Journal Club Schmerzmedizin 2015; 4(2): 72-73
DOI: 10.1055/s-0035-1559555
Journal Club
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Chronischer unspezifischer Rückenschmerz: Prognose und Verlauf

Verkerk K, Luijsterburg PA, Heymans MW, Ronchetti I, Pool-Goudzwaard AL, Miedema HS, Koes BW.
Prognosis and course of pain in patients with chronic non-specific low back pain: A 1-year follow-up cohort study.

Eur J Pain Jan 6 [Epub ahead of print] 2015;
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. Juli 2015 (online)

 

Chronischer Rückenschmerz gilt als eine der häufigsten muskuloskelettalen Erkrankungen und führt zu einem hohen Grad krankheitsbedingter Beeinträchtigungen. So haben z. B. 40–50 % der Bevölkerung in den Niederlanden einmal innerhalb von 12 Monaten Rückenschmerzen. Bislang gibt es aber noch zu wenige Daten über den Krankheitsverlauf beim chronischen nicht spezifischen Rückenschmerz und darüber, welche Faktoren diesen beeinflussen.


K. Verkerk und Kollegen von der Universität Rotterdam haben nun den Schmerzverlauf beim chronischen Rückenschmerz in einer prospektiven Studie untersucht. Ziel der Studie war es zum einen, den Schmerzverlauf nach einer multidisziplinären Behandlung zu zeigen, und zum anderen, ein prognostisches Modell zu entwickeln, welches die Erholungsraten nach 5 und 12 Monaten vorhersagen kann.

Sie untersuchten 1760 Patienten, die zwischen Januar 2003 und Dezember 2008 in einer Rehabilitationsklinik behandelt worden waren. Die multidisziplinäre Behandlung bestand aus 16 jeweils 3-stündigen Sitzungen mit einem biopsychosozialen Ansatz. Untersuchungen inkl. einer körperlichen Untersuchung erfolgten vor der Behandlung sowie 2, 5 und 12 Monate danach.

Die mittlere Schmerzstärke auf der VAS-Skala (0–100) lag bei 55,5 vor der Behandlung, nach 2 Monaten lag sie bei 37, nach 5 bei 35,3 und nach 12 bei 32,3. Während anfangs nur 3,8 % der Patienten einen Score von < 10 auf der VAS-Skala hatten (aber trotzdem in die Studie eingeschlossen wurden), waren dies nach 2 Monaten 13,7 %, nach 5 19,8 % und nach 12 28,6 %.

Eine multivariate Analyse zeigte, dass das Alter, die Schmerzstärke vor Behandlungsbeginn, die Angaben in einem kurzen allgemeinen Gesundheits-Fragebogen (SF 36) und die Angaben in einem Item des SLC-90 (Symptom Checklist), welches psychologische Co-Faktoren bezeichnete, den größten Einfluss auf das Behandlungsergebnis hatten. Jüngere Patienten, Patienten mit weniger starken Schmerzen, weniger stark gesundheitlich belastete Patienten sowie Patienten ohne Hinweise auf psychologische Co-Faktoren hatten dabei einen günstigeren Krankheitsverlauf. Diese Ergebnisse waren konstant, unabhängig davon, ob man als Definition für „Erholung“ 30 % Besserung oder eine Schmerzstärke von < 10 Punkten auf der VAS annahm.

Fazit Die Autoren konstatieren, dass zukünftige Forschung sich der Frage annehmen sollte, wie Patienten mit einem hohen Risiko für ein schlechtes Ergebnis vor Aufnahme in ein Rehabilitationsprogramm identifiziert werden können. Außerdem sollten Patienten auch hinsichtlich des selbst wahrgenommenen Effekts im Vergleich zur Schmerzstärke untersucht werden, um das Konstrukt „Erholung“ genauer definieren zu können.

PD Dr. med. Tilman Wolter, Freiburg

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Kommentar

Prof. Dr. Dipl.-Psych. Michael Pfingsten


Schmerztagesklinik und -ambulanz, Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Universitätsmedizin Göttingen

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Die renommierte Arbeitsgruppe um Karin Verkerk aus Rotterdam beschäftigt sich seit Jahren mit dem Verlauf von (nicht spezifischen) Rückenschmerzen, der Identifikation von Risikofaktoren sowie der Etablierung von relativ kurzen, multimodal ausgerichteten Behandlungsprogrammen für diese Patientengruppe. Die vorgelegte Veröffentlichung ist Teil einer großen Studie, aus der bereits mehrere Publikationen erfolgt sind. Bemerkenswert sind die guten Erfolge dieses relativ kurzen (48 Behandlungsstunden umfassenden) Programms, das bezüglich der Inhalte / Abläufe in Verkerk et al. [1] ausführlicher dargestellt ist. Die Inhalte sind typisch für das moderne Management von nicht spezifischen Rückenschmerzen und umfassen ein Trainingsprogramm mit dem Ziel der körperlichen Aktivierung (Stabilisierung, Kraft, Ausdauer, Koordination), Entspannungsverfahren sowie Informationsvermittlung und die Einbindung kognitiv-verhaltenstherapeutischer Strategien. Die Gruppengröße ist auf 6 Patienten beschränkt, denen pro Sitzung 3 Therapeuten gegenüberstehen, sodass eine hohe Intensität wie auch Individualität und Kontrolle gewährleistet sind. Die 16 (je 3-stündigen) Sitzungen sind über einen Zeitraum von 2 Monaten verteilt und werden vervollständigt durch ein nachfolgendes (körperliches) Trainingsprogramm, das über 3 Monate 2-mal die Woche in einem regulären Fitness-Center (nach Wahl der Patienten) durchgeführt wird. Dieser Ansatz erscheint sehr praktikabel und ist offensichtlich gut geeignet, die Fortführung des Trainings nach der eigentlichen Behandlung zu sichern. Die Ergebnisse zeigen auch über die Zeit eine gute Stabilität, z. B. ergab sich bei > 60 % der Fälle eine Reduktion der Ausgangsintensität der Schmerzen um mind. 30 %. Allerdings ist die Repräsentativität der Ergebnisse aufgrund der geringen Rücklaufquote von ca. 55 % bei der 1-Jahres-Katamnese eingeschränkt.


Bei den prognostischen Faktoren werden Ergebnisse aus vorherigen Studien bestätigt: Bemerkenswert ist erneut der Befund, dass ein geringeres Ausmaß an vorheriger Arbeitsunfähigkeit sowie eine stabile Partnerschaft mit einem positiven Outcome verbunden waren. Wenn ich die Ergebnisse richtig interpretiert habe, dann haben u. a. auch diejenigen mehr profitiert, die einen BMI von 25–29, also ein Übergewicht aufwiesen. Ein höheres Körpergewicht ist also nicht zwangsläufig mit mehr Rückenschmerzen vergesellschaftet und verhindert auch nicht den Behandlungserfolg. Es kommt offensichtlich vorrangig auf die körperliche Aktivität bzw. deren Beibehaltung an. Leider wird dieser Befund in der Studie nicht weiter kommentiert. Das relativ geringe Ausmaß an aufgeklärter Varianz (um 11 %) deutet darauf hin, dass andere, bisher unberücksichtigte Faktoren (möglicherweise auch aus dem somatischen Bereich) ebenfalls eine Rolle für die Prognose spielen.


1 Verkerk K, Luijsterburg PA, Ronchetti I, Miedema HS, Pool-Goudzwaard A, van Wingerden JP, Koes BW. Course and prognosis of recovery for chronic non-specific low back pain: design, therapy program and baseline data of a prospective cohort study. BMC Muskuloskeletal Dis 2011; 12: 252–262




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