Geburtshilfe Frauenheilkd 2015; 75(09): 895-896
DOI: 10.1055/s-0035-1557813
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Onkologie. Erbliche Tumore – psychischer Stress

Saskia Kleier
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Korrespondenzadresse

Dr. med. Saskia Kleier
Pränatalzentrum Hamburg und Humangenetik im Gynaekologicum, Hamburg

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. Oktober 2015 (online)

 

Das Thema familiär erblicher Krebserkrankungen hat nicht zuletzt durch die Veröffentlichung Prominenter in den Medien viel Aufmerksamkeit erfahren und ist in vielen Tumorzentren Teil der interdisziplinären Betreuung und Tumorkonferenzen geworden. Eine zunehmende Anzahl von Patientinnen und Patienten wird daher inzwischen dazu humangenetisch beraten. Um der Beratungssituation gerecht zu werden, sollen im Folgenden Informationen aus aktuellen Studien insbesondere zum familiär erblichen Brust- und Eierstockkrebs als Hilfestellung dienen.


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Hamilton el al. [1] untersuchten in ihrer Metaanalyse 2009, welche allgemeinen Gründe Patientinnen zu einer genetischen Testung bewegten. Dabei fanden die Autoren heraus, dass Faktoren wie ein hohes, selbst eingeschätztes Krankheitsrisiko, ein Unsicherheitsgefühl hinsichtlich der Möglichkeit, selbst an Krebs zu erkranken, die Familienplanung und das Risiko für Familienangehörige maßgeblich die Entscheidung für eine Testung beeinflussten. Die Folgen einer Testung betrafen vor allem die eigene Gesundheit, persönliche Beziehungen, Zukunftspläne, Versicherungen und eine mögliche Diskriminierung am Arbeitsplatz. Das Belastungsgefühl durch die Testung wurde nach Aussage der Autoren nicht nur durch das Ergebnis beeinflusst, sondern auch infolge der Unsicherheit über das Auftreten, den Zeitpunkt, den Schweregrad und die Vorsorgemöglichkeiten der Erkrankung. Auch die Möglichkeit und Qualität der genetischen Beratung und medizinischen Betreuung spielte dabei eine Rolle, ebenso wie das Alter und das Geschlecht der Patienten und deren eigene Vorgeschichte hinsichtlich Krebs oder einer psychischen Erkrankung.

Ein Stressmodell, von Bonanno et al. 2004 [2] veröffentlicht, kann auf die Situation einer solchen genetischen Testung angewandt werden. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Patienten nach anfänglichem Belastungsgefühl gut mit einem Testergebnis umgehen kann und nach kurzer Zeit im Alltag wieder psychisch belastbar ist. Andere Patienten sind zunächst stärker psychisch belastet, erholen sich aber auch wieder auf ein belastbares Alltagsniveau. Nur eine kleine Gruppe von Patienten reagiert verspätet, dann aber mit einem anhaltend hohen Belastungsgefühl oder sofort mit einem sehr starken Belastungsgefühl. Diese Patienten benötigen medizinische Hilfe und psychische Unterstützung.

Drei Patientengruppen sollen in ihrer Reaktion auf ein prädiktives Testergebnis näher beleuchtet werden:

  • gesunde Frauen mit einer BRCA1/2-Mutation

  • gesunde Männer mit einer BRCA1/2-Mutation

  • an Brust- und Eierstockkrebs erkrankte Patienten mit einem nicht informativen Testergebnis

Als prädiktiv wird die Testung eines Gesunden im Hinblick auf eine sich im weiteren Leben manifestierende Erkrankung angesehen.

Gesunde Frauen mit BRCA1/2-Mutation

Frauen mit BRCA1/2-Mutationen waren nach den Auswertungen der o. g. Metaanalyse von Hamilton et al. zunächst durch das auffällige Testergebnis belastet. Sie zeigten jedoch bereits 12 Monate nach der Testung wieder eine psychische Situation, die der Ausgangslage entsprach. Graves et al. [3] weisen in ihrer Studie mit 464 Frauen aus dem Jahr 2012 jedoch darauf hin, dass der Alltag dieser Frauen 5 Jahre nach einer Testung zumindest noch unterschwellig vom Testergebnis belastet war.

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Abb. 1 Besonders direkt nach einem genetischen Test, um eine familiäre Vorbelastung für Tumore festzustellen, sind viele Patienten einem hohen Belastungsgefühl ausgesetzt. Eine fachlich übergreifende, ärztliche Beratung ist gefragt, um Patienten optimal zu betreuen (Symbolbild).

Das Vorsorgeverhalten von 246 Frauen mit einer BRCA1/2-Mutation untersuchten Julian-Reynier et al. 2011 [4]. Fünf Jahre nach der Testung nahmen Mutationsträgerinnen unter 40 Jahren als Vorsorge am häufigsten die Brust-MRT und den vaginalen Ultraschall wahr. Über 40-jährig ließen sich die Frauen in der Regel die Eierstöcke und Eileiter entfernen und gingen ebenfalls zur Brust-MRT-Untersuchung. Auch nachgewiesene Nichtträger der Mutation wünschten häufig trotz eines niedrigen realen Risikos eine Hochrisiko-Vorsorge. Weiterhin nahm in dieser Studie die Risikoeinschätzung hinsichtlich Brust- und Eierstockkrebs bei Mutationsträgerinnen ohne prophylaktische Operation mit der Zeit zu und umgekehrt. Erstaunlicherweise verminderte eine prophylaktische Operation von Eierstock und Eileiter vor Eintritt in die Wechseljahre trotz diesbezüglicher Beratung nicht das selbst eingeschätzte Brustkrebs-Risiko. Die Zeitspanne zwischen Testergebnis und prophylaktischer Operation lag bei der Mastektomie durchschnittlich bei 2 Jahren und bei 9 Monaten in Bezug auf die Adnektomie.


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Gesunde Männer mit einer BRCA1/2-Mutation

In einer Studie aus dem Jahr 2011 [5] mit 98 Männern und 243 Frauen mit einer BRCA1/2-Mutation war die psychische Belastung der männlichen gesunden Mutationsträger nicht auf das eigene Erkrankungsrisiko fokussiert, sondern vielmehr auf das ihrer Angehörigen – insbesondere ihrer Töchter. Daher gilt ein ganz besonderes Augenmerk auf die Einhaltung der Vorsorgeuntersuchungen dieser Männer.


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An Brust- und Eierstockkrebs Erkrankte mit nicht informativem Testergebnis

Brédart et al. [6] untersuchten 243 an Brust- und Eierstockkrebs erkrankte Frauen mit nicht informativem Testergebnis hinsichtlich ihrer psychischen Belastung. Entweder handelte es sich bei dem informativen Testergebnis um eine unklare Variante oder es war eine Betroffene mit einer familiären Belastung für Brust- und Eierstockkrebs ohne Mutationsnachweis. Es fiel auf, dass ein Teil der Frauen ihr Ergebnis fälschlich als unauffälliges Ergebnis empfanden oder das Erkrankungsrisiko überschätzen. Besonders negativ wurde dabei empfunden, dass es für diese Familien keine einheitliche Richtlinie einer Vorsorge gibt. Nach Aussage der Autoren ist die Selbsteinschätzung eines genetischen Krebsrisikos vor einer Testung entscheidend für die Angst und das Belastungsgefühl danach. Für bereits erkrankte Frauen betrifft die größere Belastung das eigene Krankheitsrisiko und die damit verbundene Vorsorge und prophylaktische Operationen und die geringere Belastung die Kommunikation in der Familie und die Sorge um Familienangehörige, so OʼNeill et al. in einer Untersuchung von 2009 [7].


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Fazit

Für die Beratung und Betreuung dieser Patienten kann Folgendes festgestellt werden. In der Regel können wir zuversichtlich sein, dass sich bei den meisten Patientinnen und Patienten das nach einer Testung initial deutlich erhöhte Belastungsniveau wieder reguliert. Dennoch stellt für viele dieser Patientinnen und Patienten ein auffälliges Testergebnis eine langjährige unterschwellige Belastung dar. Ausgeprägte Angst sollte vor einer Testung erkannt werden und gegebenenfalls weitere Unterstützung für die Patienten organisiert werden. Auch der Zeitpunkt der Testung sollte mit der Patientin überdacht werden.

In der Beratung sollte auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ängste von männlichen und weiblichen Patienten eingegangen werden sowie die Partnerinnen und Partner – wenn möglich – in den Testprozess einbezogen werden. Häufig ist auch die Hilfe des Arztes gefordert, das Testergebnis an erwachsene Kinder oder Geschwister zu kommunizieren.

Besonders wichtig erscheint nach den o. g. Ergebnissen die gute fachlich übergreifende ärztliche Kommunikation und Interaktion, um die Patientinnen und Patienten in ein Netzwerk von medizinischen Fachrichtungen einzubinden, sodass sie sich hinsichtlich ihrer Behandlung und Vorsorge optimal aufgefangen fühlen. Um auch die Patientinnen mit nicht informativem Testergebnis optimal betreuen zu können, müssen deren Risiken bewertet und eine Vorsorgestrategie ausgearbeitet werden.


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Dr. med. Saskia Kleier

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Interessenkonflikt

Die Autorin bestätigt, dass in Bezug auf dieses Manuskript kein Interessenkonflikt vorliegt.

  • Literatur

  • 1 Hamilton JG, Lobel M, Moyer A. Emotional distress following genetic testing for hereditary breast and ovarian cancer: a meta-analytic review. Health Psychol 2009; 28: 510-518
  • 2 Bonanno GA. Loss, trauma, and human resilience: Have we underestimated the human capacity to thrive after extremely aversive events?. Am Psychol 2004; 59: 20-28
  • 3 Graves KD, Vegella P, Poggi EA et al. Long-term psychosocial outcomes of BRCA1/BRCA2 testing: differences across affected status and risk-reducing surgery choice. Cancer Epidem Biomar 2012; 21: 445-455
  • 4 Julian-Reynier C, Mancini J, Mouret-Fourme E et al. Cancer risk management strategies and perceptions of unaffected women 5 years after predictive genetic testing for BRCA1/2 mutations. Eur J Hum Genet 2011; 19: 500-506
  • 5 Graves KD, Gatammah R, Peshkin BN et al. BRCA 1/2 genetic testing uptake and psychosocial outcomes in men. Fam Cancer 2011; 10: 213-223
  • 6 Brédart A, Kop JL, DePauw A et al. Short-term psychological impact of the BRCA1/2 test result in women with breast cancer according to their perceived probability of genetic predisposition to cancer. Brit J Cancer 2013; 108: 1012-1020
  • 7 OʼNeill SC, Rini C, Goldsmith RE et al. Distress among women receiving uninformative BRCA1/2 results: 12-month outcomes. Psychooncology 2009; 18: 1088-1096

Korrespondenzadresse

Dr. med. Saskia Kleier
Pränatalzentrum Hamburg und Humangenetik im Gynaekologicum, Hamburg

  • Literatur

  • 1 Hamilton JG, Lobel M, Moyer A. Emotional distress following genetic testing for hereditary breast and ovarian cancer: a meta-analytic review. Health Psychol 2009; 28: 510-518
  • 2 Bonanno GA. Loss, trauma, and human resilience: Have we underestimated the human capacity to thrive after extremely aversive events?. Am Psychol 2004; 59: 20-28
  • 3 Graves KD, Vegella P, Poggi EA et al. Long-term psychosocial outcomes of BRCA1/BRCA2 testing: differences across affected status and risk-reducing surgery choice. Cancer Epidem Biomar 2012; 21: 445-455
  • 4 Julian-Reynier C, Mancini J, Mouret-Fourme E et al. Cancer risk management strategies and perceptions of unaffected women 5 years after predictive genetic testing for BRCA1/2 mutations. Eur J Hum Genet 2011; 19: 500-506
  • 5 Graves KD, Gatammah R, Peshkin BN et al. BRCA 1/2 genetic testing uptake and psychosocial outcomes in men. Fam Cancer 2011; 10: 213-223
  • 6 Brédart A, Kop JL, DePauw A et al. Short-term psychological impact of the BRCA1/2 test result in women with breast cancer according to their perceived probability of genetic predisposition to cancer. Brit J Cancer 2013; 108: 1012-1020
  • 7 OʼNeill SC, Rini C, Goldsmith RE et al. Distress among women receiving uninformative BRCA1/2 results: 12-month outcomes. Psychooncology 2009; 18: 1088-1096

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Abb. 1 Besonders direkt nach einem genetischen Test, um eine familiäre Vorbelastung für Tumore festzustellen, sind viele Patienten einem hohen Belastungsgefühl ausgesetzt. Eine fachlich übergreifende, ärztliche Beratung ist gefragt, um Patienten optimal zu betreuen (Symbolbild).