kma - Klinik Management aktuell 2014; 19(03): 32-39
DOI: 10.1055/s-0036-1577257
Klinikmanagement
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart

Renaissance der Stiftung

Unternehmensformen
Adalbert Zehnder
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. März 2016 (online)

 

    Ein klassisches Trägermodell in neuer Form kann kommunale Krankenhäuser aus den Klauen der Politik befreien, handlungsfähiger und nachhaltig machen. Bamberg hat es vorgemacht. Hessen arbeitet daran.


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    „Die neue Betriebsform war ein Aufbruch, und dieser Aufbruch hat uns gerettet.”
    Xaver Frauenknecht, Vorstandsvorsitzender, Sozialstiftung Bamberg (deren Krankenhaus auf unserer Fotomontage zu sehen ist)(Foto: kma-Montage (Sozialstiftung Bamberg))

    Die Nerven lagen blank, in Bamberg, im Jahr 2004. In Zeitungsberichten über Bayerns fünftgrößtes kommunales Klinikum sah man Fotos von leeren Betten. Vier Stationen waren bereits geschlossen, das OP-Programm war drastisch reduziert, die Angst vor betriebsbedingten Kündigungen ging um – und die Angst, verkauft zu werden. Mit der Einführung der DRG-Fallpauschalen war das Haus plötzlich nicht mehr ausgelastet. Die Patienten blieben kürzer, wenn sie überhaupt kamen und nicht im ambulanten Sektor hängenblieben. Zugleich konnte niemand mehr die Augen davor verschließen, dass das 1984 eröffnete Klinikum in die Jahre gekommen war. Dreibettzimmer ohne Nasszelle; klassisches Stationsbad; Warteschlangen vor den Aufzügen; und ein Jahresverlust von vier Millionen Euro: höchste Eisenbahn, dass jemand handelte – und zwar entschlossen.

    Historische Erfahrung
    Not macht erfinderisch, sagt ein Sprichwort. In einer Mischung aus purer Verzweiflung, der Flucht nach vorne und der vielleicht etwas späten wie banalen Einsicht, dass ein Krankenhaus-Management nur handeln kann, wenn man es auch lässt, rangen die Lokalpolitiker um die richtige Lösung. Zur Debatte standen die Umwandlung des damaligen städtischen Eigenbetriebs in eine GmbH. Und eine Veräußerung. Am Ende entschlossen sie sich, das Klinikum nicht zu privatisieren und dennoch loszulassen, indem sie es der von ihnen selbst gegründeten „Sozialstiftung Bamberg” (SSB) überantworteten.

    Das Stiftungsmodell als neue Trägerform für ein modernes Krankenhaus: Das war eine für Deutschland ungewöhnliche Lösung; aber in Bamberg wurde sie als Option erkannt, weil man mit dem Modell an sich nicht fremdelte. Die wirtschaftsstarke Universitäts- und Erzbistumsstadt besitzt eine historische Erfahrung und Tradition mit Stiftungen. Teil der neuen Stiftung sind drei weitere, zuvor existierende, die Seniorenheime betrieben, und Deutschlands zweitälteste Nervenklinik. Auch wenn sich die Stadträte damals nicht sicher sein konnten, ob am Ende alles gut geht und aus der Not eine Tugend machten: Sie legten mit ihrem Votum für die alternative Unternehmensform den Grundstein für die Rettung des Klinikums und dessen nachhaltige Existenzfähigkeit. Erklärtes Ziel der neuen Rechtsform: eine moderne Unternehmensstruktur schaffen und die Kliniken und Heime fit machen für den Wettbewerb. „Die neue Betriebsform war ein Aufbruch, und dieser Aufbruch hat uns gerettet”, sagt Xaver Frauenknecht, Vorstandsvorsitzender der Sozialstiftung Bamberg.

    „Wir sind damals unterkapitalisiert hineingegangen, mit defizitären Betrieben. Jetzt, nach zehn Jahren, befinden wir uns auf einem soliden Kurs. Im achten Jahr hintereinander haben wir ein positives Betriebsergebnis erzielt.” Eine Änderung der Unternehmensform allein löst die Probleme nicht automatisch. Aber Frauenknecht sagt: „Es hängt mit der Stiftung zusammen, ganz eindeutig.” Jede Stiftung dient einem definierten „Zweck”, in unserem Fall: der Versorgung von Kranken und Alten, verstanden als Daseinsvorsorge. „Den – und nur den hat sie zu erfüllen”, sagt Frauenknecht, dessen Aufgabe darin besteht, das Reinvermögen nachhaltig zu bewirtschaften und zu erhalten, „und deshalb müssen wir Gewinn machen, natürlich.” Der Manager, der im Lauf seiner Karriere auch andere kommunale und private Klinikträger von innen kennengelernt hat, sagt über den Charme des Stiftung: „Ihr gesamter Einsatz gilt dem Patienten, den Bewohnern, den Mitarbeitern. Wir brauchen keine übertriebene Rendite. Es gibt keine Gewinnentnahme wie in einer Aktiengesellschaft. Weil wir alle Erlöse zweckbezogen weiterverwenden müssen, können wir auch jeden Cent, den wir erwirtschaften, in dieses Unternehmen reinvestieren. Und anders als in einer GmbH gibt es auch keine direkte Gesellschafterweisung. Das ist der entscheidende Punkt.”

    „Eine Stiftung gehört sich selbst”
    Kliniksprecherin Brigitte Dippold sagt pointiert: „Eine Stiftung gehört niemandem. Eine Stiftung gehört sich selbst.” Und es gibt nur zwei Organe: den Vorstand eben und den Stiftungsrat. Mit dem Oberbürgermeister und sieben Stadträten stellt die Lokalpolitik zwar auch hier weiterhin die Mehrheit. Aber erstens ist das Gremium universeller besetzt (auch mit Vertretern von Personal, regionaler Wirtschaft und dem Bezirkstag). Und zweitens sind dessen Kompetenzen so klar definiert wie begrenzt. Klinikchef Frauenknecht sagt: „Der Stiftungsrat gibt die Unternehmensstrategie vor. Mit der operativen Umsetzung hat er nichts zu tun.”

    Die Lasten aus Zins und Tilgung für seit Jahren aufgelaufene Schulden, fehlende Mittel für notwendige Investitionen und sachfremde politische Interventionen ins operative Geschäft: „Dies sind die großen Schwachstellen der Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft”, sagt Thomas Köhler, Spezialist für das Gesundheitswesen im Frankfurter Büro der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft. Köhler ist federführend verantwortlich für ein im Auftrag des hessischen Sozialministeriums erarbeitetes Zukunftskonzept für den Erhalt kommunaler Kliniken, das derzeit dort umgesetzt wird. Hessen gehört zu den Gegenden, in denen der Leidens- und Handlungsdruck bei den kommunalen Krankenhäusern am größten ist. Auf einer Deutschlandkarte im Krankenhaus Rating Report 2013 des RWI Essen gehört Hessen zu den Regionen, die dunkelrot eingefärbt sind. Hier liegt der Anteil der öffentlich-rechtlichen Krankenhäuser, die in Gefahr sind, in der Klasse „35 Prozent oder mehr” und erreicht damit Spitzenwerte. Die Ausfallwahrscheinlichkeit für ein öffentliches Haus ist dem Report zufolge in Hessen um fast 60 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt. Diese desolate Situation hat dazu geführt, dass Köhler in seinem Überlebenskonzept vorschlug, einen völlig neuen Weg zu gehen: mit einem Krankenhausverbund, an dessen Spitze eine Stiftung steht. Bei dieser Konstruktion geht Hessen in seiner Not noch einen Schritt weiter als Bamberg: Im Kontrollgremium der Stiftung, das die strategischen Entscheidungen fällt, sollen „im Gesundheitswesen bewanderte Fachleute die Mehrheit haben”, sagt Jochen Metzner, Leiter des Referats Krankenhausversorgung im hessischen Sozialministerium. „Die Kommunalpolitik ist vertreten und hat Rede- und Stimmrecht – aber sie wird in der Minderheit sein.”

    Die Praxis steht noch aus
    Was in der Theorie gut klingt, muss sich in der Praxis erst noch beweisen. Gerhard Sontheimer, Vorstandschef der „Gesundheit Nord Holding” (GNH) und damit des größten regionalen Verbunds in Hessen, lehnte einen Beitritt seines Unternehmens ab. Die GNH im Raum Kassel gehört zu den wenigen großen kommunalen Krankenhäusern in Hessen, die schwarze Zahlen schreiben. Die Geschäftsführung des GPR-Klinikums Rüsselsheim begrüßte das Konzept als hilfreichen Anstoß, über die Zukunft der kommunalen Häuser nachzudenken, lehnte einen Beitritt allerdings ebenfalls ab. Nach Auskunft aus dem Wiesbadener Sozialministerium bekundeten bisher 13 der 26 öffentlich-rechtlichen Krankenhausunternehmen ernsthaftes Interesse an dem neuen Modell und nahmen an einer Unternehmensbewertung durch PricewaterhouseCoopers teil, die schon einmal eine Entscheidungsbasis für einen potenziellen Beitritt darstellen kann. Um Häuser zur Teilnahme zu animieren, hatte sich das Land Hessen von vornherein bereiterklärt, die Kosten für die Expertise zu übernehmen.

    „Der Name ‚Stiftung‘ ist noch nicht die Lösung”: Zu gesunder Skepsis fordert Claus Bartels die Beteiligten auf, dessen Consultingfirma Med Advisors im Auftrag des Landesrechnungshofs Hessen sieben kommunale Kliniken unter die Lupe genommen hat. „Das primär Entscheidende ist, dass solche Modelle vernünftig ausgestaltet sind. Erfolgt das nicht, ist es hier genauso schwierig zu agieren wie in einer Anstalt öffentlichen Rechts oder einer GmbH.” In Hessen sind aus seiner Sicht „zentrale Dinge noch nicht transparent gemacht oder nicht geklärt”, die über Erfolg oder Misserfolg dieses als Stiftung angedachten Verbunds aber mit entscheiden: die wirtschaftliche Situation der Einzelhäuser, der Investitionsstau für das Gesamtgebilde, der Umgang mit überschüssigem Personal nach einer Zusammenlegung redundanter Unternehmensbereiche, vor allem in Tertiärbereichen, oder eine geografische Neusortierung und Straffung des medizinischen Sortiments durch den Landesgesetzgeber im Krankenhausbedarfsplan.

    Alternative zur Privatisierung
    „Ein überregionales kommunales Verbundmodell, das die besonderen Werte öffentlicher Krankenhäuser bewahrt, diesen Werten auf allen Entscheidungsebenen verpflichtet ist und die Kommunen gleichzeitig dauerhaft von ihrem Sicherstellungsauftrag entlastet, ist ein Pilotprojekt”, sagt Rechtsanwalt Köhler. Der Gesundheitsexperte rechnet damit, dass das Modell über die Landesgrenzen hinaus Schule machen könnte, weil es für Kommunen eine echte Alternative zur Privatisierung sei. Auch Claus Bartels sympathisiert unbeschadet seiner kritischen Bemerkungen zu den Hausaufgaben, die in Hessen noch zu machen sind, mit dem Stiftungsmodell. Er selbst räumte seinen Posten als Vorstandschef des Uniklinikums Greifswald nach dessen Eingliederung in die neue Universitätsmedizin. Bartels ging unter Protest: Er sah die akute Gefahr, dass ihm über die Aufsichtsgremien Fachfremde ins Alltagsgeschäft hineinregieren könnten. Deshalb sagt er heute: „Für uns als Klinikchefs ist das Interessante am sinnvoll gestalteten Stiftungsmodell: Wir haben hier im Regelfall den höchsten Freiheitsgrad. Dieses Modell kann uns das Leben deutlich leichter machen.”

    Als lebenden Beweis für Bartels’ Einschätzung kann man Xaver Frauenknecht anführen. Mit der Gründung der Sozialstiftung Bamberg wurde er als deren Vorstandsvorsitzender berufen. Heute, zehn Jahre danach, bekleidet er das Amt noch immer. Eine Kontinuität, die sehr ungewöhnlich für die deutsche Krankenhauslandschaft ist, geht es in deren Führungsetagen doch häufig zu wie im Taubenschlag. Die in Bamberg institutionalisierte Nachhaltigkeit hat in Frauenknechts Augen entscheidend dazu beigetragen, dass aus dem Übernahmekandidaten von 2004 ein regionaler Gesundheitskonzern geworden ist. Allein das Klinikum Bamberg wurde im Rahmen eines Investitions- und Instandhaltungsprogramms von bisher 100 Millionen Euro aufgemöbelt. Es herrscht eher Hotel- als Krankenhausatmosphäre. Es gibt doppelt so viele Kliniken wie einst und alle wichtigen Fachdisziplinen außer Herzchirurgie und Transplantationsmedizin. Dazu Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und Wahlleistungsstationen. Und statt acht Aufzügen – in Bettentürmen immer auch Lebensadern – gibt es zwölf. Mitfinanziert haben das Mammutprojekt auch die Mitarbeiter durch den deutschlandweit ersten Zukunftssicherungstarifvertrag zwischen einem Klinikum und der Gewerkschaft Verdi von 2006. Das Geld aus dem teilweisen Lohnverzicht bis 2009 haben sie inzwischen zurückbekommen. „Die Väter und Mütter der Stadt haben sich damals ein Stück weit entmachtet”, sagt Stiftungssprecherin Dippold im Rückblick. „Sie taten dem Klinikum einen Gefallen und sich selbst – auch wenn sie heute nicht mehr mitreden dürfen, wo und wie viele Blumenkübel wir vors Haus stellen.”


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    „Die neue Betriebsform war ein Aufbruch, und dieser Aufbruch hat uns gerettet.”
    Xaver Frauenknecht, Vorstandsvorsitzender, Sozialstiftung Bamberg (deren Krankenhaus auf unserer Fotomontage zu sehen ist)(Foto: kma-Montage (Sozialstiftung Bamberg))