Geburtshilfe Frauenheilkd 2018; 78(01): 83-92
DOI: 10.1055/s-0038-1625063
Abstracts
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mythen zu Sterilität und Reproduktionsmedizin

H Kentenich
1   GGGB, Berlin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
11. Januar 2018 (online)

 
 

    Wie in allen Bereichen der Medizin gibt es auch zu Sterilität und Reproduktionsmedizin einige Mythen, die sich über Jahre verfestigt haben.

    So ist ein Mythos, dass das Hauptproblem die ungewollte Kinderlosigkeit sei. Aktuelle Untersuchungen (Wippermann C. Delta-Studie ... 2014/2015) zeigen aber, dass von den kinderlosen Frauen etwa 75% gewollt kinderlos sind. Das gleiche trifft auch für die Männer zu, die keine Kinder gezeugt haben.

    Hartnäckig hält sich der Mythos, dass Frauen, die schließlich adoptieren, „plötzlich“ spontan schwanger werden. In Untersuchungen zu den Schwangerschaftsraten derjenigen Gruppe, die Kinder wünschten, „ohne das Ziel der Adoption“ und derjenigen Gruppe, die Kinder wünschten „mit dem Ziel der Adoption“, gab es eine gleich hohe spontane Schwangerschaftsrate. Die Adoption löst also keinen „Knoten im Kopf“, der vorher angeblich bestand.

    Ein weiterer Mythos betrifft den Stress der IVF-Behandlung und den Erfolg einer Schwangerschaft. Der Mythos hält sich, dass Stress den IVF-Erfolg negativ beeinflusst. Meta-Analysen zeigen aber, dass die Schwangerschaftsrate gleich ist bei denjenigen, die sich stark gestresst gefühlt haben und bei denjenigen, die sich nicht stark gestresst gefühlt haben vor und beim IVF-Versuch.

    Viele Mythen ranken sich um die Corpus luteum Phase. Es gibt aber bezüglich der Corpus luteum Phase keinen eindeutigen diagnostischen Test, um eine Corpus luteum Insuffizienz festzustellen, weder mit Basaltemperaturen noch mit dem Progesteron-Level im Serum. Auch eine Progesteron-Unterstützung in der Lutealphase ist nicht sinnvoll. Eine Ausnahme ist lediglich die Corpus luteum Phase bei künstlicher Befruchtung. Eine Behandlung der Lutealphase, um die Schwangerschaftsraten im natürlichen unstimulierten Zyklus zu erhöhen, ist nicht notwendig.

    Auch eine Endometriumbiopsie wird nicht empfohlen für die Diagnostik einer Corpus luteum-Insuffizienz.

    Schließlich gibt es einen hartnäckigen Mythos, dass man bei rezidivierenden Aborten auf Thrombophilien untersuchen soll und diese dann mit Aspirin und/oder Heparin behandeln sollte.

    Mittlerweile gibt es zwei Studien (Kaandorp et al. SP et al. NEJM 2010; 362: 1586 – 96; Schleussner et al. Ann Intern Med 2015, 162:601 – 609), die zeigen, dass bei rezidivierenden Aborten die Schwangerschaftsraten in den verschiedenen Gruppen (inklusive Kontroll-/Placebogruppe) gleich ist, so dass ein Effekt einer Heparin-Gabe nicht gegeben ist.

    Fazit: Viele Mythen und Probleme der Über- und Fehlversorgung.


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