Schlüsselwörter
Hepatitis C - Sekundärdaten - HCV-Therapie - Prävalenz - Versorgungsforschung
Keywords
Hepatitis C - HCV-Therapy - sickness fund - claims data - Outcome-Research
Einleitung
Die Hepatitis C wird durch das Hepatitis-C-Virus (HCV) ausgelöst. Die akute HCV-Infektion
verläuft überwiegend symptomarm und geht in 50–85 % der Fälle in eine chronische Infektion
über [12]. Die chronische HCV-Infektion ist eine der häufigsten Ursachen für chronische Lebererkrankungen
[3], [9], [14] und notwendige Lebertransplantationen in Europa [14]. Unbehandelt führt sie zur Leberzirrhose mit einem hohen Risiko für ein hepatozelluläres
Karzinom (HCC).
Die hohe genetische Variabilität des HCV (7 Genotypen mit bis zu 67 Subtypen [15]) erschwert die Entwicklung von Schutzimpfungen und von kausalen, medikamentösen
Therapien. Bislang basierte die Standardtherapie auf Interferon. Interferon alpha
wurde als Monotherapie eingesetzt. Pegyliertes Interferon wurde sowohl alleine als
auch in Kombination mit Ribavirin verwendet [12] (im Folgenden als pegInterferon / Ribavirin bezeichnet). Im Jahr 2011 wurden Telaprevir
(INCIVO®) und Boceprevir (Victrelis®) als neue direkt antivirale Medikamente (DAM) gegen das HCV Genotyp 1 zugelassen
[5],[7]. Telaprevir und Boceprevir sind HCV-Proteasehemmer, die in Kombination mit pegInterferon / Ribavirin
gegeben werden müssen. Die interferonbasierte Therapie ist nicht für alle Patienten
geeignet [6]. Seit dem Jahr 2014 sind mit
Sofosbovir (Sovaldi®), Simeprevir (Olysio®), Ledipasvir / Sofosbovir (Harvoni®), Daclatasvir (Daklinza®), Paritaprevir / r, Ombitasvir (Viekirax®) und Dasabuvir (Exviera®) [4] weitere DAM zugelassen worden, die in Kombination ohne Interferon eingesetzt werden
können, so dass wir einen Paradigmenwechel in der Therapie der chronischen Hepatitis
C mit hohen Heilungsraten erleben werden [2]. Daher wird es umso wichtiger, möglichst viele Patienten effizient zu behandeln,
bevor es bei ihnen zu Leberzirrhosen oder hepatozellulären Karzinomen kommt [18].
HCV-Infektionen müssen an das Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet werden. In die Statistik
werden alle neu diagnostizierten HCV-Infektionen aufgenommen [9]. Dennoch ist die Primärdatenlage zur Epidemiologie und Versorgungssituation der
Hepatitis C in Deutschland generell unbefriedigend. Das RKI gibt eine Prävalenz in
Höhe von 0,4 % an [9]. Bei Blutspendern liegt der Wert deutlich niedriger [8], während groß angelegte Untersuchungen in Notfallambulanzen eine Prävalenz deutlich
oberhalb von 0,6 % melden [16]. Zudem muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Als ergänzende Datenquelle
bieten sich Sekundärdaten, d. h. Krankenkassendaten, an. Mit ihnen lässt sich beurteilen,
ob die an sich effektiven Therapien die Patienten erreichen und sie im Gesundheitssystem
effizient eingesetzt werden.
Das Ziel dieser Arbeit war es Krankenkassendaten auszuwerten und die Anzahl Personen
zu ermitteln, die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wegen einer
HCV-Infektion erhalten haben. Es wurden demografische Daten wie Alter und Geschlecht
untersucht. Des Weiteren wurden Daten zur Therapie, Verordnungsdauer und Einhaltung
der Viruslastkontrollen bei Behandlung ermittelt und in Abhängigkeit von der Spezialisierung
der Ärzte ausgewertet.
Methodik
Es wurden Datenbanken mit unterschiedlichen Schwerpunkten ausgewertet (▶[Tab. 1]).
Tab. 1
Analyseparameter und Häufigkeiten der HCV Diagnosen in den Datenbanken
Datenquelle
Jahr
Versicherte mit
|
D-to-D
2008
N = 1 193 464 (%)
|
TG 2007–2009
N = 1 770 532 (%)
|
TG
2010
N = 2 500 195 (%)
|
D-to-D = Data to Decision; TG = Team Gesundheit: n. u. = nicht untersucht
|
HCV Diagnose n
|
2628 (0,22)
|
3281 (0,19)
|
3127 (0,13)
|
Davon akut
|
791 (0,07)
|
1618 (0,09)
|
716 (0,03)
|
Davon chronisch
|
1837 (0,15)
|
2456 (0,14)
|
2411 (0,10)
|
Davon akut und chronisch
|
n. u.
|
793 (0,04)
|
n. u.
|
Beide Datenbanken basieren auf den Daten von verschiedenen bundesweit agierenden und
nicht-fusionierten gesetzlichen Krankenkassen (▶ [Tab. 1]). Die Patientenzusammensetzung von D-to-D entsprach in der Alters- und Geschlechtsverteilung
den Patienten aller gesetzlicher Krankenkassen (GKV). In der Stichprobe von TG waren
jüngere Versicherte stärker vertreten als in der GKV-Gesamtheit: besonders die Anteile
der Altersgruppen von 20 bis 44 Jahren wichen bis zu 3 % ab. Der Frauenanteil war
mit ca. 52 % im Vergleich zur GKV mit 53 % geringer.
In den Datenbanken wurden Personen mit mindestens einer ambulant oder stationär gesicherten
HCV-Infektion (Kürzel „G“) anhand des ICD-10-WHO-Kodes identifiziert:
Die Therapiedauer wurde nur für Patienten ermittelt, deren erste Verordnung von Ribavirin
und pegInterferon frühestens aus dem ersten Quartal und spätestens aus dem vierten
Quartal des Jahres 2008 stammte. Für die ausgewählten Patienten wurde sichergestellt,
dass 12 Monate vor der ersten Verordnung keine andere Interferon-Verschreibung vorlag.
Für alle Patienten wurden die 4 Quartale nach der ersten Verordnung bis ins Jahr 2009
ausgewertet. Fehlte in einem Quartal nach Therapiebeginn eine Verschreibung, gingen
wir von einem Therapie-Bruch aus.
Bei den Laborkontrollen und der Anzahl Verordnungen wurde analog verfahren. Bei den
behandelnden Ärzte wurden zwischen „Hausärzten“ und „Internisten“ unterschieden. Als
Hausärzte galten:
Zur Gruppe der „Internisten“ zählten die Ärzte für:
-
Innere Medizin (Hausarzt)
-
Innere Medizin
-
Gastroenterologie
-
Angiologie
-
Endokrinologie und Diabetologie
-
Hämatologie und Onkologie
-
Kardiologie
-
Nephrologie
-
Pneumologie
-
Innere Medizin / Rheumatologie
Ergebnisse
Prävalenz | In den Krankenkassendaten mit dauerhaft Versicherten lag der Anteil der HCV-infizierten
Patienten (akut und chronisch) innerhalb eines Jahres im Mittel bei 0,17 % und innerhalb
von 3 Jahren bei 0,19 % (▶ [Tab. 1]).
Die Häufigkeit der HCV-Infektion war altersabhängig (▶[Abb. 1]). Die meisten Erkrankten gab es in den Altersgruppen zwischen 25 und 59 Jahren,
dabei überwog der Männeranteil. In den Altersgruppen zwischen 60 und 90 Jahren war
der Anteil der weiblichen Patienten höher.
Abb. 1
A) Prozentuale Verteilung der HCV-Infizierten in Sekundärdaten im Jahre 2008 (D-to-D)
(n = 2628). B) Prävalenz der HCV-Infizierten innerhalb der Altersklassen in Sekundärdaten
im Jahr 2010 (TG) (n = 3127)
Diagnose und Therapie | In den Krankenkassendaten waren in den Jahren 2007–2009 bei bis zu 39,7 % der HCV-Patienten
mindestens eine Diagnose als akute HCV-Infektion (B17.1) kodiert worden. Bei 22,7 %
der Patienten war ausschließlich eine Diagnose der akuten Hepatitis C verzeichnet.
Im Jahr 2010 wurde durch eine Antikörperbestimmung bei 358 Patienten die HCV-Diagnose
gestellt (entspricht 11,5 % aller HCV-Diagnosen im Jahr 2010). 19,1 % dieser Patienten
erhielten die Erstdiagnose einer akuten Hepatitis C. Die restlichen Patienten hatten
eine chronische Hepatitis. Bei 80,1 % der Patienten war die Diagnose der akuten Hepatitis
auch im 4. Quartal nach Diagnosestellung noch nachweisbar. In 57,6 % der Fälle wurde
diese Diagnose von Allgemeinmedizinern und in 33,2 % der Fälle von Internisten gestellt
(▶[Abb. 2]).
Abb. 2
Relative Anteile der Patienten mit akuter Hepatitis C, mit chronischer Hepatitis C
und Patienten unter einer antiviralen Therapie bei Hausärzten, Internisten und anderen
Arztgruppen (TG 2010) (chronische HCV n = 2905; akute HCV n = 804; Therapie n = 267).
Bei 9 % der Patienten wurde die Diagnose Hepatitis C ausschließlich im Krankenhaus
kodiert. Die Diagnose war weder vor noch nach dem Krankenhausaufenthalt im ambulanten
Bereich nachweisbar.
In einem 3-Jahres-Zeitraum (2007–2009) erhielten 17,6 % der Patienten eine Therapie
(unabhängig vom Zeitpunkt und Ort der Diagnosestellung). Im Jahr 2008 alleine waren
es 9,3 % (11,9 % bei chronischer und 3,6 % bei akuter Hepatitis C). Insgesamt war
die absolute Therapiequote bei Internisten mit 21,7 % deutlich höher als die bei Hausärzten
mit 5,1 %.
In den Kassendaten unterschieden sich Hausärzte und Internisten hinsichtlich der Anteile
an Patienten mit akuter und chronischer HCV-Infektion und hinsichtlich der Therapiequoten
(▶[Abb. 2]).
Laut Kassendaten erhielten im Jahr 2010 von den 716 Patienten mit ausschließlich akuter
Hepatitis C 15 (2,1 %) eine Therapie. 2 Patienten erhielten eine Monotherapie mit
Ribavirin und 13 eine Kombinationstherapie mit Ribavirin und pegInterferon. Von den
2411 Patienten mit der Diagnose einer chronischen Hepatitis C erhielten 265 (11,0 %)
eine Therapie. 7 wurden mit Ribavirin, 4 mit pegInterferon und 254 mit der Kombination
von Ribavirin und pegInterferon behandelt.
Laborkontrollen | Bei 132 Patienten konnte ermittelt werden, wie häufig eine Viruslastbestimmung (RNA)
zur Therapienotwendigkeit und Therapiekontrolle abgerechnet wurde (▶ [Abb. 3]). Dabei wurden die Zeiträume 12 Monate vor (im Jahr 2009/2010) und 12 Monate nach
Therapiebeginn (im Jahr 2010/2011) betrachtet. Von den Patienten wurden 128 mit pegInterferon / Ribavirin
und 4 mit Ribavirin behandelt.
Abb. 3
Anteil der Patienten mit Abrechnung der RNA-Bestimmung (Viruslastbestimmung) und Genotyp-Bestimmung
12 Monate vor und nach Therapiebeginn bei chronischer Hepatitis C (Patienten mit Therapie
n = 132, Datenanalyse TG 2010, Beobachtungszeitraum 2009–2011). Abrechnungsziffern
des Einheitlichen Bemessungsmaßstabes (EBM) in Klammern.
Eine Genotyp-Bestimmung wurde bei 50 % der Patienten innerhalb eines Jahres vor oder
während der Therapie festgehalten. Die RNA-Bestimmung wurde am häufigsten während
der Therapie abgerechnet (60 % vor und 75 % nach Therapiebeginn) (▶ [Abb. 3]). Am meisten rechneten Internisten die RNA-Bestimmung vor und während der Therapie
ab (▶ [Abb. 4]).
Abb. 4
Abbildung 4: Relative Anteile der anfordernden Arztgruppe für Viruslastbestimmungen
(RNA-Test) in den individuellen 12 Monaten vor und nach Therapiebeginn (TG 2010, Beobachtungszeitraum
2009–2011) (Patienten mit akuter oder chronischer HCV-Diagnose und Therapie n = 132;
RNA vor Therapie n = 129; RNA nach Therapie n = 357).
Therapiedauer | In den Kassendaten wurde ermittelt, wie häufig nach Therapiebeginn mit pegInterferon / Ribavirin
weitere von Verordnungen von Internisten oder Hausärzten durch die Patienten eingelöst
wurden und wie schlüssig die Verordnungen für eine chronische Hepatitis waren. Als
schlüssig wurden nur die Verordnungen eingestuft, bei denen jeweils beide Wirkstoffe
(pegInterferon und Ribavirin) zum notwendigen Zeitpunkt verschieben wurden und bei
denen kein Bruch der Therapie durch einen Arztwechsel erfolgte. Dabei wurde festgestellt,
dass bei Hausärzten in 49,1 % der Fälle und bei Internisten in 33,6 % der Fälle die
Verordnungen nicht schlüssig waren. Zum Teil wurde nur einer der Wirkstoffe verschrieben,
wie es für die Therapie einer akuten Hepatitis üblich ist. Diese „nicht-schlüssigen“
Verschreibungen wurden von der Analyse zur Verordnungsdauer über 5 Quartale ausgeschlossen.
40 % der internistisch und 33 % der hausärztlich betreuten Patienten lösten die
Rezepte durchgehend über 4 Quartale ein. (▶ [Abb. 5]).
Abb. 5
Anteil der Patienten mit akuter oder chronischer Hepatitis C mit eingelösten Verordnungen
für pegInterferon / Ribavirin pro Quartal (Q) nach Therapiebeginn in Krankenkassendaten.
Datenanalyse D-to-D (SGH Consulting) (n = 245)
In den Daten von TG (Jahr 2010) wurde bei 128 Patienten mit Kombinationstherapie (4
mit akuter und 122 mit chronischer Hepatitis C Diagnose) die durchschnittliche Anzahl
Verordnungen pro Facharztgruppe ermittelt. Internisten verordneten im Durchschnitt
6 mal pegInterferon und 7 mal Ribavirin pro Patient, während Hausärzte durchschnittlich
4 x pegInterferon und 10 x Ribavirin verschrieben.
Diskussion
Die chronische Hepatitis C wird durch die rasante Entwicklung der direkt antiviralen
Therapien aktuell in den Fokus gerückt. Heilungsraten von über 90 % sind seit 2015
für die meisten Patientengruppen möglich [2]. Die Effizienz der Therapie hängt allerdings nicht nur von der Effektivität der
Therapie sondern auch von der Anzahl der diagnostizierten und korrekt behandelten
Patienten ab [18].
In den Krankenkassendaten betrug die 1-Jahres-Prävalenz von HCV-Infektion im Mittel
0,17 % und die 3-Jahres-Prävalenz lag bei 0,19 %. Damit ist die Prävalenz in Sekundärdaten
unter dem Wert des RKIs von 0,4 % [9]. Die untersuchten Datenquellen und die Quellen des RKI enthalten unterschiedliche
Personengruppen und sind deshalb nicht direkt miteinander vergleichbar. So ist davon
auszugehen, dass einige HCV-Infizierte nicht in Erwerbsbiografien eingestiegen sind
und daher nicht in einer der hier untersuchten Krankenkassen versichert waren. Die
Prävalenz würde damit unterschätzt werden. Die Daten vom RKI wurden im Rahmen des
Bundes-Gesundheitssurveys 1998 aus einer Stichprobe von 6748 Teilnehmern im Alter
zwischen 18 und 79 Jahren ermittelt. Dabei betrug die Prävalenz von Anti-HCV in der
deutschen Bevölkerung 0,4 % (95 %-Konfidenzintervall 0,2–0,5 %). Die tatsächliche
HCV-Antikörper-Prävalenz dürfte allerdings höher liegen. Personen aus
Krankenhäusern und Justizvollzugsanstalten waren von diesen Studien ausgeschlossen.
Auch waren Risikogruppen, wie intravenös Drogenabhängige, sicherlich nicht repräsentativ
vertreten. Die Angaben aus den Krankenkassendaten stammen von Personen jeden Alters,
die wegen einer Hepatitis-C-Virusinfektion in den Jahren 2007–2010 einen Arzt aufgesucht
hatten. Personen, die entweder mit bekannter oder unbekannter HCV-Infektion nicht
in diesem Zeitraum wegen HCV beim Arzt waren, wurden also auch nicht erfasst. Bei
beiden Datenquellen bilden also unterschiedliche Personengruppen den Nenner (Krankenkassendaten
= kranke und gesunde Versicherte, Erhebungen des RKI = selektive Bevölkerungsgruppen)
und keine der Datenquellen ist repräsentativ für die Prävalenz der HCV-Infektion in
der Gesamtbevölkerung.
Die Prävalenz der HCV-Infektion in Abrechnungsdaten (Sekundärdaten) war niedriger
als die Werte aus gezielt vorgenommenen Reihenuntersuchungen (Notfällen oder der Stichprobe
im Bundesgesundheitssurvey). Diese Diskrepanz könnte darauf hinweisen, dass in Deutschland
nur jeder zweite HCV-Infizierte Leistungen der GKV in Anspruch nahm (Untersuchungszeitraum
von 3 Jahren). Bei ca. 20 % HCV-Infizierten wurde die Infektion erst durch eine Reihenuntersuchung
bekannt [16]. Diese Personen konnten vor ihrer Diagnose auch keine Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung wegen einer Hepatitis in Anspruch nehmen. Ein weiterer Grund für
niedrigere Prävalenz in Krankenkassendaten könnte sein, dass möglicherweise gerade
Personengruppen mit erhöhter Prävalenz nicht gesetzlich krankenversichert waren (illegale
Migranten, Drogenkonsumenten, Gefängnisinsassen). Ferner wurden die ICD-Kodes B17.9
(Akute Virushepatitis nicht näher bezeichnet) und B18.9
(Chronische Virushepatitis nicht näher bezeichnet) nicht untersucht.
Die ausgewerteten Daten zeigen, dass in der Altersgruppe zwischen 25 und 59 Jahren
der Anteil der Männer und in den Altersgruppen zwischen 60 und 90 Jahren der Anteil
der Frauen überwog. Dies ist vermutlich auf unterschiedliche Transmissionswege zurückzuführen.
Bei intravenös injizierenden Drogenkonsumenten liegt der Durchseuchungsgrad mit HCV
zwischen 60 % und 80 %. Da bei Jüngeren der Drogenkonsum am höchsten ist, sind sie
auch mittlerweile stärker von der HCV-Infektion betroffen. Auch das RKI gibt für das
Jahr 2010 an, dass vor allem jüngere Patienten im Alter zwischen 25 und 39 Jahren
neu an einer HCV-Infektion erkrankt sind und unter diesen der Anteil der Männer deutlich
höher war [9].
Ein großer Anteil der HCV-Infektionen geht auf Bluttransfusionen und Blutprodukte
vor dem Jahr 1990 zurück. 80–90 % der Hämophilie-Patienten, die vor dem Jahr 1987
Blutgerinnungsfaktoren erhalten haben, weisen eine HCV-Infektion auf [14]. Sekundär- und Versorgungsdaten enthalten nur Patienten, die wegen der HCV-Infektion
beim Arzt waren, während die Daten des RKI alle gemeldeten Fälle (auch wenn sie im
Rahmen anderer Untersuchungen oder Behandlungen festgestellt wurden) und alle Prävalenz-Schätzungen
aus Reihenuntersuchungen enthalten. Insofern kann es durchaus sein, dass zwar die
Gruppe der älteren Frauen mit HCV-Infektion in Deutschland überwiegt, dass aber mehrheitlich
jüngere Männer Leistungen der GKV aufgrund eines schlechteren Allgemeinzustandes bei
HCV-Infektion in Anspruch nehmen. Die überproportionale Inanspruchnahme von Leistungen
durch Frauen im Alter 60–90 könnte darauf zurückzuführen sein, dass es bei Frauen
zu einer schnelleren
Fibroseprogression nach der Menopause kommt [17].
Patienten mit Verdacht auf eine HCV-Infektion werden häufig nicht zu einem Spezialisten
überwiesen, sondern zunächst vom Hausarzt untersucht. Dieser bestimmt HCV-Antikörper
mithilfe eines Immuntests [1], [12]. In den Daten der Krankenkassen konnten wir ermitteln, dass die Diagnose „akute
HCV-Infektion“ am häufigsten von Hausärzten gestellt wurde. Die Diagnose „akute HCV-Infektion“
kann möglicherweise auch bei einer chronischen HCV-Infektion gestellt worden sein,
wenn die HCV-Infektion zum ersten Mal festgestellt wurde und der Infektionszeitpunkt
nicht bekannt war. Insofern könnte das gefundene unterschiedliche Verhältnis von akuten
und chronischen HCV-Infektions-Diagnosen bei Haus- und Fachärzten auch die Häufigkeit
von Erst- und Folgediagnosen widerspiegeln und nicht das echte Verhältnis von akuten
und chronischen HCV-Infektionen. In den Kassendaten konnten wir auch feststellen,
dass ca. 80 % der Patienten mit der
Neu-Diagnose einer akuten Hepatitis C diese Diagnose auch 9 Monate später noch aufweisen.
Nach Definition der Leitlinie [12] geht aber spätestens nach 6 Monaten eine akute Hepatitis C in eine chronische Hepatitis
C über, so dass davon auszugehen ist, dass in den Kassendaten Patienten mit akuter
Hepatitis C Diagnose kumulieren.
Die Diagnose Hepatitis C wurde relativ gesehen häufiger von Hausärzten gestellt, die
Behandlung allerdings wurde häufiger durch einen Spezialisten durchgeführt. Während
nur 5,1 % der mit HCV infizierten Patienten bei einem Hausarzt therapiert wurden,
waren es 21,7 % der Patienten beim Internisten. Dies könnte auf den komplexen Therapieverlauf
und die vielen notwendigen Kontrollen bei der Anwendung von antiviralen Medikamenten
zurückzuführen sein. Auch die Häufigkeit der Folgeverordnungen nach Therapiebeginn
und die Zusammensetzung der Kombinationstherapie war abhängig von der behandelnden
Facharztgruppe: nach Therapiebeginn erhielten die Patienten von Internisten prozentual
mehr Folgeverordnungen und häufiger pegInterferon als die hausärztlich betreuten Patienten.
Entweder waren die Aufklärungen der Patienten und die Maßnahmen zur Therapietreue
bei Spezialisten und Hausärzten unterschiedlich oder Hausärzte behandeln häufiger
akute HCV-Infektionen und chronische
HCV-Infektionen vom Genotyp 2/3. In diesem Fall reicht eine Therapie bis zu 24 Wochen
in der Regel aus [12]. Eine andere Erklärung könnte sein, dass Patienten bei kompliziertem Therapieverlauf
an Schwerpunktpraxen überwiesen werden. Die Unterschiede bei der Verordnungshäufigkeit
und Zusammensetzung der Kombinationstherapie können nicht alleine durch die Therapie
akuter HCV-Infektionen erklärt werden, da der Anteil dieser Patienten nur ca. 3 %
betrug.
2007–2011, im Erhebungszeitraum der Studie, betrug die leitliniengerechte Standardbehandlungsdauer
von Patienten mit chronischer HCV-Infektion in der Regel 48 Wochen für Genotyp 1 und
jeweils 24 Wochen für die Genotypen 2 und 3 [12], [13]. Bei Bedarf konnte die Therapie auch auf bis zu 72 Wochen ausgeweitet werden [12]. Therapiedauer und Dosis sollten jeweils individuell an den Gesundheitszustand des
Patienten angepasst werden. Ein Therapieabbruch nach 12 Wochen bei fehlendem Abfall
der HCV-RNA wurde empfohlen. Bei Patienten mit niedrigeren HCV-RNA-Werten (< 800 000
IE / ml) und schnellem Ansprechen (sogenannte RVR) war eine Verkürzung der Behandlungsdauer
möglich [12].
Die Therapiedauer, gemessen anhand der Verordnungen, betrug in unseren Analysen bei
ca. 50 % der Patienten nur 24 Wochen. Dafür kommen neben den o. g. Punkten weitere
verschiedene Gründe in Betracht. Viele Patienten kommen aus sozialen Randgruppen,
wodurch die Mitarbeit bei einer Therapie nicht immer gegeben ist. HCV-Infizierte haben
oft Begleiterkrankungen, wie zum Beispiel eine HIV-Infektion, die eine Behandlung
von HCV erschweren [12]. Die Therapie mit pegInterferon / Ribavirin wird häufig aufgrund ihrer starken Nebenwirkungen
abgebrochen, insbesondere bei Ausbleiben des Therapieerfolgs [12].
Ferner konnte gezeigt werden, dass die für die Therapie notwendigen Laborverlaufskontrollen
nicht immer abgerechnet werden. Ohne diese Verlaufskontrollen ist eine Verkürzung
der Therapie nicht leitliniengerecht. Die vorliegenden Untersuchungen deuten darauf
hin, dass Hausärzte seltener die Kombinationstherapie verordneten als Internisten
und weniger Rezepte für pegInterferon dafür mehr für Ribavirin ausstellten. Einen
Unterschied gab es auch bei den, für eine Therapieverkürzung notwendigen, Viruslastkontrollen
(RNA-Test). Während bei den Internisten ca. 50 % der abgerechneten Viruslastkontrollen
vor und während der Therapie durchgeführt wurden, waren es bei den Hausärzten 19 %
vor und nur 9 % während der Therapie. Somit erscheint ein unterschiedliches Patientenkollektiv
bei Haus- und Fachärzten (zum Beispiel Patienten mit Genotyp 1 versus Patienten mit
Genotyp 2/3) als alleinige Erklärung für die Unterschiede in der Verordnungsdauer
nicht ausreichend, da auch bei
Patienten mit Genotyp 2/3 vor einer Therapieverkürzung RNA-Kontrollen erfolgen sollten.
Weiterer Verbesserungsbedarf besteht möglicherweise auch bei den 9 % der HCV-Patienten,
deren Diagnose ausschließlich im Krankenhaus kodiert wurde und nicht in den Patientenakten
der ambulant tätigen Ärzte verschlüsselt worden war. Diese Patienten erhalten anscheinend
wegen dieser HCV-Diagnose keine Nachsorge im ambulanten Bereich.
Limitationen | In Krankenkassendaten werden keine klinischen Daten erfasst. Insofern kann die Plausibilität
der gemachten Angaben zur Abrechnung nicht überprüft werden. Zu beachten ist, dass
diese Daten nicht zum Zweck der Versorgungsforschung, sondern zum Zweck der Abrechnungsbegründung
erhoben werden. Anhand dieser Daten lässt sich also nicht nachweisen, ob eine Leistung
nicht erbracht wurde. Genauso wenig lässt sich feststellen, ob eine Leistung erbracht
aber nicht abgerechnet wurde. Bei den vorliegenden Auswertungen ist zu beachten, dass
eine, im Rahmen von klinischen Studien durchgeführte, Therapie nicht in den ausgewerteten
Daten der Krankenkassen erscheint, wodurch die Therapiequote unterschätzt werden kann.
Fazit
Die neueren direkt antiviralen Substanzen werden die Effektivität der Hepatitis-C-Therapie
weiter steigern. Diese neuen Therapien werden zunächst sehr teuer sein. Die Überwachung
der Therapie und der unerwünschten Arzneimittelwirkungen erfordert spezialisierte
Kenntnisse [10], [11]. Die hier gezeigten Daten zur geringen Therapierate, dauerhaften Kodierung der Diagnose
akute Hepatitis C, verkürzten Verordnungsdauer und geringen Rate an Viruslastkontrollen
können ein Hinweis auf eine mangelnde Versorgung, insbesondere bei Hausärzten, sein.
Folglich sollten die zukünftigen effektiveren Therapien in spezialisierten Zentren
durchgeführt werden, damit diese teuren Therapien ihre Effizienz auch entfalten können.
Konsequenz für Klinik und Praxis
-
Im Krankenhaus festgestellte Hepatitis-C-Virus-Infektionen sollten in die ambulant
geführten Patientenakten übernommen werden.
-
Eine erstmals festgestellte Hepatitis C sollte nicht automatisch als akute HCV-Infektion
interpretiert werden. Hier sollten die notwendigen differentialdiagnostischen Maßnahmen
durchgeführt oder die Patienten an spezialisierte Zentren überwiesen werden.
-
Die Diagnose „akute Hepatitis C“ sollte im Praxisverwaltungssystem nicht als Dauerdiagnose
kodiert werden, sondern bei nicht erfolgreicher Therapie nach 6 Monaten in eine „chronische
Hepatitis C“ geändert oder bei erfolgreicher Therapie mit dem Kürzel für „Zustand
nach“ versehen werden.
-
Die für einen Therapiebeginn und Therapieerfolg notwendigen Viruslastkontrollen sind
durchzuführen oder die Patienten sind in spezialisierte Zentren zu überweisen.