kma - Klinik Management aktuell 2017; 22(01): 24-29
DOI: 10.1055/s-0036-1594389
Klinikmanagement
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart

Manager des Jahres 2016: Ansgar Jonietz, Gründer und Chef von „Was hab’ ich?“

Kirsten Gaede
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Publication Date:
13 January 2017 (online)

 

    Viele Kranke verstehen ihre Befunde nicht. Seit Kurzem gibt es eine Lösung: Mit Hilfe ehrenamtlicher Medizinstudenten und Ärzte übersetzt das Start-up „Was hab’ ich?“ von Ansgar Jonietz Befunde in laienverständliche Sprache. So hilft das Unternehmen Patienten und fördert die kommunikativen Fähigkeiten der Mediziner – nicht zuletzt, weil es auch Uni-Kurse anbietet und soeben einen Patientenbrief entwickelt hat. Dieser wird sogar vom BMG gefördert, das sich von der Befundübersetzung großen volkswirtschaftlichen Nutzen verspricht.


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    Zur Person

    Das Interesse an Informatik keimte bei Ansgar Jonietz – gefördert durch seinen neun Jahre älteren Bruder – schon im Grundschulalter. Mit 15 meldete er dann in Bitburg, nahe seinem Heimatort Metterich, sein erstes Gewerbe an: „In Schulen betreute ich pädagogische Rechnernetze. Immer, wenn in der Region eine Schule einen neuen Computerraum bekam, habe ich sie vorher beraten, die Ausschreibung mit verfasst und den Computerraum am Ende eingerichtet.“ Sein erstes größeres Unternehmen, die Software-Firma „Netzmanufaktur“, gründete er 2010. Sie besteht noch heute; ihr hauptsächliches Produkt ist eine Software, mit der das Land Rheinland-Pfalz seine Studienseminare für Lehrer verwaltet. Die „Netzmanufaktur“ bildete auch die Basis für die ersten Schritte von „Was hab’ ich?“


    Jonietz, der gerade seinen Master in Gesundheitswissenschaften absolviert, bringt es Spaß, Dinge auszuprobieren: So baute er während der Flutkatastrophe 2013 in Dresden mit Johannes Bittner die Website fluddhilfe.de für Hilfswillige und -bedürftige auf. Außerdem hat Jonietz mit seinen Leuten von „Was hab’ ich?“ das Nebenprodukt „Was gab ich?“ eingerichtet, ein Erinnerungsservice für jeden, der etwas verliehen hat.

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    (Foto: Amac Garbe)

    Ein junges Start-up, dessen Zielgruppe ratlose, meist ältere und oft nicht besonders solvente Patienten sind – das wirkt wundersam. Wenn der 32-jährige Geschäftsführer außerdem äußert, er habe 2016 zwar durchfinanziert, wisse aber nicht, wo jetzt im Januar das Geld herkomme, dann wird aus Verwunderung schnell Kopfschütteln – zumal Ansgar Jonietz sich gern mit dem Satz zitieren lässt: „Wir sind nicht gewinnorientiert, sondern wirkungsorientiert.“ Die kostentechnisch hart geforderten Klinikmanager könnten so viel Nonchalance für eine Zumutung halten. Doch sie sollten sich nicht abwenden. Die Dienstleistung von „Was hab’ ich?“ ist eng verknüpft mit der Krankenhauswelt: mit Patientenkommunikation, Ergebnisqualität und mit Zuweiser-Marketing.

    Auf den ersten Blick wirkt die gemeinnützige GmbH wie ein typisches Start-up: Ansgar Jonietz und seine zehn Mitarbeiter arbeiten in der Dresdner Theaterstraße in einem hallenartigen Büroraum, der einst Kantine der Dresdner Bank war. Hier stehen Stehschreibtische, ein prominent platzierter Tischfußball, eine grüne Sitzecke, flache Regale, die als Raumteiler dienen, darauf Teller mit mundgerecht geschnittenen Apfel- und Möhrenstückchen und Schalen mit Paranüssen. Der Umgang ist freundlich-lässig, Händeschütteln nicht üblich.

    „Hier passiert etwas Disruptives“
    Doch der äußere Anschein täuscht: Hier wird nicht an der 4.551sten Health-App gebastelt – nein, hier rüttelt man am Informationsmonopol der Ärzte, es passiert etwas „Disruptives“, wie Alexander Schachtrupp, Mentor von Jonietz und Geschäftsführer der B.Braun Stiftung, es ausdrückt. Es geht darum, dass Patienten mit ihrem Arzt auf Augenhöhe sprechen können. „Jetzt nehme ich meine Tabletten regelmäßig“, „jetzt weiß ich endlich, was ich meinen Arzt fragen kann“ – so oder ähnlich lauten die Patientenreaktionen. Aus diesem persönlichen Nutzen ergibt sich letztlich auch ein volkswirtschaftlicher: Studien belegen, dass informierte Patienten Verordnungen und Empfehlungen des Arztes eher befolgen und bessere Heilungschancen haben.

    So erstaunt es nicht, dass Gesundheitsminister Hermann Gröhe auf seiner Sommerreise im August 2016 auch Ansgar Jonietz getroffen hat – mit Hinweis darauf, dass jährlich schätzungsweise zwischen 9 und 15 Milliarden Euro durch mangelhafte Arzt-Patienten-Kommunikation verlorengingen. Sein Ministerium fördert seither ein neues, weiterführendes Projekt von „Was hab’ ich?“: den Patientenbrief. Es handelt sich um einen Entlassbrief für Patienten, in dem Krankheit, Diagnostik, Therapie und Prävention je nach Indikation auf bis zu 15 Seiten ausführlich erklärt werden. „Das Projekt haben wir bereits die letzten Jahre zusammen mit der Klinikkette Paracelsus konzipiert und vorangetrieben. Die Datenschutzbeauftragten von drei Bundesländern waren involviert – das hat natürlich riesigen Spaß gemacht“, sagt Jonietz und lacht. In der Paracelsus-Klinik Bad Ems läuft seit knapp eineinhalb Jahren das Pilotprojekt. Und die TU Dresden evaluiert es gemeinsam mit Ansgar Jonietz. Der studierte Informatiker ist nicht nur als Geschäftsführer involviert, sondern auch Doktorand der medizinischen Fakultät an der TU Dresden im Bereich Allgemeinmedizin – sein Promotionsthema dort ist eben diese Evaluation.

    Der Patientenbrief wäre für „Was hab’ ich?“ eine Möglichkeit, mit der Befundübersetzung langfristig Geld zu verdienen. Denn in diesem Fall würden die Kliniken die Leistung finanziell honorieren. Die bisherige Kernzielgruppe, die Patienten, für die Befundübersetzung zahlen zu lassen – dagegen haben sich Jonietz und seine Co-Gründer Anja und Johannes Bittner gleich anfangs entschieden. Denn auch Patienten mit kleiner Rente oder anderen finanziellen Hemmnissen sollen den Service nutzen können. Erstmals wäre beim Patientenbrief eine Teilautomatisierung möglich. „Wir arbeiten bereits mit Textbausteinen. Trotzdem ist es noch ein relativ individuelles Dokument. Jetzt wollen wir noch stärker automatisieren und testen eine Komplettautomatisierung – das heißt, wir könnten in die Klinik einen Drucker stellen, aus dem die fertigen Patientenbriefe kommen“, erzählt Jonietz. Bisher erhalten Jonietz‘ Mitarbeiter den Arztbrief – sofern der Patient zugestimmt hat – elektronisch, datenschutzkonform zugestellt: Nach der Verarbeitung zu einer laienverständlichen Version schicken sie ihn dann per Post im Namen der Klinik an den Patienten.

    Über gewisse Einkünfte verfügt „Was hab’ ich?“ jetzt schon: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung schießt jährlich 50.000 Euro hinzu, auch die Stiftung Gesundheitswissen des PKV-Verbands erwägt eine langfristige Unterstützung. Eine solide Summe in die Kasse gespült hat bereits der Befunddolmetscher, den die Dresdner im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung als Angebot der Weissen Liste erarbeitet haben – mit seinen 10.000 Artikeln und 250.000 Besuchern pro Monat ein enormer Erfolg. Ebenso hat „Was hab’ ich?“ für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) die Impf-Informationen sprachlich überarbeitet. Der AOK Bundesverband unterstützt das Start-up ebenfalls regelmäßig. „Er hat zum Beispiel eine Nutzer-Befragung finanziert, um unseren Service weiter zu verbessern“, erzählt Jonietz. Hinzu kommen Spenden von Patienten: „Im Mittel überweist uns ein Drittel durchschnittlich 21 Euro im Nachhinein.“

    Win-win-Situation für Studenten
    Der wichtigste Beitrag aber kommt von den Medizinstudenten und Ärzten, die ehrenamtlich jährlich die rund 5.000 per Mail eingereichten Befunde übersetzen. Zurzeit sind es über 100 Ehrenamtliche, vier bis fünf Stunden brauchen sie im Schnitt pro DIN-A-4-Seite des Originaldokuments. „Es ist für sie jedoch eine Win-win-Situation, denn sie entwickeln bei uns ein Bewusstsein für ihre Fachsprache“, erklärt Ansgar Jonietz. „Diesen Ausbildungseffekt betrachten wir sogar als den nachhaltigeren Teil unserer Arbeit: Der Mediziner, den wir einmal für das Thema sensibilisiert haben, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die nächsten 40 Jahre bessere Patientengespräche führen können.“ Inzwischen bietet „Was hab’ ich?“ an den medizinischen Fakultäten in Hamburg und Dresden auch Kommunikationskurse für Medizinstudenten an und sichert damit eine weitere Einnahmequelle.

    Wer Jonietz erzählen hört, vergisst, dass er Informatiker ist. Er scheint getrieben von der Idee, die Arzt-Patienten-Kommunikation zu verbessern. Tief bohrt er sich in die Themen ein, weist daraufhin, dass Marburger Bund, Bundesärztekammer und Hartmannbund die Arbeit von „Was hab’ ich?“ begrüßen und sich „Einweiser positiv über den Patientenbrief geäußert haben“. Auch dürfe man das politische Gewicht des Patientenbriefs nicht unterschätzen: Er sei schließlich Bestandteil im Entwurf des Patientenrechtegesetzes gewesen. Auf Software und Hardware kommt Jonietz, der ein halbes Dutzend „Jugend-forscht-Preise“ gewonnen hat, selten zu sprechen. Seine IT-Kenntnisse seien nur Mittel zum Zweck. Der geborene Pfälzer könnte vermutlich in jedem größeren Software-Unternehmen besser verdienen. „Sicherlich, schon als Freiberufler habe ich doppelt so viel bekommen wie jetzt. Aber ich habe das sehr bewusst beendet, um mehr Zeit für ‚Was hab’ ich?‘ zu haben – weil es einfach großen Spaß macht.“

    Begründung der Jury

    Patienten können sich heute in Internet-Foren austauschen und finden im Netz, in Laien-Seminaren, Zeitschriften und Sachbüchern jede Menge Information über ihre Krankheit. Doch sobald sie mit ihren eigenen Befunden konfrontiert werden – etwa Laborwerten, radiologischen, sonografischen, zytologischen oder elektrokardiografischen Befunden – helfen ihnen alle diese Quellen meistens nicht weiter. Diesem Informationsdefizit begegnet Ansgar Jonietz mit seinem gemeinnützigen Unternehmen „Was hab’ ich?“ auf einmalige Weise: Ehrenamtlich übersetzen zurzeit rund hundert Medizinstudenten und Ärzte die per Mail eingesandten Befunde der Patienten in eine laienverständliche Sprache innerhalb weniger Tage, insgesamt sind es seit 2011 rund 1.500 gewesen. Die hohe Rückmeldequote der Patienten von 90 Prozent bestätigt: Die Dienstleistung von „Was hab’ ich?“ hilft Patienten, ihre Krankheit besser zu verstehen und dem Arzt die richtigen Fragen zu stellen. Diverse Studien haben gezeigt, dass eine solche Informiertheit häufig das Behandlungsergebnis verbessert.

    Darüber hinaus ist „Was hab’ ich?“ ein Meilenstein für die Arzt-Patienten-Kommunikation: Das Unternehmen bildet seit seiner Gründung 2011 Hunderte von zumeist jungen Befundübersetzern aus, die das Gelernte auch in ihrer beruflichen Praxis umsetzen werden.

    Beeindruckend ist, dass Ansgar Jonietz exakt die richtigen Schritte unternimmt, um „Was hab’ ich?“ zu Öffentlichkeit und Anerkennung zu verhelfen. So hat der Deutsche Ärztetag 2015 einstimmig eine ideelle Unterstützung von „Was hab’ ich?“ beschlossen, und auch mit dem Marburger Bund und dem Hartmannbund bestehen gute Kontakte. Nicht zuletzt zählen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und sein Vorgänger Daniel Bahr sowie der Kabarettist und Arzt Eckart von Hirschhausen zu den „Botschaftern“ des Dresdner Unternehmens. Das bedeutet: Sie tragen dessen Anliegen „aktiv weiter“, wie Jonietz es formuliert. Nicht zuletzt hat „Was hab’ ich?“ diverse Preise erhalten – den Initiativpreis Deutsche Sprache (2012), den seif Award (Kategorie Prevention) der Schweizer „Social Entrepreneurship Initiative & Foundation“, den Preis Generation-D und den startsocial-Bundespreis, der unter der Schirmherrschaft von Angela Merkel jährlich an sieben soziale Initiativen vergeben wird.

    Zur Jury gehören: Axel Ekkernkamp (Herausgeber kma), Florian Gerster (Herausgeber kma), Michael Emmrich (Club der Gesundheitswirtschaft), Christoph Hirschfeld (Thieme Verlag), Kirsten Gaede (Chefredakteurin kma). Außerdem werden jedes Mal zwei Gast-Juroren eingeladen – dieses Mal waren es Joachim Prölß, Manager des Jahres 2015 und Direktor für Patienten- und Pflegemanagement am UKE, und Jonas Schreyögg, Wissenschaftlicher Direktor des Hamburg Center for Health Economics und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

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    (Fotos: Amac Garbe)
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    Entdecker einer Marktlücke: „Die Nachfrage nach Befundübersetzungen ist deutlich höher als das, was unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter tatsächlich bewältigen können“, sagt Ansgar Jonietz, der hier im Büro von „Was hab’ ich?“ in der Dresdner Theaterstraße zu sehen ist.(Fotos: Amac Garbe)
    „Wir haben es einfach mal ausprobiert“

    Die Gründung von „Was hab’ ich?“ im Januar 2011 war geprägt von Leichtigkeit. In vier Tagen hat Ansgar Jonietz zusammen mit seinen Freunden Anja und Johannes Bittner die Website von „Was hab’ ich?“ aufgebaut. Dafür brauchten sie kein Startkapital, keine Marktanalyse und keinen Businessplan. Die gute Idee allein reichte: „Meine Freunde Anja und Johannes Bittner, beide damals Medizinstudenten, wurden immer wieder von Familienmitgliedern und Bekannten gebeten zu erklären, was der Arzt ihnen gesagt oder aufgeschrieben hatte. Johannes Bittner war unternehmerisch und an Onlineprojekten interessiert. So haben wir es einfach mal ausprobiert. Was juristisch zu bedenken ist und ob wir mit der Ärztekammer Kontakt aufnehmen müssen – das alles haben wir zunächst ausgeblendet. Wenn wir uns damit vorher beschäftigt hätten, hätten wir nie angefangen“, meint Jonietz.

    Anja Bittner wurde 2012 für „Was hab’ ich?“ sogar mit dem Goldenen Bild der Frau ausgezeichnet. Doch sie und ihr Mann Johannes sind inzwischen ausgestiegen. Heute gehören zu „Was hab’ ich?“ neben Geschäftsführer Ansgar Jonietz eine Kommunikationswissenschaftlerin, drei Vollzeit-Ärzte, zwei Softwareentwickler, die je 20 Stunden arbeiten, und vier studentische Hilfskräfte.


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    (Foto: Amac Garbe)
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    (Fotos: Amac Garbe)
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    Entdecker einer Marktlücke: „Die Nachfrage nach Befundübersetzungen ist deutlich höher als das, was unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter tatsächlich bewältigen können“, sagt Ansgar Jonietz, der hier im Büro von „Was hab’ ich?“ in der Dresdner Theaterstraße zu sehen ist.(Fotos: Amac Garbe)