kma - Klinik Management aktuell 2017; 22(06): 28-29
DOI: 10.1055/s-0036-1594634
Politik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart

Interview mit Staatssekretär Karl-Josef Laumann: Patienten sind keine Bittsteller

Sabine Rößing
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Publication Date:
01 June 2017 (online)

 

    Rechtlich haben Patienten in Deutschland einen schweren Stand, denn ihre direkte Mitwirkung an wichtigen Entscheidungen ist im selbstverwalteten Gesundheitssystem und seinen Gremien kaum vorgesehen. Staatssekretär Karl-Josef Laumann, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Patienten, stellte sich den Fragen der kma zu Patienteninteressen und zur Wirkung des sogenannten Patientenrechte-Gesetzes.


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    Staatssekretär Karl-Josef Laumann ist der Meinung, dass ein selbstbewusstes Gesundheitssystem keine Angst davor haben muss, dass Patientenvertreter mitentscheiden, wenn über Patientenrechte diskutiert und entschieden wird. Hier sollte man seiner Meinung nach auch in der Selbstverwaltung mehr Mut haben.(Foto: privat)

    Herr Laumann, wie beurteilen Sie allgemein die Stellung von Patienten im deutschen Gesundheitswesen?

    Die Patienten erwarten zu Recht, dass sich unser Gesundheitssystem an ihrem Wohl orientiert. Hier hat sich nicht zuletzt durch das Patientenrechtegesetz und das Versorgungsstärkungsgesetz in den vergangenen Jahren schon einiges zum Besseren entwickelt. Aber klar ist auch: Es ist noch längst nicht alles Gold, was glänzt.

    Verfügen Patienten oder deren Vertreter hierzulande über wirklichen Einfluss? Wo sehen Sie Defizite?

    Wir haben die Patientenbeteiligung in dieser Legislatur erheblich ausgeweitet: So haben Patientenvertreter inzwischen z.B. ein Mitberatungs- und Antragsrecht im Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses. Genauso haben wir gesetzlich festgelegt, dass dem Beirat der Unabhängigen Patientenberatung Vertreter der Patientenorganisationen angehören müssen. Und: Wir haben erstmals überhaupt auch Beteiligungsrechte in der Pflege verankert. Diesen Weg sollten wir in Zukunft konsequent weitergehen. Grundsätzlich finde ich, dass überall, wo über Patientenrechte diskutiert und entschieden wird, Patientenvertreter auch mitentscheiden müssen. Ein selbstbewusstes Gesundheitssystem muss davor überhaupt keine Angst haben.

    Welche messbaren Fortschritte brachte in diesem Zusammenhang das Patientenrechtegesetz?

    Mal abgesehen von vielen wichtigen rechtlichen Einzelregelungen: Wir haben damit einen Mentalitätswandel erreicht. Es ist damit ganz klar das Zeichen gesetzt worden: Patienten sind keine Bittsteller, die vom guten Willen der Ärzte und Krankenkassen abhängig sind. Nein, sie sind der zentrale Dreh- und Angelpunkt unseres Gesundheitssystems, die mit Leistungserbringern und Krankenkassen auf Augenhöhe agieren müssen. Eine von mir in Auftrag gegebene Studie zu den Wirkungen des Patientenrechtegesetzes hat gezeigt, dass Patienten – auch wenn es in einigen Bereichen noch Handlungsbedarf gibt – inzwischen alles in allem gut über ihre Rechte und Pflichten Bescheid wissen. Sie nehmen ihre Rechte auch deutlich selbstbewusster wahr. Das zeigt sich z. B. sehr konkret daran, dass Patienten immer mehr Fälle anzeigen, in denen sie einen Behandlungsfehler vermuten.

    Wie fällt Ihre eigene Bilanz aus?

    Wir haben in dieser Legislatur vieles auf den Weg gebracht, um die Patientenrechte zu stärken: Wir haben die Fördermittel für die Unabhängige Patientenberatung von 5,2 auf 9 Mio. Euro pro Jahr erhöht. Wir haben die Lücke bei der Krankengeldzahlung geschlossen und den Krankenkassen klare Grenzen beim Krankengeldfallmanagement gesetzt. Wir haben Versorgungslücken beim Entlassmanagement der Krankenhäuser beseitigt, dafür gesorgt, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen die Terminservicestellen eingerichtet haben, und noch vieles mehr. Meine Bilanz ist daher sehr positiv. Was nicht heißt, dass nicht noch einiges zu tun ist.

    Welches zentrale Thema in Bezug auf Patienteninteressen sehen Sie für die kommende Wahlperiode?

    Ich denke, die Aufwertung nicht ärztlicher Gesundheitsberufe wird ein wichtiges Thema werden. Patienten können davon sehr profitieren, wenn beispielsweise Physiotherapeuten, Ergotherapeuten oder Pflegekräfte noch stärker in die Versorgungsverantwortung einbezogen werden. Die Übernahme bestimmter ärztlicher Leistungen durch die nicht ärztlichen Gesundheitsberufe birgt meines Erachtens ein großes Potenzial.

    Die Medizin tut sich in Deutschland immer noch schwer mit einer strukturierten Kommunikation mit ihren Patienten: Qualitätsberichte von Krankenhäusern sind schwer lesbare Zahlenfriedhöfe, in vielen deutschen Krankenhäusern obliegt die Vertretung von Patientenanliegen noch immer ehrenamtlichen Mitarbeitern oder auch einem „Patienten-Fürsprecher“: Was müsste sich ändern?

    Es ändert sich ja bereits einiges: Mit dem Krankenhausstrukturgesetz haben wir dafür gesorgt, dass die Qualitätsberichte deutlich besser werden müssen. Sie müssen künftig einen Teil enthalten, der für die Patienten verständliche Informationen zur Qualität gibt – v. a. zur Patientensicherheit, zur Einhaltung der Hygienestandards und zur Personalausstattung der Fachabteilungen. Und was die Patientenfürsprecher anbelangt, möchte ich hier ganz klar betonen: Sie leisten einen wichtigen Beitrag für eine Verbesserung der Krankenhausversorgung, indem sie Ansprechpartner für die Anliegen der Patienten sind und diese gegenüber den Krankenhäusern vertreten. Deshalb veranstalte ich auch jedes Jahr den Berliner Tag der Patientenfürsprecher.

    Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe versucht, die Selbstverwaltung zu reformieren. Dabei geht es ihm v. a. um Kontrolle und Transparenz in Bezug auf deren Organe: Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten des sog. GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes mit Blick auf die Interessen von Patienten und Beitragszahlern?

    Es sind die Versicherten und Patienten, die mit ihren Beiträgen überhaupt erst dafür sorgen, dass wir ein sehr gutes Gesundheitssystem haben. Sie haben daher vollkommen zu Recht auch den Anspruch auf größtmögliche Transparenz der Selbstverwaltung. Dazu zählen natürlich insbesondere auch funktionierende Kontrollmechanismen. Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz sorgen wir dafür, dass diese auch tatsächlich funktionieren, was selbstverständlich im Interesse der Patienten ist.

    Sollten Patientenvertretungen ihre natürliche Scheu von einer Zusammenarbeit mit der Industrie ablegen?

    Ich sehe das mit gemischten Gefühlen. Zum einen ist klar, dass es ohne die Industrie kein funktionierendes Gesundheitswesen geben kann. Ohne die Industrie gäbe es z. B. Innovationen nicht in dem Maße, wie wir sie haben. Auf der anderen Seite müssen Patientenvertretungen allerdings aufpassen, dass sie sich nicht mit viel Geld vor einen bestimmten Karren spannen lassen. Darum halte ich eine gesunde Skepsis in der Zusammenarbeit für richtig.

    Der Medizinische Dienst der Krankenkassen soll Abrechnungsfehler und Manipulationen aufspüren. Tatsächlich empfinden ihn Kritiker zunehmend auch als verlängerten Arm der Krankenkassen in der Durchsetzung von Sparzielen. Sie fordern eine größere fachliche und finanzielle Unabhängigkeit des MDK: Unterstützen Sie solche Forderungen?

    Auch ich werde von Versicherten immer wieder mit dieser Einschätzung konfrontiert. Deshalb will ich es gerne mal so formulieren: Wir müssen uns Gedanken darüber machen, ob an dieser Einschätzung wirklich etwas dran ist und ob sich Handlungsbedarf zeigt.

    Interview: Sabine Rößing


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    Staatssekretär Karl-Josef Laumann ist der Meinung, dass ein selbstbewusstes Gesundheitssystem keine Angst davor haben muss, dass Patientenvertreter mitentscheiden, wenn über Patientenrechte diskutiert und entschieden wird. Hier sollte man seiner Meinung nach auch in der Selbstverwaltung mehr Mut haben.(Foto: privat)