanteilen
in den Nasopharynx, die Nasenhaupthöhle oder aus
der Nase heraus
Speichel und Sekretansammlungen an den Hypopharynxwänden, in den
Valleculae, den Recessus piriformes und in der Postkrikoidregion sind immer
Zeichen einer Schluckstörung. Sie können auch im Aditus
laryngis, in der Glottis und in der Subglottis bis zur Trachea beobachtet
werden. Lösen sie keinen Hustenreflex aus, handelt es sich um eine
stille Aspiration („silent aspiration“), die auf
längere Frist lebensbedrohlich sein kann – umso mehr, wenn
der Patient auch willkürlich nicht abhusten kann.
Die Erfassung von Speichel- und Sekretansammlungen ist wichtig für
die Einschätzung der Gefährdung eines Patienten mit
Dysphagie [25 ]
[26 ]. Hier ist die endoskopische Untersuchung
eindeutig im Vorteil, da diese Substanzen radiologisch nicht visualisierbar
sind [27 ].
Bei fehlender Sensibilität kommt es vor Auslösung der
reflektorischen pharyngealen Phase zu einem vorzeitigen, unkontrollierbaren
Eintritt von Substanzen in den Pharynx, einer Ansammlung von Substanzen im
Hypopharynx, zu einer prädeglutitiven
Penetration/Aspiration. [Tab. 3 ]
fasst die Begriffe zur Beschreibung von Schluckstörungen
zusammen.
Tab. 3a Altersbedingte Veränderungen in den
einzelnen Schluckphasen, die zu einer Presbydysphagie
führen können (modifiziert nach [19 ]).
Orale Phase
Pharyngeale Phase
Ösophageale Phase
–
Schmeck-/Riechstörung –
Verminderung der oralen
Sensibilität –
Einschränkung der Kaufunktion –
reduzierte Speichelproduktion –
Einschränkung der orofazialen
Motorik – Abnahme der tonischen
Zungenkraft – Störung der
Phasenkoordination – Verzögerte
Schluckreflextriggerung als Einleitung der pharyngealen
Phase
– erweiterte Pharynxstrukturen –
verringerte Pharynxstabilität –
stärkere Larynxelevation –
verspätet einsetzende
Hyoidverlagerung – vermehrtes Auftreten
einer krikopharyngealen Barriere –
reduzierter Ruhetonus des oberen
Ösophagussphinkters – reduzierte
Öffnung des
Ösophagussphinkters – vermehrter
Kraftaufwand für den
Bolustransport – Reduktion der maximalen
Krafterzeugung – verlängerte
pharyngeale Transitzeit –
Sensibilitätsverlust der Pharynxmukosa
– erweitertes
Ösophaguslumen – rigide
Ösophaguswand – Abnahme der
Ganglienzellen des Plexus myentericus –
reduzierte
Ösophagussensibilität –
reduzierte oder ausbleibende sekundäre
Ösophagusperistaltik – reduzierte
ösophageale Kontraktionskraft –
eingeschränkte Funktion des unteren
Ösophagussphinkters (fraglich)
Eine verzögerte Schluckreflexauslösung ist charakterisiert
durch verzögerte Anterior- und Aufwärtsbewegung der
Aryknorpel [28 ]
[29 ], verzögerte Anhebung und
Rückführung des Zungengrundes. Beim Gleiten des Bolus in die
Valleculae bzw. die Recessus piriformes hebt sich der Kehlkopf
verzögert an und die Epiglottis neigt sich nicht
dorsalwärts.
Die Dorsalflektion der Epiglottis während der pharyngealen Phase ist
ungenügend und verkürzt, was sich indirekt aus der Dauer des
„white out“ (die durch Berührung mit der Schleimhaut
beim Larynxverschluss bedingte Überblendung der Kamera) bei der
fiberoptischen Schluckuntersuchung ableiten lässt [29 ]
[30 ].
Nach Ablauf der pharyngealen Phase können transnasal oder transoral
die klassischen Zeichen für eine Dysphagie [31 ] beobachtet werden ([Abb.
4 ]).
Abb. 4 Kehlkopfschema mit Lokalisation von Residuen
(1–5), Penetration (6–9), Aspiration (10) [31 ].
Residuen von Substanzen an den Pharynxwänden, in den
Valleculae und den Recessus piriformes, in der Postkrikoidregion
mit/ohne Versuch des Rachenreinigens
Penetration von Substanzen in den Larynxeingang: an die laryngeale
Fläche der Epiglottis, über die aryepiglottische
Falten, über die Interarytenoidregion ohne/mit
Auslösung eines Hustenreflexes
Aspiration von Substanzen in die Glottis, in die subglottische Region
ohne/mit Auslösung eines Hustenreflexes
3.1.6 Krikopharyngeale Funktionsstörungen
Die krikopharyngealen Funktionsstörungen durch Sphinkterhypertrophie
mit funktioneller Stenose sind sekundär meist Folge einer
Einschränkung der Exkursion von Zungenbein und Larynx.
Primär sind sie Folge einer Koordinationsstörung zwischen
pharyngealer Propulsion und fehlender ösophagealer Relaxation,
z.+B. nach Hirnstammläsionen, beim idiopathischen
Parkinsonsyndrom oder bei Myositiden. Krikopharyngeale
Funktionsstörungen führen zur Retention von Speise im
krikopharyngealen Übergang mit der Gefahr einer insbesondere bei
Kindern und alten Menschen postdeglutitiven, potenziell lebensbedrohlichen
Aspiration. Eine krikopharyngeale Funktionsstörung bei Patienten
nach einer Laryngektomie wird durch eine adjuvante Radiatio oft noch
verstärkt und erschwert nicht nur das Schlucken, sondern auch die
Phonation über die Stimmprothese durch eine verminderte Luftpassage
mit konsekutiv mangelnder Schwingung des pharyngo-ösophagealen
Segments [32 ].
3.1.7 Presbydysphagie
Die altersbedingten, physiologischen Veränderungen im Schluckvorgang
werden als Presbyphagie bezeichnet [19 ]
[33 ]
[34 ]. Die anatomischen und physiologischen
Prozesse für einen geordneten Schluckvorgang, d.+h. eine
entsprechende Schluckkoordination und die sensomotorische Integration von
unterschiedlichen anatomischen Funktionseinheiten, Muskeln, Nerven und
Hirnzentren, verändern sich beim
„Älterwerden“, speziell im „4.
Lebensalter“, der Demenz. Die Verringerung von Geschmacks- und
Geruchssinn, zerebral-degenerative Prozesse und Veränderungen in
Qualität und Quantität neuro-muskulärer
Koordinationsprozesse beeinflussen die Schluckleistung meistens negativ und
können alle 3 Schluckphasen betreffen. Die
Schluckeffektivität lässt nach und eine Adaptation bei der
Nahrungsaufnahme wird notwendig [19 ]. Die
ösophageale Phase verlängert sich mit zunehmendem Alter.
Diese presbyphagischen Veränderungen werden normalerweise
kompensiert [35 ]. Erst wenn die
Kompensationsstrategien nicht mehr ausreichen, resultiert eine Dysphagie,
für die der Begriff „Presbydysphagie“ steht.
Bei einer pathologischen Erweiterung des oberen Ösophagus wird die
Speise am Ende der pharyngealen Phase, wenn der Druck nachlässt,
wieder in den Pharynx zurückgeworfen. Damit verdoppelt sich die Zeit
für die Boluspassage, ohne dass sich die Epiglottis aufrichtet, von
0,7 auf 1,4+s [36 ]. Dem Patienten
wird ein Schluckproblem bewusst, wenn die Boluspassage auf das 3- bis
4-fache verlängert ist [37 ].
Patienten mit zunehmendem Alter haben darüber hinaus vermehrt
Begleitkrankheiten, die additiv das Schlucken negativ beeinflussen und
ebenfalls eine Dysphagie bedingen können. Hiervon sollte die
Presbyphagie abgegrenzt werden, eine eindeutige Zuordnung dürfte
jedoch häufig schwierig sein [18 ].
[Tab. 3a ] zeigt, welche altersbedingten
Veränderungen in den einzelnen Schluckphasen zu einer
Presbydysphagie führen können.
3.2 Erkrankungen des Kopf-Hals-Gebietes mit Dysphagie
Schluckstörungen sind grundsätzlich lebensbedrohlich. Da die
Folgen nicht akut einsetzen, werden gerade die chronischen Beschwerden bei
Dysphagie meist noch unterschätzt.
Erkrankungen im oberen Aerodigestivtrakt, die zerebrale, neurologische,
traumatologische Ursachen haben sowie Folgen von Tumorbehandlung durch
strukturelle Defekte, Narben, Schädigung von Hirnnerven und Bestrahlung
[17 ] sind, können
Schluckstörungen verursachen.
Eine Hirnverletzung oder Hirnerkrankung ist im Akutstadium häufig mit
Bewusstseinsverlust und Störungen von Atmung und Kreislauf verbunden.
Die Aufrechterhaltung der vitalen Funktionen durch Langzeitintubation und
Sondenernährung kann zusätzlich zur ursächlichen
Erkrankung zu Folgeschäden im Pharynx- und Larynxbereich führen.
Zudem haben Patienten z.+B. mit einem schweren
Schädel-Hirn-Trauma neben der Hirnverletzung häufig weitere
Verletzungen wie periphere Nervenläsionen, Kieferfrakturen und
Weichteilverletzungen. Die Folgen globaler neuropsychologischer
Störungen, wie Minderung von Aufmerksamkeit und Antrieb, können
auch langfristig den Schluckablauf beeinträchtigen.
3.2.1 Orale und pharyngeale Erkrankungen
3.2.1.1 Störungen der präoralen Phase.
Durch angeborene oder erworbene Riechstörungen kann bereits die
präorale Phase gestört sein, zu der das
olfaktorisch-gustatorische Antizipieren der Nahrung und die Anbahnung
des Schluck(reflex)regelkreises mit potentiellem
„Leerschlucken“ oder „Spontansalivation“
gehört.
3.2.1.2 Störungen der oralen Phase.
Zu den kongenitalen Erkrankungen, die vorrangig die orale Phase
beeinträchtigen können, gehören angeborene
Fehlbildungen, wie isolierte oder kombinierte
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKGS), angeborene Lähmungen der
Gesichtsmuskulatur und morphologische Malformationen, z.+B. bei
speziellen genetischen Syndromen ([Abb.
5 ]).
Abb. 5 16-jähriger Patient mit
Johanson-Blizzard-Syndrom. Inkomplett versorgte
Lippen-/Kiefer-/Gaumenspalte und velopharyngeale
Insuffizienz mit Übertritt von Speisen und
Flüssigkeiten in die Nase.
Die Kieferöffnung zur Nahrungsaufnahme und die Kaubewegung des
Unterkiefers können sowohl prä- und postoperativ bei
Tumorerkrankungen aber auch durch strahlungsbedingte Gewebeatrophien
eingeschränkt sein (Trismus). Insbesondere Tumoren in der
Mundhöhle, speziell der Zunge ([Abb.
6 ]), führen zu großen Problemen bei der
Bolusbildung, die sich durch Teilresektion der Zunge und des Mundbodens
noch verstärken ([Abb. 7 ]). Auch
parapharyngeale Tumoren können eine Ursache für
Dysphagie sein ([Abb. 8 ]).
Darüber hinaus verursacht Leaking ggf. einen gestörten
Bolustransport und eine prädeglutitive Aspiration.
Abb. 6 Lymphangiom rechter Zungengrund. Anamnestisch
zunehmend, Störung der oropharyngealen Phase.
Abb. 7 53-jährige Patientin mit linksbetonter
Zungenrekonstruktion nach Hemiglossektomie. Kombinierter
Radialislappen mit neurovaskulärem, infrahyoidalem,
myofaszialem Lappen nach Remmert. Partiell gestörter
Bolustransport der oralen Phase.
Abb. 8 69-jährige Patientin mit rechtsseitigem
parapharyngealem Neurofibrom und zunehmender Dysphagie.
Uvulaverdrängung nach links, Schluckstörung
oropharyngeale Phase.
Weitere erworbene Störungen stellen Vernarbungen nach
Operationen, Frakturen, unterschiedlichste Verletzungen durch exogene
Traumen wie Pfählungen, Verbrennungen oder Schnittwunden dar
([Abb. 9 ]). Bei partiellen
Lähmungen der buccofazialen oder Zungenmuskulatur,
myofunktionellen Störungen oder durch postoperative
Narbenbildungen an der Zunge können die Nahrungsaufnahme, die
Bolusbildung (wegen Beeinträchtigung der Lateralbewegung, der
Schüsselbildung, des Stempeldrucks der Zunge) und der
Bolustransport gestört sein. Selbst kraniomandibuläre
Dysfunktionen behindern die orale Phase, insbesondere die
Kieferöffnung und die Mahlbewegung des Unterkiefers.
Abb. 9 46-jähriger Patient mit persistierender
Dysphagie nach Schussverletzung in den linken Hals mit
Perforation des Pharynx, Notfallversorgung vor 3 Monaten. Keine
Öffnung des Recessus piriformis. Persistierende
Schwellung der linken Aryregion und aryepiglottischen Falte,
Speichelretention. Respiration a , Phonation b .
Das Einspeicheln der Nahrung bedarf einer funktionierenden Salivation.
Die Xerostomie kann durch Medikamente verursacht sein, oder es besteht
z.+B. eine Störung aus dem rheumatischen Formenkreis (M.
Sjögren). Hauptursache für eine Hyposalivation ist
jedoch die strahlenbedingte Zerstörung des
Speicheldrüsengewebes.
Einschränkungen der Velummotilität und des
velopharyngealen Verschlusses beeinträchtigen erheblich die
Lebensqualität. Sie sind bedingt durch kongenitale (LKGS) sowie
traumatisch oder iatrogen bedingte Defekte bzw. durch
Narbenstränge nach ausgedehnten Resektionen von
Oropharynxtumoren. Symptome sind Hyperrhinophonie und Rhinolalie,
eingeschränkte Schluckreflextriggerung, gestörter bzw.
fehlgeleiteter Bolustransport oder vorzeitiges Abgleiten des Bolus in
den Pharynx ohne koordinierten Schluckablauf.
3.2.2 Störungen der pharyngealen Phase
3.2.2.1 Raumforderungen.
Alle pharyngealen Tumoren beeinträchtigen ab einer gewissen
Größe das Schlucken ([Abb.
2 ]
[10 ]). In der Regel sind es
Plattenepithelkarzinome, die häufig erst spät durch eine
Metastasierung eine Dysphagie hervorrufen. Für die Schwere der
Dysphagie sind die Größe des Tumors, die infiltrierten
Strukturen von Hypopharynx und Larynx wie auch der Funktionsverlust
maßgeblich. Speziell Hypopharynxtumoren bleiben lange Zeit
unentdeckt und können sich, da sie keine anatomischen Barrieren
haben, ungehindert ausbreiten. Tumoren die den Larynx und Hypopharynx
befallen, können zu Kombinationen von Dysphagie und Dysphonie
führen. Postoperativ sind bei diesen Tumoren Substanzverlust und
eine veränderte Anatomie die Regel. Dysphagien entstehen
z.+B. durch ein ungehindertes Abgleiten von Substanz in die
Glottis. Schädigungen des N. laryngeus superior im Rahmen von
Teilresektionen oder nach Strumektomie führen zu einem
verminderten Schutzreflex (Husten) und dadurch ggf. zu stillen
Aspirationen. Gerade nach Resektion von Teilen der Epiglottis bzw. der
aryepiglottischen Falte muss das Schlucken neu erlernt werden. Diesen
meist passageren Schluckstörungen müssen die chronischen
Schluckstörungen durch Narbenbildung und ödematose
Schwellungen, z.+B. nach Radiatio gegenübergestellt
werden.
Abb. 10 73-jähriger Patient mit großer
rechtsseitiger innerer und äußerer Laryngozele.
Zunehmende Dysphagie und kloßige Sprache. a
deutlich hervortretende Raumforderung rechter Hals. b
intraoperative Situation.
c Präoperatives endoskopisches Bild.
LC-Laryngozele, EPI-Epiglottis, PH-Pharynxhinterwand. d
Horizontale Computertomografie des Halses mit der großen
rechtsseitigen Laryngozele.
Nach Laryngektomie kann der Bolustransport behindert werden, bspw. durch
narbige Strikturen mit Lumenverengungen des Neopharynx und oberen
Ösophagus im pharyngo-ösophagealen Segment ([Abb. 11 ]). Eine Aspiration kann
über eine tracheoösophageale Fistel mit Stimmventil
entstehen.
Abb. 11 Larynxstenose nach Laryngektomie und
Anschlussbestrahlung. a Vor OP. b
Haut-Platysma-Faszienlappen [279 ].
3.2.2.2 Radiochemotherapie und Dysphagie.
Die Dysphagie ist eine relevante Nebenwirkung der Strahlentherapie bei
Kopf-Hals-Karzinomen und kann potentiell dosislimitierend sein [38 ]. Die Schluckfunktion kann durch
Ödeme, Neuropathien und Fibrosen gestört sein. Akute
Mukositiden und Ödeme beeinträchtigen die
Schluckfunktion während der Bestrahlung. Sie bessern sich jedoch
bei den meisten Patienten deutlich in den Monaten nach der
Strahlenbehandlung oder Radiochemotherapie. Im Gegensatz dazu entwickeln
sich Neuropathie und Fibrosen der oralen, laryngealen und pharyngealen
Muskulatur lange nach Beendigung der Strahlentherapie. Nach Nguyen [39 ] treten Dysphagien häufiger bei
der Radiochemotherapie im Vergleich zur alleinigen Radiatio auf. Eine
Aspiration trat grundsätzlich in beiden Gruppen auf. Frowen et
al. [40 ]
[41 ] berichten über die
Langzeitergebnisse der Dysphagie bei Patienten mit KopfHals-Tumoren, die
6 Monate bzw. 5 Jahre nach der Polychemoradiotherapie bzgl. ihrer
Schluckfunktion untersucht wurden. Ausgeprägte
Schluckstörungen bestanden in den ersten 3 Monaten nach
Radiochemotherapie. Die Dysphagie normalisierte sich nach 6 Monaten. Als
Faktoren für eine schlechtere postoperative Schluckfunktion
wurden ein ehemaliger schwerer Alkoholkonsum, eine fortgeschrittene
Tumorgröße (T4), Tumorlokalisation im Hypopharynx, eine
bilaterale Bestrahlung des Pharynx sowie eine ländliche Herkunft
genannt. Als häufigste Prädiktoren der Dysphagie wurden
die T-Klassifikation, gefolgt von der Alkoholanamnese und der
Bestrahlungsart aufgeführt. Nach 5 Jahren waren
74+% der behandelten Patienten zu ihrem
prätherapeutischen Funktionszustand zurückgekehrt.
Umgekehrt wiesen 24+% eine signifikante Verschlechterung
der Schluckfunktion auch noch nach 5 Jahren auf. Van den Berg et al.
[42 ] beschrieben bei
75+% der Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren eine
Schluckstörung nach Polychemoradiotherapie. Bei
57+% konnten pathologische Befunde in der
Videofluoroskopie beobachtet werden. Nach Gourin et al. [43 ] sind eine prätherapeutische
Dysphagie, Radiochemotherapie und „Salvage-Chirurgie“
signifikante Prädiktoren für eine langfristige Dysphagie
bei älteren Patienten mit einem Kehlkopfkarzinom. Andererseits
können eine langfristige Dysphagie, das Vorliegen einer PEG
und/oder Tracheotomie, Gewichtsverlust, Obstruktion der Atemwege
und Pneumonie mit einer geringeren Überlebensrate assoziiert
sein. Vor allem in Verbindung mit einer Pneumonie ergab sich das
höchste Mortalitätsrisiko bezogen auf eine
5-Jahresüberlebenszeit.
3.2.2.3 Zenker-Divertikel.
Zu den organisch bedingten Störungen der pharyngealen Phase
zählt auch das Zenker-Divertikel. Hierbei entwickelt sich der
Divertikelsack als Schleimhautausstülpung (falsches Divertikel)
zwischen dem unteren horizontalen und dem oberen
schrägverlaufenden Anteil des M. cricopharyngeus ([Abb. 12 ]). Dieser Locus minoris
resistentiae wird auch Killian’sches Dreieck genannt. Das
Divertikel geht meist mit einem Globusgefühl sowie
Regurgitationen von Residuen aus dem Divertikel einher. Komplikationen
des Zenker-Divertikels sind Aspirationspneumonien, Perforationen und
Blutungen.
Abb. 12
a Exponierte Schwelle (S) des Zenker-Divertikels (ZD)
während flexibler Endoskopie. b Intraoperativ mit
Divertikuloskop. c 6 Monate nach transoral endoskopischer
Schwellendurchtrennung mit Stapler, diskrete Restschwelle,
Patient beschwerdefrei.
3.2.3 Störungen der ösophagealen Phase
Entzündungen der Speiseröhre, wie bspw. eine eosinophile
Ösophagitis oder Entzündungen durch Reflux, Soor bzw. Viren
(Herpes oesophagi), behindern zwar nicht den Bolustransport, bereiten aber
unter Umständen starke Schmerzen beim Schlucken ([Abb. 13 ]
[14 ]).
Abb. 13 Ringförmige Narbenstenose distaler
Ösophagus.
Abb. 14 Eosinophile Ösophagitis mit anhaltender
Dysphagie. Z. n. mehrfachen Ösophagoskopien mit
Entfernung von Boli. Zunehmende Rigidität der
Ösophaguswand mit Problemen des Bolustransportes in der
ösophagealen Phase.
Neben Motilitätsstörungen des Ösophagus, die etwa
durch Ösophagusspasmen, Achalasie, Barrett-Ösophagus,
Sklerodermie, Vaskulitiden oder Kollagenosen ausgelöst sind,
können vor allem Divertikel und Stenosen diese Phase stark
beeinträchtigen.
Zu Tumoren des Ösophagus zählen das Adeno- und das
Plattenepithelkarzinom. Dysphagien sind dann Folge des Tumors, der
chirurgischen Therapie und/oder der Radio- oder
Radiochemotherapie.
3.3 Zervikogene Dysphagie
Zervikogene Schluckstörungen können in 3 verschiedene Gruppen
unterteilt werden:
Funktionelle Störungen der Halswirbelsäule (HWS)
Morphologische Ursachen der HWS
Postoperative Dysphagie nach HWS-Operationen über einen
anterioren Zugang
3.3.1 Funktionelle Störungen der Halswirbelsäule mit
Dysphagie
Zervikogene Schluckstörungen und ein Globusgefühl
(Fremdkörpergefühl im Rachen bzw. Hals, unabhängig
von der Nahrungsaufnahme) werden häufig durch eine funktionelle,
reflektorische Störung der Halswirbelsäule (FSH)
hervorgerufen. FSH sind fast ausschließlich in der oberen HWS und
den Kopfgelenken lokalisiert. Sie entwickeln sich entweder
unabhängig von pathomorphologischen Störungen oder als deren
Folge und sind normalerweise vollständig reversibel. Bei Persistenz
können sie aber auch in pathomorphologische Veränderungen
übergehen.
In der Regel sind C2/3 und C3/4 die verantwortlichen
Kennsegmente für die funktionellen Schluckstörungen (FSS).
Ursachen der FSH sind falsche Bewegungsmuster, degenerative
Veränderungen oder Traumata, Schleuderverletzungen und Distorsionen.
Auch Schädelverletzungen können zu schweren und persistenten
FSH und FSS führen [44 ]
[45 ].
FSS können mit Globus-, Kloß- oder
Fremdkörpergefühl einhergehen. Die Patienten beschreiben das
Gefühl, über eine Schwelle schlucken zu müssen. Dies
kann auch mit einem Enge- oder Beklemmungsgefühl im Hals kombiniert
sein. Es besteht keine objektivierbare Ursache für die
Schluckhemmung. Psychische Faktoren können für die
Entwicklung und Unterhaltung der FSS mit verantwortlich sein. Seifert
beschreibt jedoch die vorschnelle Einstufung als psychogener „Globus
nervosus sive hystericus“ als fehlerhaft und therapeutisch
ineffizient [46 ]. Außerdem muss
differenzialdiagnostisch zunächst eine organische Ursache und hier
vor allem eine Tumorerkrankung ausgeschlossen werden.
Die Verspannungen der am Zungenbein ansetzenden Muskeln mit Druckdolenz im
Sinne einer Hyoidtendopathie sind durch Palpation nachweisbar. Die FSH wird
durch die manualtherapeutische Untersuchung der HWS-Segmente
diagnostiziert.
3.3.2 Morphologische Ursachen der Halswirbelsäule mit
Dysphagie
Morphologische Veränderungen der HWS können
entzündliche, degenerative und traumatische Ursachen haben und
betreffen Patienten jenseits des 50. Lebensjahres.
Hierbei unterscheidet man nach Schröter-Morasch
Veränderungen, die die Pharynxhinterwand in Form und Funktion
beeinträchtigen sowie zu einer Einengung des Spinalkanals
führen. Letztere kann zur Kompression der Medulla und/oder
peripherer Nerven und der entsprechenden neurologischen Symptomatik mit
Beeinträchtigung des Schluckaktes führen [47 ].
Degenerative Erkrankungen des Skelettsystems, wie bspw. Spondylitis
ankylosans, Arthrosis deformans oder diffuse idiopathische skelettale
Hyperostose sowie die hereditäre multiple Exostosenbildung
können retropharyngeale Raumforderungen durch Hyperostosenbildung
ausbilden. Asymptomatische zervikale Osteophyten sind jedoch auch in 20
– 30+% der Bevölkerung nachweisbar [48 ].
Die Flexibilität des Pharynxschlauches erlaubt, dass
Deformitäten zwar sichtbar aber nicht symptomatisch sind. Die
Schluckstörung entwickelt sich erst bei
Koordinationsstörungen mit Einschränkungen des
Bolustransportes durch eine verminderte Motilität. Nach Strasser et
al. [49 ] wird eine Dysphagie mit Aspiration
bei Patienten beobachtet, deren zervikale Osteophyten größer
als 1 cm sind.
Folgende Punkte wirken sich auf den Schluckablauf aus [47 ]:
Mechanische Blockierung der Boluspassage, besonders für feste
Speisen.
Behinderung der Dorsalwärtsneigung der Epiglottis und damit
Behinderung des vollständigen Verschlusses des
Larynxeinganges.
Beeinträchtigung der pharyngealen Muskelkontraktion.
Ein Fremdkörpergefühl beim Schlucken wird oftmals als Symptom
der Dysphagie beklagt. Die Dysphagie kann in diesen Fällen auch mit
Kopf- oder Gesichtsschmerzen verknüpft sein.
Knöchern-knorpelige Vorwölbungen der zervikalen
Wirbelkörper oder auch ligamentäre Ossifikationen, wie bei
der diffusen idiopathischen Skeletthyperostose (M. Forestier) ([Abb. 15a, b ]) in den Pharynx und/oder
zervikalen Ösophagus, stellen mechanische Hindernisse dar, die den
Schluckakt behindern können. Die prominenten Osteophyten im Bereich
der Wirbelkörper C2–4 fallen regelhaft im Rahmen der starren
oder flexiblen Endoskopie auf. Durch den insuffizienten Abschluss des
Larynxeinganges durch prominente Osteophyten der Wirbel C3/4,
C4/5 kann eine intradeglutitive Aspiration von Flüssigkeiten
bedingt werden. In der Computertomografie oder dem Röntgen der
Halswirbelsäule kann die Diagnose erhärtet werden.
Differenzialdiagnostisch ist stets eine Tumorerkrankung
auszuschließen.
Abb. 15 Spondylitis hyperostotica (M. Forestier) eines
75-jährigen Patienten, Dysphagie durch prominente
Hyperostosen der HWS. Endoskopiebild zeigt eine deutliche mittige
Vorwölbung der Rachenhinterwand mit enger Beziehung zum
Zungengrund und Epiglottis a . Seitliche
Röntgenaufnahme der HWS des gleichen Patienten mit
sichtbaren knöchernen Anbauten an den Wirbelkörpern
und ligamentären Strukturen (C2–6, siehe Pfeile)
b .
Weiterhin können Fibrosierungen oder auch Spasmen eine Dysphagie
durch den Boluskontakt im Bereich der Osteophyten begünstigen.
Seidler et al. geben 4 Gründe für die Dysphagie bei einer
Hyperostosis an [50 ].
Unvollständiger Schutz der oberen Atemwege durch
eingeschränkte Beweglichkeit der Epiglottis, große
Osteophyten können die Abwärtsbewegung der
Epiglottis blockieren
Unvollständiger Glottisschluss beim Schlucken bedingt durch
Osteophyten, die die Adduktion der Aryknorpel und damit der
Stimmlippen behindern
Einschränkung der Elevation und anterioren Bewegung des
Kehlkopfes
Mechanische Behinderung des Transports des Nahrungsbolus durch
Vorwölbung der Hypopharynxhinterwand.
3.3.3 Postoperative Dysphagie bei HWS-Operationen
Operationen der Halswirbelsäule (HWS) bei Traumata, Dekompressionen
mit Diskektomien oder Wirbelfusionen können zu einer
Beeinträchtigung der pharyngealen Phase des Schluckaktes
führen. Dies tritt vor allem nach HWS-Operationen über den
anterioren Zugang auf. Bei diesem operativen Standardzugang gibt Fountas die
postoperative Dysphagie als häufigste Komplikation mit
9,5+% bei 1 015 Patienten an [51 ]. Nach Mukherjee [52 ] ist die Ätiologie am ehesten multifaktoriell. Die
Dysphagie wird durch pharyngoösophageale Denervation, zervikale
Weichteilschwellung, Vernarbung und Druckschäden [53 ] hervorgerufen ([Abb. 16a, b ]).
Abb. 16 53-jähriger Patient mit HWS-Versteifung und
Revisionsoperation. Persistente Dysphagie. a Linke
Pharynxseitenwand wölbt sich über den Larynx mit
Kontakt zur Epiglottis. b Kleiner Bolus in der Vallecula
(physiologisch). Transportstörung des Karottenbolus im
rechten Hypopharynx.
In der ersten postoperativen Woche treten PD nach anterioren HWS-Operationen
in bis zu 79+%, nach einem Monat bis zu 50 –
56+% und nach einem Jahr bis zu
13–21+% auf [54 ]
[55 ]. Risikofaktoren sind hohes Alter,
weibliches Geschlecht und die Multilevelchirurgie [55 ]
[56 ]. Bartholome und Schröter-Morasch
empfehlen für diese Patienten eine sorgfältige postoperative
Nachbetreuung, damit aufgrund klinischer, endoskopischer und
röntgenologischer Untersuchungen frühzeitig die weitere
funktionelle oder chirurgische Therapie eingeleitet werden kann [47 ].
3.4 Dysphagie durch Hypersalivation und Xerostomie
Eine Hypersalivation wird durch folgende Ursachen ausgelöst:
Zentral-neurologische Störungen (amyotrophe Lateralsklerose, M.
Parkinson, Apoplex, infantile Zerebralparese)
Periphere Störungen der Nn. V und VII
Orofaciale Dysfunktion
Gastro-ösophagealer Reflux
Tumorchirurgie/iatrogene Speichelfisteln
Medikamentennebenwirkung (Neuroleptika, Haloperidol)
Mundwasser, Zahnpasta
Idiopathisch.
Eine Xerostomie kann folgende Ursachen haben:
Zentrale Ursachen: M. Parkinson, Depression, psych. Faktoren, SHT,
ZNS-Tumoren
Medikamente: trizyklische Antidepressiva, Sedativa und Tranqillanzien,
Antihistaminika, Antihypertensiva, Chemotherapeutika
Diabetes mellitus, Exsikkose
Bestrahlung (>+25 Gy irreversible Schädigung)
Primäres/sekundäres Sjögren-Syndrom
Sarkoidose, Amyloidose
Kinder: zystische Fibrose
Resektion Speicheldrüsen.
3.5 Neurologische Krankheitsbilder
Für Patienten mit Dysphagie bei neurologischer Grunderkrankung ist immer
eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich, um die konservative
oder operative Therapie anhand der Symptomatik und Prognose festzulegen.
Folgende Gruppen wurden identifiziert [57 ]:
Neurovaskuläre Erkrankungen (z.+B. ischämischer
Schlaganfall)
Neurodegenerative Erkrankungen (z. B. M. Parkinson)
Neuromuskuläre Erkrankungen (z.+B. amyotrophe
Lateralsklerose, Polymyositis)
Neurotraumatologische Erkrankungen (z.+B.
Schädel-Hirn-Trauma)
Neuroonkologische Erkrankungen (z.+B. Gliome, paraneoplastische
Erkrankungen)
Neuroinfektiologische Erkrankungen (z.+B.
Hirnstammenzephalitis)
Altersbedingte Veränderungen der Schluckfunktion
(Presbyphagie).
3.6 Medikamentenbedingte Dysphagien
Ganz allgemein haben annähernd alle Medikamente durch ihre
pharmakologischen Wirkprofile die Potenz, eine Dysphagie auszulösen oder
zu verstärken. Faktoren wie reduzierter Allgemeinzustand,
erhöhtes Alter, multiple Medikation, anatomische Besonderheiten des
Magen-Darmtraktes, degenerative Hirnveränderungen und/oder
psychiatrische Auffälligkeiten sind Risikofaktoren [1 ]. Auch Überdosierungen bei nicht
beachteter reduzierter Leber- und Nierenleistung mit Kumulationseffekten
können medikamentenassoziierte Schluckstörungen initiieren oder
verstärken. Darüber hinaus können Arzneistoffe
untereinander kumulative Effekte haben [58 ].
Medikamente können eine direkte Wirkung auf die Schluckfunktion
verursachen, wenn sie eine Wirkung u.+a. auf die Strukturen haben, die
unmittelbar am Schluckvorgang beteiligt sind, wie z.+B. auf die
Muskulatur des Ösophagus. Sie haben eine indirekte Wirkung, wenn
sie die Voraussetzungen für den Schluckvorgang beeinflussen, wie
z.+B. eine medikamentös verursachte Xerostomie [59 ].
Medikamentenassoziierte Einflüsse auf die Schluckfunktion werden
häufig nicht ausreichend wahrgenommen, stillschweigend akzeptiert oder
nicht erkannt [60 ]. Medikamentöse
Wirkungen auf den Schluckakt sind besonders kritisch, wenn
anatomisch-funktionelle Veränderungen, wie z.+B. eine chronische
Ösophagitis oder Ösophagusstriktur [61 ], vorliegen, verschiedene Medikamente gleichzeitig gegeben werden
und/oder bereits Schluckprobleme über einen längeren
Zeitraum bekannt sind.
3.6.1 Lokale Wirkung auf die Schluckfunktion (oral medication-induced
esophageal injury)
Arzneistoffe können durch den direkten Kontakt mit der
Ösophagusmukosa während des Schluckvorgangs zu lokalen
Entzündungen und Ulzerationen führen und werden als
eigenständiger Symptomkomplex unter dem Begriff „oral
medication-induced esophageal injury“ OMIEI oder
„drug-induced esophageal injury“ (DIEI) zusammengefasst. Die
Leitsymptome sind eine Dysphagie, es können ein
Fremdkörpergefühl, ein Globusgefühl und eine
Odynophagie bestehen, in vielen Fällen wird über eine
ösophageale Transportstörung berichtet. Instinktiv nehmen
die Betroffenen bei soliden Konsistenzen deshalb vermehrt
Flüssigkeit auf. Die OMIEI ist am ehesten bei älteren
Patienten, bei Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand und Patienten mit
Motilitätsstörungen oder anatomischen Veränderungen
des Ösophagus zu erwarten [59 ]. Eine
Übersicht der Medikamente, die vorrangig eine OMIEI auslösen
können, zeigt [Tab. 4 ].
Tab. 4 Medikamente, die eine OMIEI auslösen
können (modifiziert nach [1 ]
[62 ]).
– Antibiotika vorrangig Tetrazykline
(z.+B. Doxycyclin), Trimethoprim (z.+B.
Bactrim), Makrolide (z.+B.
Clindamycin) – Nichtsteroidale
Antirheumatika (NSAR) –
Azetylsalizylsäure (ASS) –
Bisphosphonate wie Alendronate
(Fosamax) – Sildenafil
(Phosphodiesterase-5-Hemmer, Vasodilatator,
z. B. bei pulmonaler Hypertension, arteriellem
Hypertonus) – Zidovudine
(Retrovir) – Kalium –
Theophyllin – Chinidin
(Antiarrhythmika) – Eisensulfate (in
Eisenpräparaten) – Vitamin C
Nicht nur der Wirkstoff, sondern auch die Art und Größe der
Tabletten und die verwendete Flüssigkeitsmenge haben einen Einfluss
auf eine OMIEI [63 ]. Außerdem kann
eine Latenzzeit zwischen dem erstmals eingenommenen Medikament und dem
Auftreten einer OMIEI bestehen [64 ].
3.6.2 Systemische Medikamentenwirkung auf die Schluckfunktion
(Klassifikation)
3.6.2.1 Zentral-sedierend/bewusstseinsverändernd
wirksame Medikamente.
Als wichtige Substanzgruppe sind Wirkstoffe zu nennen, die die zentrale
Erregbarkeit und Vigilanz bewusst reduzieren. Dazu zählen alle
Antikonvulsiva, aber auch viele Antidepressiva. Darüber hinaus
können Antiallergika sowie Analgetika, insbesondere mit
opiatähnlicher Wirkung durch ihre sedierende Komponente mit
Auswirkungen auf Reflexsteuerung, Sensorik und muskuläre
Koordination die Schluckfunktionen negativ beeinflussen. Bei
Benzodiazepinen wird eine Auswirkung auf die laryngeale
Schluckaktivität vermutet [65 ]
. In der Behandlung von kindlichen Epilepsien wurden bei
Nitrazepam muskuläre Koordinationsstörungen der
krikopharyngealen Region mit Aspiration als Todesfolge bei Kindern
beschrieben [66 ]. [Tab. 5 ] fasst die wichtigsten Medikamente
zusammen, die durch eine zentrale Wirkung Dysphagien auslösen
oder verstärken können.
Tab. 5 Zentral wirksame Medikamente, die eine
Dysphagie auslösen oder verstärken
können (nach [1 ]
[18 ]).
– Antipsychotika (Haloperidol, Thiarisazin,
Risperidon, Olanzepin, Paliperidron, Laxapin,
Fluphenazin, Trifluoperazin,
Clozapin) –
Anticholinergika –
Opioide – Morphine –
Antiepileptika (Nitrazepam,
Clonazepam) –
Antidepressiva – Analgetika
(vorrangig Opioide) –
Antitumormedikamente (Vincristin und andere
Alkaloide) –
Antihypertensiva – Antiemetika
(Metoclopramid)
3.6.2.2 Zentral wirksame Medikamente mit peripherer
Nebenwirkung.
Xerostomie.
Die Xerostomie ist die vorrangige periphere Nebenwirkung zentral
wirkender Medikamente. Dazu gehören die trizyklischen
Antidepressiva (z.+B. Amitriptylin),
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer [1 ]
und opiathaltige Schmerzmittel [67 ].
Da sich im Alterungsprozess ohnehin die Speichelkonsistenz
verändert und die Speichelproduktion reduziert, kann eine
medikamentös induzierte Xerostomie beträchtliche
Auswirkungen insbesondere auf den Bolustransport haben [68 ]. [Tab.
6 ] zeigt eine Zusammenstellung von Medikamenten, die
typischerweise eine Xerostomie auslösen können.
Tab. 6 Medikamente, die eine Xerostomie
auslösen können (modifiziert nach
[18 ]
[62 ]).
– Anticholinergika: Atropin, Scopolamin
(Transderm Scop) u. a. –
Alpha-Blocker –
ACE-Hemmer – Angiotensin II
Rezeptor Blocker –
Antiarrhythmika – Disopyramide
(Norpace) – Mexiletine
(Mexitil) – Ipratropiumbromid
(Atrovent) –
Antihistaminika –
Diuretika – Opiate –
Antidepressiva – Antipsychotika
(Haloperidol) – Retinoide
Die bei ACE-Hemmern häufig zu findende, typische Nebenwirkung
von chronischem Husten kann indirekt eine Auswirkung auf das
Schluckprofil haben oder aber eine Aspiration vortäuschen.
ACE-Hemmer sind jedoch die einzigen Medikamente, die nachweislich
die Schluckfunktion verbessern können. Arai et al.
beschrieben ein reduziertes Risiko für eine
Aspirationspneumonie bei Stroke-Patienten, sodass sogar bei
arterieller Normotonie eine ACE-Behandlung empfohlen wurde [69 ].
Neuro-muskuläre Wirkung.
Neuroleptika reduzieren Koordination und Muskelaktivität von
Pharynx und Ösophagus, und können Dyskinesien mit
unkoordiniertem Schluckablauf hervorrufen [70 ]. Einzelne Fälle von Aspirationen mit
tödlichem Ausgang wurden beschrieben [1 ].
Dopaminantagonisten, die z. B. beim Parkinson-Syndrom
eingesetzt werden, können spät einsetzende
Dyskinesien hervorrufen oder aber selbst ein Parkinsonssyndrom
auslösen und eine bereits bestehende Schluckstörung
auch negativ beeinflussen [68 ],
obwohl sie die muskuläre Koordination verbessern sollen.
Medikamente können eine Muskelschwäche
und/oder eine Myositis auslösen ([Tab. 7 ]). Dazu gehören
insbesondere Lipidsenker (Statine) sowie Kolchizin [71 ]. Die am längsten bekannte
und am häufigsten auftretende medikamenteninduzierte
Myopathie wird durch Kortikosteroide ausgelöst
(Steroidmyopathie) [72 ]
.
Tab. 7 Medikamente und Stoffe, die eine
Ösophagusmotilitätsstörung oder
Tonusreduktion des unteren Ösophagussphinkters
(Myopathie mit Dysphagie) auslösen
können (modifiziert nach [62 ]).
– Butylscopolamin –
Theophyllin –
Glukokortikoide –
Statine – Nitrate –
Kalziumantagonisten – Alkohol,
Fett, Schokolade
Zu den Medikamenten oder Wirkstoffen, die durch ihre Darreichungsform
als Injektion oder Applikation lokal wirken, gehören
Botulinumtoxine, deren Injektion bei spasmodischer Dysphonie oder
zervikaler Dystonie Schluckschwierigkeiten verursachen
können [73 ]. Weiterhin
reduzieren Oberflächenanästhetika (in manchen
Lutschpastillen enthalten) Halsschmerzen und Schmerzen bei Aphtose.
Sie werden ebenfalls vor Endoskopien der oberen Luft- und Speisewege
zur reversiblen Minderung der
Oberflächensensibilität eingesetzt.
3.7 Dysphagie im Kindesalter
Eine altersgerechte Entwicklung sensorischer und motorischer Funktionen ist
die Voraussetzung für eine normale Schluckfähigkeit. Die
[Tab. 8 ] zeigt eine Synopsis der
grobmotorischen und der orofazialen Entwicklung [74 ].
Tab. 8 Synopsis der grobmotorischen und orofazialen
motorischen Entwicklung.
Alter (Monate)
Meilensteine der Grobmotorik
Meilensteine der orofazialen Motorik
0–1
Beugetonus, Greifreflex, Suchen
Erstes Saugmuster (Sucking): Saug-Schluck-Sequenz
1x/s
2
zunehmende Kopfkontrolle
spontane Mundöffnung, Lippenschluss zunehmend
3
Kopfkontrolle in Bauchlage
zunehmende Flexion des Nackens: pharyngealer Weg wird
weiter, Laute werden gebildet
4
Armkontrolle, Drehen beginnt
Lippen- u. Zungenkontrolle, erstes Füttern
möglich
5
Extension/Flexion, Drehen, Füße
zum Mund
Brei, Flüssigkeiten aus Becher, Hand wird mit
Nahrung zum Mund geführt
6
Abstützbewegung der Arme, gezieltes Greifen und
Wechsel zwischen beiden Händen
Zweites Saugmuster (Sucking), Zahnen, Würgereflex
abnehmend, Lippenrundung
7–9
Robben, Krabbeln, stabiles Sitzen
koordinierte Zungen-, Lippen-, Kieferbewegungen, laterale
Kaubewegung, alleine trinken
10–12
Pinzettengriff, Horizontale zur Vertikalen
eigenständiges Essen mit Fingern,
Abbeißen, diagonal-rotatorisches Kauen
13–18
Laufen, präzises Greifen
koordiniertes Phonieren, alle Konsistenzen
19–24
Treppensteigen mit nachgestelltem Bein
Löffel eigenständig, Trinken mit
Lippenschluss, rotierendes Kauen
24–36
Verfeinern, Hüpfen, Umgang mit Schere
Löffelführung mit Fingern, Becher
einhändig
3.7.1 Ursachen von Dysphagien bei Kindern
Kindliche Dysphagien können neurologische, strukturelle, funktionelle
oder verhaltensbedingte Ursachen haben [75 ]
[76 ] ([Abb.
17 ]
[18 ]). Dazu gehören traumatische
Hirnschäden und -blutungen, neuromuskuläre Ursachen
(infantile Zerebralparese, spinale Muskelatrophie Typ II) sowie Folgen von
Frühgeburtlichkeit (Koordinationsstörung von Schluck- und
Atemfunktion mit sensomotorischen Defiziten, bronchopulmonale Dysplasie,
Apnoe-Bradykardie-Syndrom, Stimmlippenlähmung nach Herzoperationen,
Laryngomalazie, nekrotisierende Enterokolitis nach Antibiotikagabe) [2 ]. Ein gastro-ösophagealer Reflux
[77 ] sowie akute und chronische,
häufig immunvermittelte Mukositiden (z. B. eosinophile
Ösophagitis, M. Crohn) erschweren den Bolustransport [78 ]
[79 ]
[80 ] und sind mit Husten, Pneumonien, Apnoen,
Ess- und Gedeihstörungen verbunden. Auch eine OMIEI kann bereits bei
Kindern vorliegen, insbesondere wenn chronische Krankheiten langfristig oral
medikamentös behandelt werden (z.+B. juvenile rheumatoide
Arthritis) oder eine Chemotherapie bei Malignomen erfolgt. Häufig
kann eine OMIEI und die damit verbundenen unspezifischen
Verhaltensveränderungen mit
wählerischem/ungenügendem Essverhalten als
charakterliche Eigenart fehlinterpretiert werden. Gedeihstörungen
und rezidivierendes Erbrechen sind unter Umständen die einzigen
Anzeichen [80 ].
Abb. 17 Dysphagie mit Störung der oralen Phase.
Anteile des Bolus werden beim Schlucken durch die Zungenprotrusion
in das Vestibulum oris nach vorne und zur Seite transportiert.
Zahnfehlstellung, Schmelzdefekte.
Abb. 18 Facies adenoidea mit orofazialer Dysfunktion
(myofunktionelles Syndrom) mit reduziertem orofazialen Tonus,
dadurch mangelndem Mundschluss, kompensatorischer Anspannung des
Musculus mentalis („Nadelkissen“), müder
Gesichtsausdruck.
Weiterhin können kraniofaziale Fehlbildungen (fetales Alkoholsyndrom,
CHARGE-Syndrom – Akronym für coloboma, heart anomalies,
atresia of the choanes, retarded growth, genital hypoplasia, ear anomalies
–, Pierre-Robin-Sequenz, Spaltbildungen), anatomische Besonderheiten
der gesamten Schluckstraße (z. B. Velumspalten,
Ösophagusengen) und die Folgen von Tracheotomien ursächlich
für eine Schluckstörung im Kindes- und Jugendalter sein.
Frühgeborene, auch ohne zerebrale Komplikationen, haben ein
erhöhtes Risiko für Dysphagien über das
Kleinkindalter hinaus [81 ]. Allgemein zeigen
deutlich entwicklungsretardierte Kinder nicht selten lebenslang Kau- und
Schluckschwierigkeiten, die eine kalorisch-ausreichende orale
Ernährung nicht gewährleisten.
Von den Dysphagien abzugrenzen sind Ess-, Fütter- und
Interaktionsstörungen [82 ], wobei
gerade bei Säuglingen und Kindern diese idiosynkratische Sichtweise
der Komplexität der Störung nicht gerecht wird und eine
Schluckstörung sogar ein Symptom einer Fütterstörung
sein kann [83 ]. Die Ansicht,
„Fütterstörungen“ und
„Dysphagie“ als getrennte Entitäten zu sehen, wird
aktuell revidiert zugunsten von „Schluck- und
Fütterstörungen bei entwicklungs-beeinträchtigten
Kindern“ („swallowing and feeding disorders in developmental
disabilities“, SFD-DD), worunter sowohl dysphagische Symptome mit
Problemen in den einzelnen Schluckphasen als auch Fütterprobleme mit
Problemen beim Essen subsummiert werden.
Die Dysphagieproblematik ergibt sich aus der Persistenz primitiver Reflexe,
die die Entwicklung physiologischer Schluckmuster hemmen. Die ineffektive
orofaziale Koordination und eingeschränkte Pharynxmotilität
sowie die ungenügende Schluckreflextriggerung führen zu
einer quantitativ und qualitativ ungenügenden
Schluckaktivität [84 ]. Typisches
Symptom einer prä-, peri- oder postnatalen Hirnschädigung
ist die infantile Zerebralparese. Sie ist insbesondere bei
Frühgeborenen sowie aufgrund von Geburtskomplikationen anzutreffen
und weist ein sehr variables Erscheinungsbild auf [85 ].
Die Inzidenz von Schluckstörungen bei Kindern mit Zerebralparesen
wird mit bis zu 99+% angegeben [86 ]
[87 ]
[88 ]. Die Prävalenz von
Schluckstörungen in der Patientengruppe mit Di- und Hemiparesen wird
mit 25 – 30% angegeben, während bei tetraparetischer
und extrapyramidaler Bewegungsstörung bis zu 80+%
der Betroffenen Störungen in der oralen Nahrungsaufnahme haben [83 ]
[85 ]. Bei Kindern mit Syndromen
(z.+B. Trisomie 21) sind Schluckstörungen in mehr als
50+% vorhanden [89 ].
[Tab. 9 ] zeigt eine Übersicht
über die Ursachen kindlicher Schluckstörungen.
Tab. 9 Verschiedene Ursachen kindlicher
Schluckstörungen (modifiziert nach Kühn [81 ] und Biber [90 ]).
Anatomische Ursachen
Genetische Ursachen
Neurologische Ursachen
Andere Ursachen
–
Lippen-/Kiefer-/Gaumenspalten –
Zungenfehlbildungen –
Mikro-/Retrognathie –
Choanalatresie –
Laryngomalazie –
tracheoösophageale Fistel –
Stenosen/Atresie des
Ösophagus/Larynx
Syndrome:
– Trisomie 21 – Trisomie
18 –
Möbius-Sequenz – Apert
Syndrom –
Prader-Willi-Syndrom –
Pierre-Robin-Sequenz –
Beckwith-Wiedermann-Syndrom –
Cri-du-chat-Syndrom – CHARGE
Syndrom –
Treacher-Collins-Syndrom –
22q11-Mikrodeletion –
Cornelia-de-Lange-Syndrom –
Meningomyelozele mit Arnold-Chiari II- Malformation
–
Hirn-/Rückenmarksfehlbildungen –
intrauterine
Intoxikationen Perinatal: –
hypoxisch-ischämische
Hirnschädigung –
Frühgeburtlichkeit Postnatal: –
Tumore – Infektionen (z. B.
Meningitis, Enzephalitis, Polymyelitis) –
Schädel-Hirn-Trauma – akute
Bilirubinanämie – degenerative
Hirnerkrankungen – metabolische
Enzephalopathien – Erkrankung des
zentralen Nervensystems (z. B.
Zerebralparesen) – Myasthenia gravis
– Medikamente – eosinophile
Ösophagitis – langfristige
Immunschwäche – langfristige
Sondenernährung – Obstruktion der
obere Atemwege –
Tracheotomie –
Langzeitbeatmung/Intubation –
intrauterine Wachstumsretardierung –
intrauterine Infektion –
Gedeihstörung –
gastropharyngealer Reflux
Die Auswirkungen sind vielfältig: eingeschränkte
Lebensqualität, Abhängigkeit von Sondenernährung und
Trachealkanülen, Aspiration und Aspirationspneumonien [91 ], Dehydratation sowie Fehl- und
Unterernährung stellen schwere Folgen dar, die besonders am
reifenden Gehirn auf lange Sicht zu Entwicklungsstörungen
führen und vital bedrohlich verlaufen können [92 ]
[93 ]. Daher hat die frühe
Diagnosestellung und Ableitung von Therapiekonzepten im Säuglings-
und Kindesalter einen hohen Stellenwert.
3.7.2 Symptomatik/Klinik von Dysphagien bei Kindern
Offensichtliche Zeichen einer Dysphagie bei Kindern sind Erbrechen oder
Regurgitation, Husten während oder nach der Nahrungsaufnahme und
erhöhte Passagezeiten während der oralen Schluckphase. Oft
ergeben sich sekundäre Hinweise auf eine Schluckstörung, wie
mangelndes Interesse am Essen, Muskelanspannungen während der
Nahrungsaufnahme, verlängerte Fütterzeiten, Ausspucken von
Nahrung und Flüssigkeiten, gurgelnde Atemgeräusche oder eine
belegte Stimme, Atemprobleme und Gedeihstörungen [74 ]. Bei einer stillen Aspiration fehlen
erkennbare Symptome [94 ]. Chronische
bronchopulmonale Erkrankungen können Anzeichen für eine
unerkannte kindliche Schluckstörung mit Aspiration sein. Bei einer
milden Symptomatik werden diese Kinder in der Praxis häufig lange
mit bronchodilatativen oder kortikoidhaltigen Medikamenten (fehl-)behandelt.
Bei Kindern mit Erkrankungen des neuromuskulären Übergangs,
verschiedenen anderen Grunderkrankungen und als Nebenwirkung von
Medikamenten kann im Verlauf der Nahrungsaufnahme eine zunehmende
Ermüdung die Gefahr einer Dysphagie erhöhen.
3.7.3 Fütterbeobachtung, Screening und klinische
Schluckuntersuchung bei Kindern
Klinische Assessments stellen Methoden dar, die auch bei Kindern als
alleinige diagnostische Methode keine ausreichend hohe Validität
bezüglich der Vorhersage einer Aspiration zeigen und als
unzureichend angesehen werden [95 ].
International existieren nur wenige, englischsprachige, standardisierte und
validierte Verfahren, und nur das „Dysphagia Disorders Survey
(DDS)“ und das „Schedule for Oral Motor Assessment
(SOMA)“ werden mit einer ausreichenden klinischen Aussagekraft
eingeschätzt [96 ]. Deutschsprachig
liegen keine vergleichbaren validierten Instrumente vor. Die
Übertragung von Screeningverfahren für Erwachsene auf Kinder
ist aufgrund des Ablaufs und der zu schluckenden Mengen nicht
zulässig.
Falls es die Untersuchungssituation und der Allgemeinzustand des Kindes
zulassen, sollte eine Fütterbeobachtung erfolgen. Bei Kindern, die
anamnestisch offensichtlich aspirieren, muss darauf verzichtet werden.
Vergleichbar zum Ablauf bei Erwachsenen erfolgt auch bei Kindern eine
Einschätzung der Vigilanz, der Atmung, des Körpertonus und
der Körperhaltung, insbesondere der Kopf- und Rumpfkontrolle. Dies
muss bezogen auf die Meilensteine der motorischen, kognitiven und
orofazialen Entwicklung (u. a. Saugmuster, Saugpolster,
Lippenschluss, Kiefer- und Zungenkontrolle, Kaubewegungen,
Hand-Mundkoordination, [Tab. 8 ]) beurteilt
werden.
3.7.4 Standardisiertes Vorgehen bei Anamnese und Untersuchung
3.7.4.1 Anamnese bei Kindern.
Folgende Fragen sollten mit den Bezugspersonen geklärt werden
(modifiziert nach [97 ]):
Wie lange dauern Mahlzeiten (mehr als 30+min?)?
Empfinden Sie oder das Kind die Mahlzeiten als
stressbehaftet?
Zeigt das Kind Atemprobleme während der Mahlzeiten?
Wie ist die Gewichtsentwicklung des Kindes?
Hat Ihr Kind eine (Aspirations-)Pneumonie erlitten?
In der Anamnese werden auch Fragen zu Schwangerschaft, Geburt,
allgemeiner Entwicklung (motorisch, schluckmotorisch, sprachlich),
Allergien, Medikamente, Vorerkrankungen, Vorbehandlungen und Therapien
gestellt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der aktuellen
Ernährungs- und Esssituation. Es sollte auch nach oralen
Gewohnheiten wie Schnullerverwendung, Zähneknirschen und
besonderen oralen Vorlieben gefragt werden.
3.7.4.2 Vorbereitung für die flexibel-endoskopische
Schluckuntersuchung (FESU) bei Kindern.
Anlage einer Pulsoxymetrie. Die Schluckfrequenz sollte beobachtet werden
(normal ist ein Schluck pro Minute, während der Endoskopie 3-mal
pro Minute [98 ]). Der Spiegelbefund im
Kopf-Hals-Bereich und der Zahnstatus werden erhoben, wobei der
Schwerpunkt auf der nasalen Anatomie, den peri- und enoralen sowie
oropharyngealen motorischen und sensorischen Funktionen liegt. Nach
Abschwellen der nasalen Schleimhaut mit altersgerecht dosierten
Nasentropfen erfolgt eine Schleimhautanästhesie der vorderen
Nasenabschnitte mit Gel (z.+B. Xylocain-Gel, 0,1+ml pro
Seite). Durch diese Maßnahme kann die Kooperativität der
Kinder erheblich gesteigert und eine Traumatisierung für
nachfolgende Untersuchungen verhindert werden. Die
Schleimhautanästhesie der vorderen Nasenabschnitte mit einem Gel
beeinflusst die Schluckfähigkeit nicht [99 ]. Auf anästhesierendes Spray sollte verzichtet
werden, da es schmerzhaft ist und die Ausdehnung des
anästhesierten Areals durch die Verneblung nicht kontrolliert
werden kann. Bei kardio-pulmonal sehr instabilen Kindern muss vor Gabe
von abschwellenden Nasentropfen und anästhesierendem Gel
zunächst mit den behandelnden Pädiatern eine
Risikoabschätzung erfolgen. Eine Sedierung (z.+B. mit
Chloralhydrat) sollte nicht erfolgen. Obwohl Schlucken eine basale
Fähigkeit ist, ist bei der untersuchten Patientengruppe davon
auszugehen, dass auch eine geringe Sedierung das Untersuchungsergebnis
negativ beeinflusst.
Neben der Bezugsperson hat sich die Anwesenheit einer weiteren Person,
z.+B. des behandelnden Schlucktherapeuten, als sehr positiv
erwiesen und wird von der American Speech-Language-Hearing Association
(ASHA) empfohlen [100 ]. Im
interdisziplinären Team kann so ein individuelles
Behandlungskonzept unmittelbar erarbeitet werden. Da Eltern die
Schluckfunktion ihrer Kinder häufig besser einschätzen
als sie tatsächlich ist [87 ]
[101 ]
[102 ], ist es ratsam, zusätzliche
Informationen von Therapeuten wie Kinder- und Jungendärzten,
Logopäden, aber auch von Erziehern oder Lehrern zu erhalten.
3 Nahrungstexturen werden hergestellt und zunächst ein
Nativschluck pro Konsistenz durchgeführt. Für
Krümeliges hat sich homogenes Brot ohne Rinde bewährt.
Angedicktes wird mit Wasser und Andickungsmittel hergestellt, und als
Flüssigkeit wird stilles Wasser verwendet. Aber auch auf
spezielle Vorlieben der Kinder kann eingegangen werden. Falls
nötig, kann dann auf handelsübliche Lebensmittelfarben
zurückgegriffen werden. Dies hat den Vorteil, dass auch bei
retrospektiver Evaluation der gespeicherten Daten die Farbe für
die geprüfte Konsistenz steht. Einen besonders guten Kontrast
zur Schleimhaut bieten die Farben Grün und Blau. Die Boli
sollten kräftig angefärbt werden, sodass sie im Becher
dunkel erscheinen, um auch kleine Residuen erkennen zu können.
Das ist besonders wichtig, um die laryngeale Penetration und die
eventuelle Benetzung der Stimmlippen nicht zu übersehen.
Von Methylenblau zum Anfärben des Bolus zur besseren
Visualisierung wurde in den USA berichtet, dass sie bei septischen
Patienten zu allergischen Reaktionen geführt habe [98 ]. Es wurde vorgeschlagen, auf Farbe zu
verzichten und bei nicht ausreichender Sichtbarkeit den Bolus mit Barium
zu mischen. Barium haftet stark an der Schleimhaut und am Endoskop und
verhindert so die Beurteilung weiterer Boli. Sollte Barium aspiriert
werden, kann es zu Pneumonien führen, sodass Barium hier nicht
zum Einsatz kommen sollte. Von der Verwendung von Götterspeise
wird dann abgeraten, wenn Flüssigkeiten aspiriert werden
können, da sie sich bei längerer Verweildauer im Mund
verflüssigt und nicht die intendierte Konsistenz geprüft
wird. Handelsübliche Andickungsmittel sollten bevorzugt werden
(z. B. Nestargel, ThickenUp, Thick&Easy, Nutilis).
3.7.4.3 Standardisierte Durchführung der FESU bei
Kindern.
Für die instrumentelle Untersuchung der kindlichen Dysphagie
[74 ] stehen, wie bei Erwachsenen, im
Wesentlichen die Videofluoroskopie und die FESU zur Verfügung.
Beide Verfahren werden oft ergänzend eingesetzt [103 ]
[104 ]. Bei der videofluoroskopischen
Schluckuntersuchung (VFES) stellt die Strahlenbelastung des Kindes einen
deutlichen Nachteil dar, insbesondere, wenn wiederholte Untersuchungen
erfolgen müssen. Diese sind aber in der Regel immer
erforderlich, wenn evidenzbasiert gearbeitet wird und der Erfolg einer
Therapie untersucht werden soll. Daten zur Strahlenexposition und zur
effektiven Dosis wurden von Weir et al. vorgelegt [105 ]. Dabei wurde die Strahlendosis
für ältere Kinder als akzeptabel, für
jüngere Kinder als zu hoch eingeschätzt. Bei motorisch
und kognitiv beeinträchtigten Kindern kann die FESU in der Regel
besser eingesetzt werden. Unter Berücksichtigung von Studien mit
Kindern, die auf eine annähernd 100+%ige
Übereinstimmung von VFES und FESU hindeuten [106 ], spricht insbesondere bei Kindern
viel dafür, zunächst regelmäßig eine
FESU und erst bei damit nicht zu klärenden
Befunden/Fragen eine VFES durchzuführen. Als
Komplikationen werden eine Hypersalivation, eine Epistaxis sowie eine
Synkope durch einen vaso-vagalen Reflex oder ein Laryngospasmus
beschrieben. Diese sind jedoch selten, und die Methode wird auch im
ambulanten Bereich als sicher eingeschätzt [107 ]
[108 ]. Die Ausstattung mit einem
Notfallkoffer für Kinder sowie regelmäßige
Kinder-Reanimationsschulungen sind dennoch immer ratsam.
3.7.4.4 Ablauf.
In Anlehnung an die Untersuchung bei Erwachsenen [103 ] erfolgt die Ruhebeobachtung
(Speichel, Morphologie, Spontanbewegungen usw.), die
Funktionsprüfungen ohne Nahrung (Phonation, Speichelschluck,
Reinigungsfunktionen usw.), die Funktionsprüfungen mit Nahrung
(verschiedene Bolusvolumina und -konsistenzen) sowie die
Überprüfung von Schlucktechniken und
Reinigungsmanövern. Empfohlen wird, den Rumpf und die Beine des
Kindes, je nach Alter, in ein großes Laken einzuwickeln und das
Kind auf den Schoß zu platzieren, wobei die Arme am
Körper anliegen, sodass sich die Beine des Kindes zwischen den
Beinen der Bezugsperson befinden [74 ].
Dies vermittelt ein sicheres Gefühl und gewährleistet
eine stabile Position während der Untersuchung. Gleichzeitig
wird unkontrollierten Armbewegungen vorgebeugt. Eine zusätzlich
anwesende Person kann bei Bedarf den Kopf von hinten
unterstützen.
Es empfiehlt sich ein Endoskop zu benutzen, mit dem einerseits eine gute
Sicht und andererseits eine minimale Irritation der Schleimhaut
gewährleistet ist, damit Verletzungen vermieden werden und die
Kinder kooperativ bleiben. Bei Früh- und Neugeborenen eignen
sich dazu flexible Endoskope mit einem Durchmesser von ca. 2+mm.
Neben der Beurteilung der anatomisch-morphologischen und funktionellen
Befunde des Naso-Oro-Hypopharynx und des Larynx
(Stimmlippenbeweglichkeit) liegt ein besonderes Augenmerk auf
Speichelresiduen oder einer Speichelaspiration sowie auf spontane
Reinigungsmechanismen (Räuspern, Husten). Liegt eine stille
Aspiration vor, sollte die Untersuchung beendet oder weiteres Schlucken
nur mit größter Vorsicht und kleinsten Mengen
Angedicktem weitergeführt werden. Bei Speichelresiduen kann
versucht werden, durch Aufforderung zum Husten oder durch transorales
oder transnasales Absaugen eine bessere Übersicht zu erlangen.
Die verschiedenen Konsistenzen „angedickt“,
„flüssig“ und „krümelig“
werden meist mit einem dem Alter des Kindes angepassten Löffel
geprüft, beginnend mit kleinen Mengen und gegebenenfalls
steigernd. Die Beurteilung erfolgt nach der
Penetrations-Aspirations-Skala nach Rosenbek [109 ]. Die Untersuchung wird videodokumentiert. Durch leichtes
Touchieren der laryngealen Epiglottisfläche spitzennah und
Beobachtung der Reaktion mit Husten oder Würgen bzw. der
Anwendung definierter Luftdruckstöße [110 ] kann eine Aussage zur laryngealen
Sensibilität erfolgen.
Falls das Kind permanent schreit, ist wegen der Aspirationsgefahr und der
Wahrscheinlichkeit der falsch-positiven Einschätzung keine orale
Gabe der Prüfsubstanzen möglich. Sollten orale Residuen
vorhanden sein, werden diese nach der Untersuchung entfernt.
Grundsätzlich ist man als Untersucher geneigt,
Trachealkanülen und Magensonden vor einer FESU zu entfernen, um
eine möglichst ungestörte Larynxelevation zu
ermöglichen, die mögliche Kompression des
Ösophagus durch den Cuff zu reduzieren und die vermeintliche
laryngeale und hypopharyngeale Schleimhautirritation durch eine
Magensonde zu vermindern. Studien bei Erwachsenen mit einer
Schluckstörung haben gezeigt, dass die Schluckfähigkeit
bei endoskopischer Evaluation mit und ohne Trachealkanüle gleich
ist [75 ]
[94 ]. Tracheotomierte Kinder
können sowohl mit als auch ohne Kanüle, Kinder mit einer
nasogastralen Sonde mit und ohne Sonde untersucht werden [111 ]. Sollte es sich bei den untersuchten
Kindern als am geringsten problematisch erweisen, die
Trachealkanüle zu entfernen, sollte die Untersuchung mit
Kanüle durchgeführt werden. Magensonden werden in aller
Regel belassen, da von einer Veränderung des Ergebnisses nicht
auszugehen ist. Ergibt sich während der Untersuchung, dass die
Larynxelevation anscheinend wesentlich behindert ist oder dass es
postdeglutitiv zu einem Rückfluss des Bolus kommt, muss
zunächst bei vorhandenem Cuff mit entblockter und dann, bei
bleibendem postdeglutitivem Passagehindernis, mit entfernter
Kanüle untersucht werden.
4. Diagnostik der Dysphagie
4. Diagnostik der Dysphagie
4.1 Anamnese bei Dysphagie
Die Anamnese gibt Hinweise auf mögliche Ursachen der Dysphagie, ihre
klinischen Symptome und deren Folgen ([Tab.
10 ]). Sie kann entweder durch Befragung von Patienten,
Angehörigen, Therapeuten und Pflegepersonal oder durch Einsicht in die
Krankenakte erhoben werden. Wichtig sind folgende Informationen:
Tab. 10 Anamnesebogen bei Schluckstörungen.
Patientenbefragung (ggf. Therapeut, Angehörige,
Pflegepersonal)
Nein
Ja
subjektive Einschätzung
Haben Sie Schluckbeschwerden? Seit wann?
allgemeine Hinweise auf eine Schluckstörung
Haben Sie seit der Erkrankung an Gewicht abgenommen?
Wieviel?
Leiden oder litten Sie an einer Lungenentzündung? Wie
oft?
Haben Sie häufiger Infekte?
Haben Sie unklare Temperaturerhöhungen?
Husten Sie mehr als früher?
Müssen Sie oft räuspern?
Bemerken Sie eine stärkere Verschleimung?
Hat sich Ihre Stimme verändert? (z. B.
heiser, gurgelnd)?
Haben Sie ein
Kloß/Fremdkörpergefühl im
Hals?
Haben Sie Angst vor dem Schlucken?
Haben Sie beim Schlucken Schmerzen?
Brauchen Sie länger zum Essen als früher?
Nehmen Sie jetzt beim Essen/Trinken eine andere
Kopfhaltung ein?
Hinweise auf eine gestörte orale Phase
Läuft Flüssigkeit aus dem Mund?
Können Sie schlechter kauen?
Haben Sie ein taubes Gefühl im Mundbereich?
Ist Ihr Mundraum trocken?
Empfinden Sie kalte Speisen weniger als früher?
Empfinden Sie warme Speisen weniger als früher?
Haben Sie Probleme die Nahrung in den Rachen zu bringen?
Müssen Sie vor dem Hinunterschlucken husten?
Bleibt nach dem Schlucken Nahrung □
Flüssigkeit □ im Mund zurück?
Hinweise auf eine gestörte pharyngeale Phase
Haben Sie das Gefühl, dass ihr Rachen trocken
ist?
Kommt beim Schlucken etwas in die Nase?
Haben Sie das Gefühl, dass nach dem Schlucken Nahrung
□ Flüssigkeit □ im Hals steckt?
Müssen Sie beim Hinunterschlucken husten?
Müssen Sie nach dem Hinunterschlucken husten?
Müssen Sie die Speisen wieder hochräuspern
und ausspucken?
Klingt Ihre Stimme nach dem Schlucken anders?
Hinweise auf eine gestörte ösophageale
Phase
Haben Sie das Gefühl, dass die Nahrung in der
Speiseröhre stecken bleibt?
Haben Sie Schmerzen hinter dem Brustbein?
Kommt Ihnen Nahrung wieder hoch? sauer □ nicht sauer
□
Verspüren Sie ein Brennen hinter dem Brustbein
□ im Hals □ (Sodbrennen)?
Müssen Sie nach der Mahlzeit husten?
Konsistenzabhängige Symptome
Haben Sie Schwierigkeiten beim Schlucken von:
Speichel?
Flüssigkeiten?
pürierte Speisen?
festen Speisen?
Welche Speisen/Getränke bereiten Ihnen
besondere Probleme?
Grunderkrankung, Erkrankungszeitpunkt
bisherige Behandlung
bei Tumorpatienten: Art und Ausmaß des
Primärtumors und der chirurgischen, radiologischen und
chemotherapeutischen Intervention
bei neurologischen Patienten: Läsionsort und
-ausmaß, bisheriger Verlauf, Medikation
Ernährungsmodus im Verlauf: parenteral, enteral über
Sonden, oral mit Modifikation der Nahrungsaufnahme, der Beschaffenheit
der Nahrung
Zeichen von Mangelernährung und Exsikkose
Respiratorischer Status im Verlauf: Beatmung, Tracheotomie, pulmonale
Komplikationen
Hinweise auf Refluxsymptomatik
Medikamenteneinnahme (eine Vielzahl von Medikamenten kann eine Dysphagie
verstärken oder verursachen, z.+B. durch
Mundtrockenheit, extrapyramidale Bewegungsstörungen,
gastrointestinale Störungen, Myopathien [71 ]
[112 ], siehe Kapitel 3.6
Medikamentenbedingte Dysphagien)
Beschwerden bei der Atmung, beim Schlucken von Speichel und Sekret, beim
Essen und Trinken.
Die Symptome einer Dysphagie der oralen, pharyngealen oder ösophagealen
Phase können mit einem Fragebogen erfasst werden [17 ]. Nach Wright und Ellis [113 ] korrelieren die subjektiven Beschwerden der
Patienten und die Lokalisation einer oropharyngealen Dysphagie stark.
4.2 Allgemeine Beurteilung, klinische Untersuchung
Der Schluckvorgang ist ein hochkomplexer Bewegungsablauf, dessen
Störungen in der Regel multifaktoriell bedingt sind. Für eine
pathophysiologisch orientierte Therapie müssen die Ursachen durch eine
erweiterte ärztliche Untersuchung des Kopf-Hals-Bereiches mit der
Überprüfung schluckrelevanter neurologischer Einzelfunktionen
gefunden werden. Dazu gehört eine orientierende Prüfung von
Hirnleistung, Kommunikationsfähigkeit und Gesamtmotorik (Haltung, Kopf-
und Rumpfkontrolle, Paresen, Ataxie, Hyperkinesen, Dystonien; Beurteilung von
HWS, Hals- und Nackenmuskulatur).
Die Diagnose, ob es sich um eine periphere Nervenläsion oder um eine
supranukleäre zentrale Schädigung handelt, beruht
hauptsächlich auf der genauen Beurteilung der reflektorischen und
willkürlichen Beweglichkeit sowie des Muskeltonus ([Tab. 11 ]). Beide Formen können an Lippen,
Zunge, Gaumensegel und Kehlkopf einseitig oder beidseitig auftreten [114 ]
[115 ].
Tab. 11 Unterscheidungsmerkmale peripherer und zentraler
Bewegungsstörungen der Schluck-/Sprechorgane.
Beurteilungskriterium
Periphere Parese
Zentrale Parese
Willkürbewegungen
aufgehoben
aufgehoben oder beeinträchtigt
reflektorische und emotionale Bewegungen
aufgehoben
erhalten
Muskeltonus
erniedrigt
Anfangs erniedrigt, später erhöht
Muskelatrophie
bei längerem Bestehen vorhanden, an der Zunge
möglicherweise Ausbildung eines Sulkus
nicht vorhanden
Faszikulationen
möglicherweise vorhanden
nicht vorhanden
Hyperkinesen
nicht vorhanden
möglicherweise vorhanden
Nicht immer lässt sich die Symptomatik eindeutig abgrenzen, da
z.+B. bei einer Hirnstammschädigung sowohl das zweite,
periphere, als auch das erste, zentrale Motoneuron betroffen sind. In Phasen der
Rückbildung können wechselnde klinische Bilder vorhanden
sein.
4.2.1 Untersuchung von Lippen, Kiefer, Zunge und vorderer
Mundhöhle
4.2.1.1 Strukturen.
Die Strukturen werden nach der Form und Symmetrie der Lippen und der
Zunge, dem Kiefer- und Zahnstatus und der Schleimhautbeschaffenheit
beurteilt. Patienten nach Tumorbehandlung haben z.+T. massive
Strukturdefizite und Zahndefekte. Ausgedehnte Vernarbungen und
Ödeme können Kopfhaltung, Mundbodenbeweglichkeit und
Larynxelevation erheblich behindern.
Nach intensivmedizinischer Behandlung, während der keine
Zahnprothese getragen wird, kommt es bereits nach wenigen Wochen zu
Veränderungen des Alveolarkamms.
4.2.1.2 Beweglichkeit.
Die Untersuchung der Beweglichkeit erfolgt zunächst durch die
Aufforderung zur Ausführung willkürlicher
Bewegungen:
Lippenschluss, -spitzen, -spreizen
Kiefer öffnen, schließen, seitlich verschieben,
rotieren
Zunge herausstrecken, anheben, rückführen,
kreisen, an den Lippen entlangführen, Zungenspitze in
die Wangentaschen drücken.
Nach einer Studie von Leder an über 3 900 Patienten ist
eine reduzierte Zungenbeweglichkeit ein Risikofaktor für
Aspirationen, unabhängig von der Grunderkrankung [116 ].
Der Muskeltonus beeinträchtigt die Beweglichkeit wenn er zu hoch
oder zu niedrig ist. Der Unterkiefer kann sowohl durch einen niedrigen
Tonus der Kaumuskulatur als auch – häufiges Symptom nach
Schädel-Hirn-Trauma – durch einen zu hohen Tonus der den
Unterkiefer absenkenden und retrahierenden Muskulatur
herabhängen. Der Lippenschluss kann ungenügend sein
wegen einer zu hohen (Lippenretraktion) oder zu geringen Tonisierung,
wobei der Bewegungsradius nicht notwendigerweise eingeschränkt
sein muss.
4.2.1.3 Überprüfung der oralen
Sensibilität.
Bei verminderter Sensibilität besteht immer die Gefahr einer
eingeschränkten Boluskontrolle. Nicht selten klagen Patienten
mit taktilen Sensibilitätsstörungen darüber,
sich auf Zunge und Wangeninnenseite zu beißen und dies dann als
sehr schmerzhaft zu empfinden. Die taktile Sensibilität wird
durch Berührung mit einem Watteträger
geprüft.
Die Temperaturwahrnehmung in der Mundhöhle wird nur orientierend
durch die Berührung mit einem kleinen Larynxspiegel
geprüft, der entweder in kaltes oder in warmes Wasser getaucht
wurde. Schwellenbestimmungen sind methodisch sehr aufwändig, und
ihre klinische Relevanz ist fraglich.
4.2.2 Untersuchung von hinterer Mundhöhle, Velum und
Pharynx
4.2.2.1 Mundhöhle.
In der hinteren Mundhöhle ist vor allem bei Patienten nach
Tumortherapie der Zunge, des Gaumens, des Pharynx und Larynx auf
Schwellungen, Substanzdefekte und Narben zu achten. Vorwölbungen
der Rachenhinterwand müssen im Hinblick auf
Veränderungen der HWS, gelegentlich aber auch auf
Entzündungen und Abszesse abgeklärt werden.
4.2.2.2 Velum.
Zu hoch tonisierte Gaumenbogenmuskeln geben dem Gaumenbogen eine
scharfkantige Kontur und schaffen einen großen Abstand des
Gaumensegels von der Rachenhinterwand. Eine ungenügende velare
Tonisierung ist am ventralen Vorschieben des Gaumensegels
während einer forcierten Ausatmung („Flattern im
Luftstrom“) erkennbar.
Eine zentrale Parese liegt vor, wenn bei der sekundenlang angehaltenen
willkürlichen Phonation von [a:] und bei mehrmaliger Phonation
von [a] keine Anhebung des Velums, aber eine reflektorische Anhebung
beim Versuch, den Palatal- oder den Würgreflex
auszulösen, bzw. beim Lachen, Weinen oder Gähnen
beobachtet werden kann.
Lässt sich kein Würgreflex auslösen
(häufiges Symptom z. B. nach
Schädel-Hirn-Trauma), kann man mit dem flexiblen Endoskop
untersuchen, ob beim Schluckvorgang eine Velumanhebung und ein
nasopharyngealer Abschluss erfolgt. Wenn dies nicht der Fall ist, kann
von einer peripheren Parese ausgegangen werden.
4.2.2.3 Pharynx.
Die Kontraktion der Pharynxmuskulatur wird gleichzeitig
mitgeprüft, sowohl bei der willkürlichen Phonation als
auch bei Auslösung eines Würgreflexes. Bei dieser
Untersuchung lässt sich jedoch nicht eindeutig
einschätzen, ob die Kontraktion normal oder
eingeschränkt ist. Dies kann nur anhand des videoendoskopischen,
radiologischen bzw. manometrischen Befundes beurteilt werden.
4.2.2.4 Sensibilität und Reflexauslösbarkeit im
Oropharynx.
Störungen der Sensibilität findet man, wie bereits
beschrieben:
Nach Tumorchirurgie – Läsionen peripherer Nerven
im Narbengebiet des Pharynx und Larynx bzw. im Bereich von
Lappentransplantaten
Nach Bestrahlungen
Nach Schlaganfall – Zungengrund, Gaumenbögen,
Velum und Rachenhinterwand sind meist einseitig betroffen.
Neuere Untersuchungen ergaben, dass bei einseitigen
Großhirninfarkten Sensibilitätsstörungen der
Gaumenbögen mit verlängerter Latenz der
Schluckreflextriggerung und Aspirationen einhergehen können
[117 ]
[118 ]. Eine wichtige Rolle des
Schluckkortex scheint es also zu sein, eine intakte Sensibilität
der Mundhöhle zu garantieren und die orale mit der pharyngealen
Phase zeitlich so zu koordinieren, dass kein vorzeitiger
Übertritt von geschlucktem Material bzw. keine Aspirationen
stattfinden [103 ].
Die Auslösbarkeit des Würgreflexes ist individuell sehr
unterschiedlich. Fehlt er, scheint ein höheres Risiko
für das Vorliegen einer Dysphagie zu bestehen [119 ], doch darf bei vorhandenem
Würgreflex keinesfalls immer auf einen ungestörten
Schluckablauf geschlossen werden.
Es gibt auch Menschen, die keinen Würgreflex haben. Bereits beim
Berühren der Lippen mit einem Strohhalm setzt in Erwartung von
Flüssigkeit oder Speisen eine Hypästhesie des Pharynx
und Larynx ein. Dies ermöglicht, dass während des
Schluckens z.+B. die laryngeale Epiglottisfläche
berührt werden kann.
4.3 Fragebogen-Assessments, Screeningverfahren und klinische
Dysphagiediagnostik
In der klinischen Routine ist die apparative Ausstattung für
Schluckuntersuchungen nicht immer vor Ort verfügbar, sodass oft
zunächst strukturierte Fragebögen und
Screeningverfahren zum Einsatz kommen, um eine Entscheidung zum
weiteren diagnostischen und therapeutischen Ablauf zu treffen. Klinische
Schluckuntersuchungsverfahren gehen in der Regel einer apparativen
Diagnostik voraus und werden meist von
Logopäden/Sprachtherapeuten durchgeführt. Für
alle genannten Verfahren existieren bisher keine Richtlinien.
4.3.1 Fragebogen-Assessments
Die vorhandenen Assessments gehen entweder auf die Bereiche „Symptome
einer Dysphagie“ oder „Lebensqualität“ ein.
Erstere eignen sich eher, um Dysphagie-spezifische Symptome zu erfragen,
letztere dazu, die Gesamtsituation der Patienten mit ihren
Dysphagie-bedingten Einschränkungen zu erfassen. Damit kommen sie
der Betrachtungsweise von Erkrankungen nach der „International
Classification of Functioning, Disability and Health“ der
Weltgesundheitsorganisation entgegen.
Zu den symptomspezifischen Assessments gehören das 10-Item Assessment
Tool (EAT-10) [120 ]
[121 ], das Sydney Swallowing Questionnaire
(SSQ) [122 ]
[123 ] sowie der Munich Dysphagia Test
– Parkinson’s Disease (MDT-PD) [124 ].
Für die Erhebung von Lebensqualität-spezifischen Bereichen
und ihren Einschränkungen werden das MD Anderson Dysphagia Inventory
(MDADI) [125 ], der Swal-QOL sowie Swal-Care
[126 ]
[127 ]
[128 ], der Dysphagia Handicap Index (DHI)
[129 ], die Performance Status Scale for
Head and Neck Cancer Patients (PSS-HN) [130 ]
[131 ], sowie das Functional Assessment of
Cancer Therapy-Head and Neck Scale (FACT-H&N) [130 ] angewandt.
4.3.2 Screeningverfahren
Screeningverfahren dienen dazu, potentiell gefährdete Patienten zu
identifizieren und ohne großen Zeitaufwand das Aspirationsrisiko
einzuschätzen [132 ], um sie einer
weiterführenden Diagnostik zuzuführen. Sie sollten schnell,
einfach, sicher, mit einer hohen Aussagekraft und für den Patienten
wenig belastend im Sinne einer bedside-Untersuchung auch von medizinischem
Personal, das hierfür speziell eingearbeitet wurde,
durchgeführt werden können. Für erste, schnelle
Entscheidungen sollen sie eine Schluckstörung mit einer
Sensitivität (sicherer Nachweis) und Spezifität (sicherer
Ausschluss) von jeweils 70+% erfassen [133 ]. Ein Goldstandard der gängigen
Screeningverfahren existiert bisher nicht. Dennoch haben Screeningverfahren
einen hohen Stellenwert, da die Verfügbarkeit einer apparativen
Schluckdiagnostik (FESU und VFES) nicht überall und kurzfristig
gegeben ist, aber dennoch umgehend eine möglichst
zuverlässige Einschätzung zur Ernährung eines
Patienten getroffen werden muss. Über 50+% der
Patienten, die aspirieren, husten nicht. Daher bleibt in der klinischen
Diagnostik ein hoher Anteil an „stiller Aspiration“
unentdeckt und ist ein limitierender Faktor für die
Sensitivität.
Kontraindikationen für Aspirationsschnelltest sind:
bereits bekannte Aspirationszeichen
pathologische Lungenbefunde
schwere Bewusstseinsstörungen.
Für das Screening neurogener Dysphagien stellt der Timed test [137 ] ein validiertes Instrument dar. Dabei
sollen 150+ml kaltes stilles Wasser so schnell wie möglich
aus einem Glas getrunken werden. Die Zeit, die Schluckfrequenz, Restmengen
im Glas sowie Husten und die Stimmqualität nach dem Trinken werden
registriert. Angegeben werden die ml/s sowie das durchschnittliche
Volumen pro Schluck (ml). Eine Schluckgeschwindigkeit
< 10 ml/s wird als pathologisch angesehen.
Für das Item „Schluckgeschwindigkeit“ wird eine
Sensitivität von 96+% und eine Spezifität
von 69+% angegeben. Die Autoren weisen darauf hin, dass der
Test nicht für Patienten mit einer gravierenden
Schluckstörung und offensichtlicher Aspiration geeignet ist.
In der akuten Schlaganfallphase stehen das durch eingearbeitetes
Pflegepersonal durchführbare Standardized Swallowing Assessment
(SSA) [138 ]
[139 ] bzw. das Gugging Dysphagia Bedside
Screening [140 ] oder der durch
Sprachtherapeuten/Logopäden durchzuführende
„Daniels-Test" [13 ] zur
Verfügung. Letzterer soll mit einer Sensitivität von
92+% und einer Spezifität von 67+%
anhand der 6 klinischen Symptome: Dysphonie, Dysarthrie,
beeinträchtigtes willkürliches Husten,
abgeschwächter oder fehlender Würgereflex, Husten und
Änderung der Stimmqualität nach dem Wasserschluck, eine
Aspiration vorhersagen. Sind 2 von 6 Symptomen vorhanden, wird eine
apparative Schluckdiagnostik empfohlen. Als weiterer Test kommt der 3-Ounce
Water Swallow Test von Suiter und Leder [141 ]
zum Einsatz. Positiv ist der Test, wenn Husten, ein Erstickungsanfall oder
eine feuchte Stimme auftreten oder der Test abgebrochen werden muss. Der
Test sollte wegen der großen Wassermenge erst nach vorheriger
Austestung mit einer geringeren Menge durchgeführt werden.
Aspirationsschnelltests sind wegen des geringen Zeitaufwands und geringer
Kosten als Entscheidungshilfe für Sofortmaßnahmen geeignet.
Bei anamnestischem oder klinischem Verdacht auf eine
Aspiration/Dysphagie ist die erste Untersuchung die FESU. Damit kann
die Frage nach weiteren Untersuchungsschritten, ausführliche
klinische oder radiologische Diagnostik, und deren Reihenfolge beantwortet
werden.
Für die Dysphagie nach Schlaganfall existiert eine große
Anzahl unterschiedlicher Tests. So werden der 50- ml-Wasser-Test
[47 ], der 3-Ounce Water Test
(=90- ml-Wasser-Schluck-Test) [142 ], der Kidd Water Test [143 ],
der Burke Dysphagia Screening Test [144 ], der
Wassertest nach Daniels [13 ], das Bedside
swallowing Assessment (BSA) [145 ], das
Standardized Swallowing Assessment (SSA) [138 ]
[139 ], das Massey Bedside Swallowing
Screening [146 ], der Nishiwaki-Score [147 ], das Gugging Swallowing Screening [140 ], der Volume-Viscosity Swallow Test
(V-VST) [148 ], das Toronto Bedside Swallowing
Screening (TOR-BSST) [149 ], die Modified Mann
Assessment of Swallowing Ability (MMASA) [150 ], der Acute Stroke Dysphagia Screen [151 ] sowie der Cough Test [152 ]
durchgeführt.
Eine relativ hohe Sensitivät/Spezifität und eine
relativ einfach Durchführbarkeit weisen der
90- ml-Wasser-Test [141 ]
[142 ] und der Gugging Swallowing Screen
(GUSS, Prüfung verschiedener Konsistenzen) [140 ] auf.
4.3.2.1 90- ml-Wasser-Test (3-Ounce Water Swallow
Test).
Der Patient soll 90 ml Wasser ohne Unterbrechung aus einem Glas
mit oder ohne Strohhalm trinken. Aspirationshinweise und
Abbruchkriterien sind:
Austrinken der gesamten Flüssigkeitsmenge nicht
möglich
Auftreten von Husten oder Erstickungsanfall bis zu 1 min
nach Testende
Gurgelnde, feucht-belegte Stimmqualität.
Da die Menge von 90 ml pulmonal gefährdend sein kann,
sind Vortests mit kleineren Wasserschlucken (1, 3, 5, 10 ml)
sinnvoll. Zeigen sich keine Symptome, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit
auch keine Aspiration dünnflüssiger Konsistenzen vor.
Wegen der geringen Spezifität sind viele Patienten mit
auffälligem Testergebnis dennoch nicht
aspirationsgefährdet. Bei Aspirationshinweisen sollte in jedem
Fall weiter diagnostiziert werden.
4.3.2.2 Gugging Swallowing Screen (GUSS).
Die Voruntersuchung oder der indirekte Schluckversuch beinhalten die
Überprüfung der Vigilanz (der Patient muss mindestens
15 min wach bleiben können), die Fähigkeit,
Speichel zu schlucken, sich 2-mal willkürlich zu
räuspern und/oder zu husten sowie die Erfassung von
Drooling und Stimmänderungen während dieser Zeit.
Im direkten Schluckversuch werden die Konsistenzen
„breiig“/„flüsig“/„fest“
geprüft.
Als Hinweis auf eine Schluckstörung gilt dabei das Auftreten von
mindestens einem der folgenden Symptome:
Schlucken nicht möglich
verzögerte Schluckinitiierung (Flüssigkeit
>2 s, feste Nahrung >10 s)
Drooling
unwillkürliches Husten vor, während oder nach dem
Schlucken (bis 3 min später)
Stimmänderungen nach dem Schlucken (Patient soll vor und
nach dem Schlucken „o“ sprechen).
Nach einer 20-Punkte-Skala wird in 4 Schweregradstufen unterteilt.
Der Test beurteilt sowohl den Dysphagieschweregrad als auch das
Aspirationsrisiko mit einer Sensitivität von 100%. Bei
einer Spezifität von 50 – 69% ist eine hohe Rate
falsch-positiver Ergebnisse zu erwarten. Folgerichtig wird bei Anzeichen
einer leichtgradigen Dysphagie mit geringem Aspirationsrisiko die
endoskopische Schluckdiagnostik empfohlen. Ein Protokollbogen mit
Auswertung ist im Internet erhältlich [153 ].
Für die Schluckfähigkeit nach Tumorresektion von
Kopf-Hals-Tumoren werden das Frankfurter Dysphagie-Screening (Fra-DySc)
[154 ], der Water Swallow Screening
Test [155 ] sowie das Mann Assessment of
Swallowing Ability – Cancer (MASA-C) [156 ] beschrieben. Diese Screeningtests sind z. T. nicht
validiert bzw. nicht ausreichend aussagekräftig. Es sollte
deshalb bei Tumorpatienten mit Dysphagieverdacht die Schluckfunktion auf
jeden Fall endoskopisch überprüft werden [157 ].
4.3.3 Untersuchung von Patienten mit Trachealkanülen
Bei Kanülenträgern kann aspiriertes Material relativ leicht
abgesaugt und bei Anfärbung als solches identifiziert [134 ] bzw. durch den Glukose-Oxidase-Test [135 ] nachgewiesen werden.
Ein positives Ergebnis weist in jedem Fall auf eine Aspiration hin, ein
negatives Resultat lässt dagegen keine Schlussfolgerung zu, da
diskrete Mengen aspirierten Materials zu häufig nicht erfasst
werden.
Zum Anfärben eignet sich blaue Lebensmittelfarbe. Wegen
möglicher Toxizität sollte Methylenblau nicht mehr verwendet
werden [98 ]
[136 ]
[159 ].
4.4 Klinische Schluckuntersuchungsverfahren
Unter dem Begriff klinische Schluckuntersuchung wird ein Untersuchungsablauf
subsumiert, bei dem neben der schluckspezifischen Anamnese und der Beurteilung
der Vigilanz und Compliance des Patienten alle für das Schlucken
relevanten Strukturen inklusive der am Schlucken beteiligten Hirnnerven
geprüft sowie Schluckversuche im Rahmen von Screeningverfahren
durchgeführt werden [47 ]
[158 ]
[159 ]
[160 ]. Bisher existiert kein einheitliches
Vorgehen [16 ]
[161 ], und es steht kein standardisiertes und
ausreichend validiertes Verfahren zur Verfügung. Besonders gute
Kenntnisse der Funktionsweisen von Trachealkanülen sind in diesem
Zusammenhang von entscheidender Bedeutung. Als Beurteilung für die
Ergebnisse aus klinischen Schluckuntersuchungsverfahren kommen u.+a. der
Nishiwaki-Score [147 ] und das Kölner
Befundsystem für Schluckuntersuchungen [162 ] zum Einsatz.
4.4.1 Stufenkonzepte
Als strukturierte diagnostische Stufenkonzepte in deutscher Sprache sind das
NOD-Stufenkonzept für Patienten mit neurogener oropharyngealer
Dysphagie [163 ] sowie das Konzept nach Stix
für geriatrische Patienten [164 ]
beschrieben. Diese bedienen sich verschiedener Methoden für
Anamnese, Screening, klinische Schluckuntersuchungsverfahren und apparative
Schluckuntersuchungen. Ziel dieser Stufenkonzepte ist es, mit einer
einheitlichen Terminologie und anhand festgelegter Kriterien
Zuständigkeiten zu klären, Patienten mit
Schluckstörungen mittels strukturierter Abläufe früh
zu identifizieren und eine entsprechende Therapie einzuleiten.
4.4.2 Endoskopische Untersuchungstechniken
Für die Erfassung von Schluckstörungen hat sich die
Videoendoskopie als effizientes Instrumentarium etabliert [2 ]
[165 ]
[166 ]
[167 ]
[168 ] und gilt heute als unverzichtbare
Basisuntersuchung. Sie beeinträchtigt die Patienten nur gering.
Sie ist in der Erfassung von Residuen, Penetration und Aspiration
gleichwertig effizient zur röntgenologischen Videofluoroskopie [27 ]
[30 ]
[165 ]
[167 ]
[169 ]
[170 ]
[171 ]
[172 ]
[173 ]
[174 ]
[175 ]
[176 ]
[177 ]
[178 ] und von großer klinischer
Relevanz. So fiel die Anzahl der auftretenden Aspirationspneumonien in einem
Zeitraum von 6 Monaten nach Einbeziehung der endoskopischen
Schluckuntersuchung in das Dysphagiemanagement signifikant auf 0 [179 ].
Die Ziele der endoskopischen Untersuchung sind:
Diagnostik und Abgrenzung struktureller und neurologischer
Störungen und deren Charakteristik
Entscheidung ob auf natürlichem Wege ausreichend
Nahrung/Flüssigkeit in angemessener Zeit aufgenommen
werden kann oder Sonden- oder parenterale Ernährung erwogen
werden müssen
Entscheidung ob Schutzmaßnahmen für die tiefen
Atemwege erforderlich sind (Intubation, Tracheotomie)
Vorliegen einer Indikation zur Speichelreduktion
Entscheidungshilfen für Schluckversuche mit Nahrung,
Nahrungsaufbau, Entblockung/Dekanülierung
Überprüfung der Effektivität von
Haltungsänderungen, Modifikationen der
Nahrung/Flüssigkeit
Indikation weiterer diagnostischer Maßnahmen
(Videofluoroskopie, pH-Metrie, Manometrie
Indikationsstellung für die Funktionelle Therapie und deren
Evaluation
Indikationsstellung für prothetische und operative
Therapiemaßnahmen.
Zur videoendoskopischen Untersuchung stehen folgende Methoden zur
Verfügung:
Transorale Untersuchung (T ranso rale E valuation
des S chluckvermögens=TOES) mit dem starren
Lupenlaryngoskop [168 ]
Transnasale Untersuchung mit einem flexiblen Endoskop gilt heute als
Standarduntersuchung [2 ]
[29 ]
[166 ]
Transstomale „retrograde“ Untersuchung bei Patienten
mit Tracheostoma.
Jede der Methoden hat Vorteile und Einschränkungen. Die
Untersuchungsprinzipien und Beurteilungskriterien sind bei allen gleich.
4.4.2.1 Evaluation des Schluckvermögens (TOES) mit starrer
Endoskopie.
Die lupenlaryngoskopische Untersuchung wird mit 70°- oder
90°-Laryngoskop zur Beurteilung des Hypopharynx und Larynx und
schluckrelevanter Funktionen (s.+u.) durchgeführt.
Nach dem Entfernen des Laryngoskops erhält der Patient geeignete
Substanzen zum Schlucken. Unmittelbar darauf erfolgt erneut eine
Laryngoskopie. Jeweils nach der Modifikation der Nahrung
und/oder der Durchführung von Reinigungs- und
Schlucktechniken muss der Patient endoskopiert werden. Daher ist eine
hohe Kooperationsbereitschaft erforderlich.
Die Vorteile der Untersuchung sind:
Nach intensivmedizinischer Behandlung mit nasaler Intubation,
Magensonden, Absaugmanövern, fürchten manche
Patienten „wieder einen Schlauch in der Nase“
und tolerieren eher eine Lupenlaryngoskopie als eine transnasale
Untersuchung.
Während des Schluckens gibt es keine Interferenz durch
das Endoskop.
Es besteht keine zeitliche Limitierung. Therapeutische
Interventionen wie oben angegeben (Änderung von Nahrung,
Haltung, Schluckmodus, Reinigungstechniken) können
beliebig oft wiederholt werden.
Bei der Endoskopie hält der Untersucher die Zunge und
kann damit den Kopf des Patienten leichter führen. Dies
kann bei motorisch beeinträchtigten Patienten
stabilisierend wirken.
Die erwähnten Risiken der transnasalen Untersuchung
werden vermieden (s. u.).
Die Nachteile der Untersuchung sind, dass folgende Phasen nicht
beobachtet werden können:
ein vorzeitiges Abgleiten von Material aus der Mundhöhle
in den Pharynx oder Larynx (Leaking, prädeglutitive
Aspiration)
die beginnende Verschlussfunktion des Kehlkopfs
die Wiederaufrichtung der Epiglottis nach Dorsalflexion
während des Schluckreflexes.
Eine Schleimhautanästhesie ist obsolet, da sie die
Schluckreflexauslösung beeinträchtigen würde.
Daher kann es vorkommen, dass der Patient die Untersuchung wegen eines
Würgereizes nicht toleriert. Die Mehrzahl dysphagischer
Patienten weist jedoch erhebliche Sensibilitätsstörungen
im Rachen auf.
Obwohl die Überprüfung der Schluckfunktion bei der
transoralen Untersuchung nur als „indirekte Beurteilung“
möglich ist, also postdeglutitiv, können Residuen,
Penetration und Aspiration [31 ]
[178 ] sowie die Effekte therapeutischer
Interventionen und der Therapieevaluation ähnlich nachgewiesen
werden wie bei der transnasalen Untersuchung.
4.4.2.2 Flexible Videoendoskopie des Schluckens.
Die Prinzipien einer Untersuchung der Schluckfunktion mit der flexiblen
Endoskopie und Videoaufzeichnung wurden 1988 von Langmore et al. [2 ] sowie 1991 von Bastian [166 ] unter dem Terminus „Flexible
Endoscopic Evaluation of Swallowing (FEES)“ beschrieben und in
den folgenden Jahren methodisch erweitert bzw. variiert. Die
verschiedenen Möglichkeiten sind:
Flexibel-endoskopische Schluckuntersuchung als Standard:
Flexibles Rhinopharyngolaryngoskop, 2,3 oder 3,5+mm
dick
Flexible Endoscopic Evaluation of Swallowing with Sensory Testing
(FEESST [180 ]): Flexibles
Rhinopharyngolaryngoskop mit zusätzlichem Kanal
für die Abgabe eines definierten Luftstromreizes zur
Sensibilitätsprüfung
Fiberskop (Bronchoskop) mit Absaugkanal zum Entfernen von Sekret
und nichtabgeschlucktem Material sowie zur
Flüssigkeitsabgabe; Eignung sowohl zur
Sensibilitätsprüfung als auch zur Testung des
Schluckvermögens; 4–6 mm dick [181 ]
[182 ]
[183 ]
Transnasale Videopanendoskopie (ViP) für weitergehende
Fragestellungen [184 ] s. Kap. 4.7
und Video.
Flexible endoskopische Schluckuntersuchung (FESU).
Die Schluckuntersuchung wird mit dem flexiblen
Rhinopharyngolaryngoskop gemacht. Die Bestimmung der Weite der
Nasenhöhle erfolgt durch eine vordere Rhinoskopie.
Gelegentlich kann eine Schleimhautabschwellung indiziert sein. Eine
lokale Schleimhautanästhesie mittels Xylocain-Gel reduziert
das Druckgefühl bzw. die Gefahr der Schmerzauslösung
und verbessert die Gleitfähigkeit des Endoskops. Sie kann
aber auch zu Hypersalivation, Sensibilitätsstörungen
und Veränderungen des Schluckaktes führen.
Abb. 19 Position 1 – Sicht über
Larynx und Pharynx optisches Fenster
(oF)=Höhe Gaumenbogen. a Bei
herausgestreckter Zunge sind die Valleculae frei einzusehen.
b Pharynx und Larynx bei Phonation
„i“. c Der Valsalva-Versuch zeigt die
Schildknorpelstrukturen und Pouch (Pfeil: muskelfreies
Dreieck der Membrana thyreohyoidea). d Valleculae und
Zungengrund bereiten den Kiwi-Bolus vor.
Abb. 20 Position 1 – oF=Höhe
Gaumenbogen, der Bolus wird über den
Zungenrücken in den Valleculae gesammelt. a
Vorbereitung Apfelschluckakt b Vorbereitung
Karottenschluckakt c Vorbereitung Spaghettischluckakt
d Vorbereitung halbfester Bolus.
Abb. 21
a Position 2 – oF=Höhe
Epiglottisoberrand, Sicht über Larynx und dorsalen
Pharynx b Position 2 –
oF=Valsalvamanöver c Position 3
– oF=Vorausblick oberhalb der
Interarytenoidregion d Position 3 –
oF=Rückblick oberhalb der
Interarytenoidregion.
Abb. 22 Mittlerer Ösophagus: Partikel werden
unter Gasdruck sichtbar und „fliegen“
bedingt durch den Druckgradienten durch das offene
Ösophaguslumen.
Abb. 23 Position 4 – oberer
Ösophagussphinkter (OÖS) während des
Aufstoßens im Rückblick (rechts zeichnet
sich ein Wirbelkörper (*) ab). a
OÖS in Ruhe, ohne erhöhten Druck. b
der untere Sphinkter war offen (Druckausgleich), der Raum
unter dem OÖS ist durch erhöhten Druck
geweitet, die zirkulären Muskelfasern angespannt
(gelb verfärbt). c die zirkulären
Fasern öffnen zuerst (NB time code). d der M.
cricopharyngeus ist offen, seine Konturen zeichnen sich ab
(NB time code).
Abb. 24 Position 5 – vor dem unteren
Ösophagussphinkter (UÖS) a Klares
Wasser wird vor der Cardia gesammelt. b Die Cardia
öffnet sich. Der ösophagogastrale
Schleimhautübergang wird sichtbar. c
Barrett-Schleimhaut im distalen Ösophagus.
Die Einführung erfolgt auf dem Nasenboden als anatomischer
Gleitschiene. Zur Beobachtung der Velumhebung liegt die Spitze des
Endoskops an der Grenze zwischen knöchernem und
muskulärem Nasenboden im hinteren Drittel des unteren
Nasengangs (Nasenhaupthöhle, entspricht Position 0 bei der
ViP).
Zur Beobachtung von Vallecula, Zungengrund, Pharynx und Larynx wird
das Endoskop in Höhe der Gaumenbögen dicht unterhalb
der Uvula positioniert („obere Position“ oder
„swallow position“, entspricht Position 1 der ViP).
Die Lage der Endoskopspitze sollte während des
Schluckreflexablaufs in dieser Höhe verbleiben, um die
laryngealen Bewegungen nicht zu beeinträchtigen.
Zur eingehenden Betrachtung des Kehlkopfeingangs, der Stimmlippen und
der Trachea kann die Endoskopspitze hinter den kranialen
Epiglottisrand vorgeschoben werden („untere
Position“ oder „postswallow position“,
entspricht Position 2 der ViP) [30 ]
[171 ]. Nach Ablauf des
Schluckvorgangs wird diese Position empfohlen, um eventuell
penetriertes Material auch in geringer Menge zu erfassen und
aspiriertes Material in Glottis und Trachea nachzuweisen (cave:
vasovagaler Reflex), siehe auch S. 28: Videopanendoskopie und
NBI.
Ist der Patient tracheotomiert, kann nach Entfernen der
Kanüle die Glottis von unten beobachtet werden
(„retrograde Laryngoskopie“). Auf diese Weise lassen
sich Tracheostoma und suprastomale Trachea beurteilen. Spontane
Speichelaspirationen, aber auch Aspirationen nach Gabe von Nahrung
und Flüssigkeit sind erfassbar.
Vorteile der transnasalen Untersuchung:
Anwendbar bei Patienten mit
Bewusstseinseinschränkungen oder mangelnder
Kopfkontrolle/Rumpfstabilität, z.+B.
auf Intensivstationen (siehe 3.7) [186 ]
[187 ]
Geeignet für Kinder [106 ]
[110 ]
[188 ]
[189 ] und Patienten mit
begrenzter Kooperationsfähigkeit wie Patienten mit
Demenzerkrankungen [181 ]
[190 ]
Strukturen und Einzelfunktionen lassen sich beurteilen, die
radiologisch nicht oder nur unzureichend zu erfassen sind,
z.+B. Entzündungen, Weichteilschwellungen,
Defekte, Narben (insbesondere nach Tumortherapie) [191 ],
Tonusveränderungen oder diskrete
Bewegungsstörungen
Aspirationen von Speichel sind nachweisbar, die beim
Schlucken von Fremdsubstanzen, z.+B. Kontrastmittel,
nicht in Erscheinung treten [25 ]
[26 ]
[27 ]
[171 ]
[178 ]
Beliebig oft wiederholbar und damit hervorragend zur
Therapieevaluation geeignet
Keine Strahlenexposition
Die Untersuchung ist „vor Ort“
möglich, z.+B. in allen Abteilungen eines
Akutkrankenhauses oder in Reha-Einrichtungen sowie Alten-
und Pflegeheimen [192 ]
[193 ]
[194 ]
Nutzung als Biofeedback-Verfahren [195 ]
[196 ]
Geringere Kosten als radiologische Diagnostik.
Nachteile:
Die orale Vorbereitungsphase ist nur bei Endoskopie mit
Rückblick zu beobachten
Während der pharyngealen Phase sind Zungengrund,
Rachen und Kehlkopfstrukturen nur unmittelbar vor und nach
der pharyngealen Phase erfassbar; während des
reflektorischen Schluckablaufs kommt die Optik durch den
„Mitnahmeeffekt“ des sich hebenden Velums
und des sich kontrahierenden Pharynx meist in Kontakt mit
der Rachenhinterwand. Das „white out“ [159 ] behindert bei der
flexiblen Endoskopie die ausreichende Beurteilung der
entscheidenden Komponenten Kehlkopfverschluss und
Öffnung des Ösophagussphinkters
Keine Beurteilung der Ösophagusfunktionen
Kein Beurteilung der Menge aspirierten Materials
Bei Patienten mit ausgeprägten motorischen
Störungen wie Paresen, Ataxie, Tremor oder Dystonie
kann es schwierig sein, das Endoskop zu positionieren und
während der Schluckmanöver ruhig zu halten
[189 ]
Cave vasovagaler Reflex mit Hypotonie und Bradykardie,
insbesondere bei Berührung der Epiglottis durch die
Endoskopspitze, oder laryngealer Spasmus bei
Berührung der Taschenfalten/Stimmlippen,
wenn sich der Kehlkopf während des Schluckens hebt.
Wegen der Seltenheit dieser Ereignisse gilt die Methode
jedoch auch im ambulanten Bereich als sicher und wenig
belastend für die Patienten [107 ]
[197 ]
[198 ].
Absaugmöglichkeit, Kreislaufbehandlung, Notfallkoffer, ggf.
eine liegende Venenverweilkanüle sowie die
Möglichkeit einer zeitnahen Notfallbronchoskopie sind
für eine sichere Durchführung der flexiblen
endoskopischen Schluckuntersuchung in schweren Fällen
empfehlenswert [199 ].
Flexible Endoscopic Evaluation of Swallowing with Sensory Testing
(FEESST).
Durch ein speziell für diesen Zweck entwickeltes
Rhinopharyngolaryngoskop mit einem Kanal (Fa. Pentax Precision
Instrument, Orangeburg, New York) wird ein definierter Luftstrom auf
den Kehlkopf abgegeben (50 ms mit einem Druck von
0+–+15 mmHg). Gewertet werden die
Angaben der Patienten, ob und bei welcher Stärke sie den
Stimulus spüren [180 ],
und/oder die Auslösung des laryngealen
Adduktionsreflexes (LAR, kurzer Glottisschluss als Reizantwort [200 ]
[201 ]
[202 ]
[203 ]. Die Untersuchung wird auch als
Laryngopharyngeal Sensory Discrimination Threshold Testing (LPSDT)
bezeichnet und kann zur Schwellenbestimmung dienen.
Pharyngolaryngoskopie mit bronchoskopischer Untersuchung.
Mit einem transnasal eingeführten flexiblen Bronchoskop kann
am Beginn oder während einer bronchoskopischen Untersuchung
auch eine Untersuchung von Velum, Pharynx und Larynx sowie eine
Schlucküberprüfung erfolgen. Dies bietet sich vor
allem bei Patienten auf Intensivstationen und bei Patienten mit
reduzierter Bewusstseinslage bzw. Kooperationsfähigkeit
an.
Zu diesem Zweck kann über den Absaugkanal des Endoskops
Flüssigkeit (Wasser, Kochsalzlösung,
Lokalanästhetika) in den Pharynx verabreicht werden, und die
Auslösung und der Ablauf des Schluckreflexes können
unmittelbar beobachtet werden [181 ]
[182 ]. Vor Einbringen eines
Lokalanästhetikums zur Bronchoskopie kann bei wachen
Patienten eine Schluckuntersuchung mit Nahrung und
Flüssigkeit erfolgen (FESU).
Nach der Passage der (im Anschluss an die Schluckprüfung
normalerweise anästhesierten) Glottis ist die Beurteilung
von Trachea und Bronchialsystem möglich und damit die
Erfassung aspirierter Substanzen, die in die tiefen Luftwege gelangt
sind.
4.5 Untersuchungsmodalitäten und Beurteilungskriterien der
videoendoskopischen Untersuchung
Trotz zahlreicher publizierter Untersuchungsprotokolle existiert bisher kein
Goldstandard [159 ]
[163 ]
[177 ]
[204 ]
[205 ]
[206 ]. Die wichtigsten Beurteilungsparameter sind
in [Tab. 12 ] aufgeführt.
Tab. 12 Beurteilungsparameter der pharyngolaryngoskopischen
Untersuchung bei Dysphagie.
Untersuchungsmodalitäten
Beurteilungsparameter
Ruhebeobachtung
Strukturveränderungen: Defizite, Ödeme,
Narben, Vorwölbungen der Rachenhinterwand,
Entzündungszeichen
(Reflux!) Stellungsveränderungen der
Stimmlippen, der Glottisachse,
Tonus-(Form-)Veränderungen,
Hyperkinesen Beeinträchtigung
respiratorischer Bewegungen Vorhandensein
unwillkürlicher Bewegungen (Myoklonien,
Tremor) Zeichen des gestörten Schluckablaufs:
Residuen von Speichel/Sekret und Penetration,
Aspiration von Speichel/Sekret Beobachtung
der Reaktion des Patienten auf: Residuen, Penetration und
Aspiration (reflektorisches Husten, spontanes
Räuspern)
Funktionsprüfungen (ohne Nahrung)
Phonation auf [e:] (möglichst mit stroboskopischer
Untersuchung): Glottisschluss, Stimmlippentonus,
Regularität, Ablauf der
Schwingungen repetitive Phonation he- he-he:
diadochokinetische Bewegungen Glissando:
Kehlkopfhebung, Verlängerung der
Stimmlippen Phonation auf [iii:] so hoch und so laut
wie möglich: Pharynxkontraktion leichtes
Atemanhalten: Glottisschluss festes Atemanhalten und
Pressen: Verschluss der supraglottischen
Strukturen willkürliches Husten:
Glottisschluss, supraglottischer Verschluss mit
Sprengung bei Vorhandensein von Residuen, Penetration
und Aspiration von Speichel/Sekret:
Überprüfung der Fähigkeit und
Effektivität von Reinigungstechniken
(Haltungsänderung, willkürliches
Räuspern, Husten, Nachschlucken) eventuell
Sensibilitätsprüfung: mit gebogenem
Watteträger (bei transoraler Lupenlaryngoskopie)
oder Berührung mit dem flexiblen Endoskop
(cave: vasovagaler Reflex,
Laryngospasmus!) Einbringen von Flüssigkeit
durch Arbeitskanal des flexiblen Endoskops, wenn
vorhanden
Überprüfung der Schluckfunktion mit
Nahrung
Wenn anamnestisch, klinisch und endoskopisch keine
bedrohlichen Aspirationszeichen vorliegen und/oder
der Patient zu effektivem willkürlichem Abhusten in
der Lage ist
Überprüfung der Effektivität
kompensatorischer Schlucktechniken und
Reinigungsmanöver
effektiveres Abschlucken Vermeidung von Penetration
und Aspiration Verringerung/Elimination von
Residuen, Penetration, Aspiration
4.6 Funktionsprüfungen
Vor der Überprüfung mit Nahrung und Flüssigkeit erfolgt
die Überprüfung schluckrelevanter Bewegungen von Pharynx und
Larynx. Der laryngeale Verschluss kann gestört sein durch:
Operationsdefekte
Fixation des Krikoarytenoidgelenks oder andere mechanische Behinderungen,
z.+B. nach Intubation oder bei Sklerodermie, rheumatoider
Arthritis
Stimmlippenparesen oder Hyperkinesen (s.+o)
Reduzierung der Kraft der medialen laryngealen Kompression, z.+B.
bei Parkinson, Enzephalomyelitis disseminata, Atrophie der intrinsischen
Larynxmuskulaur im Alter
Unvollständige oder verspätete Auslösung des
Schluckreflexes und/oder unvollständige oder aufgehobene
Larynxelevation [117 ]
Reduzierte oder aufgehobene Kehlkopfsensibilität [207. ]
4.6.1 Prüfung des Verschlusses von Glottis und
Supraglottis
Phonation auf [e:]: In mittlerer Stimmlage möglichst
entspannt über mehrere Sekunden anhalten; Beurteilung von
Tonus und Beweglichkeit der Stimmlippen sowie Glottisschluss
Mehrmalige Phonation [e] kurz hintereinander: Beurteilung der
diadochokinetischen Beweglichkeit (bei spastischer Parese
vermindert)
Möglichst hohe, laute Phonation [iii:]:
Überprüfung der Verlängerung des Stimmlippen
und der Kehlkopfanhebung. Dabei erfolgt gleichzeitig die
Überprüfung der Pharynxkontraktion, erkennbar an der
lateralen Kontraktion der Pharynxmuskulatur und der Verengung der
Recessus piriformes: „pharyngeal squeeze“ [208 ]
[209 ]
[210 ]
Leichtes Atemanhalten: Glottisschluss
Atemanhalten, leichtes und stärkeres Pressen:
Aneinanderpressen und Anteriorbewegung der Aryknorpel, Schluss der
Taschenfalten, Kontraktion der aryepiglottischen Falten,
Dorsalwärtsneigung der Epiglottis [29 ]
[159 ]
[211 ]
[212 ]; letztere ist insbesondere bei
Patienten ohne vollständigen Glottisschluss wichtig!
Willkürliches Husten: Glottisschluss oder
Taschenfaltenschluss mit adäquater Sprengung
Bei Residuen/Penetration/Aspiration von Speichel oder
Sekret: Überprüfung der Fähigkeit zur
„Rachen- und Kehlkopfreinigung“ mittels
Haltungsänderung, Räuspern, Husten und Nachschlucken
oder notfalls Ausspucken.
4.6.2 Sensibilitätsprüfung
Die Sensibilität kann mit einem flexiblen Endoskop geprüft
werden, indem durch den Absaugkanal Flüssigkeit in den Pharynx
gespült, ein definierter Luftdruckstoßes (s. o.)
gegeben oder Epiglottis, Taschenfalten, Aryknorpel, Stimmlippen mit der
Endoskopspitze berührt werden. Während der Untersuchung mit
dem starren Lupenlaryngoskop kann bei dringlicher Indikation eine
Berührung des Kehlkopfeingangs mit einem gebogenen
Watteträger erfolgen.
Eine pharyngolaryngeale Sensibilitätsstörung bedeutet ein
hohes Aspirationsrisiko [117 ]
[203 ]
[213 ]. Bei ausgeprägtem
Speichelüberlauf in den subglottischen Raum ohne kräftiges
Husten muss vor der weiteren Diagnostik jede orale Nahrungszufuhr
unterbleiben. Eine bereits liegende Trachealkanüle muss geblockt
werden! Bei Patienten mit dieser Symptomatik lässt sich in manchen
Fällen durch eine medikamentöse Speichelreduktion eine
Tracheotomie vermeiden bzw. eine Dekanülierung beschleunigen.
4.6.3 Überprüfung des Schluckvorgangs mit Nahrung
Die Überprüfung des Schluckvorgangs mit Nahrung erfolgt, wenn
keine bedrohliche Speichelaspiration vorliegt und der Patient zum effektiven
willkürlichen Abhusten in der Lage ist, sodass er eventuell in die
Trachea eingedrungenes Material wieder abhusten kann. Die Sicherheit des
Patienten ist oberstes Gebot.
Zur Untersuchung sollten zur Verfügung stehen [206 ]:
Tasse/Wasserglas, Löffel, Strohhalm
Eis (gefrorener Tee oder Fruchtsaft, als Stangeneis oder
zerstoßen)
Breiige Substanzen: wahlweise
Götterspeise/Gemüsebrei/Joghurt
Flüssigkeit: flüssig (Wasser, Tee, Kaffee), sämig
(Frucht- oder Gemüsesaft)
Andickungsmittel zum Variieren der Flüssigkeit
Weiche Kost: Kartoffeln, Gemüse, Weißbrot
Feste Substanzen: Graubrot, Semmel, Keks, Kuchen
Lebensmittelfarben, um verschiedene Substanzen zu markieren, falls diese
nicht selbst eine von der Schleimhaut gut unterscheidbare Farbe
aufweisen; manchmal ist ein Anfärben zur Differenzierung
unterschiedlicher Konsistenzen hilfreich [214 ].
Patienten ohne bisherige orale Nahrungszufuhr erhalten in der Regel
zunächst kleine Mengen (ca. ⅓ TL) geeister Götterspeise.
Die halbfeste Konsistenz ist für die meisten Patienten leichter zu
schlucken als Flüssigkeiten und feste Speisen, der Kältereiz
provoziert evtl. eine bessere Schluckreflexauslösung und einen
kräftigeren Schluckablauf. Götterspeise ist gleitfähig
und verflüssigt sich bei Erwärmung im Körper. Sie kann
daher bei Aspiration leicht abgehustet bzw. abgesaugt werden oder wird ohne
größere Reizerscheinungen resorbiert. Durch grüne oder
blaue Färbung lässt sie sich im Pharynx gut erkennen, und der
Bolus lässt sich verfolgen (transnasale Untersuchung). Unmittelbar nach
dem Schlucken lassen sich Residuen/Penetration/Aspiration
identifizieren (transnasale und transorale Untersuchung).
Bei sehr trockenen Schleimhäuten sind (z.+B. nach
Strahlentherapie) angedickte Flüssigkeit (z.+B. Karottensaft
oder Kaffee) oder feinst passierter Gemüsebrei oder Apfelmus
günstiger.
Bei noch möglicher oraler Ernährung erfolgt die endoskopische
Prüfung zuerst mit der für den Patienten am leichtesten zu
schluckenden Konsistenz (in der Regel breiige Substanzen). Ist effektives
Abhusten gewährleistet, kann Joghurt verwendet werden. Die leichte
Säure verstärkt den sensorischen Input, Joghurt ist
gleitfähig und gut sichtbar. Je nach bisherigen endoskopischen
Auffälligkeiten wird daraufhin die Aufnahme von fester Kost (meist
Butterbrot) und Flüssigkeiten (Kaffee, Tee)
überprüft.
Die wichtigsten Ereignisse während der pharyngealen Phase, der
Kehlkopfverschluss und die Öffnung des OÖS, sind mit der
transnasalen endoskopischen Untersuchung nur dann erfassbar, wenn die Spitze des
Endoskops in Position 3 im Vorausblick oder 4 im Rückwärtsblick
liegt und das Bewegungsmuster des Patienten ausreichend Raum bietet. Daher ist
auch die Erfassung einer intradeglutitiven Aspiration in der Regel nicht
möglich und nur zu vermuten durch die Anfärbung der inneren
Kehlkopfschleimhaut und der Subglottis als Zeichen eines unvollständigen
Kehlkopfverschlusses. Die intradeglutitive Aspiration ist nur durch die
radiologische Untersuchung bzw. eine retrograde Laryngoskopie durch ein
Tracheostoma mit Sicherheit festzustellen.
Zeigen sich nach einem Schluck keine ausgeprägten Aspirationen,
erhält der Patient eine etwas größere Menge (1
TL+=+ca. 3+ml), danach einen kleinen
Esslöffel (= 5+ml) des für ihn
geeignetsten Lebensmittels. Anschließend wird die
nächstschwierige Konsistenz geprüft.
Das Bolusvolumen wird versuchsweise vergrößert, auch wenn bei
einer Menge von 1 ml Aspirationszeichen auftreten, der Patient aber
sicher abhusten kann. Die Effektivität des Schluckablaufs erhöht
sich bei größerem Bolusvolumen und höherer
Viskosität.
Aus den beobachteten Symptomen und ihrem möglichen pathophysiologischen
Korrelat lässt sich ein entsprechendes therapeutisches Konzept
entwickeln ([Tab. 13 ]).
Tab. 13 Sicher beobachtbare Symptome der
pharyngolaryngoskopischen Untersuchung und ihr pathophysiologisches
Korrelat bei Schluckstörungen [206 ].
Symptome
Pathophysiologisches Korrelat
Leaking (vorzeitiger
Übertritt)* prädeglutitive
Aspiration* prädeglutitives
Pooling*
gestörte orale
Boluskontrolle verspätete
Reflextriggerung
Residuen
hinterer Nasengang*
ungenügender velopharyngealer Verschluss
Pharynxwände
ungenügende Pharynxkontraktion
Valleculae und Recessus piriformis
ungenügende Zungenschubkraft reduzierte
Kehlkopfhebung reduzierte
Zungenbasisretraktion reduzierte
Pharynxkontraktion
Postkrikoidregion
reduzierte Öffnung des oberen
Ösophagussphinkters reduzierte Kehlkopfhebung
und -anteriorbewegung
Penetration
laryngeale Epiglottisfläche aryepiglottische
Falten Taschenfalten Oberfläche der
Stimmlippen
reduzierte Kehlkopfhebung reduzierte Dorsalbewegung
der Epiglottis reduzierte Adduktion des Aditus
laryngis Sensibilitätsstörung,
Störung der Schluckreflexauslösung
Aspiration
reduzierter oder nicht zeitgerechter Verschluss des Aditus
laryngis inklusive verminderter EpiglottiskippungFehlen des
Verschlusses durch das Kippen der Arytenoidknorpel gegen den
Petiolus reduzierter oder nicht zeitgerechter
Glottisschluss Sensibilitätsstörung;
Störung der Schluckreflexauslösung, der
Hustenreflexauslösung
4.6.4 Überprüfung der Effektivität therapeutischer
Manöver
Unmittelbar überprüfen lassen sich die Effekte von:
Haltungsänderung
Reinigungstechniken
Schlucktechniken.
4.6.5 Schweregrad der Aspiration und/oder der
Transporteffektivität von Substanzen
Ziele der Diagnostik von Patienten mit Dysphagie sind (einschließlich
der Klärung der pathophysiologischen Ursachen der
Störung):
Entscheidungen über die unmittelbare Sicherung der Atemwege:
in schweren Fällen Tracheotomie und Einsatz geblockter
Kanülen
Entscheidungen über den Ernährungsmodus: orale
Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr möglich
ohne/mit Einschränkungen, nasogastrale Sonde,
PEG/PEJ.
Im Verlauf der Erkrankung ist zu beurteilen, ob eine Besserung durch eine
funktionelle Therapie eintritt oder sogar chirurgische Eingriffe erwogen
werden müssen [17 ]. Für diese
weitreichenden Maßnahmen sind eingehende Bewertungen der klinischen,
endoskopischen und/oder röntgenologischen Aspirationszeichen
und des Schweregrades erforderlich. Verschiedene Einteilungen sind
erarbeitet worden, die allerdings unterschiedliche
Untersuchungsmodalitäten (klinische Beurteilung, Videoendoskopie,
Videofluoroskopie) und verschiedene Kriterien bewerten
(Auffälligkeiten bei der klinischen Untersuchung
einschließlich dysarthrischer Symptome, Residuen,
Aspirationssymptome von Speichel und/oder Nahrung, Fähigkeit
zur Nahrungsaufnahme). Sie sind nur teilweise evaluiert und validiert.
4.6.6 Penetration-Aspiration Scale (PAS)
Die 8-stufige Einteilung stellten Rosenbek et al. 1996 vor [109 ]. Sie wurde für den radiologischen
Befund und für die endoskopische Untersuchung gut evaluiert [171 ]
[215 ]. Sie hat sich sowohl für den
Klinikgebrauch als auch zur Bewertung von Studien als geeignet erwiesen.
Eine deutsche Version ([Tab. 14 ]) wurde 2014
von Hey et al. validiert [216 ].
Tab. 14 Deutsche Version der
Penetrations-Aspirations-Skala nach Rosenbek [216. ]
1
Material dringt nicht in den Luftweg ein.
2
Material dringt in den Luftweg ein, verbleibt oberhalb
der Stimmlippen und wird aus dem Luftweg
ausgestoßen a .
3
Material dringt in den Luftweg ein, verbleibt oberhalb
der Stimmlippen und wird nicht aus dem Luftweg
ausgestoßen a .
4
Material dringt in den Luftweg ein, kontaktiert die
Stimmlippen und wird aus dem Luftweg
ausgestoßen.
5
Material dringt in den Luftweg ein, kontaktiert die
Stimmlippen und wird nicht aus dem Luftweg
ausgestoßen.
6
Material dringt in den Luftweg ein, passiert bis unter
die Stimmlippen und wird in den Larynx hinein oder aus
dem Luftweg ausgestoßen.
7
Material dringt in den Luftweg ein, passiert bis unter
die Stimmlippen und wird nicht aus der Trachea
ausgestoßen, trotz Bemühung.
8
Material dringt in den Luftweg ein, passiert bis unter
die Stimmlippen, und es wird keine Bemühung zum
Ausstoßen unternommen.
a Ausstoßen inkludiert: Husten,
Räuspern und Schlucken (nach Rücksprache mit J.
Rosenbek)
Die PAS besitzt eine hohe Aussagekraft und eine gute diagnostische
Treffsicherheit [171 ]. Sie bewertet im
Wesentlichen das Vorhandensein und die Reaktion auf Material im
Kehlkopf/der Trachea. Das Ausmaß der Residuen, also die
Transporteffektivität, wird allerdings nicht
berücksichtigt.
4.6.7 Flexible endoskopische Evaluation der Dysphagie (FEED)
Es gibt keine feste Vorschrift über den Untersuchungsablauf. Aus der
Praxis der Untersuchungen in den Universitätsklinika Charité
und Universitätsspital Zürich wurde ein Bewertungsschema
entwickelt, das auf der flexiblen endoskopischen Schluckuntersuchung beruht
und zusätzlich Informationen liefert, die die Situation des
Patienten beschreiben.
Zur Basisuntersuchung gehören folgende Angaben:
Untersuchungsgrund
Art der Ernährung, oral, parenteral, per Nasogastralsonde
oder per PEG/PEJ
Vorhandensein einer Trachealkanüle zum Zeitpunkt der
Untersuchung, ja/nein
Bisherige Therapie
Situation bei der Untersuchung
Körperkontrolle
Allgemeinzustand
Bewusstseinszustand
Kooperativität
Stimme, Sprache, Sprechen.
Untersuchungsbefunde:
Bei der Untersuchung ohne Nahrung werden beschrieben:
Schleimhautbeschaffenheit in Oro- und Hypopharynx
velopharyngealer Verschluss
Stimmlippenmotilität
Schluss des Larynx bei Atemanhalten und Pressen: Stimmlippen,
supraglottische Strukturen
Sensibilität in Hypopharynx und Larynx
Residuen/Penetration/Aspiration.
Bei der endoskopischen Schluckuntersuchung werden verschiedene Konsistenzen
geprüft: z. B. Gel, Pudding, Wasser, Kuchen. Für
jede Konsistenz wird beurteilt:
Boluskontrolle
Triggerung des Schluckreflexes
Leaking
Larynx-Hyoidelevation
Einteilung nach der Penetrations-Aspirationsskala (PAS)
Auswirkung von Manövern auf das Schluckvermögen
(z. B. kräftiges Schlucken, Kopfneigung,
Mendelsohn-Manöver, supraglottisches Schlucken,
supersupraglottisches Schlucken, Kopfdrehung, Kopfkippung).
Aus dem Ergebnis der Untersuchung werden die therapeutischen Konsequenzen
abgeleitet:
Funktionelle Dysphagietherapie
fazio-orale Trakt-Therapie
Sondenernährung (NG-Sonde, PEG)
Empfehlungen zu diätetischen Maßnahmen
bei Erfordernis chirurgische Therapie.
4.6.8 FEES
FEES ist eine Untersuchungs- und Bewertungsmethode [2 ]
[177 ]. FEES wird allgemein als Synonym
für die flexible endoskopische Schluckuntersuchung genommen, mit
festgelegten Untersuchungsschritten.
Die Reliabilität wurde mit der Einbeziehung von Videoaufzeichnungen
und der Beachtung des umfassenden FEES-Protokolls gesteigert. Für
evidenzbasierte Untersuchungen ist die Einheitlichkeit von Untersuchungsgang
und Bewertung erforderlich [217 ]. Mithilfe
einer Dokumentationssoftware haben Hey et al. die Auswertungszeit von 42 auf
18 min reduzieren können [218 ].
In der Praxis werden die Untersuchungsschritte nicht konsequent eingehalten.
Das liegt zum einen an der Dauer der Untersuchung, zum anderen daran, dass
nicht in jedem Fall das komplette Protokoll erstellt werden kann, weil die
Patienten die Untersuchung nicht komplett durchstehen oder weil bezogen auf
die Grunderkrankung die Symptome und Zeichen der Dysphagie nicht einheitlich
sind.
4.6.9 Bogenhausener Dysphagiescore (BODS)
Der Bogenhausener Dysphagiescore (BODS) erfasst mit 2 verschiedenen Skalen
die Fähigkeit des Speichelschluckens zum Schutz der tiefen Atemwege
(BODS-1) und die Fähigkeit zur Nahrungsaufnahme (BODS-2). Die Skalen
können einzeln oder als Summe zur Bestimmung des Schweregrades einer
Dysphagie herangezogen werden und eignen sich sowohl für Patienten
mit als auch ohne Trachealkanülen. Reliabilität und
Inhaltsvalidität des BODS wurden nachgewiesen [219 ]. Tabelle und Handanweisung ([Tab. 15 ]
[16 ]
[17 ]
[18 ]) zum BODS sind online verfügbar
(www.elsevier.de).
Tab. 15 Bogenhausener Dysphagiescore, BODS-1
(Speichelschlucken).
Score
Charakteristika
1
keine Trachealkanüle, effizientes
Speichelschlucken
2
keine Trachealkanüle, ineffizientes
Speichelschlucken, gelegentlich gurgelnder Stimmklang
und/oder gelegentliche Expektoration
(Abstände größer als 1 Std.) bei
ausreichenden Schutzmechanismen (effektives
Rachenreinigen/Hochhusten)
3
keine Trachealkanüle, ineffizientes
Speichelschlucken, häufig gurgelnder Stimmklang
und/oder häufige Expektoration
(Abstände kleiner oder gleich 1 Std.) bei
ausreichenden Schutzmechanismen (effektives
Rachenreinigen/Hochhusten)
4
keine Trachealkanüle bei unzureichenden
Schutzmechanismen und gelegentliches Absaugen notwendig
oder Trachealkanüle dauerhaft entblockt oder
Sprechkanüle/Platzhalter als
Absaugmöglichkeit für Speichel
5
Trachealkanüle länger entblockt
(>12+–+24 Std.)
6
Trachealkanüle länger entblockt
(>1+–+12 Std.)
7
Trachealkanüle kurzzeitig entblockt (≤1
Std.)
8
Trachealkanüle dauerhaft geblockt
Tab. 16 Bogenhausener Dysphagiescore, BODS-2
(Nahrungsaufnahme).
Score
Charakteristika
1
voll oral ohne Einschränkung
2
voll oral mit geringen Einschränkungen: Mehrere
Nahrungskonsistenzen und mindestens eine
Flüssigkeitskonsistenz ohne Kompensation oder
Kompensation ohne Diäteinschränkung
3
voll oral mit mäßigen
Einschränkungen: Mehrere Nahrungskonsistenzen
und mindestens eine Flüssigkeitskonsistenz mit
Kompensation
4
voll oral mit gravierenden Einschränkungen: Nur
eine Nahrungskonsistenz und/oder eine angedickte
Flüssigkeitskonsistenz mit oder ohne
Kompensation
5
überwiegend oral: Mehr als die Hälfte des
Tagesbedarfs, Restbedarf via
Sonde/parenteral
6
Partiell oral: Mehr als 10 TL täglich bis zur
Hälfte des Tagesbedarfs, Restbedarf via
Sonde/parenteral
7
geringfügig oral: Weniger oder gleich 10 TL
täglich, Restbedarf via
Sonde/parenteral
8
ausschließlich Sonde/parenteral
Tab. 17 Einzelbewertung des Störungs-Schweregrads
nach BODS-1 (Speichelschlucken) oder BODS-2
(Nahrungsaufnahme).
Score
Schweregrad
1
keine Störung
2
leichte Störung
3
mäßiggradige Störung
4/5
mittelschwere Störung
6/7
schwere Störung
8
schwerste Störung
Tab. 18 Gesamtbewertung des Dysphagie-Schweregrads nach
BODS-1 (Speichelschlucken) und BODS-2 (Nahrungsaufnahme).
Summenscore
Schweregrad
2
keine Dysphagie
3–4
leichte Dysphagie
5–6
mäßiggradige Dysphagie
7–10
mittelschwere Dysphagie
11–14
schwere Dysphagie
15–16
schwerste Dysphagie
Der Bogenhausener Dysphagiescore, BODS-2, bewertet die Möglichkeiten
der Nahrungsaufnahme. Er ersetzt in konkreterer Form den „Food Oral
Intake Score (FOIS)“ [220 ].
4.6.10 Einteilung der Aspirationsschweregrade
Nach dem videolaryngoskopischen Befund wurde 1996 eine Einteilung der
Aspirationssymptomatik in die Schweregrade 0+–+IV
([Tab. 19 ]) angegeben [221 ].
Tab. 19 Schweregradeinteilung der Aspiration nach dem
laryngoskopischen Befund.
Schweregrad
Aspirationssymptomatik
0
keine Aspiration
I
gelegentliche Aspiration bei erhaltenem Hustenreflex
II
permanente Aspiration bei erhaltenem
Hustenreflex oder gelegentliche Aspiration
ohne Hustenreflex mit gutem willkürlichem
Abhusten
III
permanente Aspiration ohne Hustenreflex mit gutem
willkürlichem Abhusten
IV
permanente Aspiration ohne Hustenreflex, ohne
willkürliches effektives Abhusten
Bei Schweregrad I und II können konservative Maßnahmen
(Diätanpassung, funktionelle Schlucktherapie, Refluxprophylaxe)
evtl. ausreichen. Bei Schweregrad III müssen weitreichendere
Entscheidungen erwogen werden, vom Verbot oraler Nahrungszufuhr bis zu
Tracheotomie und geblockter Kanüle. Mit dieser Einteilung werden das
Vorliegen eines Hustenreflexes und die Fähigkeit zum
willkürlichen Abhusten erfasst.
Da die Endoskopie nicht den gesamten Schluckvorgang und nur einen Teil der
Ursachen der Störungen definieren kann, sollte insbesondere
für die Anfangsdiagnostik einer klinisch relevanten Dysphagie
komplementär eine Videofluoroskopie in Erwägung gezogen
werden.
Nach Einführung der Hochgeschwindigkeitskinematografie in die Analyse
des Schluckvorganges [222 ] galt die
radiologische Untersuchung zunächst viele Jahre als Goldstandard
[158 ]. Bei optimaler Erfassung des
kompletten Schluckablaufs ist sie jedoch technisch aufwändig, mit
Strahlenbelastung verbunden und nur bei kooperativen Patienten
durchführbar. Nach dem radiologischen Befund wird häufig der
Schweregrad der Aspiration nach Hannig et al. [222 ] eingeteilt ([Tab. 20 ]).
Tab. 20 Schweregrade der Aspiration nach dem
radiologischen Befund.
Schweregrad
Aspiration
Hustenreflex
1
Aspiration des im Aditus und Ventriculus laryngis
retinierten Materials
erhalten
2
Aspirationsvolumen von ca. 10% des Bolus
erhalten
3
Aspiration≤10% des
Bolus Aspiration>10% des
Bolus
reduziert erhalten
4
Aspiration>10% des Bolus
fehlt
Der von Farneti 2008 vorgestellte „Pooling Score“ [223 ] beurteilt sowohl Residuen als auch
Ansammlungen in Kehlkopfeingang und Glottis (also eigentlich Penetration und
Aspiration) nach Lokalisation, Menge und „Management“
(Beeinflussbarkeit durch den Patienten), ist jedoch noch nicht ausreichend
validiert.
Die Sekretbeurteilungsskala nach Murray et al. [27 ] wurde ebenfalls in der deutschen Übersetzung
validiert und existiert in einer Lang- und Kurzversion [224 ].
Zahlreiche weitere Bewertungsbögen können für
Erfordernisse bei verschiedenen Patientengruppen und unter klinischen oder
wissenschaftlichen Aspekten herangezogen werden [103 ]
[204 ]
[205 ]
[220 ]
[223 ].
4.7 Die transnasale Videopanendoskopie (ViP)
Die transnasale Videopanendoskopie wurde in Europa entwickelt und in den USA 1997
publiziert [184 ]. Sie kann angewendet werden, um
neben Nase, Nasennebenhöhlen und Tuben auch Kehlkopf, Rachen,
Speiseröhre und Magen unter Verwendung von ultradünnen flexiblen
Endoskopen zu untersuchen.
Messungen des Naseninnenraumes zeigten, dass flexible Endoskope mit einem
Außendurchmesser von 4,0 mm bei 94% der Erwachsenen,
zumindest auf einer Seite ohne ein Trauma oder Schmerzen durch die Nase
geführt werden können. Normalerweise wird nur ein leichtes
Druckgefühl wahrgenommen.
Die Länge des Endoskops sollte zwischen 60 und 100 cm betragen
und die Spitze um bis zu 200 ° für eine Inversions-Ansicht
gebogen werden können [280 ].
Für die flexible transnasale Endoskopie sind die Standardpositionen
P0–P6 bei Vorausblick und
180°+–+200° Rückblick definiert,
um Vergleichbarkeit herzustellen [184 ]
[185 ]. Diese Positionen und das
dazugehörige Blickfeld (optisches Fenster – oF) bei Blick voraus
und Blick zurück sind ([Abb. 19 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]
[23 ]
[24 ]):
Position 0: das optische Fenster ist an der Grenze zwischen hartem und
weichem Gaumen platziert. Blickfeld voraus: Nasenrachen,
Tubeneingänge und Gaumensegel. Blickfeld zurück: Septum,
Muscheln, Nasenboden und -dach der kontralateralen hinteren bis
mittleren Nase.
Position 1: das optische Fenster in Höhe der Gaumenbögen.
Blickfeld voraus: Pharynx und Larynx mit Epiglottis, Blickfeld
zurück: Vomer, Septum und Muscheln der hinteren Nase
beidseits.
Position 2: das optische Fenster ist hinter dem oberen Epiglottisrand
platziert. Blickfeld voraus: Petiolus und Larynx, sowie
Hypopharynxeingang beidseits mit Pharynxrückwand. Blickfeld
zurück: Nasopharynx, Blick durch die Passavant’sche Enge
in die Mundhöhle.
Position 3: das optische Fenster liegt über der postkrikoidalen
Region an der Pharynxrückwand. Blickfeld voraus: Arytenoide und
Interarytenoidregion, Hypopharynxeingang beidseits. Blickfeld
zurück: laryngeale Epiglottis, Gaumensegel, Zungengrund,
Passavant’scher Ringwulst.
Position 4: das optische Fenster ist in Höhe des oberen
Ösophagussphinkters platziert. Blickfeld voraus: oberer
– mittlerer Ösophagus mit Speisetransport und
nachfolgender peristaltischer Welle. Blickfeld zurück: oberer
Ösophagus mit OÖS.
Position 5: das optische Fenster ist über der Ampulle oder 5 cm
über dem UÖS platziert. Blickfeld voraus: die gesamte
Zirkumferenz des UÖS. Blickfeld zurück: der untere und
mittlere Ösophagus.
Position 6: das optische Fenster ist unterhalb des UÖS platziert.
Blickfeld voraus: Sicht auf den Mageninhalt oder auf die Korpus-Region.
Blickfeld zurück: das Endoskop, das die Kardia passiert. Bei
Rotation Sicht auf den Magenfundus.
Die FESU bezieht sich auf den Pharynx und gebraucht daher nur die Positionen
0+–+3.
Während der Durchführung gibt der Patient ein
Fremdkörpergefühl in der Nase an. Abschwellende Nasentropfen mit
lokaler Betäubung können diese Empfindungen minimieren. Eine mit
Oxybuprocain-getränkte und ausgedrückte Watte wird in die Nase
eingelegt und bewirkt nach ca. 5 min eine Oberflächenanästhesie.
Die Berührung der Seitenwand des Nasenrachenraums, des Kehldeckels oder
der Interarytenoidregion während der Durchführung der Endoskopie
sollte außerhalb des Schluckaktes nach Möglichkeit vermieden
werden, da hierdurch ein Würgereflex ausgelöst werden kann. Mit
der Aufnahme von Speisen und Getränken in den Mund setzt eine
physiologische Hypästhesie ein, die die Speisepassage in den
Ösophagus ermöglicht.
Patienten können den Verlauf der Endoskopie am Monitor verfolgen. Damit
hat der Untersucher die Möglichkeit, die endoskopischen Ergebnisse zu
demonstrieren und Fragen der Patienten unmittelbar während der
Untersuchung zu beantworten, wodurch das Vertrauensverhältnis zwischen
Arzt und Patient gestärkt wird.
Nase.
Das Vorgehen bei der Passage der Nasenhöhle entspricht dem bei der FESU
(s. 4.4.2.2).
Nasopharynx.
Wenn die Endoskopspitze das dorsale Ende des Vomer erreicht, wird das Endoskop in
die Nähe der Rachenhinterwand genau in der Mittellinie zwischen den Tori
tubarii eingestellt (Position 0 – Grenze harter/weicher Gaumen).
Dabei sollte der Patient ruhig durch die Nase atmen. Hierdurch entspannt sich
das Gaumensegel und der Blick über den Oropharynx auf den Larynx und
Hypopharynx wird frei.
Die unbedachte Berührung der lateralen Nasopharynxwand oder Tubenostien
kann zum Schlucken und Würgen des Patienten führen. Bei
Patienten mit Rhonchopathie vor allem im fortgeschrittenen Alter und bei
Fettleibigkeit ist das Gaumensegel verdickt und verlängert. Gleichzeitig
ist die Empfindlichkeit in diesem Bereich reduziert.
Oropharynx.
Wenn sich die Spitze des Endoskops der dorsalen Rachenwand nähert, wird
es mit dem Stellhebel in Richtung Oropharynx gebeugt und weiter vorgeschoben,
bis der Kehlkopf sichtbar wird. Der Rachen und Kehlkopf werden von der
Gaumenbogen-Aufsicht (Position 1: Höhe der Gaumenbögen, [Abb. 19 ]
[20 ]) beim Atmen, Husten, Essen, Trinken und
Sprechen beurteilt.
Der Weg vom Gaumen bis zum Kehlkopf ist geräumig und erlaubt eine gute
Beurteilung der anatomischen Strukturen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig
zu wissen, dass die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit zu einer
physiologischen Hypästhesie führt. Diese beginnt bspw. wenn die
Lippen beim Trinken in Kontakt mit einem Strohhalm kommen. Dieser Prozess setzt
sich fort, bis die Lippen den Strohhalm loslassen und sich schließlich
der Pharynx wieder entspannt. Berührungen der Epiglottis mit dem
Endoskop während dieses Vorgangs führen nicht zum Würgen
oder Erbrechen (Position 2: Höhe des oberen Epiglottisrandes, [Abb. 21 ]).
Hypopharynx und oberer Ösophagussphinkter (OÖS).
Vor der ersten Passage des oberen Ösophagussphinkters, muss getestet
werden, ob der Patient in der Lage ist, kontinuierlich zu trinken. Der Patient
sollte mindestens 2 Schlucke klaren Wassers ohne zu atmen zu sich nehmen
können.
Um den oberen Ösophagussphinkter zu passieren, sollte die Spitze des
Endoskops in der Nähe der Hypopharynxhinterwand auf der Höhe der
Epiglottis platziert werden (Position 3: Nahe der Postkrikoidregion).
Der/die Endoskopierende gibt dem Patienten die Anweisung, kontinuierlich
zu trinken. Während des Schluckaktes wird das Endoskop durch den oberen
Ösophagussphinkter geschoben und dessen Funktion aufgezeichnet. Danach
ist der Weg in den Ösophagus frei und das Endoskop kann kontinuierlich
weiter eingeführt werden. Kommt es vor dem Schluckakt zu einer
unerwarteten Bewegung des Patienten, die eine Berührung der Epiglottis
mit dem Endoskop zur Folge hat, kann es zum Auslösen des
Würgereizes kommen. Damit wird die weitere endoskopische Beurteilbarkeit
erschwert oder unmöglich. Beim Herausziehen des Endoskops aus dem
Ösophagus sollte der Patient vor der erneuten Passage des oberen
Ösophagussphinkter aufgefordert werden zu trinken. Dies hilft den
Würgereflex beim Zurückziehen durch den OÖS zu
überwinden. Alternativ kann das Endoskop durch den oberen Sphinkter sehr
langsam und damit ohne zu reizen zurückgezogen werden.
Larynx.
Wenn die Endoskopspitze den Pharynx erreicht, wird der Patient aufgefordert, das
Trinken einzustellen. Nun wird die Spitze mit dem Hebel nach vorne bewegt. Das
Bild ermöglicht die Sicht auf den Endolarynx aus nächster
Nähe und vor allem auf die Stimmlippen während der Atmung und
Phonation sowie die Trachea (Position 3) einschließlich Stroboskopie.
Penetration und Aspiration sind hervorragend nachweisbar.
Ösophagus.
Das Endoskop wird beim kontinuierlichen Schlucken in die Speiseröhre
vorgeschoben, sodass der Patient die Bewegungen des Endoskops nicht wahrnimmt
([Abb. 22 ]). Wenn die
gastro-ösophageale Übergangszone beim Wasserschlucken sichtbar
wird, kann bei offenem unteren Sphinkter mithilfe des Schnüffeltest die
Verschlussfähigkeit des unteren Ösophagussphinkters
(UÖS) geprüft und beurteilt werden.
Schnüffeln der Nase bedeutet eine kurze und schnelle nasale Inspiration,
die parallel mit der Kontraktion des Zwerchfells, des oberen
Ösophagussphinkters und des Rhinosphinkters einhergeht. Bei offenem
distalem Ösophagus kann die Höhe des Zwerchfells durch seine
Kontraktion am sitzenden Patienten bestimmt werden.
Anschließend kann die Inversion des Endoskops im unteren
Ösophagus etwa 5 cm über dem unteren
Ösophagussphinkter durchgeführt werden. Der Radius des
Endoskopes während der 200°-Flexion beträgt ca.
2,5+–+3,5 cm. Durch die Verwendung
dünner Endoskope mit einem kleinen Radius wird eine Irritation des
Ösophagus vermieden.
Nach der Inversion wird das Endoskop mit rückwärtsgewandtem Blick
zum oberen Ösophagussphinkter zurückgezogen (Position 4: oberer
Ösophagussphinkter, [Abb. 23 ]).
Ist der Ösophagus z. B. bei einer Hiatushernie kollabiert, kann
das Lumen durch fortlaufendes Trinken klaren Wassers offengehalten und beurteilt
werden. Man kann zwischen Hypertonie, Hypotonie sowie normalem Muskeltonus des
oberen Ösophagussphinkters unterscheiden. Beim Hypertonus kommt es zum
Prolaps des postkrikoidalen kavernösen Schleimhautpolsters. Beim
Hypotonus schließt die zirkuläre Muskulatur nicht, die kaudal an
den M. cricopharyngeus anschließt. Ihre Verschlussfähigkeit kann
mit dem Schnüffeltest geprüft werden. Sind beide Anteile des
Sphinkters in Ihrer Verschlussfähigkeit eingeschränkt, ist der
Blick auf die posteriore, kaudale Wand des Larynx frei. Der Kehlkopf sitzt wie
der Verschlussstopfen einer geöffneten Sektflasche auf dem offenen
Ösophaguseingang. Patienten klagen über permanentes
Aufstoßen.
Im nächsten Schritt kontrolliert man die Funktion der Speiseröhre
in Inversions-Ansicht beim Schlucken flüssiger und fester Nahrung.
Hierbei wird das Endoskop wieder langsam nach distal in Richtung auf den unteren
Ösophagussphinkter vorgeschoben (Position 5, [Abb. 24 ]). Gleichzeitig kann der Bolustransport und die
peristaltische Welle des Ösophagus im Rückblick und Vorausblick
beobachtet werden.
Der untere Ösophagussphinkter (UÖS).
Für die Passage des Endoskops durch den unteren
Ösophagussphinkter in Inversions-Ansicht (Rückblick) bittet der
Untersucher den Patienten mit dem Trinken aufzuhören. Beim Durchgang des
invertierten Endoskops durch den Sphinkter kann der Untersucher einen Eindruck
von dem Tonus und dem Schluss des unteren Ösophagussphinkters gewinnen.
Neben der Anamnese und dem Lokalbefund ist der Widerstand des unteren
Ösophagussphinkters entscheidend für die Beurteilung und
Einleitung der weiteren Diagnostik, wie bspw. der hochauflösenden
Manometrie.
Magen.
Aus dem Magen wird in Inversions-Ansicht die Funktion des unteren
Schließmuskels (Ösophagus und Magen-Übergangszone) beim
sitzenden Patienten auch mit vollem Magen beobachtet (Position 6).
Oftmals wird die Gleitbewegung einer Hiatushernie erkennbar. Während der
Aufnahme von flüssigen oder festen Nahrungsmitteln kann der
Bolustransport von der Speiseröhre in den Magen gemeinsam mit der
Funktion des unteren Ösophagussphinkters untersucht werden.
Der Weg zurück.
Nach der Untersuchung des Magens und des unteren Ösophagussphinkters kann
die Inversion aufgehoben und das Endoskop langsam zurückgezogen werden.
Beim Herausziehen der Spitze des flexiblen Endoskopes aus der
Speiseröhre sollte der Patient Wasser trinken. Die laryngeale
Schleimhaut der Epiglottis sollte beim Zurückziehen außerhalb
des Schluckens nicht berührt werden.
Rachen, Mundhöhle und Nase in Inversions-Ansicht.
Mithilfe von 2 oder 3 Schluck Wasser kann der erfahrene Untersucher den oberen
Schließmuskel mit dem invertierten Endoskop passieren. Die
Postkrikoidregion wird ohne Probleme und Auslösen des
Würgereflexes erreicht. Die Endoskopspitze wird an dem Übergang
vom Oro- zum Hypopharynx (Position 3) positioniert und kann dann im
Rückblick, falls erforderlich, nach oben und unten bewegt werden.
Während dieser Manöver muss man darauf achten, dass der Patient
ausreichend trinkt und isst, um die Unterstützung der
natürlichen Hypästhesie zu nutzen und den Würgereflex im
Rachen zu unterdrücken.
Von der Postkrikoidregion aus kann die Funktion der Gaumenbögen, des
Zungengrundes und das Öffnen oder Schließen des Nasenrachenraums
beobachtet werden. Es lassen sich sowohl die Bolussammlung und nachfolgend auch
der Überlauf des Bolus als Auslöser für den
Schluckvorgang nachweisen. Ebenso werden hyperplastische Tonsillen wie auch die
Funktion der Zunge bei oralen und oropharyngealen Dysphagien im Zusammenspiel
mit den Gaumenbögen sichtbar.
4.8 Weitere diagnostische Verfahren
Trotz der verbesserten endoskopischen Techniken sind Mundmotorik,
Reflextriggerung, Öffnung des oberen Ösophagussphinkters und
Ösophagusmotilität endoskopisch nicht ausreichend beobachtbar.
Bei manchen strukturellen Veränderungen (z. B. Divertikel,
HWS-Erkrankungen) können die damit verbundenen funktionellen
Einschränkungen nicht sicher beurteilt werden, ebensowenig die Menge
aspirierten Materials. In solchen Verdachtsfällen ist eine
radiologische Untersuchung mit Darstellung des kompletten
Schluckvorganges unverzichtbar.
Verfahren mit einer schnellen Bildfolge sind erforderlich, damit auch kurze,
diskrete Aspirationsepisoden erfasst werden:
Hochgeschwindigkeitskinematografie: 50+–+200
Bilder pro Sekunde möglich, relativ hohe Strahlenbelastung
Videofluoroskopie („Videofluoroscopic Swallowing Study“,
VFSS): 25+-+30 Bilder pro Sekunde, heute noch
gängiges Verfahren, als Digitale Fluoroskopie („Digital
Fluoroscopic Swallowing Study“, DFSS) mit neuerer Bilderfassung
weiterentwickelt
Gepulste Durchleuchtung: dosissparend, hohe Bildqualität,
Einspeisung in PACS Systeme möglich (picture archiving and
communication system), Anpassung der Aufnahmefrequenz möglich,
z. B. bei der Ösophaguspassage
Die Überprüfung erfolgt wie bei der endoskopischen
Schluckuntersuchung mit unterschiedlichen Konsistenzen und Mengen (angereichert
mit Kontrastmittel) und schließt die Effektivität von
Reinigungs- und Schlucktechniken ein.
Eine pH-metrie ist unerlässlich bei Verdacht auf eine
Refluxsymptomatik: zum Einen kann die Aspiration von Magensaft zu
lebensbedrohlichen Lungenkomplikationen führen, saures Refluat im
Ösophagus aber auch zu einer Verstärkung einer
Öffnungsstörung des Oberen Ösophagussphinkters
führen.
Die Manometrie des Pharynx und Ösophagus klärt
Transportdefizite der Nahrung („impaired propulsion“) und
Störungen der Sphinkterfunktion, wie bei Patienten mit Myositis. Die
Aussagekraft kann in Kombination mit der radiologischen Untersuchung
(„Radiomanometrie“) gesteigert werden.
Die Bronchoskopie wird bei Verdacht auf Lungenkomplikationen durch
Aspiration diagnostisch eingesetzt zum Nachweis von Entzündungszeichen,
von aspiriertem Material in Trachea und Bronchialbaum sowie zur Gewinnung von
Material für die bakteriologische Testung. Therapeutisch werden
aspirierte Fremdpartikel, Speichel, Sekret, Eiter, Nahrung mittels
Bronchiallavage abgesaugt.
Bei weitergehenden Fragestellungen können EMG, Sonografie, MRT und
Szintigrafie indiziert sein.
5. Therapeutische Konsequenzen
5. Therapeutische Konsequenzen
5.1 Konservative Dysphagietherapie
Eine gezielte Therapie sollte möglichst früh beginnen. In der
Akutphase zielt sie auf den Schutz vor Aspiration ab. In der Regel kommen erst
adaptive und kompensatorische Maßnahmen, anschließend
restituierende Verfahren zum Einsatz.
Die Therapiefrequenz richtet sich nach dem Zeitpunkt des Ereignisses, das die
Schluckstörung ausgelöst hat. In der Akutphase sollte daher eine
Schlucktherapie erfolgen, die die Grunderkrankung des Patienten
berücksichtigt und je nach Belastbarkeit des Patienten längere
oder kürzere Therapiesequenzen ein- oder mehrmals täglich
(mindestens 5 mal pro Woche) beinhaltet.
In der postakuten Phase wird mindestens einmal täglich eine
45 minutige Einzeltherapie sowie Eigenübungsprogramme empfohlen.
In der nachfolgenden ambulanten Therapie sollte
1+–+2-mal pro Woche für 45 min
geübt werden, um bereits Erlerntes fortzusetzen, die Leistungen aufrecht
zu erhalten und einen Transfer in den Alltag zu gewährleisten. Die
Therapie endet, wenn das Therapieziel oder ein Leistungsplateau erreicht ist
oder die Therapiemotivation fehlt.
Grundsätzlich werden 3 Ansätze unterschieden: Die funktionelle
Schlucktherapie (FDT), die Fazit-orale Trakt-Therapie
(F.O.T.T.® ) sowie die propriozeptive
neuromuskuläre Faszilitation (PNF).
5.1.1 Funktionelle Dysphagietherapie
Der Begriff der funktionellen Dysphagietherapie wurde von Gudrun Bartholome
[47 ] geprägt. Sie stellt ein
funktions- und problemorientiertes Verfahren dar. Sie bedient sich
restituierender (kausaler), kompensatorischer und adaptiver Methoden.
5.1.1.1 Restituierende (kausale) Methoden.
Damit wird versucht, durch Stimulation sowie aktivierende und repetitive
Übungen ohne Nahrungsangebot die Schluckfunktion weitestgehend
wiederherzustellen, zu restituieren. Elemente sind:
Thermische Stimulation.
Die thermische Stimulation beruht auf der Annahme, dass die vorderen
Gaumenbögen sensible Bereiche sind, die auf Temperaturreize
reagieren, wodurch die Auslösung des Schluckreflexes
erleichtert werden soll. Sie wird bei reduzierter oraler und
pharyngealer Sensibilität indiziert.
Dazu wird eine Thermosonde in Eis abgekühlt. Die
Gaumenbögen werden damit berührt oder die Patienten
zerkauen einzelne Partikel zerstoßenes Eis, das die Basis
der vorderen Gaumenbögen umspült. Dann werden die
Patienten zum Schlucken aufgefordert.
Der beabsichtigte Effekt sind eine schnellere Auslösung des
Schluckreflexes und die Verbesserung der pharyngealen
Sensibilität. Die Wirkungsweise ist empirisch untersucht und
nachgewiesen, wird dennoch kontrovers diskutiert [109 ]
[158 ].
Masako-Manöver.
Die Indikation zur Übung dieses Manövers [225 ] ist bei einem schwachen
Zungengrund und zu geringem Druckaufbau zu Beginn der pharyngealen
Phase gegeben. Die Patienten werden mit folgenden Worten angeleitet:
„Klemmen Sie Ihre Zunge zwischen die Zähne und
schlucken Sie“. Der Effekt besteht in der Vorwölbung
der Rachenhinterwand, die sich dem Zungengrund annähert und
damit den Druckaufbau verbessert.
Shaker-Manöver.
Bei einer Dysfunktion des oberen Ösophagussphinkters kann
folgendes Manöver indiziert sein [226 ]:
„Legen Sie sich in Rückenlage, heben Sie
3×1 min den Kopf (Schultern bleiben entspannt,
dazwischen je 1 min Pause), heben Sie 30 ×
den Kopf kurz.“ Diese Übung 3 × am
Tag wiederholen. Sie soll an 5 Tagen die Woche, 6 Wochen
hintereinander durchgeführt werden. Als Effekt
öffnet sich der OÖS sowohl in der Weite als auch der
Dauer, der Bolusdruck erhöht sich, und die Kehlkopfhebung
verbessert sich.
5.1.1.2 Kompensatorische Methoden.
Durch Schlucktechniken und Haltungsänderungen mit
Nahrungsangebot, auch wenn die physiologische Bewegungen nicht mehr oder
nur teilweise wieder herstellbar sind, sollen Techniken erlernt werden,
mit denen die Defizite bestmöglich kompensiert werden.
Der Patient muss im Falle von Hyperkinesen durch Erlernen
kompensatorischer Strategien den Kehlkopfverschluss
herbeiführen. Das kann dadurch wieder erreicht werden, dass er
z.+B. die Flüssigkeit in der Mundhöhle in kleine
Schlückchen aufteilt, die Kopfhaltung verändert, feste
Speisen gut kaut, kleinere Bolusmengen in den Valleculae sammelt und
wegen der verlängerten Bolus-Peristaltik-Zeit (BPT)
länger mit dem Beginn der Atmung wartet.
Mendelsohn-Manöver.
Das Manöver wirkt sowohl restituierend als auch
kompensatorisch [227 ]. Es ist bei
Dysfunktion des OÖS, reduzierter Larynxelevation und
reduzierter Zungenschubkraft indiziert.
Die Anleitung ist: „Halten Sie während des Schluckens
den Kehlkopf 2–3 s oben. Drücken Sie den
Zungenrücken gegen den Gaumen.“ –
„Entspannen Sie, und schlucken Sie nach.“
Durch die Verlängerung des Schlucks wird die
OÖS-Öffnung verlängert. Damit verbessert
sich die pharyngeale Kontraktion. Retentionen verringern und die
Kehlkopfhebung verlängert sich.
Supraglottisches Schlucken.
Bei verzögerter Reflexauslösung und bei
unvollständigem Larynxverschluss wird supraglottisches
Schlucken geübt [158 ]
[228 ]. Die Anweisungen an den
Patienten sind: „Halten Sie die Luft an, schlucken Sie und
räuspern/husten Sie sofort danach ohne
Zwischenatmung.“ – „Schlucken sie
nach.“
Mit dem supraglottischen Schlucken werden Retentionen und
Penetrationen mobilisiert, entfernt und anschließend
geschluckt.
Super-supraglottisches Schlucken.
Das Manöver wird wie das supraglottische Schlucken
durchgeführt. Zusätzlich zum Anhalten der Luft soll
der Patient auch pressen. Damit wird der Verschluss von Glottis und
Larynx stärker angeregt. Die tieferen Atemwege werden besser
geschützt.
Haltungsänderungen.
Mit Haltungsänderungen werden Schwerkraftverhältnisse
durch Kopfneigungen und der Bolusweg durch Kopfdrehungen gezielt zur
Regulierung des Bolustransportes modifiziert. Wegen individueller
anatomische Verhältnisse soll die Wirksamkeit
endoskopisch/radiologisch überprüft
werden.
Kopfneigung nach vorne: chin tuck.
Bei reduzierter oraler Boluskontrolle mit Leaking, einem
verzögerten Schluckreflex oder reduzierter
Zungengrundretraktion soll die Kopfneigung die orale Boluskontrolle
unterstützen, und den Larynx durch stärkere
Epiglottiskippung schützen [229 ].
Kopfneigung zur stärkeren Seite.
Bei einseitiger oraler und pharyngealer Parese soll der Bolus sicher
über die stärkere Seite geleitet werden.
Kopfdrehung zur betroffenen Seite.
Bei einseitiger pharyngealer und laryngealer Parese soll sich die
paretische Stimmlippe verkürzen und dadurch den
Glottisschluss verbessern [230 ].
Kopfdrehung zur stärkeren Seite.
Bei Stimmlippenparese soll die paretische Stimmlippe gedehnt werden
und dadurch den Glottisschluss verbessern.
Beide Haltungsänderungen haben gleichen Effekt eines
verbesserten Glottisschlusses. Die
endoskopisch/radiologische Kontrolle ist wichtig zur
Überprüfung der Wirksamkeit.
5.1.1.3 Adaptive Verfahren.
Zu den adaptiven Verfahren zählen diätetische
Maßnahmen wie das Andicken von Speisen oder bestimmte Kostformen
und die Hilfsmittelversorgung wie ausgeschnittene Becher oder spezielles
Besteck.
Zur Erleichterung der Nahrungsaufnahme und Verminderung des
Aspirationsrisikos dienen:
diätetische Veränderungen mit Anpassung von
Viskosität, Temperatur und Geschmack unter
Berücksichtigung der Pulmotoxizität
eine geeignete Platzierung des Bolus auf die hintere Zunge und
die gesunde Zungenseite
spezielles Geschirr und Besteck.
Weiterhin ist zu achten auf:
optimale Körperhaltung
im Falle von Nahrungsanreichung: Löffel von vorne
führen
ausreichend Zeit lassen
ggf. manuelle Unterstützung für Mund- und
Kieferschluss
ggf. Schlucken durch streichende Bewegungen initiieren
kleine Bissen
gut kauen
ggf. Nachschlucken
den nächsten Bissen nehmen, wenn der Mund leer ist
Mischkonsistenzen vermeiden
Residuen über Kompensation verringern
beim Essen nicht reden
ggf. Pausen einlegen
bei Penetrationsverdacht die Phonationsprobe machen, um eine
Kompensation zu erlernen.
Insgesamt wird die Wirksamkeit der funktionellen Schlucktherapie als gut
eingeschätzt. So erreichen mehr als 50+%
sondenabhängiger Patienten nach Apoplex durch eine
Schlucktherapie wieder eine vollständig orale Ernährung
[104 ]
[231 ]. Bereits in der Akutphase des
Schlaganfalls ist der Beginn einer intensiven Schlucktherapie wichtig.
Bei „intensiver“ Schlucktherapie in der Akutphase
(5 ×/Woche) können sich nach 6 Monaten
signifikant mehr Patienten als bei
„Standard-Schlucktherapie“
(3 ×/Woche) wieder normal ernähren [232 ].
5.1.2 Fazio-orale Trakt-Therapie (F.O.T.T.® )
Die F.O.T.T.® stellt einen Behandlungsansatz zur Befunderhebung und
Therapie neurogener Störungen, mimischer und oraler Bewegungen, des
Schluckens, der Atmung, der Stimme und des Sprechens dar und wurde von Kay
Coombes auf der Basis des Bobath-Konzepts initiiert [233 ]. Es stellt ein ganzheitliches
Behandlungskonzept auf dem Boden interdisziplinärer Teamarbeit
dar.
Ziel ist grundsätzlich das Wiederherstellen der gestörten
Funktion (restituierendes Verfahren) sowie die Verminderung von
Aspirationspneumonien, Kontrakturen, Hypersensibilität und die
Verhinderung manifester abnormer Bewegungsmuster. Zentrale Elemente sind
ganzkörperliche Tonusregulation, die Erarbeitung geeigneter
Ausgangspositionen und die Koordination von Funktionen und
Bewegungsabläufen. Neben der Mundhygiene werden auch die
Fazilitation von Speichelschlucken sowie das
Trachealkanülenmanagement integriert. Die Erarbeitung eines stabilen
dynamischen Haltungshintergrundes und der Einsatz von
taktil-kinästhetischen, visuellen, auditiven, olfaktorischen und
gustatorischen Stimuli sind die Grundprinzipien. Mit ihnen werden
gestörte Funktionen angebahnt und erlernt, Transferleistungen
etabliert und die Verminderung oder das Verhindern von Aspirationspneumonien
sowie der Manifestation abnormer Bewegungsmuster,
Hypersensibilitäten und Kontrakturen angestrebt.
Bisher existieren keine randomisierten, kontrollierten Studien zur klinischen
Wirksamkeit. Nach Frank et al. zeigte sich jedoch im Vergleich zur
konventionellen Schlucktherapie eine signifikant kürzere Liegedauer
der Trachealkanülen bei Patienten, die nach
F.O.T.T.® behandelt wurden [234 ].
5.1.3 Propriozeptive neuromuskuläre Faszilitation (PNF)
Die PNF wurde von Hermann Kabat und Margaret Knott entwickelt.
Zusammenfassend stellt sie ein restituierendes und funktionelles Verfahren
dar. Sensomotorische Bahnen sollen über Applizierung von speziellen
Stimuli (thermale Reize, Druck, Dehnung, Widerstand) aktiviert werden. Das
Ziel ist eine Tonisierung, Kräftigung oder auch die Tonusreduktion
und damit eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten sowie die
Verbesserung der Stabilität, die Ausführung einer aktiven
Bewegung durch korrekten manuellen Kontakt und optimalen Widerstand, die
Stimulierung von koordinierten Bewegungen bei korrekter Reizzugabe und die
Verbesserung der Ausdauerfähigkeit bzw. Verminderung von
Ermüdungserscheinungen. Bisher fehlen Studien zur Wirksamkeit.
5.2 Therapie bei medikamentenbedingter Dysphagie
Es sollte kritisch hinterfragt werden, ob eine Mehrfachmedikation wirklich
indiziert ist. Auf eine Dosisreduktion von Medikamenten sollte im Alter speziell
bei degenerativen Gehirnveränderungen geachtet werden. Häufig
wird eine „ordnungsgemäße“ Tabletteneinnahme
automatisch stillschweigend vermutet, trotzdem sollte man darauf hinweisen,
Medikamente mit ausreichend Flüssigkeit zu schlucken. Verschiedene
Tabletten sind aufgrund von Größe und Oberfläche schwer
einzunehmen. Dann bieten sich als Darreichungsform z. B. Hartkapseln an.
Bei manifestem Verdacht auf eine OMIEI ist eine Ösophagogastroskopie
ratsam (auch bei Kindern mit entsprechender Symptomatik). Je nach Befund ist
eine PPI-Therapie sinnvoll. Weitere Alltagsempfehlungen zur Einnahme von
Medikamenten, zeigt [Tab. 21 ]
[68 ]
.
Tab. 21 Empfehlungen zur Prävention
medikamenteninduzierter Ösophagitiden.
– 100 ml Wasser nach
Medikamenteneinnahme – vor dem Schlucken von
Tabletten Wasser trinken – Stehen oder sitzen
5–10 min nach
Medikamenteneinnahme – sorgfältiges
Einhalten von Empfehlungen zu Medikamenteneinnahmen des
Herstellers – Tabletten mit Filmbeschichtung
sinnvoll – Auswählen der sichersten
Darreichungsform (Liquid, Kapseln usw. –
Aufklärung der Patienten über Symptome bei
medikamenteninduzierter Ösophagitis
5.3 Therapie bei Hypersalivation und Xerostomie
5.3.1 Hypersalivation
In erster Linie wird eine orofaziale Regulationstherapie bzw. funktionelle
Dysphagietherapie zur Kontrolle des Speichels gemacht. In zweiter Linie
setzt die medikamentöse Therapie an ([Tab.
22 ]).
Tab. 22 Medikamentöse Therapie bei
Hypersalivation.
Atropin
häufig angewendet, wenig Studien
Scopolamin
transdermal, p. o., über PEG
Ipratropiumbromid
sublingual als Spray, uneinheitliche Studien
Glycopyrrolat (Rubinol)
i. v. und i. m. in Deutschland, USA: auch
p. o.
Trihexiphenylbenzhexolhydrochlorid
anticholinerge NW des Dystoniepräparates, bei
Kindern NW limitierend
Amitryptillin
geringe anticholinerge Wirkung des trizykl.
Antidepressivums
Botulinumtoxine
Injektion in Speicheldrüsen
Gerber et al. [235 ] und Noonan et al. [236 ] kombinierten eine Exstirpation der Gll.
submandibulares und eine beidseitige Ligatur der Stenongänge zur
Reduktion der Speichelproduktion zur Vermeidung einer Aspirationspneumonie
bei neurologisch beeinträchtigten Kindern. Dieses Vorgehen muss
hinterfragt werden. Eine natürliche Funktion wird irreversibel
ausgeschaltet, um eine Gefahr zu kontrollieren, ohne die
Funktionsstörung selbst zu behandeln. Der Speichel reinigt die
Mundhöhle, kontrolliert die Bakterienflora, vermeidet Karies,
hält die Schleimhaut gleitfähig, unterstützt die
Wundheilung, lindert den Schmerz, absorbiert und resorbiert
Nahrungsbestandteile (Vit. B 12) wirkt prophylaktisch gegen Reflux, gelangt
vor und mit der Speise in den Magen, fängt sie im Magen auf und
hüllt sie mithilfe der Magensäure in ein klebriges
Schaumnetzwerk [6 ].
Die Leitlinie zur Hypersalivation gibt eine Orientierung [237 ].
5.3.2 Xerostomie
Die klinische Untersuchung (trockene Lippen und Schleimhaut, atrophe Mukosa,
gerötete furchige Zunge, kein Speichelsee Mundboden, eingedicktes
Exprimat, Karies, Infektion), und die Diagnostik mittels Sonografie (ggf.
Sialogafie, Sialometrie, Sialendoskopie, MRT 99m Tc, ggf. Biopsie
aus der Lippenschleimhaut) weist auf das Symptom einer Xerostomie hin. Eine
Klärung der Ursache ist bei Ausschluss einer rheumatoiden oder
medikamentösen Ätiologie nicht immer möglich. Eine
Xerostomie kann nur symptomatisch therapiert werden:
Ausreichend Flüssigkeit, Sialologa,
Mundspüllösung (Glycerin, schwarzer Tee),
Speichelersatzmittel
Medikamentös: Bromhexin, Anethol (Mukzinol),
Parasympathikomimetika: Pilocarpin (Salagen), Cevimelinhydrochlorid
(Evoxac), cave NW
Prophylaxe für die Entwicklung der postradiogenen Xerostomie:
Amifostin (Ethyol; Bindung alkylierender Substanzen und freier
Radikale)
5.4 Operative Therapie der Dysphagie
Bei der Dysphagie mit chronischer Aspiration oder sogar rezidivierenden
Aspirationspneumonien besteht ein Kampf zwischen Hunger, Durst und Husten [238 ]. Die Schwere der Bedrohung hängt von
der Quantität der Aspiration ab. Ihre Beurteilung kann auch am
Krankenbett ohne Sedierung durch die transnasale Funktionsendoskopie
und/oder durch die Langzeitendoskopie ggf. bis zu mehreren Stunden
erfolgen [239 ].
Zu den akuten lebenserhaltenden Interventionen zählen zum Schutz der
Atemwege die Tracheotomie und zur Sicherung der Ernährung die
nasogastrale Sonde oder die Anlage einer perkutanen endoskopischen Gastrostomie
(PEG).
Folgende Gruppen von Störungen sind Grund für chirurgische
Interventionen:
Akute Erkrankungen des motorischen Systems für reparative
Chirurgie
Neurodegenerative Erkrankungen, solange sie langsam progredient verlaufen
und damit nach einer chirurgischen Intervention realistische Chancen auf
einen beschwerdearmen Lebensabschnitt bieten
Erkrankungen, die mit einer Sensibilitätsstörung bzw.
-verlust einhergehen
Dysphagien als Folge therapeutischer Maßnahmen bei
Tumorerkrankungen.
Die wichtigste Regel der Dysphagiechirurgie ist, bestehende Funktionen und
Restfunktionen des Schluckens gemessen an der natürlichen Funktion zu
erhalten. Bei der Vielzahl beteiligter Muskeln und Hirnnerven ist eine hohe
diagnostische Präzision gefordert. Die Entscheidung für eine
chirurgische Maßnahme wird im Falle einer neurologischen Grunderkrankung
in interdisziplinärer Zusammenarbeit getroffen, mit dem Patienten
sorgfältig besprochen und individuell angepasst.
Der Organerhalt bei tumorbedingten Störungen inklusive der damit
verbundenen kritischen Risikoabwägung muss sinnvoll bleiben. Damit wird
diese Chirurgie zu einer individualisierten Medizin, um Lebensqualität
zu erhalten bzw. zu erreichen. Der Lernprozess anhand der Dokumentation von
Langzeitverläufen durch Funktionsuntersuchungen ist integraler
Bestandteil einer evidenzbasierten Behandlung.
Im Folgenden werden die chirurgisch-therapeutischen Schritte mit
dysphagierelevanten Techniken kurz dargestellt.
5.4.1 Chirurgische Therapie spezifischer Organstrukturen
5.4.1.1 Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und velopharyngeale Insuffizienz
und/oder Inkompetenz.
Das Stillen von Kindern mit LKGS ist in der Regel unter Anleitung
möglich. Das Trinken dauert länger. Lediglich bei
durchgehenden LKGS sollte in den ersten Lebenstagen eine Gaumenplatte
durch Kieferorthopäden angepasst werden, um die Abdichtung des
Nasenrachenraumes gegen die Mundhöhle zu verbessern.
Die Zeitpunkte für alle weiteren chirurgischen Maßnahmen
(z.+B. Verschluss der Oberlippe, Palatoplastik [240 ], Schaffung eines ausreichend langen
und funktionstüchtigen Velums [241 ], Augmentation der Oropharynxhinterwand mittels Fett
[240 ]
[242 ]) werden interdisziplinär
mit den Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen abgestimmt.
5.4.1.2 Hyperplastische Zungengrundtonsillen und
Epiglottiszysten.
Als Folge eines Refluxes können Zungengrundtonsillen
hyperplasieren. Wie man bei der Endoskopie im Rückblick aus der
Position 4 (unterhalb des OÖS) sieht, taucht die Epiglottis
nicht selten in den oberen Ösophagus ein. Partikel aus dem
oberen Ösophagus werden von der pharyngealen Epiglottis wie mit
einem Tennisschläger beim Zurückschnellen am Ende des
Schluckaktes in den Pharynx befördert und am Zungengrund
„abgewischt“. Bleiben die Valleculae unter der
Zungengrundtonsille bei Herausstrecken der Zunge verborgen, liegt eine
Hyperplasie vor. Nur wenn sie zu Dysphagiebeschwerden wie
störendes Globusgefühl, Räusperzwang und
Schluckstörung führt, sollte die Zungengrundtonsille
laserchirurgisch unter strikter Schonung der Muskulatur entfernt werden
[243 ]. Hierfür stehen moderne
Verfahren wie Laserchirurgie, TORS und Radiofrequenzchirurgie zur
Verfügung. Epiglottiszysten können durch eine
Marsupialisation oder komplette Exzision im Rahmen der
Mikrolaryngoskopie abgetragen werden.
Besteht der Verdacht auf einen Tumor, ist eine Biopsie erforderlich. Eine
Zungengrundstruma ist auszuschließen. Eine Kontrolle der
Funktion des OÖS ggf. auch eine pH-Messung im Rachen kann bei
der Entscheidung für eine Intervention hilfreich sein.
5.4.1.3 Eagle-Syndrom.
Das Eagle-Syndrom ist eine seltene Erkrankung, die durch eine Elongation
des Proc. styloideus oder die Kalzifikation bzw. Ossifikation des Lig.
stylohyoideum hervorgerufen wird [244 ].
Hierdurch wird die Elevation von Hyoid und Larynx behindert ([Abb. 25 ]).
Abb. 25 Mangelnde Larynxelevation während des
Schluckaktes beim Eagle-Syndrom. Pfeile zeigen auf die
Epiglottis.
Die Patienten beklagen unklare Halsschmerzen, Schluckbeschwerden,
Fremdkörper- und Globusgefühl. Die Symptomatik kann
durch den Druck auf die Hirnnerven V, IX, X sowie die A. carotis
communis bedingt sein. Die chirurgische Therapie besteht in der
transoralen oder transzervikalen Resektion des Proc. styloideus bzw. des
verknöcherten Ligaments ggf. mit Resektion des kleinen
Zungenbeinhorns [245 ].
5.4.1.4 Zervikogene Dysphagie.
Die zervikogene Dysphagie ist meistens funktionell bedingt [46 ](Seifert). Daher kann nach der
Endoskopie der Luft- und Speisewege sowie der manuellen und
radiologischen Untersuchung der HWS die Diagnose einer FSH gestellt
werden. Diese wird anschließend durch Mobilisation oder auch
Manipulation der HWS im Segment (in der Regel C3/4) als
Reflextherapieverfahren gelöst. Dies kann mit einer lokalen
Lidocain-Injektion am druckdolenten Ansatz der infrahyoidalen Muskeln am
Zungenbein oder auch einer Akupunkturbehandlung kombiniert werden.
Nachfolgende Physiotherapie sollte diese Behandlung ergänzen.
Die partielle oder auch vollständige Beseitigung der Symptome
durch die manualtherapeutische Behandlung ist der klinische Beweis
für das Vorliegen einer FSH.
Bei Patienten mit einer organisch bedingten zervikogenen Dysphagie kann
in vielen Fällen durch die Modifikation der Nahrungskonsistenz
eine Besserung der Beschwerden erzielt werden. Üblicherweise
bleibt der M. Forestier asymptomatisch. Daher stellen symptomatische
zervikale Osteophyten eine seltene Erkrankung dar, die vor allem
Männer betrifft. Außer in besonderen Notfällen,
sollte der konservativen Behandlung zunächst der Vorzug gegeben
werden. Die Therapie erfolgt symptombezogen, wobei Analgetika,
Antiphlogistika, Muskelrelaxantien, Protonen-Pumpen-Inhibitoren und
physikalische Therapie zum Einsatz kommen. Vor allem Physiotherapie und
gezielte Schlucktherapie können zur Verbesserung oder Vermeidung
der Dysphagie erfolgreich angewandt werden [246 ]. Bei Versagen der konservativen Maßnahmen
beseitigt bzw. lindert die Entfernung der Osteophyten bei strenger
Indikationsstellung die Symptome, wenn sie die Ursache für den
Gewichtsverlust sind [50 ]. Bessern sich
nach den beschriebenen Therapieformen die Symptome nicht, muss nach
vollständiger Diagnostik auch die Anlage einer perkutanen
endoskopischen Gastrostomie erwogen werden.
5.4.1.5 Verstärkung des muskelfreien Dreiecks der Membrana
thyrohyoidea.
Aussackungen entstehen bevorzugt im muskelfreien Dreieck der Membrana
thyrohyoidea dort, wo der N. laryngeus superior mit den
Gefäßen in den Larynx eintreten (siehe [Abb. 19c ] und [21b ]). Dieses Dreieck grenzt kranial an das Zungenbein, vorne
und kaudal an den M. thyrohyoideus und den M. omohyoideus und kaudal und
hinten an den M. constrictor pharyngis inferior. Eine Retention von
Teilen des Bolus oder von Flüssigkeit in der Aussackung kann zu
einer postdeglutitiven Aspiration führen, wenn der Larynxschluss
gestört ist. Wenn nicht, kann der Patient durch das
supraglottische oder supra-supraglottische Schlucken den Pharynx
reinigen.
Vor der chirurgischen Behandlung einer großen Aussackung mit
Aspiration ist es notwendig eine Vagusparese oder -paralyse
auszuschließen. Mit einer spontanen Heilung des Nervs
verschwindet wahrscheinlich auch die Aussackung spontan. Die Dysfunktion
des N. vagus wird videoendoskopisch, videofluoroskopisch, durch
high-resolution manometry oder durch Elektromyografie des M.
cricothyroideus, versorgt durch den N. laryngeus superior,
bestätigt. Liegt keine Vagusparese vor, erfolgt die operative
Versorgung in lokaler Betäubung [36 ]. Der Hautschnitt wird in Höhe der Aussackung
entlang der Hautspannungslinien ausgeführt. Unter Schonung des
oberen laryngealen Gefäßnervenbündels wird die
Membrana thyrohyoidea dargestellt. Die Aussackung wird während
des Valsalva-Manövers sichtbar. Die schwache Wand kann durch
einen frei transplantierten, entsprechend zugeschnittenen Septum- oder
Conchaknorpel des Patienten und/oder durch die Transposition des
M. omohyoideus verstärkt werden:
Die Anheftung des M. omohyoideus am Hyoid wird durchtrennt und
nach lateral auf das Cornu majus zur Abdeckung der Aussackung
verlagert. Zusätzlich wird der Muskel durch eine Naht
mit der Cartilago thyroidea, dem M. constrictor pharyngis und
dem M. thyrohyoideus verbunden [247 ].
Der Knorpel des Patienten vom Septum oder von der Concha kann
alternativ über die Aussackung gelegt und wie oben
beschrieben fixiert werden. Beide Techniken können
kombiniert werden.
Zur Ruhigstellung wird für eine Woche eine nasogastrale Sonde
gelegt. Um Larynxbewegungen zu reduzieren, wird der Patient gebeten,
wenig zu sprechen und zu schlucken und ggf. den Speichel
auszuspucken.
5.4.1.6 Positionierung der Laryngohyoid-Einheit.
Die Indikation zur Chirurgie hängt von der Funktion der
Thyrohyoidmuskeln, der Funktion der vorderen Suprahyoidmuskeln, der
Sensibilität der Triggerzonen für den Schluckakt sowie
vom Zustand der Mukosa ab. Mit einer Verlagerung von Larynx und Hyoid
aus dem Speiseweg nach ventral unter den Schutz des Zungengrundes kann
die Aspiration reduziert werden.
Verschiedene laryngeale Suspensionstechniken wurden beschrieben [248 ], um das Aspirationsproblem nach
tumorchirurgischen Eingriffen zu vermindern. Sie verwendeten
Nahttechniken, um den Schildknorpel nach vorn zu verlagern und der
Mandibula zu nähern. Hillel und Goode hängten den Larynx
lateral mit Nähten auf, um das Aspirationsproblem nach
Zungengrundresektion zu lösen [249 ]. Herrmann beschrieb eine Suspensionstechnik zum Kinn
durch Verwendung von Fascia lata nach Laryngohyoidopexie und Myotomie
des oberen Speiseröhrensphinkters bei schweren neurologischen
Schluckstörungen [36 ]
[247 ]. Diese Technik achtet auf die
richtige Position der laryngohyoidalen Einheit im Pharynx,
berücksichtigt die Funktion der suprahyoidalen Muskulatur, und
die Elevation der Epiglottis, um den Larynxeingang zu
schützen.
5.4.1.7 Laryngohyoidopexie.
Zu Beginn des Eingriffs wird eine PEG gelegt (Kapitel „Perkutane
endoskopische Gastrostomie (PEG)“), um postoperativ das
Operationsgebiet möglichst ruhig zu stellen und die Nahrung
problemarm zuzuführen. Das bestehende Tracheostoma wird
umschnitten und ein kranial gestielter Hautlappen präpariert.
Sollte kein Tracheostoma angelegt sein, ist dies der erste operative
Schritt. Die Schilddrüse wird dargestellt, der Isthmus
durchtrennt und die Trachea freigelegt. Trachea und Pharynx werden von
der Schilddrüse gelöst und mobilisiert. Die Nn.
recurrentes werden geschont.
Danach folgt:
Die Myotomie des M. cricopharyngeus (siehe Kapitel
„Myotomie des oberen
Speiseröhrensphinkters“)
Durchtrennung der infrahyoidalen Muskulatur: Um den
funktionsgestörten Kehlkopf aus dem Zentrum der
Schluckstraße herauszunehmen und unter den Schutz des
Zungengrundes zu verlagern, wird die infrahyoidale Muskulatur
mit Ausnahme des M. thyrohyoideus durchtrennt [250 ]. Die Einheit von Kehlkopf und
Hyoid kann nun in die gewünschte Position gebracht
werden.
Die Laryngohyoidopexie und die Suspension der laryngohyoidalen
Einheit zum Kinn: Mit 2 kräftigen Nähten (nicht
resorbierbar) wird der Schildknorpel so am Hyoid fixiert, dass
das Hyoid hinter dem Schildknorpelvorderrand zu liegen kommt
[251 ]. Als Nahtmaterial
werden Polytetrafluoroethylen (Gore-tex; permanent) und Vicryl 0
verwendet. Um ein Durchschneiden der Nähte am
Schildknorpel zu vermeiden, erfolgt die Naht über
Gore-tex-Sheets ([Abb.
26a ]).
Abb. 26
a Ausdehnung der transzervikalen Myotomie des M.
cricopharyngeus (ca. 4 cm) unter Schonung des N.
laryngeus inferior mit Laryngohyoidopexie. Die Myotomie sollte
etwas nach kranial und kaudal verlängert werden. Alle
Muskelfasern sind im Bereich der Myotomie zu durchtrennen
(b ). b Zusätzlich zur Myotomie wird
eine Suspensionsnaht durch den Unterkiefer angelegt, um den
Laryngohyoid-Komplex zur Protektion unter den Zungengrund zu
ziehen. c 43 Jahre alter Patient nach Op. eines
Ependymoms des 4. Ventrikels. Nach der Myotomie wurde eine
Laryngo-Hyoido-Mentopexie durchgeführt. kleine, blaue
Pfeile: Osteosytheseplättchen der Hyoido-Mentopexie.
Blauer Pfeil: Vestibulum laryngis unter dem Schutz des
Zungengrundes. rote Pfeilköpfe: Weichteilschatten des
Zungengrundes. H=Hyoid.
Nach der Pexie werden die Fäden lang gelassen, um für die
Suspension zur Verfügung zu stehen. Dazu wird ein submentaler
Hautschnitt angelegt, das Gewebe zwischen Hyoid und Kinn auf der
Muskulatur untertunnelt und vor der Austrittsstelle des N. mentalis 2
Bohrlöcher angelegt. Für die Suspension zum Kinn
empfiehlt es sich, Polytetrafluoroethylen (Gore-tex; permanent) und 2
Ethibond Nähte zu verwenden. Alternativ kann auch die Sehne des
M. plantaris longus, die neben der Achillessehne (ca. 30+cm
lang) liegt, oder die des M. palmaris longus (ca. 12+cm lang)
oder ein kräftiger Fascia lata Streifen als Patienten-eigenes
Material gewählt werden. Über einen kleinen Hautschnitt
(2 cm) neben dem Knöchel wird die Sehne aufgefunden und
gestrippt. Das freie Transplantat verbindet Schildknorpel und Hyoid. Es
wird zum Kinn weitergeführt, eingefädelt und mit einer
fortlaufenden Sehnennahttechnik – dem Material angepasst
– vernäht ([Abb. 26b,
c ]) [247 ].
Um einer Überkorrektur, d.h. einem Verschluss des
Larynxeingangs vorzubeugen, werden die Nähte für
die Suspension selbst unter endoskopischer Kontrolle
geknüpft.
Das Tracheostoma: da die Kehlkopf-Hyoid-Einheit nach cranial und
ventral verlagert wird, muss am Ende das jetzt
höher-liegende Tracheostoma neu angelegt werden.
Die PEG-Ernährung und eine geblockte Kanüle werden in der
Regel für ca. 10 Tage beibehalten.
Die Langzeitergebnisse dieser Technik (n=17; durchschnittlicher
Beobachtungszeitraum 4,4 Jahre) werden mit 53% (n=17)
Erfolg d. h. ausschließlich orale Ernährung, mit
18% Teilerfolg d. h. Langzeiternährung oral mit
modifizierter Konsistenz und 30% Misserfolge d. h. keine
oder sehr reduzierte, orale Ernährung angegeben [252 ].
5.4.1.8 Protektion des Larynxeingangs (Epiglottisabsenkung).
Der Kehldeckel wird durch das thyroepiglottische Ligament, das
präepiglottische Fettgewebe, die glossoepiglottische Falte und
die beiden pharyngoepiglottische Falten in seiner leicht gebeugten
Position gehalten.
Endoskopisch kann die Epiglottis zum Schutz des Larynxeingangs nach
dorsal abgesenkt werden in einer Technik nach Laurian [253 ] oder, modifiziert, indem man die
Plicae pharyngoepiglotticae bilateral durchtrennt und die Plica
glossoepiglottica von der Zunge ablöst ([Abb. 27a, b ]) [37 ].
Abb. 27
a Zur Epiglottisabsenkung können die Plicae
verlängert bzw. durchtrennt werden. b Nachdem die
Plicae pharyngoepiglotticae quer durchtrennt und längs
vernäht sind, ist zusätzlich schrittweises
Lösen der Plica glossoepiglottica möglich.
5.4.1.9 Glottisschlussinsuffizienz und Dysphagie.
Glottisschlussinsuffizienzen am membranösen oder/und
knorpeligen Anteil der Glottis durch einseitige Lähmungen und
Defekte sind permanent oder transitorisch, partiell oder total [254 ]. Sie können zu Penetration
und Aspiration führen. Zur Verbesserung des Schluckens werden
verschiedene Therapieverfahren angewandt (modifiziert nach
Giraldez-Rodriguez [255 ], [Abb. 28a+–+c ],
[29 ]):
Abb. 28
a Injektionsaugmentation rechte Stimmlippe. b
Implantationsaugmentation rechte Stimmlippe. c
Linksseitige Thyroplastik Typ I mit Friedrichprothese.
Abb. 29 Thyroplastik Typ I mit Arytenoid-Adduktion mit
Knorpel.
Schlucktraining
Injektions- und Implantationsaugmentation
Thyroplastik±Arytenoid-Adduktion
Partielle unilaterale Pharynx-Resektion
Myotomie des M. cricopharyngeus
Tracheotomie.
Injektions- und Implantationsaugmentation.
Injektions- und Implantationsaugmentationen können transoral
und transzervikal durchgeführt werden und kommen vorrangig
bei der Behandlung von geringen bis mittelgradigen
Glottisinsuffizienzen zum Einsatz ([Abb.
28a, b ]). So werden diese Methoden zwar immer noch am
häufigsten bei totalen und auch partiellen
Stimmlippenlähmungen durchgeführt, jedoch werden sie
auch zur Behandlung von Stimmlippenatrophien, bspw. beim
Presbylarynx sowie bei Stimmlippennarben eingesetzt. Sie begleiten
immer häufiger auch erfolgreich Verfahren der
Larynxskelettchirurgie.
Ziel ist die Medialisierung der Stimmlippe durch einen Volumenaufbau
(Augmentation) der insuffizienten Stimmlippe, z. B. bei
Stimmlippenlähmungen, - defekten und -narben. Hierbei wird
lateral in die Pars lateralis des M. vocalis bzw. tiefer zwischen
Schildknorpel und M. vocalis injiziert bzw. implantiert. Als
Material zur Augmentation werden unter anderem Fett, Faszie,
Knorpel, Hyaluronsäure, Hydroxylapatit und Silikon verwendet
[254 ].
Thyroplastik.
Isshiki machte die Medialisierungsthyroplastik als Typ-I-Thyroplastik
international bekannt [256 ]. Sie wird
vorrangig bei Lähmungen und Atrophien der Stimmlippen aber
auch bei Dysphagie eingesetzt. Die komplexe Struktur der für
den Stimmklang relevanten Anteile der Stimmlippen wird nicht
zerstört.
Nach vorheriger Anlage eines definierten Schildknorpelfensters wird
eine Verlagerung der lateral gelegenen Stimmlippe zur Mitte hin
durch das Einbringen und ggf. Verriegelung von körpereigenem
oder körperfremdem Material erreicht. Dazu gehören
bspw. körpereigener Knorpel (Septum- oder Schildknorpel)
Gore-Tex, Titanspange oder Silikonblock [254 ] ([Abb. 28c ], [29 ]).
Arytenoid-Adduktion.
Die Arytenoid-Adduktion wurde erstmalig von Isshiki et al. 1978 als
Operationstechnik zur Korrektur der Glottisinsuffizienz beschrieben
[256 ]. Sie wird meist mit einer
Thyroplastik kombiniert ([Abb. 29 ]).
Im Rahmen dieses Eingriffs wird zunächst die Hinterkante des
Schildknorpels der betroffenen Seite aufgesucht und nach Anlegen
eines Knorpelfensters nach Maragos der Proc. muscularis des
Aryknorpels exponiert [257 ]. Ein
Vicrylfaden (4×0) wird anschließend durch den Proc.
muscularis gezogen und ventral am Unterrand des
Thyroplastik-Knorpelfensters verknotet. Durch die Rotation des
Aryknorpels wird ein besserer Glottisschluss im hinteren Anteil der
Stimmlippen ermöglicht und damit die Stimm- und die
Schluckfunktion optimiert.
5.4.1.10 Myotomie des oberen Speiseröhrensphinkters.
Eine Myotomie ist indiziert, wenn der obere Speiseröhrensphinkter
(OÖS) während des Schluckaktes nicht oder
ungenügend erschlafft [258 ]
[259 ]. Bei neurologischen Erkrankungen
sollten die Entscheidung und der Zeitplan in Absprache mit dem
interdisziplinären Team erfolgen. Vor dem Eingriff muss die
Funktion des unteren Speiseröhrensphinkters (UÖS)
kontrolliert und dokumentiert werden. Im Fall chronischer Refluxprobleme
muss die Indikation zur Operation kritisch geprüft werden. Ggf.
muss eine Behandlung des UÖS in das Konzept integriert werden.
Ein Test mit Botulinumtoxin vor dem Eingriff kann hilfreich sein. In
manchen Fällen kann Botulinum-Toxin als alleinige Methode
ausreichen. Lokalisation und Ausmaß der Myotomie hängt
vom Sitz und der Ausdehnung der muskulären Störung ab,
die sich während der Videofluoroskopie im seitlichen
Strahlengang darstellt.
Vor dem Eingriff wird eine Sengstaken-Blakemore Sonde in den oberen
Ösophagus und den Hypopharynx gelegt. Sie wird mit
40+–+50 ml Wasser bei Frauen und bei
Männern mit 50–60 ml Wasser gefüllt.
Die Schnittführung verläuft am Vorderrand des M.
sternocleidomastoideus oder in einer Hautfalte in Höhe des
Ringknorpels. Der prävertebrale Raum wird zwischen dem
Gefäßnervenstrang von A. carotis, V. jugularis und N.
vagus und dem Hypopharynx erreicht. Der äußere Ast des
N. laryngeus superior muss erhalten bleiben.
Um nicht die nervöse Versorgung des Pharynx und Ösophagus
zu gefährden, ziehen wir eine dorsomediale Myotomie vor. Der
Hypopharynx wird mit der eingelegten Sengstaken-Blakemore-Sonde zum
Operateur gewendet. Die Myotomie der Konstriktormuskulatur folgt ([Abb. 26a, b ]).
Über dem venösen Plexus und der Schleimhaut unter der
Muskulatur wird die Myotomie zum oberen Ösophagus und zum M.
thyropharyngeus hin erweitert. Anhand des radiologischen Befundes wird
die Ausdehnung der Myotomie bestimmt. Feinste Muskelfasern, die den
Pharynx umschlingen, müssen durchtrennt werden, um Misserfolgen
vorzubeugen. Diese Fasern können auf dem Cuff der
Sengstaken-Blakemore-Sonde leicht identifiziert werden. Kleine
Verletzungen der Mukosa werden durch atraumatische Naht verschlossen. In
diesem Fall wird eine Nährsonde für wenige Tage gelegt.
Die Möglichkeit, dass die Muskelstümpfe wieder
miteinander verwachsen, wird dadurch ausgeschlossen, dass sie auf den
Konstriktor oder den M. longus colli derselben Seite genäht
werden [247 ].
Nachteil der lateralen Myotomien ist, dass die Nervenversorgung des
Konstriktors auf der Seite der Myotomie teilweise zerstört
wird.
Partielle unilaterale Pharynx-Resektion.
In den seltenen Fällen einer Vagusparalyse kann die Ausweitung
des Pharynx so exzessiv sein, dass eine partielle Pharynxresektion der
gelähmten Seite durchgeführt werden muss. Die
Resektionsgrenzen werden bei der videoendoskopischen Untersuchung vor
dem Eingriff durch kleine Farbinjektionen markiert.
Das chirurgische Vorgehen bei der Pharynxteilresektion entspricht dem der
Myotomie. Die Sengstaken-Blakemore-Sonde füllt den paralysierten
Pharynx [247 ].
Die Muskelatrophie als Folge der Paralyse kann die Ursache für
eine hauchdünne Pharynxwand sein. Gemeinsam mit den
Farbinjektionen bestimmt die Wandstärke die Grenzen der
Resektion. Wenn eine nasale Aspiration besteht, muss der
gelähmte Teil des Nasopharynx verschlossen werden. Die Naht des
Pharynx-Defektes ist identisch mit dem primären Verschluss nach
unilateraler Pharynxtumorresektion. In der Regel sind diese Patienten
bereits mit einer PEG versorgt. 2 Wochen nach der chirurgischen
Versorgung beginnt das Schlucktraining.
In den Fällen, in denen eine Divertikel-Chirurgie oder eine
partielle einseitige Pharynxresektion erfolgte, sollte gleichzeitig eine
Myotomie bis in den Ösophagus durchgeführt werden.
5.4.1.11 Elevationsplastik der Interaryteniodregion.
In den Fällen einer leichten Interarytenoid-Aspiration, bei denen
keine oder eine geringe Progression der Erkrankung besteht, kann ein
endoskopischer, plastisch-chirurgischer Eingriff das bestehende Problem
vermindern. Speichel oder Flüssigkeiten laufen über den
niedrigsten Punkt, der Interarytenoidregion in den Larynx. Ein
postkrikoidaler Transpositionslappen, der auch bei kleinen
Kehlkopfspalten (Grad 1) zur Anwendung kommt, kann eine Erhöhung
der Schwelle (Interarytenoidregion) bewirken ([Abb. 30a, b ]).
Abb. 30
a Eine niedrige Interarytenoidregion kann das
Überlaufen von Speichel in den Larynx verursachen.
Therapieoption durch kleinen Transpositionslappen. b
Großvolumiger Transpositionslappen aus der
Postkrikoidregion, um den Schutzwall an der Interarytenoidregion
aufzubauen.
Altersbedingte Schluckstörungen oder beginnende neurodegenerative
Erkrankungen (M. Parkinson) zeigen vermehrt diese Form der Dysphagie.
Patienten klagen über Räusperzwang und Husten, beides
vorzugsweise beim Essen und Trinken. In den Fällen mit
Sensibilitätsstörungen treten die Beschwerden auch in
Ruhe auf. Die Indikation wird in interdisziplinärer
Zusammenarbeit, nach der Funktionsendoskopie und der Videofluoroskopie
gestellt. Eine krikopharyngeale Dysfunktion oder ein Tumor muss
ausgeschlossen werden.
Nach der Tracheotomie wird der chirurgische Eingriff
durchgeführt. Das Spreizlaryngoskop wird eingesetzt und die
Interarytenoidregion dargestellt. Zur Behandlung der Aspiration wird ein
Schleimhautlappen der postkrikoidalen Region umschnitten [247 ]
[250 ] ([Abb.
30a ]). Nur der Schleimhautschnitt wird nach der
Identifizierung der Arytenoidknorpel mit dem CO2-Laser
ausgeführt. Die Schleimhaut der Interarytenoid-Region wird zur
Seite präpariert. Der Lappen wird postkrikoidal
freipräpariert. Er wird als Transpositionslappen reichlich
dimensioniert und in das vorbereitete Bett der Interarytenoid-Region
geschwenkt, mit Naht fixiert und an den Wundrändern mit
Gewebekleber versiegelt ([Abb.
30b ]).
5.4.1.12 Durchtrennung bei Segelbildung.
Segel oder Webs kommen im Hypopharynx, oberen Ösophaguseingang
und oberen Ösophagus als Entzündungsfolge vor. Diese
narbigen Veränderungen lassen sich endoskopisch mit dem Laser
durchtrennen und auflösen ([Abb.
31a–c ]).
Abb. 31
a 87-jähriger Patient mit ausgeprägter
oropharyngealer Dysphagie nach ausgedehnter
Oropharynxteilresektion rechts und Neck dissection rechts und
Radiochemotherapie (transorale Endoskopie). b Sehr
visköser Speichel. Narbig verzogenes Gaumensegel rechts.
Narbensegel ziehen über die Oropharynxhinterwand zur
Gegenseite. Zusätzlich besteht eine
Transportstörung der Zunge (transnasale Endoskopie).
c Web- oder Segelbildungen (Pfeil) im Pharynx oder
Ösophagus verursachen Globusgefühl
und/oder dysphagische Beschwerden (Röntgenbild,
anderer Patient).
5.4.2 Spezielle Chirurgie bei besonders schwerer Aspiration
Die stille Aspiration tritt häufig in Kombination mit motorischen
Störungen auf und ist durch eine Sensibilitätsminderung
gekennzeichnet. Wie bei den motorischen Ausfällen kann die
Ausprägung der Störungen von sehr leichten bis zu den
schweren Formen mit Sensibilitätsverlust reichen. Die Progredienz
der Erkrankung sollte in die Planung des Therapiekonzeptes integriert
werden. Um Zeit in derartigen Notfällen zu gewinnen und sich vom
Problem der stillen Aspiration, die meist in Zusammenhang mit schweren
neuromuskulären oder muskulären Störungen auftritt,
zu befreien, müssen die Atemwege vor Aspiration geschützt
werden.
Folgenden Befunde können während der Funktionsendoskopie
erhoben werden:
Überlauf in den Larynx ohne Husten
Schaumspeichel im Oro- und Hypopharynx diffus verteilt, keine
Entzündung
Mangelnde Boluskontrolle
Speisereste im Pharynx
Eingedickter, zäher Klebespeichel bei gleichzeitig
erhöhtem Reflux.
Wichtige Hinweise geben die anamnestischen Daten:
TIA oder Schlaganfall
Tumoren und/oder Folgen der Chirurgie in der hinteren
Schädelgrube oder im Bulbusbereich
Neurodegenerative Erkrankungen
Schädelhirntrauma
Operationsfolgen – Narben, Defekte usw.
Spätfolgen einer Radiochemotherapie usw.
Frakturen, Strikturen und Stenosen usw..
Das Tracheostoma garantiert die Atmung. Nahrungszufuhr über die PEG
sichert die Ernährung. Die stille Aspiration muss gestoppt werden.
Kommunikation sollte möglich sein.
Wichtig ist die Klärung folgender Fragen:
Ist die Atmung normal?
Ist Stimmbildung möglich?
Wie steht es mit der Muskelfunktion der Mundhöhle, des
Pharynx, Larynx und der Trachea?
Welche Innervation(en) ist/sind gestört?
Wie ist das Allgemeinbefinden des Patienten?
Wie ist die Prognose?
Von der Beantwortung dieser Fragen hängt die Entscheidung
über eine chirurgische Intervention ab, die im
interdisziplinären Team getroffen wird. Danach muss der
Kopf-Hals-Chirurg die für diesen Patienten beste Behandlung finden
und versuchen, diese an die individuelle Situation des Patienten zu
adaptieren.
Wenn die Erkrankung des Patienten eine Phonation auf Glottisebene
zulässt, sind diejenigen Techniken, die das ermöglichen,
unbedingt vorzuziehen [247 ]. Wenn die
für die Artikulation verantwortlichen Strukturen so
geschädigt sind, dass die Patienten nicht mehr sprechen
können, sind operative Verfahren diesbezüglich nicht
angezeigt.
In bestimmten Fällen ist die Reversibilität dieser Chirurgie
ein wichtiger Faktor. Aufgrund der Ergebnisse mit der reversiblen Technik
dürfte die alte Technik der totalen Laryngektomie mit chirurgischer
Stimmrehabilitation nur noch in sehr seltenen Fällen indiziert
sein.
5.4.2.1 Laryngo-tracheale Separation.
Die Indikation zur laryngo-trachealen Separation ist eine chirurgische
Behandlung der stillen und/oder schweren Aspiration ohne Erhalt
der individuellen Stimme, um eine komplette Trennung des Atem- und
Schlucktraktes zu erzielen [260 ]. Sie ist
für jeden Chirurgen eine ethisch schwere Entscheidung, da man
chirurgisch normales laryngeales oder tracheales Gewebe alteriert und
die Prozedur eine hohe Komplikationsrate von 58% und Ineffizienz
in 27% hat [261 ]. Hara et al.
[262 ] gaben dementsprechend eine
erfolgreiche laryngo-tracheale Separation bei zwei Drittel ihrer
neurologisch beeinträchtigten Kinder an. Die laryngo-tracheale
Separation kann rückgängig gemacht werden.
5.4.2.2 Supraglottischer Verschluss des Kehlkopfes.
Die supraglottische Separation kann transoral-endoskopisch vorgenommen
werden. Hierbei wird die Epiglottis ventral und lateral mobilisiert und
der Knorpel zur Reduktion der Spannung inzidiert sowie reduziert.
Anschließend erfolgt die partielle Desepithelisierung der
aryepiglottischen Falten. Der Epiglottislappen wird nun nach dorsal
geschlagen und über dem Kehlkopfeingang mit den
aryepiglottischen Falten vernäht. Die Phonation ist nach dem
Verschluss nicht mehr möglich, aber er ist reversibel.
5.4.2.3 Plastischer Verschluss des Atemweges zwischen Larynx und
Trachea mit Erhalt der individuellen Stimme und der Kontinuität
des Paries membranaceus der Trachea.
Ziel des reversiblen Trachealverschlusses mit Laryngo-Hyoidopexie (LHP),
Suspension zum Kinn und nachfolgender Wiederherstellung der eigenen
Stimme ist, dass der Patient/die Patientin nach dem Eingriff
wieder mit der eigenen Stimme ohne Aspiration sprechen kann [259 ]. Die LHP mit Suspension ist
notwendig, um die Quantität der Aspiration unterhalb der
Stimmlippen und oberhalb des Verschlusses zu kontrollieren, da sonst die
Stimmqualität beeinträchtigt werden kann.
Über eine mediane Schnittführung vom Schildknorpel bis in
die Fossa jugularis wird die Trachea nach Durchtrennen des
Schilddrüsenisthmus freigelegt. Die Trachea-Vorderwand wird in
Höhe des ersten bis vierten Trachealringes in der Medianlinie
gespalten oder in Form eines Türflügels
geöffnet. Ein kleiner Tubus wird in Höhe des vierten
Trachealringes zur Beatmung eingelegt.
Ein kranial gestielter Schleimhautlappen des Paries membranaceus wird
umschnitten, nach oben geschlagen und so vernäht, dass er die
Trachea in Höhe des ersten, ggf. zweiten Trachealringes mit der
Schleimhaut nach oben spannungsfrei verschließt. Die kaudale
Abdeckung des Verschlusses erfolgt mit einem
Haut-Platysma-Faszien-Insellappen ([Abb.
32a–d ]).
Abb. 32
a Schnittführung für den
Haut-Platysma-Faszien-Insellappen. Schraffiert=Teile des
Lappens werden desepithelisiert, um sie unter die Haut zu legen.
Über den Paramedianschnitt Darstellung von Trachea und
Ringknorpel. b Die Hautinsel des Lappens ist umschnitten.
Das Platysma mit seiner Faszie auf der Unterseite wird von der
Halsmuskulatur präpariert. c Nach
Einnähen des kranial gestielten Schleimhautlappens von
der Trachearückwand als larynxseitige Bedeckung wird die
Hautinsel zur tracheaseitigen Abdeckung als auch zur
Defektdeckung der Entnahmestelle des Schleimhautlappens
verwendet. d Entnahmestelle des kranial gestielten
Schleimhautlappens der Tracheahinterwand (Stern) ist sichtbar.
Teilentfernung einer Spange des 1. und/oder 2.
Trachealrings, um Druck auf den Lappenstiel zu vermeiden.
Nach der Planung des Lappens wird der schraffierte Bereich des
Lappenstils desepithelisiert, sodass er unter der Haut einheilen kann.
Der Lappenstiel sollte ausreichend groß gewählt werden,
um eine gute Ernährung der Hautinsel sicherzustellen. Die
Hautinsel wird so dimensioniert, dass sie sowohl die Unterseite des
eingenähten, kranial gestielten Schleimhautlappen als auch den
Entnahmedefekt an der Trachea-Rückwand spannungsfrei abdecken
kann. Beide Lappen werden miteinander durch Fibrin verklebt. Um Druck
auf den Lappenstiel zu vermeiden, wird die vordere Spange des zweiten
Trachealrings reseziert. Eine leichte Tamponade stabilisiert
vorübergehend die Position des Insellappens. Es empfiehlt sich
ein etwas größeres Tracheostoma anzulegen und an der
oberen Zirkumferenz des Tracheostomas die Halshaut mit dem
Haut-Platysma-Faszien-Insellappen spannungsfrei zu vernähen.
Dasselbe gilt für die Naht des übrigen Tracheostomas
zwischen Halshaut und Trachealschleimhaut. Auf das Einlegen einer
Kanüle kann nach der Extubation in der Regel verzichtet
werden.
2 Monate nach diesem Eingriff folgt die sekundäre
Wiederherstellung der Stimme durch eine Punktion durch den
Trachealverschluss mit Einsatz einer Stimmprothese ([Abb. 33a, b ]).
Abb. 33
a Die Entnahmestelle des kranial gestielten
Schleimhautlappens wird durch den
Haut-Platysma-Faszie-Insellappen gedeckt. b 2 Monate nach
Abheilen wird ein Shuntventil nach Punktion in den
Trachea-Verschluss eingesetzt, Sprechen ist mit der eigenen,
individuellen Stimme möglich.
Das logopädische Training beginnt eine Woche nach dem Einsetzen
des Shuntventils.
Auf diese Weise wurden bisher 3 Patienten erfolgreich versorgt. Einer
dieser Patienten litt unter einem langsam wachsenden malignen Tumor. Die
Patienten sprechen/sprachen mit ihrer eigenen Stimme. Die
maximale Beobachtungszeit mit dieser Technik beträgt 22 Jahre.
Die Patientin erblindete 1991 an einem Hämangioneuroblastom und
verlor nach der Operation die Funktion der Hirnnerven IX, X, XI, XII.
Die Folge war u. a. ein Myoklonus des Gaumensegels, Pharynx und
Larynx, sowie ein vollständiger Sensibilitätsverlust von
Pharynx, Larynx und Trachea. In der Zwischenzeit traten bei der
Patientin 3 weitere Hämangioneuroblastome im Bereich der Medulla
oblongata auf, die operativ entfernt wurden. Weitere
Sensibilitätsverluste an den Händen und im Bereich des
Halses waren die Folge, sodass die Patientin heute das Tracheostoma mit
dem Handrücken verschließen muss. Sie findet das
Tracheostoma mit dem Finger nicht mehr. Mit diesem Problem hat sie ein
Universitätsstudium abgeschlossen und ist seit Jahren
verheiratet.
In dem genannten, langen Beobachtungszeitraum, wie auch bei den anderen
beiden Patienten traten als einzige Komplikation Granulationen am Shunt
auf. Die Ventile müssen bei dieser Technik im Durchschnitt alle
7+–+10 Monate gewechselt werden.
Weitere Techniken wurden beschrieben, bei denen die Ultima Ratio der
Laryngektomie vermieden werden kann, und die Phonation über eine
Stimmprothese im Pharynx möglich ist [263 ].
5.4.2.4 Laryngektomie.
Dysphagie und Laryngektomie können auf verschiedene Weise
miteinander zusammenhängen. Die laryngotracheale Separation oder
Laryngektomie werden bei irreversiblen, neurologischen oder
onkologischen Erkrankungen mit schwerer Aspiration therapeutisch
eingesetzt. Die Laryngektomie ist die radikalste Methode zur
Prävention der Aspiration. Laryngektomien mit
Hypopharynxteilresektionen führen zu Schluckstörungen
([Abb. 11 ]).
Eine schwere Dysphagie ist nicht selten das Ergebnis der Therapie
fortgeschrittener Larynx- und Hypopharynxkarzinome. Hierbei weisen
Patienten nach einer Radiochemotherapie und/oder Laryngektomie
die schlechtesten Ergebnisse der Schluckfunktion auf [264 ]. Einer Stenose im Neopharynx kann man
durch die primäre Verwendung eines Radialislappens vorbeugen.
Die Bougierung der Stenose verbessert unter Umständen die
Situation für den Patienten. Sweeny et al. [265 ] werteten Stenosen des Neopharynx bzw.
des pharyngoösophagealen Übergangs nach Laryngektomie
aus. Hierbei traten Stenosen in 19% der laryngektomierten
Patienten auf. 82% dieser Stenosen fielen im ersten
postoperativen Jahr auf. Es gab keinen Unterschied zwischen
primär oder Salvage-Laryngektomierten. Patienten, die nur einmal
bougiert bzw. dilatiert werden mussten, hatten eine bessere Prognose
bzgl. der Dysphagie im Vergleich zu Laryngektomierten mit mehrfachen
Dilatationen.
5.4.3 Chirurgische Therapie von Schluckstörungen nach
Radiochemotherapie
Nguyen [39 ] konnte bei Patienten mit
Kopf-Hals-Karzinomen nach primärer Radiochemotherapie oder
chirurgischer Therapie in Kombination mit einer Radiochemotherapie in
11% Stenosen im Pharynx oder Ösophagus mittels modifizierter
fluoroskopischer Barium-Schluckuntersuchung und Endoskopie nachweisen, die
posttherapeutisch zu persistierender Dysphagie führten. Diese
Stenosen wurden durch Dilatation behandelt. In 50% war eine
einmalige Dilatation zur Dysphagietherapie ausreichend. In 21% wurde
mindestens 4 × dilatiert.
Hutcheson et al. [266 ] analysierten 23
rezidivfreie Patienten mit laryngopharyngealer Dysfunktion, die aufgrund
ihrer Tumorbehandlung laryngektomiert werden mussten ([Tab. 23 ]). Dies waren 6% aller
totalen Laryngektomien in einem untersuchten Zeitraum von 6 Jahren. Alle
Patienten mit laryngopharyngealer Dysfunktion hatten sich aufgrund eines
Karzinoms im Kopf-Hals-Bereich primär einer Strahlentherapie oder
Radiochemotherapie unterzogen.
Tab. 23 Indikationen zur totalen Laryngektomie bei
Patienten mit laryngopharyngealer Dysfunktion nach Hutcheson
[266 ] –
Komplikationen und funktionelle Störungen:
Dysphagie
Aspiration
95,7%
Strikturen
30,4%
Enterale/parenterale
Ernährung
73,9%
Nihil per os
56,5%
Osteo-/Chondroradionekrose
26,1%
Atemwege/Tracheotomie
39,1%
Pneumonien
keine
30,4%
einmalige Episode
17,4%
rezidivierend/chronisch
52,2%
5.4.4 Tracheotomie
Zahlreiche Patienten auf Intensivstationen benötigen zur
Aufrechterhaltung der Atmung einen Zugang zu den tiefen Atemwegen.
Indikationen sind prolongierte Intubation, Unterstützung der
Beatmung, pulmonales Sekretmanagement, Obstruktion der oberen Atemwege mit
Stridor, Atemnot, interkostalen Einziehungen, OSAS, beidseitige
Stimmlippenlähmung, fehlende Möglichkeit der Intubation,
große Eingriffe in der Kopf-Hals-Region, Traumamanagement, Schutz
der Atemwege bei neurologischen Erkrankungen [267 ].
Der Atemweg wird durch einen geblockten Tubus in Sedierung als
Kurzzeitmaßnahme abgedichtet.
Eine frühe Tracheotomie, etwa 72 Stunden nach Intubation bringt keine
Nachteile [268 ]. Grundsätzlich ist
sie indiziert, wenn die Beatmung voraussichtlich länger als 12 Tage
erforderlich ist [269 ].
Die Dysphagie mit Aspiration ist ein Grund, beim nicht-intubierten Patienten
ein Tracheostoma anzulegen. Andererseits kann die Tracheotomie als
Komplikation zu Dysphagie führen. Sie wird in der Regel entweder als
perkutane Dilatations- oder als chirurgische Tracheotomie
durchgeführt [270 ], wobei auf
Intensivstationen die Dilatationstracheotomie häufiger eingesetzt
wird und die gleiche Sicherheit besitzt [271 ]
[272 ].
Kontraindikationen gegen die Punktionstracheotomie nach Bause [273 ] sind eine akute Ateminsuffizienz
(Notfallsituation), nicht korrigierbare kombinierte
Gerinnungsstörungen sowie die hochgradige
Kreislaufinstabilität.
Indikationen für die konventionelle
Tracheotomie/Tracheostomie:
Patienten unter 18 Jahren
Unmöglichkeit der Trachealpunktion
Instabile Halswirbelsäulenfrakturen
Trachealtumoren
Alle supratrachealen Atemwegshindernisse
Frische Trachealnaht
Notwendige Kanülengröße
>10 mm (Innendurchmesser)
Notwendigkeit der seitengetrennten Beatmung
Frische Bronchusnaht
Vorbestehende Tracheomalazie
Endgültiges Stroma
Mobile, nicht-beatmete Patienten
Für die offene chirurgische Tracheotomie werden die Durchtrennung
oder Verdrängung des Isthmus der Schilddrüse nach kaudal,
die Inzision zwischen dem 2. und 3. Trachealring empfohlen [270 ]
[274 ]. Ein Björk-Lappen ist nicht
erforderlich. Bei erwarteten Langzeit-Tracheotomien ist eine
sorgfältige Haut-Schleimhaut-Naht für ein stabiles
Tracheostoma wünschenswert, um Granulationen und Stenosen zu
vermeiden und die Beatmung zu sichern (Tracheostomie).
Operationsmethode: ca. 4 cm langer quer verlaufender Hautschnitt. Die
Linea alba wird dargestellt, die infrahyoidale Muskulatur wird nach lateral
und der Schilddrüsenisthmus nach kaudal verdrängt bzw.
durchtrennt. Die Trachea wird meist zwischen dem 2. und 3. Trachealring
eröffnet. Die 2. Trachealspange wird subkutan mit dem oberen und die
3. subkutan mit dem unteren Hautschnittrand vernäht. Intensiv- und
Langzeit-Beatmungspatienten können dagegen in gleicher Weise bei
tief sitzendem Larynx ein zwischen dem 1. und 2. Trachealring gelegenes
dauerhaftes Stoma bekommen. Sonst erweitert sich das Tracheostoma durch das
druckbedingte Aufwärtswandern der Kanüle. Dies erschwert das
Abdichten der Kanüle bei beatmeten Patienten. Die letztgenannte
Technik hat folgende Vorteile in Bezug auf Schluckstörungen: sichere
Öffnung durch Adaptation der Stomaränder an den Hautschnitt
und kleineres Tracheostoma. Eine Variante der Trachealeröffnung ist
die senkrechte Inzision über mehrere Trachealringe [267 ]. Dieses Vorgehen empfiehlt sich in
Notfällen wegen der besseren Übersicht.
Das Wechseln der Kanüle ist ab dem 2. postoperativen Tag
möglich. Ein Sprechventil, auf die Trachealkanüle
aufgesetzt, fördert den Erfolg der Stimm- und Schlucktherapie [275 ].
Eine geblockte Trachealkanüle reduziert das Hauptrisiko der
Dysphagie, die Aspiration. Sie kann aber das Überlaufen von Speichel
in die Luftröhre nicht verhindern. Eine transnasal gelegte
Nährsonde erhöht die Speichelproduktion. Da die normale
Speichelproduktion mit ca. 0,6+–+1,5 l pro
Tag zu viel für den Atemweg ist – auch wenn nur ein Teil
aspiriert wird – muss der Patient sorgfältig
überwacht werden. Der Speichel staut sich bei Aspiration
über dem Cuff und kann über die subglottische Absaugung der
geblockten Trachealkanüle abgesaugt werden. Eine professionelle
Trachea-Pflege ist notwendig, um Entzündungen der trachealen
Punktionswunde bedingt durch Speichel und Keimbesiedlung zu vermeiden.
5.4.5 Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG)
Sie ist ein etabliertes endoskopisch chirurgisches Verfahren für
Patienten mit Dysphagie, die sich über eine absehbare Zeit oder auch
dauerhaft nicht die notwendige tägliche Flüssigkeits- und
Kalorienmenge zuführen können. Hierbei sichert die
Nahrungszufuhr über die PEG-Sonde den Energiebedarf. Indikationen
für eine PEG-Anlage sind obstruktive oder neurogene Dysphagien mit
reversiblen und irreversiblen Schluckstörungen sowie Aspiration
[276 ]. Die Patienten können sich
im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiter oral ernähren. Derzeit
haben sich die Fadendurchzugmethode in der Seldinger-Technik und die
Direktpunktion als Verfahren etabliert, wobei die Fadendurchzugmethode als
sichere und einfache Methode am häufigsten angewandt wird. In
prospektiven klinischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die
Ernährung über die PEG-Sonden sehr gut akzeptiert und
toleriert wird. Mays et al. [277 ]
entwickelten Prädiktoren für die Anlage von Magensonden, um
die enterale Ernährung im Rahmen der Therapie zu
gewährleisten. Einflussfaktoren sind die präoperative
Bestrahlung, supraglottische Larynxteilresektion, Tracheotomie, klinischer
Halslymphknotenstatus (N0 vs. N2, N1 vs. N2), präoperativer
Gewichtsverlust, Dysphagie, Art der Rekonstruktion und das Tumorstadium.
Mays befürwortet die frühe Anlage der PEG, damit bei
Hochrisiko-Patienten Komplikationen im Rahmen der postoperativen Wundheilung
vermieden werden können und die Prognose sowie die
Lebensqualität verbessert werden.