Schlüsselwörter
gebrochener Tibiamarknagel - Ausschlaginstrumentarium - Pseudarthrose
Key words
broken tibial nail - removal device - pseudarthrosis
Einleitung
Die intramedulläre Stabilisation von dislozierten Tibiaschaftfrakturen ist der Goldstandard
und führt regelhaft zur Ausheilung der Verletzung. Trotzdem kann es in einigen Fällen
zu einer verzögerten Heilung oder Pseudarthrose kommen, was eine Überlastung des Implantats
bedeutet. Dies kann zu einem Nagelbruch führen [1].
Verschiedene Techniken zur Entfernung des distalen Segments eines gebrochen Marknagels
wurden bereits beschrieben. Einige sind sehr zeitaufwendig, andere bedeuten große
operative Zugänge oder benötigen spezielle Instrumente wie lange Haken, Führungsdrähte,
Cerclagen, lange Zangen oder Bohrer [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9]. Idealerweise werden Extraktionshaken verwendet, die durch das kanülierte Nagelfragment
eingeschoben und retrograd mithilfe des Hakens aus der Markhöhle geborgen werden.
Diese Technik kann jedoch fehlschlagen, wenn der Haken sich nicht am Fragmentende
des Nagels verankern lässt. Wir stellen eine weitere einfache und sichere Technik
zur Entfernung eines kanülierten gebrochenen Tibiamarknagels vor.
Kasuistik
Eine 23-jährige Patientin stürzte mit dem Motorrad und zog sich eine zweitgradig offene,
dislozierte mehrfragmentäre Fraktur des Tibia- und Fibulaschafts im mittleren Drittel
(AO-Typ 42-C1.1) zu. Nach primärer Stabilisation der Fraktur durch einen Fixateur
externe (ProCallus®, Firma Orthofix GmbH, Germany) wurde die Fraktur 12 Tage später
intramedullär mit einem aufgebohrten Tibiamarknagel (Sirus® Tibiamarknagel, Firma
Zimmer, Durchmesser 9,3 mm, Länge 360 mm) definitiv versorgt. Zehn Monate später hatte
sich eine atrophe Pseudarthrose mit einem Nagelbruch 3,5 cm unterhalb der Pseudarthrose
ausgebildet ([Abb. 1]).
Abb. 1 a und b Röntgenbild des rechten distalen Unterschenkels a.–p. (a) und lateral (b) mit atropher Pseudarthrose der Unterschenkelschaftfraktur und gebrochenem Tibiamarknagel.
Bei der operativen Revision wurde nach der Entfernung der proximalen Verschlusskappe
und der Verriegelungsbolzen ein 3-mm-Bohrdorn mit Olive durch das proximale und das
distale Fragment des Nagels vorgeschoben. Die Olivenspitze wurde außerhalb des distalen
Nagelfragments platziert. Zusätzlich wurde ein 2. an der Spitze angeschliffener 2,5-mm-Draht
(Firma Marquardt Medizintechnik, Spaichingen/Deutschland) über das proximale in das
distale Nagelsegment eingeführt und mit Hammerschlägen im distalen Nagelsegment verklemmt.
Der meißelförmige Anschliff des Drahtes bewirkt zum einen die Verklemmung der beiden
Drähte in der Kanülierung des distalen Segments, zum anderen verdrängt er die Olivenspitze
aus der Achse der Kanülierung des distalen Segments, sodass die Olive beim Zurückschlagen
der Drähte wie ein Haken fungiert ([Abb. 2]). Mittels Bündelnagelzange (nach Hackethal®, Ulrich Medical, Germany) wurde der
so im distalen Nagelsegment verklemmte Olivenbohrdraht nach proximal geschlagen, wodurch
beide Nagelsegmente entfernt werden konnten ([Abb. 2]). Der Tibiamarkraum wurde erneut aufgebohrt und mit einem AO Standard Nagel® (Firma
Synthes, Durchmesser 11 mm, Länge 360 mm) stabilisiert. 12 Monate postoperativ war
die Pseudarthrose ausgeheilt.
Abb. 2 a bis c Fotografie des entfernten, gebrochenen distalen Nagelendes, des 3-mm-Bohrdrahtes
mit Olive und des an der Spitze meißelförmig angeschliffenen 2,5-mm-Drahtes (a). Darstellung des Verblockungsmanövers mit dem entfernten Nagelsegment als Fotografie
(b) und als Schemazeichnung (c). Einführen des Olivenbohrdrahtes durch das distale Nagelsegment (*). Im 2. Schritt
wird der an der Spitze meißelförmig angeschliffene Draht ebenfalls eingeschlagen,
verklemmt so den Olivenbohrdraht langstreckig im distalen Nagelsegment und drängt
die Olive aus der Achse der Kanülierung, sodass diese Olive als Haken fungiert (**).
Diskussion
Die Versorgung von Unterschenkelschaftfrakturen mit der Tibiamarknagelosteosynthese
führt regelhaft zur Ausheilung. Bei verzögerter ossärer Konsolidation birgt die erhöhte
Belastung des Marknagels im Bereich der Frakturzone das Risiko eines Implantatversagens
[1]. Die Inzidenz eines Marknagelbruches wird mit 1–3 % angegeben [3]. Bei ausgebliebener ossärer Konsolidation und vorliegendem Marknagelbruch besteht
die Notwendigkeit der Reosteosynthese. Verschiedene Techniken der Entfernung des distalen
Nagelsegments wurden bereits beschrieben. Einige sind zeitintensiv, andere benötigen
zusätzliche Zugangswege und/oder Spezialinstrumente wie lange Haken, Führungsdrähte,
Cerclagen, lange Zangen oder Bohrer [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9].
Levine und Georgiadis fädelten bei einem gebrochenen kanülierten Tibiamarknagel das
distale Nagelsegment mit einem flexiblen Olivendraht von retrograd über einen seperaten
Knochenkanal vom Malleolus medialis auf und konnten so das gebrochene Nagelsegment
nach proximal über den Standardzugang herausschlagen [9]. Neben dem zusätzlichen Weichteiltrauma und der Schwächung des medialen Malleolus
ist diese Technik nur möglich, wenn das Nagelende ausreichend weit von der distalen
Tibiagelenkfläche platziert wurde.
Die von Schmidgen et al. beschriebene Technik stellt eine weitere Möglichkeit der
Entfernung sowohl eines soliden als auch eines kanülierten abgebrochenen distalen
Nagelsegments dar [8]. Hier wurde nach Entfernung des proximalen Nagelendes die Markhöhle bis zum distalen
Nagelanteil auf 11 mm aufgebohrt. Durch Manipulation über ein distales knöchernes
Verriegelungsloch mittels kleinem gebogenem Raspatorium konnte das Nagelende in eine
Position gebracht werden, in welcher ein von proximal eingeführter, gebogener und
zurechtgefeilter AO-Ausschlaghaken in ein Verriegelungsloch des distalen Nagelsegments
eingehakt und dieses so nach proximal extrahiert werden konnte. Voraussetzung für
diese Methode bleibt das Aufbohren der proximalen Markhöhle und die Mobilisation des
distalen Nagelsegments, damit eine Kippung in der Markhöhle möglich ist und der Ausschlaghaken
zwischen Kortikalis und Nagel Platz findet.
Middleton et al. beschreiben eine vergleichbare Technik zu der unseren bei der Entfernung
eines gebrochenen kanülierten Femurmarknagels [10]. Hier wurde der initial eingebrachte Olivenbohrdraht mit 2 weiteren Olivenbohrdrähten
im gebrochenen distalen Nagelsegment verblockt. Durch kräftige retrograde Schläge
auf eine den primären Olivenbohrdraht fixierende Ausschlagzange konnte das Nagelsegment
entfernt werden. Zuvor wurde der Markraum bis zum distalen Nagelsegment durch Aufbohren
erweitert. Da viele kanülierte Tibiamarknägel deutlich kleinere Innendurchmesser haben
als Femurmarknägel ist diese Technik nicht zwingend auf die Entfernung eines kurzen
gebrochenen distalen Tibiamarknagelsegments übertragbar. Durch die von uns beschriebene
Technik können hingegen auch sehr dünne kanülierte Nägel erfolgreich entfernt werden.
Schlussfolgerung
Die beschriebene Methode zur Entfernung eines gebrochenen kanülierten Tibiamarknagels
ist technisch einfach durchzuführen, benötigt keine weiteren Zugänge und bis auf einen
an der Spitze angeschliffenen Draht keine weiteren Spezialinstrumente. Durch unterschiedliche
Drahtdurchmesser können auch dünne kanülierte Nagelsegmente entfernt werden.