Suchttherapie 2017; 18(S 01): S1-S72
DOI: 10.1055/s-0037-1604544
Symposien
S-11 Neuro-kognitive Faktoren bei Entwicklung und Aufrechterhaltung der Alkoholabhängigkeit
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Dysfunktionales Lernen und Alkoholgebrauchsstörungen: Pavlovian-to-Instrumental-Transfer bei jungen sozialen Trinkern und langjährig alkoholabhängigen Patienten

C Sommer
1   Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
,
M Garbusow
2   Charité – Universitätsmedizin Berlin
,
S Nebe
3   Technische Universität Dresden
,
M Sebold
2   Charité – Universitätsmedizin Berlin
,
S Kuitunen-Paul
3   Technische Universität Dresden
,
HU Wittchen
3   Technische Universität Dresden
,
M Smolka
3   Technische Universität Dresden
,
MA Rapp
4   Universität Potsdam
,
QJM Huys
5   Universität Zürich
,
F Schlagenhauf
6   Max Planck Institute for Human Cognitive and Brain Sciences
,
A Heinz
2   Charité – Universitätsmedizin Berlin
,
US Zimmermann
1   Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
08 August 2017 (online)

 
 

    Einleitung:

    Pawlowsche Kontextreize können Entscheidungen beeinflussen und Verhalten steuern. Dies kann als Teil dysfunktionaler Lernvorgänge ein Risikofaktor für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Alkoholkonsumstörungen sein. Experimentell lässt sich dieser Prozess mittels Pavlovian-to-Instrumental-Transfer-Aufgaben (PIT) abbilden, welche den Einfluss von konditionierten Kontextreizen auf instrumentell gelerntes Verhalten messen (PIT-Effekt). Wir untersuchten, ob 1.) die Stärke des PIT-Effekts mit dem Trinkverhalten bei jungen Erwachsenen assoziiert ist (prädisponierender Risikofaktor), ob 2.) sich die Stärke des PIT-Effekts zwischen alkoholabhängigen Patienten und Kontrollen unterscheidet und ob 3.) dieser Einfluss mit Rückfällen von Patienten assoziiert ist (aufrechterhaltender Risikofaktor).

    Methodik:

    Untersucht wurden zwei Stichproben: 18-jährige Hoch- und Niedrigrisikotrinker sowie alkoholabhängige Patienten und alters- und geschlechtsgematchte Kontrollen. Alle Probanden wurden zu ihrem Trinkverhalten befragt und bearbeiteten eine PIT-Aufgabe im MRT Scanner. Während des instrumentellen Trainings erhielten Probanden Geldgewinne bei korrekter Reaktion auf positive und negative Stimuli bzw. Geldverluste bei falscher Reaktion. Als verhaltensmodifizierende Hintergrundreize wurden abstrakte Bilder präsentiert, die unmittelbar zuvor gemäß Pavlov mit Geldgewinnen/-verlusten konditioniert worden waren. Alkoholabhängige Patienten und gematchte Kontrollprobanden bearbeiteten zudem eine Delay Discounting Aufgabe zur Erfassung impulsiven Entscheidungsverhaltens. Im Anschluss wurde der Alkoholkonsum von Patienten über einen Nachuntersuchungszeitraum von 1 Jahr erfasst.

    Ergebnisse:

    In der Kohorte von 18-jährigen sozialen Trinkern zeigten Hochrisikotrinker einen verstärkten PIT-Effekt mit neuronalem Korrelat im der Amygdala. In der Stichprobe der alkoholabhängigen Patienten und gematchten Kontrollprobanden zeigten sich signifikant stärkere PIT-Effekte bei Patienten im Vergleich zu Kontrollprobanden. Dies galt insbesondere für hochimpulsive Patienten. Im Nachuntersuchungszeitraum rückfällige Patienten zeigten ein stärkeres neuronales Korrelat des PIT-Effekts im Nucleus Accumbens im Vergleich zu abstinenten Patienten.

    Schlussfolgerung:

    Der stärkere Einfluss von konditionierten Kontextreizen bei Hochrisikotrinkern in der Kohorte der 18-jährigen sozialen Trinker deutet darauf hin, dass die Anfälligkeit für den Einfluss verhaltensmodifizierender Kontextreize ein prädisponierender Risikofaktor bei der Entstehung problematischer Alkoholkonsummuster darstellen kann. Die stärkeren PIT-Effekte bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit im Vergleich zu Kontrollen sowie die stärkere neuronale Aktivierung rückfälliger im Vergleich zu abstinenten Patienten lassen zudem vermuten, dass dysfunktionale Lernmechanismen auch bei der Aufrechterhaltung von Alkoholkonsumstörungen eine wichtige Rolle spielen und somit stärker in der Therapie berücksichtigt werden sollten.


    #