Der Klinikarzt 2016; 45(03): 158-159
DOI: 10.1055/s-0036-1581171
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interleukin-6-Antikörper bei multizentrischem Morbus Castleman – Mit Siltuximab Patienten zielgerichtet behandeln

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Publication Date:
08 April 2016 (online)

 
 

Der multizentrische Morbus Castleman (Multicentric Castleman’s Disease, MCD) ist eine seltene lymphoproliferative Erkrankung. In Deutschland erkranken jährlich nur wenige Menschen an der meist aggressiv verlaufenden Form des Morbus Castleman, die durch eine Hyperproliferation von B-Zellen, Überproduktion von Interleukin-6 (IL-6) und VEGF (vascular endothelial growth factor) sowie Lymphknotenhyperplasie gekennzeichnet ist. Neben Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust und Fatigue entwickeln die Patienten häufig Lymphknotenschwellungen, Hepatosplenomegalie, Aszites und Ödeme, pulmonale Symptome oder Polyneuropathien. Die Konzentration an Hämoglobin (Hb) und Thrombozyten ist erniedrigt, C-reaktives Protein (CRP) erhöht. Aufgrund der unspezifischen Symptomatik erfolgt eine korrekte Diagnose meist erst spät. Bei Verdacht auf MCD sollte ein histopathologisches Gutachten eingeholt werden.

Histopathologisch unterschiedliche Varianten

Der Blick durchs Mikroskop offenbart die Heterogenität des MCD. Insgesamt sind drei Varianten beschrieben, deren Charakteristika sich wie folgt unterscheiden.

Für die hyalin-vaskuläre Variante sind ausgeprägte Lymphfollikel mit erweiterten Mantelzonen, kleinen konzentrischen Ring bildenden Lymphozyten, auffällige Vaskularität und perivaskuläre Hyalinisierung kennzeichnend. Die plasmazellreiche Variante zeichnet sich durch eine erhaltene Lymphknotenstruktur, variable Keimzentrumhyperplasie, erweiterte Mantelzonen und ausgeprägte parakortikale Plasmazytose aus. Die gemischte Form trägt Merkmale beider Varianten. Eine zentrale Rolle in der Pathogenese der MCD spielt vermutlich das inflammatorische Zytokin IL-6.


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Dauerhaftes Ansprechen bei einem Drittel der Patienten

Mit dem monoklonalen IL-6-Antikörper Siltuximab (Sylvant®) ist seit 2014 erstmals eine zielgerichtete Therapie der MCD möglich. Der chimäre, monoklonale Antikörper bindet mit hoher Affinität an IL-6 und blockiert so den nachgeschalteten Signalweg. Siltuximab ist indiziert zur Behandlung erwachsener Patienten mit MCD, die HIV (humanes Immundefizienzvirus) und HHV-8 (humanes Herpesvirus-8)-negativ sind [ 1 ]. Maßgeblich für die Zulassung war eine doppelblinde, multinationale, randomisierte (2:1) Phase-II-Studie, die bei 79 Patienten mit symptomatischer MCD die Wirksamkeit und Sicherheit von Siltuximab (11 mg/kg KG alle 3 Wochen intravenös über eine Stunde) versus Placebo – jeweils plus Best Supportive Care (BSC) – gezeigt hat [ 2 ]. Über ein Drittel der Patienten erreichten unter Siltuximab + BSC ein dauerhaftes Ansprechen der Tumoren und Symptome über ≥ 18 Wochen anhaltend (2 % Komplettremission, 32 % partielle Remission) gegenüber 0 % unter Placebo + BSC (p = 0,0012). Ein Viertel der Patienten wurde komplett symptomfrei. Die mittlere Dauer des Ansprechens war 383 Tage, die mittlere Zeit bis zum Therapieversagen in der Siltuximab-Gruppe noch nicht erreicht (Abb. [ 1 ]) [ 2 ]. Die im Rahmen der Erkrankung hohe mediane Konzentration des CRP nahm schon nach dem ersten Zyklus der Therapie ab und blieb im Verlauf niedrig.

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Abb. 1 Zeit bis zum Versagen der Behandlung (mod. nach [ 2 ]).

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Gute Wirksamkeit bei hoher Symptomlast

Dass besonders Patienten mit hoher Symptomlast von Siltuximab profitieren können, zeigte eine Ad-hoc-Analyse der Studie MCD2001 von Wong et al. [ 4 ]. Die Mehrheit der Patienten hatte zu Baseline mindestens 4 MCD-Symptome, am häufigsten Fatigue, Unwohlsein, Nachtschweiß, Polyneuropathie, Anorexie, Pruritus oder Dyspnoe. Diese schwerer belasteten Patienten zeigten ein um 37 % größeres Ansprechen: Die Rate anhaltenden symptomatischen Ansprechens lag bei 61 % unter Siltuximab + BSC gegenüber 19 % in der Gruppe mit Placebo + BSC (p = 0,0027). Bei weniger als 4 MCD-Symptomen ergab sich kein Unterschied zwischen den beiden Behandlungsgruppen hinsichtlich der Ansprechrate (20 % versus 42 %, p = 0,6). Insgesamt wurde Siltuximab + BSC gut toleriert. Die Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen ähnlich, die Rate schwerer unerwünschter Wirkungen lag bei 23 % (Siltuximab) versus 19 % (Placebo). Die häufigsten behandlungsbedürftigen Nebenwirkungen waren Fatigue (9 %), Nachtschweiß (8 %), Ödeme, Gewichtszunahme, Hyperhidrosis, Thrombozytopenie und Neutropenie, Hypertonus, Hyperurikämie und Hyperkaliämie (jeweils 4 %).


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Weniger Fatigue bei relevant gesteigertem Hb-Wert

In einer weiteren retrospektiven Analyse der Studie wurde der Zusammenhang zwischen Fatigue und der Veränderung des Hb-Werts untersucht [ 3 ]. 58 % der Patienten in der Verumgruppe und 42 % in der Placebogruppe waren zu Baseline anämisch. 61 % versus 0 % sprachen mit einer Steigerung der Hb-Werte ≥ 1,5 g/dl auf die Therapie an (p = 0,0002), bei 42 % normalisierten sich die Hb-Werte (Abb. [ 2 ]). Der Anstieg der Hb-Werte war mit einer Verbesserung der Fatigue assoziiert, gemessen auf der FACIT-F-Skala (Functional Assessment of Chronic Illness Therapy-Fatigue).

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Abb. 2 Mittlere (SD) Hämoglobinkonzentration pro Behandlungszyklus. Z = Zyklus, T = Tag, BL = Baseline, SD = Standard Deviation (mod. nach [ 3 ]).

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Verbesserte Lebensqualität der Patienten unter Sylvant + BSC

Auch hinsichtlich des subjektiv empfundenen Gesundheitszustands der Patienten zeigten sich positive Entwicklungen in der Siltuximab-Gruppe [ 5 ]. Als Instrumente zur wiederholten regelmäßigen Messung der Patient Reported Outcomes (PROs) dienten die erst kürzlich entwickelte MCD-Symptom-Skala (MCD-SS), darunter wurden Kriterien zur Fatigue-(FACIT-F-Skala, Short Form (SF)-36 Fragebogen), der körperlichen Verfassung, Schmerzempfinden, allgemeinen Gesundheit und Vitalität, physische, soziale und emotionale Fähigkeiten sowie die geistige Gesundheit evaluiert.

Patienten, die mit Siltuximab + BSC behandelt wurden, berichteten eine schnelle und anhaltende Verbesserung der Werte auf der MCD-SS- und der FACIT-F-Skala verglichen mit Patienten unter Placebo. Fatigue besserte sich bereits nach dem ersten Zyklus, und der Effekt nahm im Therapieverlauf kontinuierlich zu. Von den 8 Domänen im SF-36 zeigten 5 eine statistisch signifikante Veränderung unter Siltuximab: die körperliche Verfassung, Schmerz, Vitalität, geistige Gesundheit und emotionale Fähigkeit. Insgesamt betrachtet, zeigte sich bei 48 % der Patienten im Siltuximab-Arm eine Steigerung um mindestens 5 Punkte beim SF-36.

Michael Koczorek, Bremen


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Interview – Praktische Erfahrungen bestätigen klinische Daten zu Siltuximab

Prof. Dr. Uwe Platzbecker und Dr. Raphael Teipel, beide Dresden, behandeln seit 2014 einen MCD-Patienten mit Siltuximab und berichten über ihre praktischen Erfahrungen mit dem IL-6-Blocker.

? In welchem Zustand präsentierte sich Ihr Patient bei der Erstvorstellung?

Der damals 22-jährige Patient kam in deutlich reduziertem Allgemeinzustand. Hauptsymptome waren starke Abgeschlagenheit, Fieberschübe, Dyspnoe, Gewichtsverlust und Ödeme der unteren Extremität.

? Welche Symptome sind bei MCD generell möglich?

Die Symptome sind äußerst variabel. Neben den erwähnten Allgemeinsymptomen kann es zu Lymphknotenschwellungen, Vergrößerung der Leber und Milz sowie zu Pleuraergüssen und Aszites infolge des Eiweißverlusts im Rahmen der schweren Entzündungsreaktion kommen. Typische, aber unspezifische Symptome also, die nicht direkt auf einen MCD schließen lassen, generell ihn aber auch nicht ausschließen.

? Wie verlief die Behandlung nach Sicherung der Diagnose?

Auf eine Off-label-Therapie sprach der Patient zunächst gut an. Nach zwei Jahren kam es zu wiederholten Rezidiven mit eingeschränktem Allgemeinzustand und kutanen Manifestationen. Der Patient entwickelte schwere blasenbildende Hautveränderungen an Unterarmen und Knöcheln, sowie eitrig belegte Pusteln und Knötchen am gesamten Oberkörper und Rücken. Differenzialdiagnostisch konnten weder schweres atypisches Erythema exsudativum multiforme, noch schwere akneiforme Hautveränderung oder Pemphigus vulgaris beziehungsweise bullöses Pemphigoid bestätigt werden. Letztlich stuften wir die Hauterscheinungen als paraneoplastisch im Rahmen der MCD ein, da der Patient neben den klinischen Symptomen einer aktiven MCD gleichzeitig eine massive Erhöhung systemischer Entzündungsparameter – insbesondere IL-6 – zeigte.

? Wann starteten Sie die Behandlung mit Siltuximab?

Aufgrund der Refraktärität auf die Vortherapie entschlossen wir uns Mitte 2014 zu einer zielgerichteten Behandlung mit dem IL-6-Antikörper und zunächst auch supportiven Maßnahmen mit fiebersenkenden Mitteln, Antihistaminika, Diuretika und Eiweißsubstitution, die wir jedoch schnell absetzen konnten.

? Weil der Patient gut auf die Behandlung ansprach?

Ja. Die CRP normalisierte sich bereits vier Tage nach der ersten Siltuximab-Gabe und die Hautläsionen waren nach dem zweiten Zyklus komplett abgeheilt. Der Allgemeinzustand verbesserte sich ebenso rapide und der Patient berichtete über eine normale Lebensqualität. Bis August 2015 hat der Patient zehn Zyklen Siltuximab erhalten, die er gut vertragen hatte, und ist darunter in anhaltender Remission. Damit spiegelt dieser Fall die bisherigen Erfahrungen aus klinischen Daten wider.

? Welches Fazit für die Praxis ziehen Sie nach der Behandlung des Patienten?

In diesem Fall konnte mit dem Einsatz von Siltuximab + BSC ein hohes Ansprechen bei einem Patienten mit MCD und assoziierten schweren Hautveränderungen erzielt werden. Nebenwirkungen während der Therapie wurden nicht berichtet und es konnte bisher eine gute Kontrolle der Erkrankung erreicht werden. Abzuwarten bleibt, inwieweit Langzeit-Remissionsraten bei diesem, noch sehr jungen Patienten, erreicht werden können.

! Herr Prof. Platzbecker, Herr Dr. Teipel, vielen Dank für das Gespräch.

Der Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von Janssen-Cilag GmbH.


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SYLVANT ist indiziert zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit multizentrischer Castleman-Krankheit (Multicentric Castleman’s Disease, MCD), die HIV (humanes Immundefizienz-Virus)-negativ und HHV-8 (humanes Herpesvirus-8)-negativ sind.


  • Literatur

  • 1 Aktuelle Sylvant®-Fachinformationen
  • 2 van Rhee F et al. Lancet Oncol 2014; 15: 966-974
  • 3 van Rhee F et al. EHA 2014; Poster 1209
  • 4 Wong RS et al. ASH 2014; Poster #4454
  • 5 van Rhee F et al. The Patient – Patient-Centered Outcome Research 2015; 8: 207-216
  • 6 van Rhee F et al. Oncotarget 2015; 6: 30408-30419

  • Literatur

  • 1 Aktuelle Sylvant®-Fachinformationen
  • 2 van Rhee F et al. Lancet Oncol 2014; 15: 966-974
  • 3 van Rhee F et al. EHA 2014; Poster 1209
  • 4 Wong RS et al. ASH 2014; Poster #4454
  • 5 van Rhee F et al. The Patient – Patient-Centered Outcome Research 2015; 8: 207-216
  • 6 van Rhee F et al. Oncotarget 2015; 6: 30408-30419

 
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Abb. 1 Zeit bis zum Versagen der Behandlung (mod. nach [ 2 ]).
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Abb. 2 Mittlere (SD) Hämoglobinkonzentration pro Behandlungszyklus. Z = Zyklus, T = Tag, BL = Baseline, SD = Standard Deviation (mod. nach [ 3 ]).