Gynäkologische Grenzfragen brechen fachlich-medizinisch sowie ethisch auf. Ihre Bewertung
hängt auch von nationalen Traditionen ab. Fachlich partizipiert die Gynäkologie an
Grenzproblemen, denen sich die Hochleistungsmedizin generell zu stellen hat: pragmatisch
Grenzen des medizinisch Erreichbaren etwa in der Tumortherapie; prognostisch Grenzen
der Einschätzung von Behandlungsverläufen. Ethisch ist relevant, dass Patientinnen
und Ärzte auf Grenzen ihrer subjektiven Urteilskraft stoßen können. Im Sinn des Philosophen
Karl Jaspers ist dann von schicksalhaften „Grenzsituationen“ zu sprechen. In solchen
Fällen ist ein substanzieller Dialog zwischen Ärzten, der Patientin, Angehörigen,
anderen Betroffenen und den Pflegenden geboten. Für die letztliche Entscheidung hat
die Perspektive der Patientin den Ausschlag zu geben. Im heutigen Pluralismus ist
zu beachten, dass die persönliche Sicht aller Beteiligten soziokulturell bedingt und
geprägt ist. Im Problemfall, z.B. bei religiösen Vorurteilen oder kulturell bedingtem
Paternalismus, ist kritische Aufarbeitung vonnöten. – Im Vergleich zu anderen Zweigen
der Medizin weist die Frage nach „Grenzen“ in der Gynäkologie noch eine Besonderheit
auf. Gegebenenfalls sind nicht nur Interessen der Patientinnen, sondern von Dritten
zu berücksichtigen, die sich selbst noch nicht äußern können, nämlich Kinder. Dies
betrifft den Schwangerschaftsabbruch und ist für Fortpflanzungsmedizin sowie Neonatologie
als Nachbargebiete der Gynäkologie wichtig. Fortpflanzungsmediziner dürfen nicht jeden
Behandlungswunsch erfüllen. Vielmehr haben sie Grenzen zu ziehen, sofern das physische
oder psychosoziale Wohl von Kindern, die mit ihrer Assistenz erzeugt werden sollen,
gefährdet erscheint. In Grenzfällen der Neonatologie sollte sich die Entscheidung
der Eltern an dem vermuteten Interesse des Kindes selbst orientieren, das bereits
geboren ist. – Ein international erörtertes Grenzthema, speziell der Gynäkologie,
ist der seltene Fall, ob nach dem Hirntod einer Frau die Schwangerschaft aufrechterhalten
werden soll. Vorgeburtlicher Lebensschutz darf hierbei nicht absolut gesetzt werden.
Belangvoll sind die nachwirkenden Persönlichkeitsrechte der Hirntoten. Ohne oder gar
gegen ihren erklärten oder vermuteten Willen ist eine solche Handlungsoption äußerst
kritisch zu beurteilen.