Schlüsselwörter
PTRA / Stenting - Revaskularisation - bilaterale Nierenarterienstenose - therapierefraktäre
Hypertonie - Niereninsuffizienz
Keywords
PTRA / Stenting - Revascularization - Bilateral renal artery stenosis - Therapy resistant
arterial hypertension - Renal failure
Eine Nierenarterienstenose kann zu einer sekundären Hypertonie und zur Niereninsuffizienz
führen [1]. Der Nutzen einer interventionellen Therapie wurde in letzter Zeit in Frage gestellt.
Der geschilderte Fall zeigt, dass sie bei sorgfältig gestellter Indikation eine sinnvolle
Option sein kann – trotz negativer Studiendaten.
Ursachen | Die häufigste Ursache einer signifikanten Nierenarterienstenose ist eine Atherosklerose
(ca. 90 %). Nur bei 10 % liegt eine fibromuskuläre Dysplasie zugrunde. Dabei handelt
es sich um eine nicht-atherosklerotische, nicht-inflammatorische Gefäßerkrankung,
die multifokal und in allen Gefäßschichten auftreten kann [2], [3]. Die atherosklerotische Form betrifft meist das proximale Drittel der Nierenarterie,
die fibromuskuläre Dysplasie eher die beiden distalen Drittel. Bei letzterer zeigt
sich typischerweise ein perlenschnurartiges Bild in der Angiografie [4].
Risikopatienten | Die atherosklerotische Form tritt i. d. R. bei älteren Patienten mit multiplen kardiovaskulären
Risikofaktoren auf. Die fibromuskuläre Dysplasie findet sich hingegen eher bei jüngeren
Gesunden – insbesondere bei prämenopausalen Frauen mit wenigen oder gar keinen kardiovaskulären
Risikofaktoren [4] [5] [6].
Klinischer Fall
Anamnese | Ein 74-jähriger Patient mit schwer einstellbarer arterieller Hypertonie wird in die
Hypertonie-Sprechstunde überwiesen, um sekundäre Ursachen abzuklären. Der Bluthochdruck
ist seit 9 Jahren bekannt. Vorerkrankungen und kardiovaskuläre Risikofaktoren sind:
-
Diabetes mellitus Typ 2 (nicht insulinpflichtig),
-
periphere arterielle Verschlusskrankheit (Stadium IIa) beidseits, Z. n. Stentimplantation
-
juxtarenales Aortenaneurysma (49 mm),
-
Dyslipidämie,
-
persistierender Nikotinkonsum.
Aktuelle Medikation | Der Patient nimmt täglich
Unter dieser Therapie persistieren die hypertensiven Blutdruckwerte sowohl tagsüber
als auch in der Nacht ohne adäquates Dipping, wie eine 24-Stunden-Blutdruckmessung
ergibt (Tab.
[
1
]).
Tab. 1
Medikation und klinische Parameter im Therapieverlauf.
|
initial
|
unter optimierter Medikation
|
3 Monate postinterventionell
|
Therapie
|
Valsartan 160 mg
Amlodipin 10 mg
HCT 12,5 mg
Metoprolol 100 mg
|
Olmesartan 40 mg
Amlodipin 10 mg
HCT 25 mg
Metoprolol 100 mg
Spironolacton 50 mg
|
Olmesartan 40 mg
Amlodipin 10 mg
Metoprolol 100 mg
|
Mittelwert 24 h
|
160 /91 mmHg
|
138 /74 mmHg
|
119 /71 mmHg
|
Mittelwert Tag
|
161 /93 mmHg
|
145 /80 mmHg
|
121 /73 mmhg
|
Mittelwert Nacht
|
157 /85 mmHg
|
125 /65 mmHg
|
115 /67 mmHg
|
Kreatinin
|
126 μmol / l
|
141 μmol / l
|
100 μmol / l
|
GFR
|
52 ml / min / 1,73 m2
|
45 ml / min / 1,73 m2
|
67 ml / min / 1,73 m2
|
Klinische Befunde | Der Patient ist hyperton und afebril.
Der übrige klinische Status ist unauffällig. Insbesondere fallen keine Strömungsgeräusche
über den großen Arterien auf. Der periphere Pulsstatus ist ebenfalls ohne pathologischen
Befund.
Laborbefund | Bei der Abklärung auf sekundäre Ursachen der Hypertonie fällt eine Niereninsuffizienz
Grad II auf:
-
berechnete GFR: 52 ml / min / 1,73 m2
-
geringe Proteinurie: Protein / Kreatinin-Quotient 14 mg / mmol.
Außerdem ist die aktive Renin-Konzentration im Serum deutlich erhöht (> 300 ng / l)
bei normalem Aldosteron (266 pmol / l).
Duplexsonografie | Die rechte Nierenarterie kann weder am Abgang noch im Verlauf dargestellt werden.
Hilär und intrarenal ist die Akzelerationszeit des arteriellen Flusssignals deutlich
verzögert. Die linke Nierenarterie zeigt eine > 70 %-ige Abgangsstenose mit leicht
verzögerter Akzelerationszeit (Abb.
[
1
]). Die linke Niere ist deutlich größer als die rechte.
Abb. 1 Präinterventionelle Duplexsonografie der A. renalis sinistra mit deutlich erhöhten
Flussgeschwindigkeiten, formal einer > 70 %-igen Stenosierung entsprechend. (PSV = Peak-systolic-velocity,
EDV = End-diastolic-velocity, RI = Resistive Index).
Kernspintomografie | Der Befund einer bilateralen atherosklerotischen renovaskulären Erkrankung mit deutlicher
Schrumpfniere rechts bestätigt sich im MRT (Abb.
[
2
]):
Abb. 2 Präinterventionelle MR-Angiografie. Der Pfeil markiert die hochradige Abgangsstenose
der linken Nierenarterie.
-
atrophe rechte Niere (Ausdehnung max. 60 mm)
-
proximaler Verschluss der rechten Nierenarterie mit geringer Restperfusion des bereits
atrophierten Nierenparenchyms über Kapselarterien,
-
hochgradige Abgangsstenose links.
Optimierung der Medikation | Parallel zur ätiologischen Abklärung der Hypertonie optimieren wir die medikamentöse
Therapie: Wir stellen auf eine Fix-Dosis-Kombinationstherapie mit Olmesartan 40 mg,
Amlodipin 10 mg und Hydrochlorothiazid 25 mg um. Ergänzt wird die Medikation mit Spironolacton
bis 50 mg pro Tag. Die Metoprolol-Gabe führen wir mit täglich 100 mg fort. In der
Folge verbessern sich die 24-Stunden-Blutdruckwerte auf einen Mittelwert von 138 /74 mmHg.
Der Zielbereich wird jedoch noch nicht vollständig erreicht (Tab.
[
1
]).
Interventionelle Therapie | Aufgrund der bilateral fortgeschrittenen, atherosklerotisch-renovaskulären Erkrankung
mit
stellen wir in einem interdisziplinären Team die Indikation zur perkutanen transluminalen
renalen Angioplastie (PTRA) mit Stentimplantation. Bei der Entscheidung spielt insbesondere
auch eine Rolle, dass eine fortschreitende Stenosierung wahrscheinlich einen Funktionsverlust
der linken Niere nach sich zieht – mit nachfolgender Dialysepflichtigkeit. Die linke
Nierenarterie wird deshalb erfolgreich mit einem Stent versorgt (Abb.
[
3
]). Zusätzlich zur bestehenden Therapie erhält der Patient Acetylsalicylsäure und
Pravastatin als Dauertherapie sowie Clopidogrel für 4 Wochen.
Abb. 3 Stentimplantation linke Nierenarterie. Gut erkennbar ist die Taillierung (Pfeil)
des PTA-Ballons während der Inflation im Bereich der Stenosierung.
Verlauf | Postinterventionell verbessern sich die Blutdruck- (Heimmessung) und Kreatininwerte
rasch (Abb.
[
4
]). Die antihypertensive Therapie wird schrittweise reduziert. Nach 3 Monaten ist
der 24-Stunden-Blutdruck unter der reduzierten Therapie im Zielbereich (Tab.
[
1
]). Der duplexsonografisch gemessene Fluss über der linken Nierenarterie verbessert
sich ebenfalls (Abb.
[
5
]). Auch nach 6 Monaten sind die Blutdruckwerte (Heimmessung) kontrolliert und das
Serum-Kreatinin stabil.
Abb. 4 Verlauf der Blutdruckwerte (Heimmessungen) und des Kreatinins über einen Monat. Blutdruckwerte
in mmHg, Kreatinin in µmol / l. Tag 0: Stenting der Nierenarterie (roter Pfeil).
Abb. 5 Postinterventionelle Duplexsonografie der A. renalis sinistra postinterventionell
mit normwertigen Flussgeschwindigkeiten.
Diskussion
Studienlage | Insbesondere bezüglich der atherosklerotischen Nierenarterienstenose wurden in den
letzten Jahren mehrere randomisierte Studien durchgeführt, in denen PTRA / Stenting
versus medikamentöse Therapie untersucht wurde. Es zeigte sich kein eindeutiger Nutzen
der interventionellen Therapie (Tab.
[
2
]) [7] [8] [9] [10].
Tab. 2
Ein- und Ausschlusskriterien aktueller Studien zur medikamentösen vs. interventionellen
Therapie der Nierenarterienstenose.
Studie
|
Haupteinschlusskriterien
|
Hauptausschlusskriterien
|
STAR (n = 140)
|
-
Ostiale NAS und
-
eGFR < 80 ml / min / 1,73 m2 BSA und
-
sBD < 140 mmHg, dBD < 90 mmHg unter Therapie
|
-
Nierengröße < 8 cm
-
Nierenarteriendurchmesser < 4 mm
-
eGFR < 15 ml / min / 1,73 m2 BSA
-
Diabetes mellitus mit Proteinurie (> 3 g / d)
-
Maligne Hypertonie
|
ASTRAL (n = 806)
|
-
Signifikante NAS mindestens einer Nierenarterie und
-
Unsicherheit des behandelnden Arztes, ob der Patient von einer Revaskularisation klinisch
profitiert
|
-
Endovaskuläre Revaskularisation technisch nicht möglich
-
Hohe Wahrscheinlichkeit einer nötigen Revaskularisation innerhalb von 6 Monaten
-
Revaskularisation in der Vorgeschichte
|
CORAL (n = 947)
|
-
NAS ≥ 80 % und < 100 % oder NAS > 60 % und < 80 % und Druckgradient > 20 mmHg und
-
sBD ≥ 155 mmHg unter Therapie mit ≥ 2 Antihypertensiva oder
-
eGFR < 60 ml / min / 1,73 m2 BSA
|
-
Fibromuskuläre Dysplasie
-
Nicht-ischämische chronische Nierenerkrankung
-
Serum-Kreatinin > 4.0 mg / dl
-
Nierengröße < 7 cm
-
Komplexe Stenosen, die nicht mit einem Stent behandelbar sind
|
STAR-Studie | An der STAR-Studie [7] nahmen 140 Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und einer > 50 %-igen Nierenarterienstenose
(uni- oder bilateral) teil. Sie wurden entweder zu medikamentöser Therapie allein
oder plus Stenting randomisiert. Ausschlusskriterien waren:
-
eine bereits geschrumpfte Niere,
-
zu kleine Nierenarterien,
-
Niereninsuffizienz Grad IV,
-
Diabetes mellitus mit Proteinurie und
-
eine maligne Hypertonie.
Die Veränderung der Nierenfunktion unterschied sich nicht zwischen den beiden Gruppen.
Allerdings wurden in der Interventionsgruppe mehr Komplikationen beobachtet.
ASTRAL-Studie | Sie war ähnlich aufgebaut wie die STAR-Studie, allerdings zusätzlich mit dem sekundären
Endpunkt Blutdruck [8]. Eingeschlossen wurden 806 Patienten mit substanzieller Stenose in mindestens einer
Nierenarterie. Voraussetzung war, dass sich die behandelnden Ärzte unsicher fühlten,
ob diese interventionell behandelt werden sollte oder nicht. Auch hier zeigte sich
kein signifikanter Unterschied in Bezug auf Blutdruck oder Nierenfunktion – bei letzterem
gab es allerdings eine Tendenz zugunsten der Intervention. In der Interventionsgruppe
waren allerdings etwas weniger Medikamente nötig. Der Unterschied war signifikant.Auch
in dieser Studie wurde die Patientensicherheit in der Interventionsgruppe bemängelt.
CORAL-Studie | Teilnehmer waren 947 Patienten mit schwerer Nierenarterienstenose und arterieller
Hypertonie oder chronischer Niereninsuffizienz [9]. Es gab keinen Unterschied bezüglich des kombinierten Endpunkts aus
-
kardiovaskulär bzw. renal bedingtem Tod,
-
Myokardinfarkt,
-
Schlaganfall,
-
Hospitalisation aufgrund von Herzinsuffizienz,
-
zunehmender Niereninsuffizienz oder
-
Notwendigkeit eines Nierenersatzverfahrens.
Hinsichtlich der Veränderung des Blutdrucks unterschieden sich die Gruppen ebenfalls
nicht.
Registerdaten | Lediglich in einer nicht randomisierte Registerstudie aus England und Deutschland
mit 908 Patienten beeinflusste die Intervention die Nierenfunktion von Patienten mit
fortgeschrittener Niereninsuffizienz positiv. Allerdings ist anzumerken, dass sich
die Einschlusskriterien und Behandlungsstrategien in den beiden involvierten Zentren
wesentlich unterschieden [10].
Aktuelle Empfehlungen und Kritikpunkte | Vor dieser Datenlage tritt die interventionelle Therapie der atherosklerotischen Nierenarterienstenose
momentan in den Hintergrund. Laut einem Editorial zur CORAL-Studie soll man Patienten
mit moderat bis schwerer atherosklerotischer renovaskulärer Erkrankung und Hypertonie
oder chronischer Niereninsuffizienz medikamentös behandeln – und nicht zu einer Nierenarterienintervention
„drängen“ [11]. Dies mag für einen sehr großen Teil der Patienten zutreffen. Der hier vorgestellte
Patient wäre jedoch in keiner der sehr selektionierten randomisierten Studien eingeschlossen
worden (Tab.
[
2
]):
-
STAR: Ausschlusskriterium Nierenatrophie.
-
ASTRAL: Man kann davon ausgehen, dass die behandelnden Ärzte zum Zeitpunkt der Studie
2009 zum Schluss gekommen wären, dass der Patient von einer Intervention profitiert.
-
CORAL: Ausschlusskriterium einseitige Nierenatrophie.
Konsequenz für Klinik und Praxis
-
Dieser Fall zeigt, dass bei der Interpretation der Ergebnisse großer Studien die jeweiligen
Ein- und Ausschlusskriterien berücksichtigt werden müssen.
-
Um die Ergebnisse auf den Einzefall zu übertragen, müssen diese in die Überlegungen
mit einbezogen werden.
-
Im Fall der atherosklerotischen Nierenarterienstenose wird es weiterhin Patienten
geben, die von einer interventionellen Behandlung profitieren können.
-
Unabdingbare Voraussetzung für eine Intervention ist eine individuelle Abklärung sowie
eine kritisch und interdisziplinär gestellte Indikation an einem erfahrenen Zentrum.
Danksagung
Wir bedanken uns bei Prof. Bongartz für die Bearbeitung der MRT-Bilder.