Harnröhrenenge
Anatomie der weiblichen Harnröhre
Die Harnröhre der erwachsenen Frau hat eine Länge von 2,5–4 cm und kann an jeder Stelle
stenosieren. Die Sphinkter-Aktivität wirkt auf der gesamten Länge, die Harnröhre besitzt
2 glatte Muskelschichten, eine äußere zirkuläre und eine innere longitudinale Schicht.
Dieser glatte Muskel dünnt sich nach distal aus, speziell die äußere zirkuläre Schicht.
Das letzte Viertel der Urethra ist minimal steuerbar, dort enden die Muskelschichten
in einem dicken kollagenen Ring, eine Verdickung, die auch bei jungen Mädchen als
Lyon Ring (Lyon und Tanagho 1965) bezeichnet wird, der für Blasenentleerungsstörungen
und rezidivierende Infekte verantwortlich sein soll [1] ([Abb. 1]).
Abb. 1 Harnröhrenmuskulatur (gez. von Sidi Muctar).
Der quergestreifte urethrale Sphinkter liegt extern und umschließt die glatte Muskulatur
auf der gesamten Länge der Harnröhre. Er ist am ausgeprägtesten im mittleren Drittel
der Urethra hauptsächlich dorsal etwa bei 12 Uhr urethralwärts und nach ventral relativ
ausgedünnt beziehungsweise unterentwickelt, somit ergibt sich eine Art Hufeisenkonfiguration.
Der maximale Urethraverschlussdruck lässt sich dementsprechend in der Urethramitte
messen [2] Für die Belastungskontinenz ist die extraurethrale Muskulatur wie der
M. pubovaginalis (bei Petros M. pubococcygeus), ggf. auch M. puborektalis bei intaktem
bindegewebigem Stützapparat von großer Bedeutung. Bei Belastung wird die suburethrale
Vaginalwand nach ventral gezogen, wodurch es zum festen Verschluss der Urethra kommt.
Eine weitere chirurgisch bedeutsame anatomische Lagebeziehung bildet das klitorale
Bindegewebe, welches die urethrovaginale Einheit umschließt und die Harnröhre dorsalseitig
sowie die neurovaskulären Bündel einbettet [3] ([Abb. 2]).
Abb. 2 Anatomischer Querschnitt (fixiert) durch die weibliche Harnröhre und Vagina (Bild:
A. Gaumann).
Ätiopathogenese der Harnröhrenstenose
Die Ätiopathogenese der weiblichen Harnröhrenstenose ist wenig bekannt. Mehrere Faktoren
können vermutet werden: Infektionen, Trauma, Instrumentierung, vorausgegangene Harnröhrenchirurgie.
Die Diagnosestellung einer Harnröhrenstenose impliziert viele Verdachtsmomente, weil
sich die Symptome oft sehr unspezifisch darstellen: z. B. LUTS (Blasenentleerungsstörung,
häufiger Harndrang, unvollständige Entleerung), Harnverhalt, oder wiederkehrende Harnwegsinfektionen.
Bei den Infektionen sind vor allem Chlamydieninfektionen im Vordergrund, die häufig
pseudopapilläre Veränderungen des Blasenhalses verursachen. Diese zeigen sich endoskopisch
als „Tentakel“ des Urothels.
Derzeit gibt es keine anerkannte Definition oder allgemein akzeptierte diagnostische
Kriterien für eine Harnröhrenstenose der Frau.
Auf der Basis einer symptomorientierten Diagnosestellung wurden in der Vergangenheit
und werden auch heute bei vielen Frauen oft unnötig und übereifrig Harnröhrendilatationen
vorgenommen, was paradoxerweise wiederum zu einem Auftreten von Stenosen vermutlich
auf der Basis von Blutungen und Urin-Extravasation führen kann.
Wegen ihrer Seltenheit und der Nähe zu wichtigen Strukturen können weibliche Harnröhrenstenosen
eine beträchtliche Herausforderung für den rekonstruktiv tätigen Urologen darstellen.
Im letzten Jahrzehnt hat es eine Zunahme der Berichte von verschiedenen chirurgischen
Techniken für die Therapie der weiblichen Harnröhrenstenose gegeben.
Systematische Literaturrecherche
Nadir I. Osman, Altaf Mangera, Christopher R. Chapple, Department of Urology, Royal
Hallamshire Hospital, Sheffield, UK, haben in einer systematischen Literaturrecherche
(PROSPERO Datenbank, ID-Nummer CRD42013004193) veröffentlichte Studien in PubMed und
Scopus Datenbanken mit den Suchbegriffen „Frauen oder weiblich“ mit den Begriffen
„Harnröhrenstriktur oder Harnröhrenstenose oder Harnröhrendilatation oder Urethrotomie
oder Urethroplasty“ am 24. März 2013 kombiniert [4].
Die Recherche wurde nur auf Veröffentlichungen in englischer Sprache beschränkt. Abstracts
wurden ausgeschlossen, weil nicht Peer-Reviewed.
Insgesamt 2 936 Abstracts wurden nach elektronischem Screening identifiziert. Nach
dem Entfernen der Duplikate wurden 1 159 Abstracts herausgefiltert, wovon 38 Volltexte
übrig blieben. 20 weitere Texte wurden ausgeschlossen, da sie sich nicht auf eine
operative Therapie der Harnröhre bezogen oder keine Ergebnisdaten enthielten. Von
16 Studien blieben 221 auswertbare Patientinnen übrig.
Das Durchschnittsalter der Frauen betrug 51,8 Jahre (Bereich 22–91 Jahre). Alle Studien
waren retrospektive Fallserien.
Definition und Diagnose der weiblichen Harnröhrenstriktur
Eine einheitliche Definition oder harte diagnostische Kriterien existieren für Harnröhrenstrikturen
bei Frauen nicht.
Einschlusskriterium für 4 Studien war die Tatsache, dass ein 14-Ch-Katheter nicht
einführbar war. Andere Studien legten als Schwellenwert für das Vorliegen einer Striktur
eine Harnröhrenkalibrierung<17 Charrière,<19 Ch und<20 Ch fest.
In kinderurologischen Lehrbüchern findet man für die weibliche Harnröhre die Definition
10 plus Lebensalter in Charrière.
16 Studien diagnostizierten eine Harnröhrenstriktur radiologisch.
Die häufigste Definition war „distale Harnröhrenstenose mit proximaler Harnröhrenballonierung.“
Die Autoren der einzelnen Studien verlassen sich in der Regel auf mehrere Tests zur
Diagnostik einer Striktur ([Tab. 1], [Abb. 3]).
Abb. 3 Bougie à Boule und Harnröhrenbougie.
Tab. 1 Untersuchungsmethoden zur Diagnostik von weiblichen Harnröhrenstrikturen.
Untersuchungsmethode
|
Anzahl der Studien
|
Uroflowmetrie und Restharnbestimmung
|
8
|
Urodynamik oder Videourodynamik
|
9
|
Urethroskopie
|
10
|
Miktionszysturethrografie
|
10
|
MRT
|
2
|
IV Urografie mit Miktionszystourethrografie
|
1
|
Bougie à Boule (Harnröhrenkalibrierung)
|
0
|
Die Gesamtzahl der eingeschlossenen Patientinnen in allen Studien betrug 221.
Angenommene Ursachen der Strikturen wurden bei 72 Frauen (53%) beschrieben: 35 (49%)
idiopathisch, 28 (39%) iatrogenen, 5 (7%) traumatisch, 4 (6%) entzündlich.
In 98 Fällen war eine Intervention der Harnröhrenstriktur vorausgegangen: 95 Patientinnen
(96,9%) Harnröhrendilatation oder Urethrotomie, 3 Patientinnen (3,1%) Harnröhrenplastik.
Ein Konsens über die Definition einer Striktur besteht nicht. Studien an gesunden
Frauen haben eine durchschnittliche Harnröhrenweite von 22 Ch (23±1,9 Ch) und 26 Ch
ohne Korrelation zum Alter ergeben. Andere Autoren halten die Passage eines 30-Ch-Katheters
für normal.
Eine Striktur lässt sich beschreibend definieren als „eine symptomatische anatomische
Engstellung der Harnröhre nachweisbar durch eine Unmöglichkeit der Katheterisierung,
eine Harnröhrenkalibrierung, eine Endoskopie, Radiografie oder Inspektion“ ([Abb. 4]).
Abb. 4 Nachweis einer Harnröhrenstriktur durch Harnröhrenkalibrierung (V. a. Lichen sklerosus).
Chirurgische Therapie der Harnröhrenstriktur
Zur Behandlung der weiblichen Harnröhrenstriktur existieren im Wesentlichen 2 Haupttechniken:
die Harnröhrendilatation und Augmentations-Harnröhrenplastik, wobei als Augmentat
vaginale oder myokutane Schwenklappen der Labien dienen oder Mundschleimhaut-Transplantate.
Die 2 häufigsten Zugangswege waren dorsal oder ventral.
Harnröhrendilatation (Bougierung)
3 Studien mit einem Gesamtkollektiv von 107 Patientinnen berichten über die Verwendung
einer Harnröhrendilatation. Die Harnröhre wurde bis 30 Ch in 7 Fällen und 41 Ch (!)
in 93 Frauen erweitert, während es bei 7 Frauen unklar blieb, wie weit die Bougierung
durchgeführt wurde. Zusätzlich empfiehlt Smith et al. [5] die tägliche intermittierende Selbst-Katheterisierung (ISK).
Von den insgesamt 93 Frauen, bei denen die Harnröhre bis 41 Ch bougiert wurde, waren
49% bis zu einem mittleren Follow-up von 46 Monaten mit Erfolg erweitert. Die Autoren
führten gleichzeitig eine Meatusplastik durch, falls es zu einer Blutung aus der Harnröhre
oder der Scheidenwand kam. Die durchschnittliche Dauer bis zum Rezidiv lag bei 12
Monaten. Rezidive wurden in 56% erneut mit einer Dilatation, 5% mit einer Harnröhrenplastik,
17% mit einem ISK, 2% mit einer Otis-Urethrotomie und 2% mit einer periurethralen
Botoxinjektion behandelt.
Insgesamt hatte die Harnröhrendilatation eine Erfolgsquote von 47% bei einem mittleren
Follow-up von 43 Monaten, wobei die Erfolgsquote bei nicht Voroperierten mit 58% am
höchsten lag, bei Voroperierten betrug diese lediglich 27,7%. Eine Harninkontinenz
oder andere bedeutende Komplikationen traten nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit
von 43 Monaten nicht auf.
Im Umkehrschluss müssen über 50% der Patientinnen nach einer Harnröhrenbougierung
erneut behandelt werden.
Vergleichbar mit der Strikturerkrankung des Mannes zeigt sich somit auch bei der Frau,
dass bei Versagen einer primären Harnröhrenbougierung weitere Dilatationen eher palliativer
statt kurativer Natur sind.
Otis-Urethrotomie
Das „blinde“ dilatierende Urethrotom wurde von Fessenden Nott Otis (1825–1900) am
21. Januar 1871 in der New York Academy of Medicine vorgestellt und weltweit angewandt
bis zur praktikableren Sichturethrotomie des Nürnberger Urologen Hans Sachse 1975
[6].
Die Studienlage zur Urethrotomie nach Otis ist sehr dünn und inhomogen. Unter dem
Stichwort „Otis Urethrotomy in Women“ erscheinen lediglich 3 Studien in PubMed. Eine
von 1975, 1980 und eine aus 2014, die aber unspezifisch über die Therapie der BOO
(Bladder Outlet Obstruction) berichtet.
Die Otis-Urethrotomie erscheint nur weitestgehend verlassen, ist sie aber nicht. Eine
britische Umfrage aus 2006 konnte bestätigen, dass 69% der Urologen die Otis-Urethrotomie
trotz fehlender Evidenz noch anwenden. Eine tiefe Urethrotomie unter Einbeziehung
des Blasenhalses und somit der aktivsten Sphinkterregion kann sogar zur Harninkontinenz
führen [7].
Meatotomie und Meatusplastik
Bei kurzen Meatusstrikturen kann eine simple ventrale Meatotomie bei 6 Uhr eine effektive
beschwerdelindernde Methode sein. Der ventrale Ring (Lyon Ring) und die Vaginalwand
werden inzidiert bis zum gesunden Urethragewebe und die Ränder in einer Heineke-Mikulicz-Technik
analog zur Pyeloplastik ausgenäht, die die Urethra hypospad erscheinen lassen. Nur
in einer alten Studie von 1987 hatten 48 von 50 Patientinnen Beschwerdefreiheit auch
noch nach 12 Monaten. Ein unangenehmer Sprühstrahl wird allerdings als mögliche Folge
beschrieben [8] Es können auch Inzisionen bei 5 und 7 Uhr mit anschließender transversaler Adaptation
der Urethralschleimhaut mit der Vaginalwand im Sinne einer Meatusplastik vorgenommen
werden.
Exzision and Reanastomosierung
Diese Technik ist theoretisch machbar und wird beschrieben bei einer alten Technik
der Operation von komplexen Harnröhrendivertikeln. Aber weder ist es sinnvoll Harnröhrendivertikel
aufwendig zu rekonstruieren noch eine weibliche Harnröhre zu reanastomosieren. Die
Gefahr einer postoperativen Harninkontinenz ist groß, die Datenlage sehr schwach.
Harnröhrendivertikel können durch eine einfache Marsupialisation mit anschließender
Atrophie des Divertikelhalses vollständig beseitigt werden.
Harnröhrenplastik
13 Studien berichteten Ergebnisse von Harnröhrenplastiken mit einem Transplantat mit
insgesamt gut dokumentierten 115 Patientinnen. Über End-zu-End-Anastomosen gibt es
keine Daten.
Die Harnröhrenplastiken erfolgen mittels Schwenklappenplastik oder freiem Transplantat.
Man kann 3 Gruppen differenzieren: Vaginale und labiale Schwenklappen, vaginale oder
labiale Transplantate und Mundschleimhautplastiken (bukkal und lingual).
Das Transplantat oder der Lappen kann jeweils dorsal bei 12 Uhr und ventral bei 6 Uhr?
oder zirkumferentiell angewandt werden.
Vaginale oder labiale Schwenklappen
Die Verwendung von vaginalen Schwenklappen ist die häufigste und erfolgreichste Methode
mit einer Heilungsrate von 91% mit einer Nachbeobachtungszeit von über 32 Monaten.
Die Vorteile der lokalen Schwenklappen liegen in ihrer Mobilität, der guten Vaskularisation
und ihrer guten Verfügbarkeit.
Vaginale oder labiale freie Transplantate
4 Studien mit 25 Patienten, 80% Erfolg, mit 22 Monaten Verlauf, aufgeteilt in 13 vaginale
und 12 labiale Transplantate. Weder ein ISK noch eine De-Novo-Harninkontinenz wurde
berichtet.
Orale Schleimhaut-Transplantate (lingual und bukkal)
7 Studien mit insgesamt 32 Patienten und einer 94% Heilungsrate mit einer Nachbeobachtungszeit
von 15 Monaten. Mehrheitlich wurde ein dorsaler Zugang verwandt und die meisten Patientinnen
waren voroperiert. Orale Schleimhaut hat mit 94% die höchste Heilungsrate bei jedoch
kürzerer Nachbeobachtungszeit (14,8 Monate). Die Mundschleimhaut ist eine gute Alternative
bei vaginaler Fibrose oder lokaler Atrophie.
Zusammenfassung Harnröhrenstenose
Die Harnröhrenbougierung hat eine Erfolgsquote von<50% und rezidiviert durchschnittlich
nach 12 Monaten bei allerdings geringer Komplikationsrate. Im Gegensatz dazu hat die
offene Harnröhrenplastik eine deutlich bessere Heilungsrate von mindestens 82% bei
hingegen kürzerer Nachbeobachtungszeit von 25 Monaten. Die Datenlage suggeriert, dass
eine Harnröhrenplastik eine machbare Alternative für Patientinnen darstellt, bei denen
eine Harnröhrendilatation (Bougierung) versagt hat, und bietet eine Chance auf eine
dauerhafte Heilung mit nur minimalem Harninkontinenzrisiko. Die Datenlage ist zu schwach
um eine Empfehlung für die eine oder andere Technik der Harnröhrenplastik auszusprechen.
Der erste Behandlungsschritt bei einer weiblichen Harnröhrenstriktur sollte eine Bougierung
(Dilatation) sein. Bei einem Rezidiv kann eine erneute Dilatation vorgenommen werden,
allerdings mit anschließender palliativer Selbstbougierung aber sehr ernster Indikationsabwägung
einer Harnröhrenplastik in erfahrenen Händen. Unter Berücksichtigung der Seltenheit
dieser Eingriffe sollten diese in ausgewiesenen Zentren stattfinden.
Erfahrungsgemäß werden Strikturen distal vermutet, wo die Sphinktermuskulatur sich
beträchtlich ausdünnt – dieses mag der Grund für die geringe Inkontinenzrate und die
fortwährende Anwendung der Otis-Urethrotomie von 1871 sein. Ein weiterer Grund für
die relativ niedrige Belastungsinkontinenzrate kann die Bedeutung der extraurethralen
Muskulatur für die Stresskontinenz sein, die bei den operativen Maßnahmen nicht beeinträchtigt
wird.
Mehr Daten aus randomisierten Langzeitstudien zum Vergleich der Bougierung, Urethrotomie
und der verschiedenen Techniken der Harnröhrenplastiken wären wünschenswert aber bleiben
bei der geringen Anzahl wahrscheinlich illusorisch.
Blasenhalsstenose
Definition
Eine primäre Blasenhalsstenose ist ein Zustand, bei dem sich der Blasenhals zur Miktion
nicht adäquat öffnet und eine vermehrte Aktivität des Sphinkterinternus zur Folge
hat oder eine obstruierte Miktion, ohne dass eine andere anatomische Obstruktion vorliegt
wie z. B. ein Genitalprolaps oder Deszensus.
Zuerst wurde eine Blasenhalsobstruktion bei Männern 1933 von Marion [9] und später 1973 von Turner Warwick und Kollegen beschrieben. Sie forderten zur Diagnose
einer Blasenhalsdysfunktion eine urodynamische Untersuchung und ein Miktionszysturethrogramm
bei Männern unter 50 mit der Vorgeschichte einer länger bestehenden Symptomatik (LUTS)
[10].
Die Blasenhalsenge der Frau als klinisches Erscheinungsbild wurde 1984 von Diokno
et al. [11] und von Axelrod und Blaivas 1987 [12] beschrieben. Beide Gruppen berichteten jeweils über nur 3 Patientinnen.
Ätiologie
Die genaue Ursache einer Blasenhalsenge konnte nie ans Licht gebracht werden.
Verschiedene Theorien versuchten die Ätiologie zu erklären: Initial fokussierte man
sich auf strukturelle Änderungen am Blasenhals wie z. B. eine fibröse Engstellung
oder Hyperplasie wie z. B. Marion. Leadbetter and Leadbetter [13] schlugen eine embryologische Erklärung vor, die mangelnde Auflösung des Mesenchyms
am Blasenhals oder der Einschluss abnormaler Mengen von nicht muskulärem Bindegewebe
mit dem Ergebnis eines hypertrophierten glatten Muskels, fibröser Kontrakturen und
entzündlichen Veränderungen.
Ähnlich beschrieben Turner Warwick und Kollegen eine pathologische Morphologie der
Detrusor/Trigonum-Muskulatur mit dem Ergebnis einer insuffizienten Blasenhalsöffnung.
Eine neurogene Ursache der Blasenhalsenge in Form einer Dysfunktion des sympathischen
Nervensystems wurde ebenfalls postuliert [14].
Crowe et al. [15] wiesen im Blasenhalsgewebe von Männern mit einer Blasenhalsdyssynergie eine Erhöhung
der Dichte von Neuropeptid Y immunreaktiven Nerven nach, welche einen Teil des sympathischen
kontraktilen Systems des Blasenhalses darstellen.
Yalla und Resnick machen Veränderungen der quergestreiften periurethralen Muskulatur
(Rhabdospinkter) verantwortlich. Dieser kann sich funktionell bis zum Blasenhals ausbreiten
[16.]
Petros betont mit der Integraltheorie die Bedeutung der dynamischen Muskelkräfte in
3 Vektorrichtungen, die aktiv den Blasenhals aus einem Zusammenspiel der Levatorplatte,
des Musculus pubococzygeus des longitudinalen Analmuskels öffnen. Aus der Lockerheit
des umgebenden Bindegewebes, der Faszien und der Ligamente ergeben sich die funktionellen
Störungen der Blasenhalsöffnung und des Verschlusses [17.]
Häufigkeit und Vorkommen
Daten über Häufigkeit und Vorkommen der weiblichen Blasenhalsstenose sind sehr dürftig.
Die meisten Berichte über weibliche Blasenhalsengen beziehen sich auf nur wenige Fälle.
Nitti konnte in einer Studie über urodynamische Befunde in einer großen Kohorte von
Frauen mit LUTS verschiedenster Formen eine Inzidenz von 4,6% nachweisen [18].
Die Blasenhalsstenose zeigt sich bei Frauen mit ähnlichen Symptomen wie beim Mann
einschließlich Entleerungsstörung (abgeschwächter Harnstrahl, Startverzögerung Harnstrahlunterbrechung
und unvollständiger Entleerung) oder Störung der Speicherfunktion (Drangsymptomatik,
Pollakisurie, Nykturie oder Dranginkontinenz) oder mit einer Kombination aus beiden,
wobei bei Frauen häufiger Restharnbildungen und eine chronische Überlaufblase vorkommen,
dafür aber der chronischen Beckenschmerz verursacht durch eine Blasenhalsenge bei
Frauen seltener gesehen wurde als bei Männern [19]
[20].
Diagnostik
Die Blasenhalsstenose ist vornehmlich eine urodynamische Diagnose mit den Kennzeichen:
relativ hoher Detrusordruck, abgeschwächter Harnstrahl mit radiologischem Nachweis
einer Obstruktion am Blasenhals und gleichzeitiger Relaxation des willkürlichen Sphinkters
ohne das Bild einer distalen Obstruktion. Perinealsonografisch ist sie auch zu mutmaßen.
Bei ähnlichen Flowparametern entwickeln Männer höhere Detrusordrücke und Frauen deutlich
höhere Restharnwerte ([Abb. 5]
[6]). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Frauen mit vaginalem Prolaps
häufig Blasenentleerungsstörungen aufweisen. Urodynamisch finden sich bei diesen Frauen
auch ein hoher Detrusordruck und ein abgeschwächter Harnstrahl bei funktioneller Urethraobstruktion
ohne echte Striktur der Urethra [21]
[22]. Eine vaginale Untersuchung bei allen Frauen mit Blasenentleerungsstörungen ist
daher sinnvoll. Nach Petros startet normalerweise die Miktion mit einer aktiven Öffnung
des Blasenhalses durch Muskelzug der Levatorplatte und des longitudinalen Muskels
des Anus nach dorsal und kaudal. Sowohl eine Zystozele als auch posteriore Beckenbodendefekte
wie apikaler Prolaps oder Rektozelen können diesen Muskelzug schwächen und damit zur
Blasenentleerungsstörung führen [23].
Abb. 5 MCU anterior posterior (Bild: Paulo Palma).
Abb. 6 MCU lateral (Bild: Y. Yoshimura).
Therapie der Blasenhalsenge
Die Behandlungsoptionen der Blasenhalsenge der Frau sind identisch mit denen des Mannes:
watchful waiting, Pharmakotherapie und chirurgische Intervention.
Watchful Waiting
Zuwarten und kontrollieren ist eine Möglichkeit für Patientinnen, die durch Ihre Symptomatik
nicht stark beeinträchtigt sind und keinen klinischen oder urodynamischen Hinweis
auf einen Dekompensation des oberen oder unteren Harntraktes zeigen.
Es gibt praktisch keine Daten zum natürlichen Verlauf einer weiblichen Blasenhalsstenose,
daher ist es schwer zu sagen, wieviele Frauen unter „watchful waiting“ fortschreitende
Symptome bieten, eine Detrusordekompensation entwickeln oder im Verlauf doch behandelt
werden. Aufgrund der geringen Datenlage basieren die Therapieoptionen auf Expertenmeinungen.
Pharmakotherapie
Alpha-Blocker haben sich als Standarttherapie bei der Blasenhalsstenose des Mannes
etabliert, wobei deren Hauptwirkung an der glatten Muskulatur des Blasenhalses angenommen
wird. Zusätzlich werden aber wie bei der Therapie der BPH noch zentrale und andere
lokale Mechanismen vermutet.
Die Experten-Empfehlung, die weibliche Blasenhalsstenose mit einem Alpha-Blocker zu
behandeln, beruht auf Einzelfallerfahrungen und 2 Studien von Kumar et al. [27] mit 24 Patientinnen und den Medikamenten Phenoxybenzamin, Prazosin oder Terazosin.
Die Therapie war in über 50% erfolgreich in Bezug auf Symptomlinderung, erhöhtem Flow
und messbarem Rückgang der Restharnwerte, allerdings wurde keine validierte Symptomerhebung
vorgenommen.
Eine zweite prospektive Studie von Constantini et. al [24] 2009 wurde an 63 Frauen ausschließlich mit Tamsulosin durchgeführt. Bei guter Verträglichkeit
verbesserten sich die Entleerungssymptome in 71%. Rezidivierende Harnwegsinfekte reduzierten
sich um 50% bei 81% der Teilnehmerrinnen, Uroflowparameter zeigten eine Besserung
von 57%. Restharn verminderte sich in 62,5% und war bei 25% gar nicht mehr nachweisbar
ohne signifikante Änderung des Entleerungsvolumens.
Chirurgische Therapie
Analog zum Mann kann eine Blasenhalsinzision und -Resektion auch bei der Frau angewandt
werden.
Axelrod und Blaivas [25] haben bilaterale Inzisionen bei 5 und 7 Uhr an 3 Patientinnen erfolgreich vorgenommen
ohne Entwicklung einer Harninkontinenz.
Gronbaek et al. [26] haben initial eine singuläre Inzision und nur bei Bedarf eine zweite Inzision bei
insgesamt 38 Patientinnen vorgenommen. Nach 55 Monaten betrug die Erfolgsquote noch
76%, eine Patientin entwickelte eine Harninkontinenz.
Kumar et al. [27] führten eine Inzision bei 12 Uhr mit einem Kinderresektoskop bei 6 Patientinnen
erfolgreich durch. Alle Patientinnen waren Versagerinnen einer Alpha-Blocker-Therapie.
Der Qmax steigerte sich von 8,5 auf 15,5 ml/s und der Restharn sank von durchschnittlich 256
auf 40 ml. Allerdings berichteten 2 Patientinnen über eine leichte Belastungsharninkontinenz.
Ausblick
Es gibt noch viel zu erforschen über die Ätiologie und den natürlichen Verlauf der
Blasenhalsenge der Frau. Die genauen Ursachen müssen untersucht werden und wir benötigen
mehr Informationen zum Nutzen der Therapie im Hinblick auf Symptomprogression, Risiko
eines Harnverhaltes und einer Niereninsuffizienz.
Dieses sind schwer lösbare Aufgaben im Hinblick auf die geringe Prävalenz dieser Störung
und der Schwierigkeit, bei den Patientinnen Gewebeuntersuchungen zu gewinnen.
Es sollten aber feste diagnostische Kriterien entwickelt werden, um den möglichen
Erfolg einer Therapie besser einschätzen zu können.
Bessere nicht invasive Diagnosekriterien wären wünschenswert um Patientinnen herauszufiltern,
die für weitere Tests infrage kämen.
Bessere Studien zur Pharmakotherapie mit Dosisfindungen und definierten Ergebniskriterien
sowie Datenerhebungen zur operativen Therapie sind dringend notwendig und wünschenswert.
Bei der geringen Prävalenz ist dieses nur nach Festlegung der Kriterien im nationalen
oder internationalen Verbund möglich, sonst währt der Mythos fort.