Unter Insomnien leiden 10 – 30% der Gesamtbevölkerung; Frauen sind doppelt so häufig
wie Männer betroffen [1]. Da Schlafstörungen mit reduzierter Lebensqualität, erhöhtem
Morbiditäts- (kardio-metabolische und psychiatrische Erkrankungen) und Mortalitätsrisiko
einhergehen, ist Handlungsbedarf angezeigt [2]. Synthetische Schlafmittel zeichnen
sich durch vielfältige Nebenwirkungen aus [1]. Eine gut verträgliche, auch langfristig
anwendbare Alternative zur Insomnie-Therapie bieten Phytopharmaka, z.B. Extrakte aus
Baldrian (BE), Hopfen (HE) und Melisse (ME) [1]. Als Vielstoffgemische haben sie zudem
den Vorteil, gleich mehrere Targets zu bedienen, welche die Schlafregulation beeinflussen.
BE wirkt agonistisch am Adenosin-A1-Rezeptor, hemmt die Adenosin-Wiederaufnahme und fördert so die Schlafeinleitung [1,
3, 4]. Die Wiederaufnahmehemmung und verstärkte Freisetzung von Gamma-Aminobuttersäure
(GABA) durch BE sowie dessen Bindung am GABAA-Rezeptor führen zu einer Arousalhemmung, die sich in beruhigenden, schlaffördernden
und angstlösenden Effekten äußert [1, 3]. BE bzw. dessen Lignane binden auch an Serotonin
(5-HT)5a und 5-HT1a-Rezeptoren, die eine Rolle bei der Schlafeinleitung und Angstreaktionen spielen [1,
3]. BE interagiert zudem mit Glutamatrezeptoren, was sedierende, anxiolytische und
neuroprotektive Wirkungen erklären kann [3, 5]. HE aktiviert Melatonin (ML)1 und ML2-Rezeptoren, die für die zirkadiane Rhythmik und Schlafinduktion relevant sind [1,
6]. HE-Inhaltsstoffe binden und modulieren die Sedation und Anxiolyse vermittelnden
GABAA-Rezeptoren [1, 6, 7]. HE bindet auch an 5-HT6-Rezeptoren, die eine Rolle bei Depressionen, Schlafstörungen und kognitiven Prozessen
spielen [1, 8]. ME hemmt die GABA-Transaminase, was zu erhöhten GABA-Spiegeln führt
[1, 9]. Auch am GABAA-Rezeptor erweist sich ME als aktiv [1]. ME inhibiert zusätzlich die Acetylcholin
(ACh)-Esterase und bindet an nikotinerge und muskarinerge ACh-Rezeptoren, was sich
kognitionsfördernd auswirkt [1, 9, 10]. BE, HE und ME wirken zudem antioxidativ und
antiinflammatorisch [4, 7, 10]. Dies könnte zu den positiven Effekten der Phytopharmaka
beitragen, da entzündliche Vorgänge in die Genese von Schlafstörungen und deren Folgeerkrankungen
involviert sind [2, 11].
BE, HE und ME greifen an verschiedenen Zielstrukturen an, die beruhigende und schlaffördernde
Effekte vermitteln. Kombinationen daraus erweitern das Multitargeting nochmals. Klinisch
bessern sich hierdurch Ein- und Durchschlafstörungen, Schlafqualität, nervöse Unruhe
und Angstsymptome, Erschöpfung, kognitive Beeinträchtigungen und psychosomatische
Begleitsymptome [1]. So erweisen sich Phytopharmaka im Vergleich zu synthetischen
Schlafmitteln nicht nur als verträglicher, sondern werden auch der komplexen Ätiologie
von Schlafstörungen und deren Komorbiditäten besser gerecht.
Literatur:
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