kleintier konkret 2015; 18(S 01): 30-35
DOI: 10.1055/s-0035-1547402
labor
urin
Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Urinuntersuchung beim Kleinsäuger – so einfach und doch so aussagekräftig

Jutta Hein
Diplomate ECZM (Small Mammal), Zbz. Heimtiere/Kleinsäuger, Kleintierklinik Augsburg, synlab.vet Augsburg
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Weitere Informationen
Dr. Jutta Hein
Diplomate ECZM (Small Mammal)
Zbz. Heimtiere/Kleinsäuger
Kleintierklinik Augsburg, synlab.vet Augsburg

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
27. März 2015 (online)

 

Obwohl die Urinuntersuchung beim Kleinsäuger einfach und kostengünstig durchzuführen ist, wird sie doch viel zu selten in der Praxis genutzt. Dabei liefert sie schnell Antworten sowohl auf typische Fragen (z. B. Blut im Urin oder Kalziumstatus) als auch auf überlebenswichtige prognostische Fragen (wie Nierenfunktion und Säure-Basen-Haushalt) und kann Hinweise auf systemische Krankheiten geben (z. B. Diabetes mellitus und Ketoazidose).


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Uringewinnung

Auch bei Kleinsäugern kann Urin durch verschiedene Methoden gewonnen werden:

  • Auffangen freiwillig abgesetzten Urins

  • Auffangen nach manuellem Ausdrücken der Blase

  • Katheterisierung

  • Zystozentese

Welche Methode wann gewählt wird ist von der Fragestellung abhängig (▶Tab. [ 1 ]), das benötigte Material zur Urinentnahme und -untersuchung ist in ▶Abb. [ 1 ] dargestellt.

Tab. 1

Uringewinnung

Methode

Vorteile

Nachteile

Geeignet

Nicht geeignet

Auffangen ohne Manipulation

keine Manipulation notwendig

  • ggf. zeitaufwendig

  • Kontamination durch harnableitende Wege und Umgebung

  • unvollständige Blasenentleerung (ggf. Unterschätzung der Kristallurie)

  • makroskopische Untersuchung (Blut, Beimengungen, Ca)

  • USG

  • Urinteststreifen

  • spezielle Nieren- und Blasenbeurteilung

  • Sediment

  • BU

Auffangen nach Ausdrücken der Blase

  • schnell und einfach

  • bei Kleinsäugern geringe Gefahr von Ruptur und Rückstau in das Nierenbecken

  • gute Durchmischung und Entleerung der Blase

  • Beurteilung von Nierenfunktion und Stoffwechsel

  • Kontamination durch harnableitende Wege und Umgebung

  • Blutbeimengungen durch Läsionen v. a. bei Kristallurie

  • makroskopische Untersuchung (Beimengungen, Ca, nicht für Blut!)

  • USG

  • Urinteststreifen

  • spezielle Nieren- und Blasenbeurteilung

  • Sediment

  • BU

Katheterisierung

  • Überprüfung der Harnröhrendurchgängigkeit

  • Blasenspülung und retrograde Eingabe (Kontrastmittel, Medikamente)

  • schwieriger bei weiblichen Kaninchen (gemeinsamer Urethra- und Vaginalausgang) und männlichen Meerschweinchen (große Samenblasendrüsen)

  • Gefahr der Einschleppung von Keimen in die Blase und der Schleimhauttraumatisierung

  • makroskopische Untersuchung (Beimengungen, Ca, nicht für Blut!)

  • USG

  • Urinteststreifen

  • reine Nieren- und Blasenbeurteilung

  • Sediment

  • BU

Zystozentese

  • schonende Gewinnung sterilen Blasenurins für BU

  • Entleerung der Blase bei Harnröhrenverschluss

  • Ruptur bei übervoller Blase möglich

  • geringe Blut- und somit auch Proteinbeimengungen durch die Punktion

alle Untersuchungen

Nachweis von Blutspuren

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Abb. 1 Material zur Urinentnahme (Auffangschale, sterile Spritze mit Kanüle [22G], sterile Röhrchen mit und ohne Stabilisator), Urinteststreifen, Refraktometer, Objektträger für die Sedimentuntersuchung. (© J. Hein)

Auffangen ohne Manipulation

Das Tier wird in eine Box mit nicht saugfähiger Perlstreu oder alternativ in eine Box mit Gitterboden über einer sauberen Schale gesetzt. Der Gitterboden verhindert eine Kontamination des Urins mit Kot oder durch Durchlaufen.

Auffangen nach Ausdrücken der Blase

Der Oberkörper des Tieres wird angehoben und der Blaseninhalt aufgeschüttelt und sanft ausmassiert (Vorsicht bei übervoller Blase und/oder Verdacht auf Verschluss), ▶Abb. [ 2 ]. Die Mittelportion ist am repräsentativsten für den Gesamturin, die Anfangsportion eher für die ableitenden Wege.

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Abb. 2 Manuelle Blasenentleerung beim Kaninchen. (© J. Hein)

Katheterisierung

Die Katheterisierung erfolgt möglichst steril mittels eines Katerkatheters oder einer schmalen Ernährungssonde. Das Tier befindet sich in Rückenlage, ggf. ist eine Sedation notwendig.

Zystozentese

Das Tier wird in Rückenlage fixiert, die Punktion erfolgt im Winkel von 30°–45° mit einer kleinen Kanüle (22 G). Die Zystozentese kann blind durch Fixation der Blase zwischen den Fingern (▶Abb. [ 3 ]) oder unter Ultraschallkontrolle durchgeführt werden.

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Abb. 3 Zystozentese beim Meerschweinchen (blind). (© J. Hein)

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Vorbereitung der Urinprobe

Die Urinproben werden in sterilen Röhrchen aufgefangen und möglichst rasch untersucht. Da es besonders bei höheren Temperaturen schnell zur Dissoziation von Zylindern, osmotischer Zellschädigung, Präzipitation von Kristallen und pH-Änderung kommt, sollte Urin nicht länger als 30 Min. bei Zimmertemperatur und maximal 48 Stunden im Kühlschrank (+4 °C) gelagert werden. Vor der Untersuchung wird der Urin wieder auf Raumtemperatur gebracht, da manche Tests – z. B. Teststreifen und urinspezifisches Gewicht (USG) – temperaturabhängig sind und Kältepräzipitate sich erst wieder auflösen müssen [[10]].

.konkret

Urin sollte nicht länger als 30 min bei Zimmertemperatur und max. 48 h im Kühlschrank (+4°C) gelagert werden.

Für die Untersuchung von Urinstatus und Sedimentes ist frischer, nativer Urin (unbehandeltes, steriles Röhrchen) am besten geeignet. Urinproben für die mikrobiologische Untersuchung sollten in Stabilisatorröhrchen (Röhrchen mit Borsäurepulver) verschickt werden.

Für die Urinuntersuchung stehen folgende Methoden zur Verfügung:

  • Urinstatus (makroskopische Untersuchung, USG, Urinteststreifen)

  • Sedimentuntersuchung

  • bakteriologische Untersuchung (BU)

  • Untersuchung auf andere Infektionserreger (z. B. E. cuniculi-Sporen, Leptospiren)

  • Bestimmung von bestimmten klinisch-chemischen Parametern (z. B. Urin-Kortisol/Kreatinin-Quotient [UCC], Urin-Protein/Kreatinin-Quotient [UPC]).


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Urinstatus

Makroskopische Urinuntersuchung

Die makroskopische Urinuntersuchung gibt bereits erste wesentliche Hinweise auf Nierenfunktion und Hydratationsstatus (Konzentration und Farbe), auf Stoffwechselfunktion und Säure-Basen-Haushalt (Geruch) und auf fütterungsbedingte und/oder krankhafte Beimengungen (Blut, Kalzium, Eiter etc.).

Farbe

Bei gesundem Urogenitaltrakt sollte ein gut konzentrierter (kräftig gelb gefärbter) Urin abgesetzt werden (▶Abb. [ 4 ]). Schwach gefärbter Urin spricht für Polyurie (Verifizierung durch Bestimmung des USG). Bestimmte Medikamente, Futterfarbstoffe und andere Pigmente aus dem endogenen Abbau (Gallepigmente, Porphyrine, Melanin etc.) können die Harnfarbe erheblich beeinflussen (Nachdunkeln, Fehlinterpretation als Blut, ▶Abb. [ 5 ]).

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Abb. 4 Urine mit unterschiedlicher Färbung. (© J. Hein)
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Abb. 5 Nachdunkeln von Urin durch Futterfarbstoffe. (© J. Hein)

Geruch

Physiologischer Urin sollte aromatisch riechen. Bestimmte Medikamente, Futterfarbstoffe und andere Pigmente aus dem endogenen Abbau können den Geruch beeinflussen (z. B. „Spargelgeruch“). Ein stechender Geruch deutet auf eine Infektion hin, ein fruchtiger Geruch ggf. auf eine Ketose.

Trübung

Eine Trübung entsteht durch Beimengungen (Kristalle, Schleim, Eiter, Blut, Epithelien, Bakterien). Eine geringgradige Beimengung von Kalziumkristallen wird bei Kaninchen und Meerschweinchen noch als physiologisch angesehen (nahrungsabhängige Aufnahme und renale Elimination). Diese Kristalle entstehen durch eine übermäßige Kalziumzufuhr und/oder eine Störung des Kalziumstoffwechsels (Hyperparathyreoidismus [[2]], Osteodystrophia fibrosa [[9]]). Für die Ausfällung sind unterschiedlichste Faktoren verantwortlich, wie die Anwesenheit von Kristallisationskernen, der pH-Wert, Schleimhautschäden, genetische Prädisposition, Flüssigkeitsaufnahmemenge, Grundkrankheiten etc. Sind zudem Infektionen und/oder entsprechende Milieuveränderungen vorhanden, ist auch die Entstehung von Steinen möglich [[12]]. Starke Kristallansammlungen und Verfärbungen sollten daher in jedem Fall weiter abgeklärt und therapeutisch (und v. a. diätetisch) angegangen werden.


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Urinspezifisches Gewicht (USG)

Das USG zeigt die Konzentration löslicher Stoffe im Urin an und gibt Hinweise auf die Rückresorptionsfähigkeit des Tubulussystems und somit die Konzentrationsfähigkeit der Nieren. Die Bestimmung erfolgt mittels Refraktometer. Teststreifenmethoden sind aufgrund ungeeigneter Meßbereiche (1000–1025) und schlechter Vergleichbarkeit nicht geeignet [[1]].

Bei physiologischer Nierenfunktion besteht eine umgekehrte Proportionalität zwischen Konzentration und Urinmenge, d. h. bei geringer Urinmenge ist eine hohe Konzentration zu erwarten und umgekehrt [[10]]. Bei einem gesunden Kleinsäuger mit intakter Nierenfunktion sollte das USG oberhalb des isostenurischen Bereichs (1008–1016) liegen. Den konzentriertesten Urin der Kleinsäuger haben Hamster und Wüstenrennmäuse mit einem USG von über 1040. Bei Kaninchen und Meerschweinchen wird häufiger ein niedrigeres USG (meist < 1025) verzeichnet. Dies ist durch Kalzurie, leichte Infektionen und entsprechende Interferenz an den ADH-Rezeptoren der Sammelrohre bedingt. Bei starker Urintrübung sollte der Überstand nach kurzem Stehenlassen verwendet werden.


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Urinteststreifen

Urinteststreifen(▶Tab. [ 2 ]) sind semiquantitive Trockenchemiesysteme zur Bestimmung verschiedener Parameter. Die Durchführung ist schnell und einfach. Die Teststreifenfelder werden mit Urin beträufelt und nach 60 Sekunden (Leukozytenfeld nach 120 Sekunden) abgelesen. Die Auslesung erfolgt visuell und/oder maschinell mit entsprechenden Lesegeräten. Ergebnisse unterschiedlicher Tests und Ausleseverfahren können stark variieren [[1]].

Tab. 2

Urinteststreifenparameter.

Parameter

Einflüsse

Aussage

Bilirubin

Falsch positiv: Färbung durch Farbstoffe und Gallepigmente

Falsch negativ: Teststreifenfehler

Nur wasserlösliches, konjugiertes Bilirubin; Kopplung an Dichloranilin

Hinweis auf Hyperbilirubinämie (prä-, intra- oder posthepatisch), bei Kleinsäugern selten

Blut

Falsch positiv: selbst verursachte Blutung durch Uringewinnung, Reaktion auf Hämoglobin, Erythrozyten und Myoglobin, körperliche Aktivität, Vit. C

Falsch negativ: Teststreifenfehler, starke Trübung

Oxydation von Hydroperoxid durch Hämoglobin/Myoglobin

Abhängig von der Art der Uringewinnung (Anzahl der Ausdrückversuche, Zystozentese etc.)

Glukose

Falsch positiv: Teststreifenfehler

Falsch negativ: hohe Ketonkörperkonzentration, Vit. C

Glukoseoxidase-Peroxidase-Methode

Hinweis auf Hyperglykämie (auch kurzzeitig iatrogen oder physiologisch) oder verminderte Rückresorptionskapazität der Nieren

Positive Befunde sollten durch eine Blutuntersuchung (Glukose, Fruktosamin) bestätigt werden

Ketonkörper

Falsch positiv: Interaktion mit Sulfhydryl, Phenylketonen, Phthaleine; Spuren ggf. noch physiologisch

Falsch negativ: Teststreifenfehler, Überwiegen von Buttersäure, starke Trübung

Probe nach Legal; nur Acetessigsäure und Aceton, keine B-Hydroxybuttersäure

Hinweis auf gestörten Energiestoffwechsel (Hyper- oder Hypoglykämie)

Beurteilung nur gemeinsam mit pH-Wert und Glukosekonzentration

Leukozyten

Falsch positiv: Konservierungsmittel, Antibiotika (Imipenem, Meropenem, Clavulansäure); Überdeckung bei starker Färbung

Falsch negativ: Bilirubin, Nitrofurantoin, Glukose, Protein, Antibiotika (Cephalexin, Gentamycin)

Nachweis der Esteraseaktivität von Granulozyten (intakte und lysierte Leukozyten)

Positive Befunde sollten durch Sediment bestätigt werden

Nitrit

Falsch positiv: Trübung

Falsch negativ: nicht-nitritbildende Bakterien (oft), zu kurze Verweildauer des Urins in der Blase (ideal Morgenurin), Antibiotikatherapie innerhalb der letzten 3 Tage

Griess’sche Probe – Nitritnachweis (indirekter Nachweis nitratabbauender Bakterien (E. coli etc.)

Positive Befunde hinweisend

pH-Wert

Abhängig von Fütterung und Lagerung

sauer = proteinreiche Nahrung

alkalisch = pflanzliche Nahrung und Lagerung (Temperatursenkung, Urease-bildende Bakterien)

Nachweis von Hydroniumionen

Hinweisend auf Säure-Basen-Haushalt und Stoffwechselsituation

Protein

Falsch positiv: alkalischer Urin, Interaktion mit Desinfektionsmittel, Chlorhexidin

Falsch negativ: sehr dünner und sauer Urin

Proteinreaktion des pH-Indikators (sensitiv auf Albumin)

Abhängig von Gewinnungsart (Blutbeimengung), Grad der Hämaturie und Urinkonzentrierung (USG)

Hinweis auf renale, urogenitale oder andere Proteinbeimengung (Blut, Hb, Myoglobin), ggr. Mengen auch bei Fieber, Hypo-/Hyperthermie, Stress, Anstrengung

Urobilinogen

irrelevant beim Tier

Diazoniumsalzreaktion

Keine klinische Bedeutung beim Tier

Urinteststreifen liefern gerade bei kritischen Patienten bereits in der Praxis schnell und einfach erste Aussagen über Stoffwechsellage und Säure-Basen-Haushalt des Tieres (pH-Wert, Glukose, Ketonkörper), geben Hinweise auf Infektionen (Leukozyten, Nitrit) und ermöglichen die Unterscheidung von Urinverfärbungen (Blut, Hämoglobin, Myoglobin, Bilirubin oder andere Farbstoffe). Im Idealfall sollten die Urinteststreifenfelder (mit Ausnahme des pH-Wertes) negativ ausfallen.

Der pH-Wert richtet sich nach der Tierart, der Nahrung und dem Gesundheitszustand. Kleinnager haben zumeist einen leicht alkalischen Urin. Diäten mit hohem Gehalt an tierischen Proteinen und katabolische Störungen (z. B. Hunger, Ketose und Fieber) führen zu einer Ansäuerung, pflanzliche Diäten zu einer Alkalisierung [[3]].

Aufgefangener Urin ist häufig bakteriell kontaminiert, was positive Befunde vortäuschen kann. Besteht laut Urinteststreifen Verdacht auf eine bakterielle Zystitis (Leukozyten, Nitrit), sollte das Ergebnis durch eine Sedimentuntersuchung aus Zystozenteseurin verifiziert und – spätestens bei einem Rezidiv – die Keimart und ihre Empfänglichkeit mittels bakteriologischer Untersuchung und Antibiogramm bestimmt werden.

Der Proteingehalt im Urin korreliert mit dem Blutgehalt und dieser wiederum mit der Art der Uringewinnung. Bei Blasenmanipulation steigt der Blutgehalt (Ausdrücken: 1+ bis 4+ Blut; Zystozentese und Katheterisierung: meist 1+ Blut) und muss entsprechend kritisch bewertet werden.

Glukose kann bei kurzzeitigen Blutglukoseschwankungen (Nahrung, Stress, Östrus) im Urin vorgefunden werden. Der Nachweis von Glukose kann aber auch ein Hinweis auf eine pathologische Hyperglykämie oder Niereninsuffizienz sein und sollte daher kontrolliert und mittels Glukose- und Fruktosaminmessung im Blut verifiziert werden.

Der Nachweis von Ketonkörpern im Urin (nur Azeton und Acetessigsäure) weist auf eine schwerwiegende Stoffwechselentgleisung hin. Die Ursache kann eine Mangelsituation („Hungerketose“) oder wie oft beim Kaninchen eine kurzzeitige Hyperglykämie („diabetische Ketoazidose“) sein. Eine Hypoglykämie konnte bei einer Studie an 907 Kaninchen nur bei 1,4 % festgestellt werden [[5]]. Die Therapie ist entsprechend abhängig von der Glukosekonzentration in Blut.

.konkret

Für die Bestimmung des urinspezifischen Gewichts sind Urinteststreifen nicht geeignet [[1]].

Da auch Medikamente und Desinfektionsmittel Einfluss auf die Testfelder haben können und so immer sowohl falsch-positive als auch falsch-negative Ergebnisse möglich sind, sollten unplausible Ergebnisse immer durch entsprechende weiterführende Untersuchungen (Sedimentuntersuchung, Blutuntersuchung, Ultraschall) verifiziert werden [[1], [10]].


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Sedimentuntersuchung

Die Sedimentuntersuchung ermöglicht eine mikroskopische qualitative und quantitative Bestimmung von:

  • Zellen

  • Zylindern

  • Kristallen

  • Mikroorganismen (Bakterien, Hefen etc.)

  • anderen Beimengungen (z. B. Farbstoffe, Präzipitate, Zellreste etc.)

Die Uringewinnungsmethode ist hierbei abhängig von der Fragestellung (z. B. Blutung: freiwillig abgesetzter Urin; Verdacht auf bakterielle Zystitis: Zystozenteseurin, ▶Tab. [ 1 ]). Zur Sedimentherstellung wird der Urin in einem sterilen Röhrchen (ohne Stabilisator) ca. 5 Minuten bei 400 g (z. B. 1500 U/min. bei 15 cm Radius) zentrifugiert (höhere Umdrehungen zerstören die Zylinder) und der Überstand weitgehend abgegossen. Ein Tropfen des resuspendierten Sediments wird auf einen Objektträger gegeben, mit einem Deckglas abgedeckt und bei geschlossener Irisblende oder heruntergeklapptem Kondensor mikroskopiert (400 ×). Zur besseren Zelldifferenzierung können getrocknete Urinsedimente wie Blutausstriche gefärbt werden (z. B. mit einer Schnellfärbung wie Diff Quick®). Die Untersuchung sollte zeitnah erfolgen, Standzeit und Lagerung müssen bei der Beurteilung berücksichtigt werden.

Eine Konkrementanalyse kann vom Labor durchgeführt werden, ist bei pflanzenfressenden Kleinsäugern mit alkalischem Urin aber wenig hilfreich. Bei Kaninchen bestehen die Kristalle zu mehr als 90 % aus Kalziumkarbonaten („Calcite“, Korn-, Hantel- oder Biskuitform, ▶Abb. [ 6 ]), weniger als 3 % bestehen aus Kalziumphosphaten (Schollen- oder große Lattenform, Verwechslung mit Struvitkristallen möglich) und nur selten werden Kristalle aus Ammonium-Magnesium-Phosphaten (Struvit 1,2 %, „Sargdeckelform“) oder Kalziumoxalaten (0,8 %, briefumschlagartig [Weddelit] oder seltener zugespitzt, stabförmig [Whewellit]) nachgewiesen [[7]]. Bei Meerschweinchen überwiegen ebenfalls die Kalziumkarbonate, gerade bei Urethrasteinen scheint der Anteil an Struvit (Beteiligung von Urease-produzierenden Bakterien) aber höher zu sein [[4]]. Kalziumkarbonate und -oxalate können nicht in der Blase aufgelöst werden, sind nur durch Entfernung (Hydropulsion, Spülung, Zystotomie) behandelbar und dauerhaft nur durch konsequente Umstellung auf kalziumarme Fütterung und Kontrolle zu verhindern.

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Abb. 6 Polymorphe Kalziumkarbonate im Urinsediment eines Kaninchens (400 ×). (© J. Hein)

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Erregernachweis

Die bakteriologische Untersuchung (BU) des Urins dient nicht nur der Verifizierung eines positiven Bakteriennachweises auf Teststreifen oder im Sediment, sondern auch der Keimzahlbestimmung und der Keimdifferenzierung (mit Antibiogramm zum gerichteten Antibiotikaeinsatz). Die Durchführung einer BU ist nur aus steril entnommenem Zystozenteseurin (Versand in sterilen Röhrchen mit Stabilisator) sinnvoll. Bei Verwendung von kontaminiertem Urin, falscher Lagerung und/oder langem Transport sind falsch-positive Befunde häufig. Falsch-negative Befunde treten während oder innerhalb von einer Woche nach antibiotischer Therapie oder Vorliegen anderer Hemmstoffe auf.

Beim Kleinsäuger gibt es nur wenige andere Erreger, die bei einer Infektion im Urin nachweisbar sind (z. B. Leptospiren, mikroskopisch). Selbst der Nachweis von Encephalitozoon cuniculi-Sporen (Kaninchen etc.) spielt gegenüber der Antikörperbestimmung im Blut (Sensitivität 96 %, [[6]]) nur eine sehr untergeordnete Rolle, da die Sporen nur unregelmäßig beim Platzen von Tubuluszellen frei werden (falsch-negative Befunde: 60 % bei Urin-PCR, 89 % bei Trichromfärbung [[8]]).


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Klinisch-chemische Parameter

Die Bestimmung des Urin-Protein/Kreatinin-Quotient (UPC) wird bei Hund und Katze mit „sauberem“ Urin (kein Blut, keine Entzündungszellen etc.) zum Nachweis und zur Quantifizierung von Proteinverlust über die Nieren verwendet. Da der Urin von Kleinsäugern aber nur sehr selten klar und ohne Beimengungen ist, ist die Aussagekraft beim Kleinsäuger extrem fraglich. Zudem liegen keine verwendbaren Referenzbereiche vor [[1]].

Der Urin-Kortisol/Kreatinin-Quotient (UCC) wird vor allem beim Hund zum Ausschluss eines Morbus Cushing verwendet. Aussagekräftige Untersuchungen und Referenzbereiche hierzu liegen bei Kleinsäugern (Meerschweinchen, Hamster, Ratte etc.) noch nicht vor. Der Einsatz beim Frettchen ist nicht zielführend, da der hier vorliegende Hyperadrenokortizismus nicht kortisol- sondern geschlechtshormonbedingt ist.

Die Bestimmung anderer Enzymaktivitäten und Substratkonzentrationen zur Frühdiagnostik von Nierenerkrankungen ist theoretisch auch beim Kleinsäuger möglich, Studien und Referenzbereiche liegen aber bisher nicht vor.

Tab. 3

Urin: tierartspezifische Besonderheiten (Werte aus [[4], [7], [11]]).

Parameter

Kaninchen

Meerschweinchen

Chinchilla

Frettchen (Stinktier)

Kleinnager

Farbe

hellgelb bis rotbraun (Pigmente)

gelb bis rotbraun (Pigmente)

gelb

gelb

hellgelb-gelb

Trübung

klar bis leicht trüb

klar bis leicht trüb

klar bis leicht trüb

klar

klar

USG

> 1016

(isostenurischer Bereich: 1008–1016)

> 1016

> 1016

> 1016

> 1016 (Wüstenrennmaus u. Hamster meist > 1040)

pH-Wert

7,5–9,0 (8,25)

8,0–9,0 (8,5)

8,0–9,0

6,5–7,5

Maus, Ratte: 5–7

Hamster, Gerbil: 6–8 (nahrungsabhängig)

Kristalle

> 90 % Kalziumkarbonate

v. a. Kalziumkarbonate

selten (Ca-Ausscheidung v. a. über Darm)

v. a. Struvit

selten Struvit


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  • Literatur

  • 1 Binder N. Referenzbereiche für Urinparameter bei Kaninchen und Meerschweinchen [Dissertation]. München: LMU München; 2010
  • 2 Buss SL, Bordeau JE. Calcium balance in laboratory rabbits. Miner Electrolyte Metab 1984; 10 (2): 127-132
  • 3 Campell TW. Mammalian hematology: Laboratory animals and miscellaneous species. In: Thrall MA, Weiser G, Allison R, Campbell TW. Veterinary hematology and clinical chemistry. 2nd Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkens; 2012: 211-131
  • 4 Fehr M, Rappold S. Harnsteinbildung bei 20 Meerschweinchen. Tierarztl Prax 1997; 25: 543-547
  • 5 Harcourt-Brown FM, Harcourt-Brown S. Clinical value of blood glucose measurement in pet rabbits. Vet Rec 2012; 170 (26): 674
  • 6 Hein J, Flock U, Sauter-Louis C, Hartmann K. Encephalitozoon cuniculi in rabbits in Germany – prevalence and sensitivity of antibody testing. Vet Rec 2014; 174 (14): 350
  • 7 Hesse A, Neiger R. Harnsteine bei Kleintieren. Stuttgart: Enke; 2008
  • 8 Jass A. Evaluierung von Liquorpunktion und PCR zur klinischen Diagnose der Enzephalitozoonose beim Kaninchen [Dissertation]. München: LMU München; 2004
  • 9 Jordan J, Brunnberg L, Ewringmann A, Müller K. Klinische, radiologische und labordiagnostische Untersuchungen zur Osteodystrophia fibrosa beim Hausmeerschweinchen (Cavia porcellus) der Züchtung „satin“. Kleintierprax 2009; 54: 5-13
  • 10 Moritz A, Schwendenwein I, Kraft W. Harnapparat. In: Kraft W, Dürr UM, Hrsg. Klinische Labordiagnostik in der Tiermedizin. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer; 2014: 420-487
  • 11 Quesenberry KE, Orcutt C. Ferrets – Basic approach to veterinary care. In: Quesenberry KE, Carpenter JW, eds. Ferrets, Rabbits, and Rodents: Clinical Medicine and Surgery. 3nd ed. St. Louis: Elsevier; 2012: 13-26
  • 12 Vella D, Donnelly TM. Rabbits – Basic Anatomy, Physiology, and Husbandry. In: Quesenberry KE, Carpenter JW, eds. Ferrets, Rabbits, and Rodents: Clinical Medicine and Surgery. 3nd ed. St. Louis: Elsevier; 2012: 157-173

Dr. Jutta Hein
Diplomate ECZM (Small Mammal)
Zbz. Heimtiere/Kleinsäuger
Kleintierklinik Augsburg, synlab.vet Augsburg

  • Literatur

  • 1 Binder N. Referenzbereiche für Urinparameter bei Kaninchen und Meerschweinchen [Dissertation]. München: LMU München; 2010
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  • 12 Vella D, Donnelly TM. Rabbits – Basic Anatomy, Physiology, and Husbandry. In: Quesenberry KE, Carpenter JW, eds. Ferrets, Rabbits, and Rodents: Clinical Medicine and Surgery. 3nd ed. St. Louis: Elsevier; 2012: 157-173

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Abb. 1 Material zur Urinentnahme (Auffangschale, sterile Spritze mit Kanüle [22G], sterile Röhrchen mit und ohne Stabilisator), Urinteststreifen, Refraktometer, Objektträger für die Sedimentuntersuchung. (© J. Hein)
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Abb. 2 Manuelle Blasenentleerung beim Kaninchen. (© J. Hein)
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Abb. 3 Zystozentese beim Meerschweinchen (blind). (© J. Hein)
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Abb. 4 Urine mit unterschiedlicher Färbung. (© J. Hein)
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Abb. 5 Nachdunkeln von Urin durch Futterfarbstoffe. (© J. Hein)
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Abb. 6 Polymorphe Kalziumkarbonate im Urinsediment eines Kaninchens (400 ×). (© J. Hein)