Einleitung
Diese Übersicht konzentriert sich auf die Pharmakotherapie von peripheren und zentralen
vestibulären Störungen, d. h. Behandlungsoptionen bei akuter einseitiger Vestibulopathie,
Morbus Menière und Vestibularisparoxysmie sowie der vestibulären Migräne. Sie befasst
sich auch mit den Fortschritten in der symptomatischen Behandlung von Kleinhirnstörungen,
einschließlich der episodischen Ataxie Typ 2 (EA2) und verschiedenen Nystagmusformen.
Die Therapie umfasst medikamentöse, physio- und psychotherapeutische und selten chirurgische
Maßnahmen. Die symptomatische medikamentöse Therapie sollte bei akutem heftigen Schwindel
zeitlich eng begrenzt sein. Im Vordergrund steht eine Therapie mittels spezifischer
Medikamente, wobei folgende Pharmakagruppen zum Einsatz kommen: 1. Antivertiginosa
2. Antikonvulsiva 3. Antidepressiva 4. Antiphlogistica 5. Antimenière-Medikamente
6. Antimigränosa 7. Aminopyridine sowie 8. Acetyl-DL-Leucin
Symptomatische medikamentöse Therapie (Antihistaminika, Anticholinergika, Benzodiazepine)
Diese Präparate sollten nur wenige Tage gegeben werden, da sie nach tierexperimentellen
Befunden die gewünschte zentrale Kompensation einer akuten Funktionsstörung hemmen
oder verlangsamen können und zum Teil auch ein gewisses Abhängigkeitspotenzial besitzen
(Übersicht in [1]
[2]
[3]). Die negativen Auswirkungen auf die zentrale Kompensation wurden in einer tierexperimentellen
Studie zum akuten einseitigen Labyrinthausfall gezeigt: 4-Aminopyridin war gut symptomatisch
wirksam, verzögerte aber die zentrale Kompensation.[4] Somit sind diese Medikamente nicht oder nur eingeschränkt für eine Langzeitbehandlung
geeignet. Nach Abklingen der vegetativen Begleitsymptomatik (insbesondere Übelkeit/Erbrechen)
sollten keine Antivertiginosa oder sedierenden Pharmaka mehr gegeben werden.
Eine medikamentöse symptomatische Therapie von im Rahmen von akuten Schwindelerkrankungen
auftretenden vegetativen Begleitsymptomen mit Antivertiginosa und Sedativa ([Tab. 1]) ist nur bei folgenden vier Indikationen durchzuführen: 1. akute periphere oder
zentrale vestibuläre Störung (Dauer der Behandlung nur wenige Tage), 2. Prävention
von Nausea und Erbrechen beim benignen peripheren paroxysmalen Lagerungsschwindel
(BPPV) (nur kurzfristig in der Akutphase), 3. Prävention der Bewegungs-/Reisekrankheit
(punktuelle Behandlung), 4. zentraler Lage-/Lagerungsschwindel mit Nausea (kurzfristige
Behandlung über Tage).
Tab. 1
Symptomatische Therapie von Schwindel, Nausea und Erbrechen (modifiziert aus [3]).
Pharmaka
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Dosis
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Mechanismus
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Antihistaminika: Mittel der ersten Wahl
|
Dimenhydrinat
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Dragees (50 – 100 mg, alle 4 – 6 h, Tageshöchstdosis 400 mg)
Suppositorien (1 – 2 × 150 mg/d, Tageshöchstdosis 400 mg)
|
H1-Rezeptor-Antagonist
Antihistiaminikum der 1. Generation
|
Sertrone: Mittel der ersten Wahl
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Ondansetron
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Filmtabletten (4 – 8 mg, alle 8 h)
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5-HT3-Rezeptor-Antagonist
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Anticholinergika: Mittel der zweiten Wahl
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Scopolamin
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Transdermal (1,0 mg/72 h)
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Muskarinantagonist
|
Benzodiazepine: Mittel der dritten Wahl/nur bei sehr starker Übelkeit
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Diazepam
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Tabletten (5 – 10 mg, alle 4 – 6 h)
Injektionslösung 10 mg i. m.
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GABAA-Rezeptor Modulator
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Clonazepam
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Tabletten (0,5 mg alle 4 – 8 h)
|
GABAA-Rezeptor Modulator
|
Es ist zu betonen, dass bislang keine kontrollierten klinischen Studien zu diesen
Medikamenten vorliegen, die den geforderten Qualitätskriterien entsprechen.
Spezifische medikamentöse Therapie
Zur Therapie einzelner Schwindel- und Nystagmusformen werden die folgenden Medikamente
eingesetzt ([Tab. 2]):
Tab. 2
Spezifische Therapie von Schwindel und Nystagmus. RCT: randomisierte kontrollierte
Studie (modifiziert aus [3]).
Pharmaka
|
Indikation
|
Beispiel für Substanz und Dosierung
|
Studienlage
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Antiepileptika
Carbamazepin
Oxcarbazepin
|
Vestibularisparoxysmie
paroxysmale Dysarthrophonie und Ataxie bei Multipler Sklerose
Paroxysmale Hirnstammattacken
Obliquus superior Myokymie
|
Carbamazepin (400 – 800 mg/d)
Oxcarbazepin (300 – 900 mg/d)
|
Anwendungsbeobachtungen
RCT zu Oxcarbazepin bei Vestibularisparoxysmie abgeschlossen (gerade in Auswertung)
Aktuelle RCT zu Carbamazepin (VesPa)
|
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vestibuläre Epilepsie
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Antikonvulsiva (verschiedene)
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diverse RCTs zu Wirksamkeit bei fokalen Anfällen
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Betablocker
Metoprolol
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vestibuläre Migräne
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zur Prophylaxe
Metoprolol (50 – 200 mg/d)
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Anwendungsbeobachtungen
|
Antihistaminika
Betahistin
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M. Menière
|
Betahistin-dihydrochlorid
(3 × 96 mg/d)
|
Anwendungsbeobachtungen
|
ototoxische Antibiotika
Gentamicin
|
M. Menière
Tumarkinsche Otolithenkrisen
(„vestibuläre drop attacks“)
|
Gentamicin (10 – 40 mg transtympanal in Abständen von mindestens 8 – 12 Wochen)
|
2 RCTs
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Kortikosteroide
Methylprednisolon
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akute Neuritis vestibularis
|
Methylprednisolon
(100 mg/d, Dosis jeden 4. Tag um 20 mg reduzieren)
|
1 RCT
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akutes Cogan-Syndrom und andere autoimmunologische Innenohrerkrankungen
|
Methyprednisolon
(1000 mg/d i. v., Reduzierung entsprechend Verlauf)
|
Anwendungsbeobachtung
|
Kaliumkanal-blocker
4-Aminopyridin
|
Downbeat-Nystagmus
|
4-Aminopyridin (2 – 3 × 5 mg/d)
4-Aminopyridin retard/Fampiridin (1 – 2 × 10 mg/d)
3,4-Diaminopyridin (2 – 3 × 10 mg/d)
|
2 RCTs
|
3,4-Diaminopyridin
|
Upbeat-Nystagmus
|
|
Anwendungsbeobachtung
|
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Gangstörung bei zerebellärer Ataxie
|
4-Aminopyridin (2 – 3 × 5 mg/d)
4-Aminopyridin retard/Fampiridin (1 – 2 × 10 mg/d)
|
Anwendungsbeobachtung
Aktuelle RCT (FACEG)
|
Episodische Ataxie Typ 2
|
3,4-Diaminopyridin (2 – 3 × 10 mg/d)
|
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Carboanhydrasehemmer
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Episodische Ataxie Typ 2
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Azetazolamid (125 – 1000 mg/d)
|
Aktuelle RCT (EAT-2-TREAT)
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Kaliumkanalaktivator
Chlorzoxazone
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Downbeat-Nystagmus
|
Chlorzoxazone (3 × 500 – 750 mg/d)
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Anwendungsbeobachtung
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Aminosäuren
Acetyl-DL-Leucin
|
Zerebelläre Ataxien
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Acetyl-DL-Leucin (3 – 5 g/d)
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Anwendungsbeobachtungen
RCT (ALCAT) (Rekrutierung startet im Oktober 2015)
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SSRI und andere Antidepressiva
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phobischer Schwankschwindel
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Citalopram (10 – 20 mg/d)
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Anwendungsbeobachtungen
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sekundäre psychiatrische Störungen, z. B. Panikattacken oder Depression bei primär
organischen
Schwindelsyndromen
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Amitriptylin (10 – 20 mg/d)
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Baclofen
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Upbeat-Nystagmus und andere zentrale Nystagmusformen
|
Baclofen (15 – 30 mg/d)
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Anwendungsbeobachtungen
|
Periphere vestibuläre Schwindelsyndrome
Die sechs häufigsten peripheren vestibulären Schwindelsyndrome sind:
-
Neuritis vestibularis/akute einseitige Vestibulopathie
-
Morbus Menière
-
Vestibularisparoxysmie
-
Benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV)
-
Bilaterale Vestibulopathie
-
Perilymphfistel
Für die bilaterale Vestibulopathie und die Perilymphfistel gibt es bislang keine medikamentösen
Therapieoptionen; erstere kann möglicherweise bei ausgewählten Patienten mit einem
„vestibular implant“ behandelt werden, letztere in Einzelfällen durch einen operativen
Verschluss („canal plugging“ bei der Dehiszenz des anterioren Bogengangs) [5]. Beim BPPV kann eine symptomatische Pharmakotherapie der Übelkeit vor Beginn des
Befreiungs-/Repositionsmanövers notwendig sein. Der Effekt einer möglichen Sekundärprophylaxe
mit Vitamin D wird derzeit im Rahmen einer geplanten randomisierten klinischen Studie
untersucht. Bei der bilateralen Vestibulopathie wird intensives und regelmäßiges Balancetraining
zur Besserung der zentralen vestibulären Kompensation empfohlen [6].
Neuritis vestibularis/akute einseitige Vestibulopathie
Ursache ist der akute, einseitige Ausfall des N. vestibularis, vermutlich hauptsächlich
bedingt durch eine Druckschädigung des Nervs innerhalb seines knöchernen Kanals. Eine
virale Genese der Neuritis vestibularis ist wahrscheinlich, konnte aber bislang nicht
sicher bewiesen werden [7]
[8]
[9]
[10]
[11]. Autoptische Studien, die entzündliche Degenerationen des Vestibularisnervs zeigten
[12], der Nachweis von Herpes-simplex-Virus-Typ-1-DNA und des „latency-associated transcript“
in vestibulären Ganglienzellen [13]
[14]
[15]
[16] sprechen aber für diese Genese.
Die klinische Leitsymptomatik einer akuten einseitigen Vestibulopathie ist ein akut
oder subakut („stotternder Beginn“) einsetzender Drehschwindel mit Übelkeit und Erbrechen
sowie einer Gangunsicherheit mit Fallneigung zur betroffenen Seite. Dieses Syndrom
wurde in der Vergangenheit als Neuritis vestibularis bezeichnet. Da eine Entzündung
als wahrscheinliche Ursache der Symptomatik in vielen Fällen jedoch nicht nachgewiesen
werden konnte, ist die neue rein deskriptive Definition eine „akute einseitige Vestibulopathie“,
basierend auf den Empfehlungen des internationalen Klassifikationsausschusses der
internationalen Bárány Society [17].
Wie oben dargestellt, sollte bei einer akuten einseitigen Vestibulopathie eine symptomatische
Therapie der vegetativen Begleitsymptomatik über ein bis zwei Tage, in Einzelfällen
für drei bis acht Tage verabreicht werden. In einem Tiermodell der akuten einseitigen
Vestibulopathie wurde gezeigt, dass der Kaliumkanalblocker 4-Aminopyridin 30 Minuten
nach Einnahme in der Akutphase die vestibuläre Imbalance reduziert, auf der anderen
Seite verzögert die Gabe jedoch die zentrale Kompensation, weshalb diese nicht empfohlen
werden kann [4].
In einer randomisierten klinischen Studie zeigte sich eine Verbesserung der peripheren
vestibulären Funktion nach einer akuten einseitigen Vestibulopathie durch eine Monotherapie
mit Steroiden (Methylprednisolon 100 mg täglich) [18]. Diese Ergebnisse werden sowohl durch eine Metaanalyse [19] als auch eine Beobachtungsstudie [20] unterstützt. Eine kürzlich erschienene einfach-verblindete Studie, die Kortikosteroide
mit Physiotherapie in der Akutphase einer akuten einseitigen Vestibulopathie verglich,
zeigte einen ebenbürtigen Effekt beider Therapien sowohl in Bezug auf den klinischen
Verlauf als auch bezüglich der kalorischen vestibulären Funktion und der Wiederherstellung
der Otolithenfunktion [21].
Eine frühzeitige Therapie mit Kortikosteroiden scheint den frühen klinischen Verlauf
zu verbessern, ohne einen Effekt auf die langfristige Prognose der Erkrankung zu haben.
Übereinstimmend dazu geben eine Cochrane-Analyse [22] und eine Metaanalyse [19] keine generelle Empfehlung für den Einsatz von Kortikosteroiden. Diese können offensichtlich
nur den kalorischen Verlauf der Erkrankung und die Erholung der vestibulären Funktion
beeinflussen [19]; die Effekte auf die Lebensqualität der Patienten wurden bislang noch nicht ausreichend
untersucht, sodass weitere klinische Studien notwendig sind [23].
In der klinischen Praxis kann eine dreiwöchige Behandlung mit Kortikosteroiden erwogen
werden (z. B. Methylprednisolon 100 mg/d innerhalb von drei Tagen nach Symptombeginn,
Dosisreduktion um 20 mg jeden 4. Tag) [18].
Derzeit gibt es nur sehr wenige tierexperimentelle Studien zu den Auswirkungen von
Pharmaka auf die zentrale vestibuläre Kompensation: Alkohol, Phenobarbital, Chlorpromazin,
Diazepam und ACTH-Antagonisten führen zu einer Verzögerung der zentralen vestibulären
Kompensation, während Koffein, Amphetamine, Glukokortikoide, Acetyl-DL-Leucin und
Betahistin die Kompensation beschleunigten (Übersicht siehe [24]). Betahistin und Acetyl-DL-Leucin kommen als Substanzen zur Verbesserung der vestibulären
Kompensation in Betracht [25]. Der Nachweis der Wirksamkeit und des Wirkmechanismus im Rahmen von klinischen Studien
ist bislang noch ausgeblieben (drei randomisierte klinische Studien waren negativ).
Zusammenfassend ist es bislang noch nicht ausreichend untersucht worden, ob diese
Substanzen die zentrale vestibuläre Kompensation beeinflussen und wenn ja, in welchem
Ausmaß.
Aktuell gibt es eine laufende klinische Studie zur Wirksamkeit von Betahistin auf
die zentrale vestibuläre Kompensation in der akuten einseitigen Vestibulopathie (Betahistin-dihydrochlorid
48 mg dreimal täglich im Vergleich zu Placebo; BETAVEST-Studie).
Bei Patienten mit Neuritis vestibularis konnte ein klinisch relevanter Erfolg einer
intensiven Physiotherapie für die vestibulospinale Haltungsregulation in einer prospektiven,
randomisierten, kontrollierten Studie gezeigt werden [26]. Dies ist ein wichtiges Behandlungsprinzip zur Verbesserung der zentralen vestibulären
Kompensation, das auch durch eine Cochrane-Analyse gestützt wird [6]. Vestibuläre Trainingsprogramme umfassen [6]
[26]
[27]:
-
willkürliche Augenbewegungen und Fixationen zur Verbesserung der gestörten Blickstabilisation,
-
aktive Kopfbewegungen zum Rekalibrieren des vestibulo-okulären Reflexes und
-
Balance-, Zielbewegungen und Gehübungen zur Verbesserung der vestibulo-spinalen Haltungsregulation
und Zielmotorik.
Morbus Menière
Ätiologie und Pathophysiologie des Morbus Menière sind trotz vieler Untersuchungen
noch nicht abschließend geklärt [28]
[29]
[30]. Der pathognomonische histopathologische Befund ist ein Endolymphhydrops [31]. Dieser entsteht infolge einer Imbalance zwischen Produktion und Resorption der
Endolymphe. Der erhöhte endolymphatische Druck führt zu einer Ruptur der Endolymphmembran
und/oder Öffnung spannungssensitiver nicht selektiver Kationenkanäle [32]. Die infolgedessen erhöhte Kaliumkonzentration im Perilymphraum führt zunächst zur
Exzitation und dann Depolarisation.
Klinisch ist der Morbus Menière gekennzeichnet durch rezidivierende, mind. 20 Minuten
anhaltende Attacken von Schwindel und jeweils einseitige Hörminderung im Tieftonbereich
sowie fluktuierenden Tinnitus und Ohrdruckgefühl. In etwa einem Drittel der Fälle
gehen eine Verstärkung des Ohrgeräuschs, des Ohrdruckes und eine Hörminderung dem
abrupt einsetzenden Schwindel voraus. Im Verlauf der Erkrankung entwickeln sich meist
eine bleibende Hörminderung und ein vestibuläres Defizit auf der betroffenen Seite.
Die Therapie des Morbus Menière zielt auf die Verhinderung der Schwindelattacken.
Die Therapieempfehlungen reichen von salzfreier Kost über Diuretika, transtympanale
Gentamycin- oder Steroidgabe oder Betahistin bis zu verschiedenen operativen Verfahren
[28]. Systematische Literaturübersichten haben gezeigt, dass weder salzfreie Diät noch
Diuretika [33] einen Therapieeffekt haben. Die Sakkotomie ist nicht wirksam, wie eine Cochrane-Analyse
nachwies [34]. Damit sind heute diese drei Therapieverfahren ebenso wie die früher weit verbreitete
selektive Neurektomie obsolet.
Folgende Behandlungsmöglichkeiten sind bei Patienten mit Morbus Menière zu empfehlen:
Betahistin auf eingeschränkter Datenbasis, transtympanales Gentamicin bei schwerem
Verlauf und transtympanale Steroide.
Betahistin: Betahistin ist ein starker H3-Antagonist und ein schwacher H1-Agonist [35]
[36]. Man vermutet drei Wirkprinzipien: 1. Der cochleäre Blutfluss erhöht sich vor allem
über die H3-Rezeptoren [37]. Betahistin hat pharmakologisch einen hohen First-Pass-Effekt und wird in der Leber
zu drei Metaboliten verstoffwechselt. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass nicht
nur Betahistin, sondern auch seine Hauptmetaboliten Einfluss auf die cochleäre Durchblutung
haben [38]. 2. Betahistin erhöht den Histaminumsatz im N. vestibulocochlearis und im vestibulären
System über die H3-Rezeptoren. 3. Betahistin verringert den vestibulären Input im
peripher-vestibulären System.
Inwieweit diese Effekte sich auf die Erkrankung und die prophylaktische Behandlung
der Menière-Krankheit auswirken, ist bislang noch nicht bekannt. Diskutiert werden
eine Verbesserung der cochleären Mikrozirkulation und damit eine Normalisierung der
Imbalance zwischen Produktion und Resorption der Endolymphe.
Man muss jedoch in Bezug auf derzeit laufende klinische Studien darauf hinweisen,
dass der Effekt von Betahistin beim Morbus Menière bislang in keiner randomisierten
klinischen Studie, die gültigen Qualitätskriterien entspricht, nachgewiesen wurde.
Die BEMED-Studie, eine Dosisfindungsstudie (Placebo im Vergleich zu 16 mg dreimal
täglich vs. 48 mg dreimal täglich, Behandlungsdauer 9 Monate) mit 221 Patienten ist
zur Publikation eingereicht.
Eine Beobachtungsstudie mit 112 Patienten (mittlere Anzahl von Attacken 8/Monat) hat
einen besseren Effekt von Betahistin 48 mg dreimal täglich im Vergleich zu Betahistin
16 bis 24 mg jeweils dreimal täglich im Hinblick auf die Attackenfrequenz und -intensität
gezeigt [39]. In einer weiteren Beobachtungsstudie zeigten sich sogar noch bessere Effekte bei
höherer Dosierung (144 bis 480 mg/d) [40]. All diese Studien waren jedoch weder Placebo-kontrolliert noch randomisiert. Die
Ergebnisse von Metaanalysen sind ernüchternd, beruhen jedoch in den meisten Fällen
auf nicht randomisierten, offenen Studien [41]
[42].
Ausgehend von den persönlichen Erfahrungen der Autoren und mit dem Wissen einer eingeschränkten
Beurteilbarkeit, können in Einzelfällen auch weiter höhere Dosierungen von bis zu
96 mg Betahistin dreimal täglich erwogen werden; bei Nichtansprechen können auch noch
höhere Dosierung gegeben werden [40]. Ziel der Therapie ist eine mindestens sechsmonatige Attackenfreiheit. Danach kann
die Dosis wieder langsam auf eine Erhaltungsdosis reduziert werden.
Transtympanales Gentamicin: In zwei prospektiven randomisierten klinischen Studien wurde gezeigt, dass die transtympanale
Gentamicin-Injektion die Attackenfrequenz reduziert [43]
[44]. Diese Ergebnisse wurden durch eine Cochrane-Analyse unterstützt [45]. Allerdings fehlen auch hier Studien [46]. Die Hauptnebenwirkung der Aminoglykoside ist eine audiologische Beeinträchtigung
in etwa 20 % der Patienten [47]. Einschränkend ist zu berücksichtigen, dass generell etwa 30 % der Patienten eine
bilaterale Beteiligung im Rahmen des Morbus Menière in einem Zeitraum von 5 Jahren
entwickeln, was ebenfalls eine Limitation dieser Behandlung darstellt [48].
Transtympanale Steroide: Laut einer Cochrane-Analyse [49] wurde bislang nur eine valide Studie zur Wirksamkeit von transtympanalen Steroiden
durchgeführt, die einen Vorteil dieser Behandlung dokumentierte [50]. In einer anderen Studie wurden die Wirkungen von Dexamethason mit einer transtympanalen
Gentamicin-Therapie verglichen: Letztere reduzierte Schwindelattacken um 93 %, Dexamethason
um 61 % [51].
Vestibularisparoxysmie
Als Ursache der Vestibularisparoxysmie wird eine hirnstammnahe Gefäßkompression des
achten Hirnnervs (N. vestibulo-cochlearis) angenommen [52]
[53]
[54]
[55]. Nachweisen lässt sich dies durch eine MRT-Untersuchung – der Gefäß-Nerv-Kontakt
ist jedoch nicht spezifisch, da er bei etwa 30 % gesunder Probanden ebenfalls nachweisbar
ist.
Die revidierten Diagnosekriterien für eine Vestibularisparoxysmie sind wie folgt:
mindestens fünf spontan auftretende Dreh- und/oder Schwankschwindelattacken mit einer
Dauer bis zu 30 Sekunden (selten länger, selten von bestimmten Kopfbewegungen ausgelöst)
mit oder ohne begleitende Ohrsymptomatik (Tinnitus und/oder Hörminderung) sowie nicht
besser durch eine andere vestibuläre Ursache zu erklären. Bei manchen Patienten lassen
sich die Attacken durch Hyperventilation provozieren [52]
[53].
Analog zu anderen Erkrankungen, die durch eine neurovaskuläre Kompression verursacht
werden, sind Natriumkanalblocker wie Carbamazepin oder Oxcarbazepin theoretisch wirksam.
In Beobachtungsstudien wurde gezeigt, dass Therapieversuche mit Carbamazepin in niedriger
Dosis (200 – 600 mg/d) oder Oxcarbazepin (300 – 900 mg/d) wirksam und zudem diagnostisch
verwertbar sind [53]
[56]. In einer Verlaufsstudie von 32 Patienten über einen mittleren Zeitraum von drei
Jahren zeigten sich eine signifikante anhaltende Reduktion der Attackenfrequenz auf
10 % der Ausgangswerte sowie eine Verminderung der Attackenintensität und -dauer [53]. Eine randomisierte klinische Studie mit Oxcarbazepin zeigte (Daten werden derzeit
noch analysiert), dass die Schwindeltage im Vergleich zu Placebo reduziert werden,
die Drop-out-Rate betrug jedoch > 50 %. Bei Unverträglichkeit stehen als Alternativen
Phenytoin oder Valproinsäure zur Verfügung, wobei dazu keine Studiendaten vorliegen.
Momentan wird eine multizentrische Placebo-kontrollierte Studie mit Carbamazepin (400 mg/d)
durchgeführt (VesPa) ([Tab. 3]).
Tab. 3
Derzeit am Deutschen Schwindelzentrum durchgeführte prospektive Placebo-kontrollierte
Pharmakotherapiestudien bei verschiedenen Schwindelsyndromen. Es handelt sich jeweils
um „investigator-initiated trials“ (IITs), 1 – 7 gefördert vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF).
Periphere vestibuläre Störungen
|
1
|
Benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel
|
VitD@BPPV
|
Vitamin D vs. Placebo
|
Beginn der Patientenrekrutierung:
Herbst 2015
|
2
|
Vestibularisparoxysmie
|
VesPa
|
Carbamazepin (400 mg/d vs. Placebo)
|
Beginn der Patientenrekrutierung:
Herbst 2015
|
3
|
Morbus Menière
|
BEMED
|
Betahistin (48 mg/d vs. 144 mg/d vs. Placebo)
|
Datenauswertung
(last patient out 23.11.2013)
|
4
|
Akute einseitige Vestibulopathie
|
BETAVEST
|
Betahistin (144 mg/d vs. Placebo)
|
Laufende Studie
|
Zentrale vestibuläre Störungen
|
5
|
Vestibuläre Migräne
|
PROVEMIG
|
Metoprolol (95 mg/d vs. Placebo)
|
Laufende Studie
|
6
|
Episodische Ataxie Typ 2
|
EAT-2-TREAT
|
Fampyra® vs. Azetazolamid vs. Placebo
|
Laufende Studie
|
7
|
Zerebelläre Ataxien
|
ALCAT
|
Acetyl-DL-Leucin (5 g/d vs. Placebo)
|
Patientenrekrutierung
ab ca. Oktober 2015
|
8
|
Zerebelläre Gangstörungen
|
FACEG
|
Fampyra® vs. Placebo
|
Laufende Studie
|
Die operative mikrovaskuläre Dekompression kann in Einzelfällen erfolgreich sein [54]. Die Indikation zu dieser operativen Therapie sollte trotzdem sehr zurückhaltend
gestellt werden. Einerseits besteht wegen eines intra- oder postoperativen Vasospasmus
die Gefahr eines Hirnstamm- oder Innenohrinfarkts (ca. 3 – 5 %), andererseits kann
die betroffene Seite häufig nicht ausreichend sicher bestimmt werden.
Zentrale vestibuläre Schwindelsyndrome
Zentral vestibulärer Schwindel tritt häufig bei ischämisch bedingten Hirnstamm- oder
Kleinhirnschädigungen (akuter Dreh- oder Schwankschwindel), bei der vestibulären Migräne
(rezidivierende Schwindelattacken) und bei Kleinhirnerkrankungen auf, z. B. bei der
Episodischen Ataxie Typ 2 (rezidivierende Attacken) oder zerebellären Ataxien (meist
progredienter Schwankschwindel mit u. a. Gang- und Standataxie). In den letzten Jahren
wurden beträchtliche Fortschritte bei der Behandlung insbesondere von Kleinhirnerkrankungen
[57] aufgrund der Verwendung von Aminopyridinen und in jüngerer Zeit der Verwendung der
modifizierten essenziellen Aminosäure Acetyl-DL-Leucin erzielt.
Vestibuläre Migräne
Die vestibuläre Migräne ist die häufigste Ursache spontan auftretender Schwindelattacken.
Die Lebenszeitprävalenz liegt bei 0,98 % [58]
[59]. Die diagnostischen Kriterien für die vestibuläre Migräne wurden definiert durch
die Bárány-Gesellschaft zusammen mit der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen
(ICHD) und sind wie folgt: A) mindestens 5 Episoden mit vestibulären Symptomen von
mittelschwerer bis schwerer Intensität, Dauer: 5 min bis 72 Stunden; B) positive Anamnese
einer Migräne mit oder ohne Aura nach den Diagnosekriterien der ICHD; C) mindestens
ein migränetypisches Begleitsymptom bei mindestens 50 % der vestibulären Attacken:
Kopfschmerzen mit mindestens zwei der folgenden Merkmale (einseitige Lokalisation,
pulsierender Charakter, mäßige bis starke Schmerzintensität, Verstärkung durch körperliche
Routineaktivitäten); Photophobie und Phonophobie; visuelle Aura; D) nicht besser durch
eine andere vestibuläre Diagnose erklärt. Eine solche operationalisierte Klassifizierung
ist wichtig für übereinstimmende Diagnosen und damit ebenfalls für zukünftige klinische
Studien [60].
Bei der vestibulären Migräne gibt es bislang nur eine Studie zur Wirksamkeit von Flunarizin
[61], zu weiteren Medikamenten gibt es bislang keine randomisierten kontrollierten Studien
[62]. Die medikamentöse Behandlung bei der vestibulären Migräne wird aufgrund dessen
in Analogie zur Migräne ohne Aura empfohlen. Darüber hinaus wird zurzeit eine prospektive
randomisierte multizentrische Placebo-kontrollierte Studie (PROVEMIG) mit Metoprolol
(95 mg täglich im Vergleich zu Placebo) durchgeführt ([Tab. 3]).
Episodische Ataxie Typ 2 und andere Formen familiärer episodischer Ataxien
Die episodische Ataxie Typ 2 (EA 2) ist eine seltene, autosomal-dominante Ionenkanalerkrankung
und der häufigste Subtyp von episodischen Ataxien. In etwa 60 % der Patienten lassen
sich Mutationen des CACNA1A-Gens nachweisen, das die alpha-Untereinheit des P/Q-Typ-Calciumkanals
kodiert [63]
[64].
Klinisch treten typischerweise rezidivierende Anfälle von Schwindel mit ataktischen
Symptomen auf, die meist durch Stress, Anstrengung oder Alkohol provoziert werden
und dauerhaft für viele Stunden anhalten. Ein weiteres wichtiges Merkmal sind Kleinhirnfunktionsstörungen
im Intervall. Bei mehr als 90 % der Patienten können zentrale Augenbewegungsstörungen
dokumentiert werden wie eine sakkadierte Blickfolge, Blickhaltedefizite mit Blickrichtungsnystagmus
sowie eine Beeinträchtigung der Fixationssuppression, vor allem auch ein Downbeat-Nystagmus
[64]. Diese eindeutigen klinischen Zeichen erlauben es auch, EA2-Patienten von Patienten
mit einer Migräne zu unterscheiden, die lediglich ganz diskrete zentrale Okulomotorikstörungen
im Intervall haben können [65]
[66].
In der Vergangenheit war die Therapie der Wahl die Einnahme des Carboanhydraseinhibitors
Azetazolamid in einer Dosierung von 250 – 1000 mg pro Tag [67]. Über Veränderungen des pH-Werts und damit des Transmembranpotenzials führt diese
Medikation zu einer Veränderung der Erregbarkeit der Neurone. Bislang gibt es keine
klinisch randomisierten Studien zur Wirksamkeit von Azetazolamid. Auf der anderen
Seite ist das Medikament für zahlreiche dosisabhängige Nebenwirkungen bekannt (z. B.
Nierensteine, Nephrokalzinose, vermehrtes Schwitzen, Parästhesien, Muskelversteifung
mit leichter Ermüdbarkeit und gastrointestinale Störungen), die zu einer erheblich
eingeschränkten Verwendung in der klinischen Praxis führen.
Die empfohlene Therapie der Wahl ist der reversible Kaliumkanalblocker 4-Aminopyridin
(4-AP). Das Therapieprinzip besteht in der Aktivierung von Purkinjezellen durch die
Blockade von Kaliumkanälen. Zudem verstärkt die Normalisierung der irregulären spontanen
Aktivität den inhibitorischen Einfluss von GABA auf vestibuläre und zerebelläre Kerngebiete
[68]. Bereits im Jahr 2004 zeigte eine Beobachtungsstudie an drei Patienten eine Verringerung
der Attackenfrequenz und -intensität [69]. Diese Ergebnisse konnten in einer randomisierten klinischen Studie bei Patienten
mit EA2 und anderen familiären Ataxien bestätigt werden; gleichzeitig erhöhte sich
durch die Behandlung die Lebensqualität, was bei einer symptomatischen Therapie von
großer Bedeutung ist [70]. Die empfohlene Dosierung liegt bei 5 bis 10 mg dreimal täglich (15 bis 30 mg Tagesdosis).
Die Retardform des 4-AP ist ebenfalls gut wirksam und verträglich im Rahmen einer
Off-Label-Behandlung [71]. Zurzeit wird eine randomisierte klinische Studie bei EA2 durchgeführt (EAT-2-TREAT)
([Tab. 3]), die die Wirksamkeit von Azetazolamid und retardiertem 4-Aminopyridin (Fampyra®) gegenüber Placebo untersucht.
Downbeat-Nystagmus (DBN), Upbeat-Nystagmus (UBN) und andere zentrale Nystagmusformen
Sowohl der DBN als auch der UBN zeigen immer eine zentrale Störung an und haben eine
lokalisatorische Bedeutung. Klinisch manifestieren sich die Erkrankungen primär als
Schwankschwindel mit Gangunsicherheit; Oszillopsien und Sehstörungen treten meist
erst im Verlauf auf. Im Gegensatz zum peripheren vestibulären Spontannystagmus handelt
es sich bei beiden Formen um sogenannte Fixationsnystagmen; das heißt, die Intensität
nimmt bei Fixation eher zu und nicht ab. Der Downbeat-Nystagmus ist der häufigste
erworbene persistierende Nystagmus [72]. Ihm liegt meist eine beidseitige Flocculusfunktionsstörung zugrunde [73]. Die drei häufigsten Ursachen sind zerebelläre Atrophie, Ischämie und Arnold-Chiari-Malformation
[72].
Aminopyridine: In einer randomisierten klinischen Studie 2003 wurde gezeigt, dass 3,4-Diaminopyridin,
ein nicht-selektiver Kaliumkanal-Blocker, die Intensität des DBN reduziert. Diese
Ergebnisse wurden im Verlauf bestätigt [74]
[75]
[76]. 4-Aminopyridine haben das gleiche Wirkprinzip, wobei 4-AP dem 3,4-DAP überlegen
ist, da die Substanz mehr lipidlöslich ist und damit die Blut-Hirn-Schranke leichter
überwindet [77].
Eine neuere randomisierte klinische Studie mit 4-AP bei Patienten mit DBN zeigte eine
Verringerung der Geschwindigkeit der langsamen Phase des DBN um etwa 50 % und damit
eine Verbesserung der Sehschärfe (Dosierung 5 mg zwei- bis viermal täglich). Einschränkend
ist zu sagen, dass eine subjektive Besserung nicht beschrieben wurde, vermutlich aufgrund
der nur kurzen Halbwertszeit des Medikaments [78]. Die kurze Halbwertszeit wurde mit der retardierten Form (Fampyra®) behoben.
Darauf basierend besteht die Empfehlung zur Behandlung des DBN mit 4-Aminopyridin
(Dosierung 5 mg zwei- bis viermal täglich); auch die retardierte Form, die für die
Behandlung von Gangstörungen bei MS zugelassen ist, kann verwendet werden.
Chlorzoxazone ist ein unspezifischer Aktivator Calcium-aktivierter Kaliumkanäle. Diese Substanz
wird in den USA „over the counter“ zur Behandlung von Muskelkrämpfen eingesetzt, in
Deutschland ist sie über internationale Apotheken ebenfalls zu beziehen, wobei bislang
keine Erfahrungen zu Kostenübernahmen durch die Krankenkassen vorliegen In Tiermodellen
der Episodischen Ataxie Typ 2 (sog. „Tottering mouse“) war ein positiver Effekt auf
die Attackenfrequenz gefunden worden [68]. Auf der Basis dieser Daten wurde die Substanz bei Patienten mit zerebellärem DBN
untersucht. Chlorzoxazone (3 × 500 mg pro Tag) führte zu einer signifikanten Abnahme
der Intensität des DBN und einer Verbesserung der Standregulation [79]. Dieses Medikament ist eine Alternative zum 4-Aminopyridin, insbesondere wenn bei
Patienten Herzrhythmusstörungen oder andere Erkrankungen vorliegen, die eine Behandlung
mit Aminopyridinen unmöglich machen.
Der Upbeat-Nystagmus (UBN) ist deutlich seltener als der DBN und wird durch paramediane
medulläre oder pontomesenzephale Läsionen verursacht, wie z. B. bei Hirnstamminfarkten
oder -blutungen. Im Gegensatz zum DBN hält der UBN meist nur einige Wochen an. Auch
beim UBN ist 4-AP möglicherweise wirksam. Allerdings gibt es dazu nur eine Einzelfallbeschreibung
[80]. Die Behandlung wurde vom Patienten gut vertragen. Darüber hinaus konnten in einer
Anwendungsbeobachtung auch positive Effekte von Baclofen (15 – 30 mg/d) gefunden werden
[81].
Auch zum zentralen Lagerungsschwindel gibt es einen Fallbericht zu positiven Effekten
von 4-Aminopyridin; parallel dazu kam es zu einer Erhöhung der metabolischen Aktivität
im Flocculus/Paraflocculus, wie mittel FDG-PET gezeigt werden konnte [82].
Zerebelläre Ataxien
Die Behandlung der motorischen Symptome von degenerativen Kleinhirnerkrankungen ist
nach wie vor schwierig. Es besteht Einigkeit darüber, dass bisher keine wirksamen
Medikamente nachgewiesen worden sind [57]. Physiotherapie führt zu einer klinischen Stabilisierung und wird deshalb auf regelmäßiger
und intensiver Basis empfohlen [83].
4-Aminopyridine: Es wurden die Effekte von 4-Aminopyridin bei zerebellären Gangstörungen unterschiedlicher
Ätiologie mittels differenzierter Ganganalyse untersucht. 4-Aminopyridin führte zu
einer signifikanten Abnahme der Gangvariabilität und damit der Sturzgefahr [84]. Diese Befunde werden derzeit im Rahmen einer Placebo-kontrollierten Studie (FACEG)
näher untersucht.
Acetyl-DL-Leucin: Seit 1957 wird die modifizierte Aminosäure Acetyl-DL-Leucin in Frankreich zur symptomatischen
Behandlung von Schwindel eingesetzt. In Frankreich ist sie frei erhältlich, in Deutschland
über internationale Apotheken zu bestellen, bei einzelnen Patienten mit zerebellären
Erkrankungen haben die Krankenkassen die Kosten der Behandlung im Rahmen eines Off-Label-Gebrauchs
übernommen. Basierend auf Einzelbeobachtungen, wurde dieses Präparats in einer Dosierung
von 5 g pro Tag bei 13 Patienten mit zerebellärer Ataxie unterschiedlicher Ätiologie
gegeben. Nach einer Woche fand sich eine signifikante und klinisch relevante Verbesserung
in allen eingesetzten Ataxie-Scores (sog. SARA und SCAFI); parallel dazu verbesserte
sich die Lebensqualität [85]. In der weiteren Fallserie mit Patienten mit Niemann-Pick Typ C zeigte sich ebenfalls
eine klinische Besserung [86], wohingegen in einer Fallserie mit 10 Patienten mit einer zerebellären Ataxie unterschiedlicher
Ätiologie zwar bei 7 Patienten eine subjektive Verbesserung beschrieben wurde, jedoch
keine objektivierbare gemessen in den Ataxie-Scores objektivierbare. Der Unterschied
dieser Fallserie war jedoch die nur einmal täglich erfolgte Einnahme der flüssigen
Form von Acetyl-DL-Leucin [87]. Es wird postuliert, dass diese Substanz offensichtlich durch Einlagerung in die
Zellmembran und Interaktion mit Phospholipiden zu einer Normalisierung des Membranpotenzials
führt [25]. Die Wirksamkeit wird gerade in einer Placebo-kontrollierten multizentrischen Studie
untersucht (ALCAT) ([Tab. 3]).