Schlüsselwörter
Hepatitis C - Autoimmunhepatitis - Glomerulonephritis - Interferon - Ribavirin
Keywords
hepatitis C - autoimmune hepatitis - glomerulonephritis - interferon - ribavirin
Durch hochwirksame antivirale Medikamente ist die Hepatitis C von einer chronischen
zu einer heilbaren Erkrankung geworden. Eine Infektion kann allerdings systemische
und organspezifische Autoimmunerkrankungen auslösen, wie Vaskulitiden, hämolytische
Anämie, Autoimmunhepatitis, Diabetes mellitus Typ 1 und Schilddrüsenerkrankungen [1]. In seltenen Fällen können sich diese auch erst während der Therapie manifestieren.
Anamnese und initiale Diagnostik
Anamnese und initiale Diagnostik
Unspezifische Beschwerden | Ein 63-jähriger Patient klagt über Müdigkeit und gibt an, seit Monaten an Gewicht
zu verlieren. Gleichzeitig habe sich sein Allgemeinzustand verschlechtert. Um die
Beschwerden abzuklären, wird er stationär aufgenommen. Außer einer milden arteriellen
Hypertonie und einem insulinbehandelten Diabetes mellitus Typ 2 sind keine relevanten
Vorerkrankungen bekannt. Der Patient gibt an, regelmäßig moderat Alkohol zu konsumieren.
Körperliche Untersuchung | Der Allgemeinzustand des übergewichtigen Patienten (175 cm, 92 kg, Body-Mass-Index
30,0 kg / m2) ist altersentsprechend. Die Körpertemperatur ist normal (36,6 °C), psychomotorisch
gibt es ebenfalls keine Auffälligkeiten. Es ist kein Ikterus zu sehen, ebensowenig
Leberstigmata der Haut. Das Abdomen ist weich und indolent sowie leicht adipös. Aszites
oder eine Hepatosplenomegalie sind klinisch nicht nachweisbar. Die kardiopulmonale
Auskulatation ist unauffällig. Weiterhin gibt es keine Hinweise auf eine Polyneuropathie
oder rheumatologische Erkrankungen.
Routinelabor | Die Transaminasen und alkalische Phosphatase (AP) sind leicht erhöht:
-
Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (GOT): 80 U / l (Referenzbereich: 5–34 U / l)
-
Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT): 131 U / l (Referenzbereich: < 55 U / l)
-
AP: 150 U / l (Referenzbereich: 40–130 U / l)
Alle weiteren Parameter sind im Normbereich, insbesondere auch das Carbohydrat-defiziente
Transferrin (CDT; Desialotransferrin) mit 2,0 % (normal: bis 2,6 %)
Infektiologie | Antikörper gegen das Hepatitis-C-Virus sind vorhanden, die Antigene und Antikörper
für Hepatitis A und B sind negativ. Eine quantitative HCV-RNA-Reverse-Transkriptase-PCR
ergibt eine Viruslast von 980 000 IU / ml, das Hepatitis-C-Virus (HCV) ist vom Genotyp
1b. Die Infektion dauert schätzungsweise länger als 6 Monate.
Endokrinologische und Autoimmundiagnostik | Die Schilddrüsenparameter
-
Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH),
-
freies Trijodthyronin (fT3),
-
freies Tetrajodthyronin (fT4),
-
anti-TG,
-
anti-TPO und
-
TRAK
sind im Normbereich. Die ANAs sind mit einem Titer von 1:320 positiv. Negativ sind
die Tests auf ANCA, AMA, LKM und SLA. SMA sind mit einem Titer von 1:40 nicht signifikant
nachweisbar. Das Immunglobulin (Ig) G4 ist mit 1,1 g / l unauffällig, dasselbe gilt
für IgG, IgA und IgM.
Ergänzende Untersuchungen | In der Sonografie des Abdomens zeigt sich ein pathologisches Leberparenchym im Sinne
einer leichten Steatosis hepatis. Hinweise auf eine Leberzirrhose gibt es nicht. Die
Nieren sind beidseits normal groß und unauffällig. Die sonografisch gesteuerte Biopsie
der Leber ergibt eine milde, chronisch aktive Hepatitis C (Aktivitätsgrad II nach
Desmet und Scheuer [2]) sowie eine mäßiggradige portale und sinusoidale Fibrose (Fibrose-Score 2 nach Desmet
und Scheuer [2]). Der vorliegende Befund lässt kein morphologisches Korrelat einer Autoimmunhepatitis
(AIH) erkennen. Weiterhin findet sich kein zirrhotischer Parenchym-Umbau und es gibt
keinen Hinweis für Malignität.
Therapie und Verlauf
Initiale Therapie | Bei nachweisbaren ANAs im Serum besteht formal differenzialdiagnostisch die Möglichkeit
einer subklinischen, bisher inapparenten AIH. Dafür gibt es kein histologisches Korrelat
und die restlichen leberrelevanten Autoantikörper sowie die Immunglobuline IgG, IgA
und IgM sind normwertig. Initial erfolgt dennoch ein Therapieversuch mit nicht-pegyliertem
Interferon-alfa-2a (IFN-alfa-2a, Roferon-A®). Nach 7 Tagen Behandlung sind die Leberparameter unverändert normal. Da im Verlauf
einer Woche keine klinisch relevante AIH aufgetreten ist, wird die Therapie auf pegyliertes
IFN-alfa-2a (180 µg / Woche) und Ribavirin (RBV; 1200 mg / Tag) umgestellt.
Behandlung zunächst erfolgreich | Nach 4 Wochen ist die HCV-RNA unter der Nachweisgrenze. Die Leberparameter werden
nach 8 und 12 Wochen Therapie kontrolliert und haben sich nicht signifikant verändert,
sodass die Behandlung unverändert fortgesetzt wird.
Leberwerte steigen | 16 Wochen nach Therapiebeginn fallen bei der Routinekontrolle deutlich erhöhte Leberwerte
auf (▸ [
Abb. 1
]). Bei positiven ANAs (Titer unverändert bei 1:320) sowie erhöhten IgGs (1640 mg
/ l; Referenzbereich: 700–1600 mg / l) besteht nun die laborchemische Konstellation
einer manifesten AIH. Eine erneute sonografisch gesteuerte Biopsie der Leber kann
eine akute oder chronische toxische hepatozelluläre Schädigung sowie das morphologische
Korrelat einer AIH ausschließen. Die Therapie wird nach Rücksprache mit dem Patienten
unter engmaschiger Kontrolle der Leberwerte fortgesetzt.
Abb. 1 Verlauf der Leberparameter und der Viruslast während der Therapie. GOT = Glutamat-Oxalacetat-Transaminase,
GPT = Glutamat-Pyruvat-Transaminase, GGT = Gamma-Glutamyl-Transferase, AP = Alkalische
Phosphatase
Weitere Verschlechterung | 21 Wochen nach Therapiebeginn stellt sich der Patient mit massiven Ödemen und Aszites
notfallmäßig vor. Laborchemisch ist das Gesamteiweiß im Serum mit 4,3 g / dl stark
erniedrigt (Referenzbereich: 6,6–8,3 g / dl). Innerhalb von 24 Stunden scheidet er
5544 mg Eiweiß im Urin aus. Aus den Befunden ergibt sich die Diagnose eines nephrotischen
Syndroms (▸ [
Tab. 1
]). Es erfolgt eine sonografisch gesteuerte Biopsie der Niere. Bei der histologischen
Untersuchung zeigt sich eine membranöse Glomerulonephritis (überwiegend Stadium I,
segmental auch Stadium II nach Ehrenreich [3]) (▸ [
Abb. 2
] und ▸ [
Abb. 3
]).
Tab. 1 Die laborchemische Konstellation des nephrotischen Syndroms im Verlauf.
|
Woche 0 (Therapiebeginn)
|
Woche 21
|
Woche 24 (Therapieende)
|
Woche 48
|
Kreatinin (mg / dl)
|
1,1
|
1,1
|
1,2
|
1,1
|
Harnstoff (mg / dl)
|
29
|
49
|
38
|
30
|
Gesamteiweiß Serum (g / dl)
|
7,1
|
4,3
|
4,7
|
7,1
|
Gesamteiweiß Urin (mg / 24 h)
|
negativ
|
5,544
|
negativ
|
negativ
|
Abb. 2 Lichtmikroskopische Aufnahme eines Glomerulus mit starren und breiten Basalmembranen;
Mesangium und Endothelien regelrecht (Periodic-acid-Schiff-Reaktion-Färbung; 200 ×).
Abb. 3 Immunhistologie für Immunglobulin G mit granulärer Positivität entlang glomerulärer
Basalmembranen (Alkaline-Phosphatase-anti-Alkaline Phosphatase-Färbung; 400 x).
Therapie | Da die Nierenfunktion nur moderat eingeschränkt ist (glomeruläre Filtrationsrate:
65 ml / h; Referenzbereich: > 85 ml / min) und die Nierenretentionsparameter aktuell
nicht angestiegen sind, verzichten wir auf eine immunsuppressive Therapie. Trotz der
initialen Viruslast von 980 000 IU / ml wird die antivirale Therapie nur für 24 Wochen
durchgeführt und nicht, wie ursprünglich geplant, für 48 Wochen. Nachdem die Behandlung
mit pegyliertem IFN-alfa-2a und RBV abgeschlossen ist, liegt die Viruslast unterhalb
der Nachweisgrenze. Die Leber- und Nierenparameter haben sich vollständig normalisiert
(▸ [
Abb. 1
] und ▸ [
Tab. 1
]).
Diskussion
Phänomen bekannt | AIHs, die sich während oder nach einer antiviralen Therapie mit IFN entwickeln, sind
ausführlich in der Literatur beschrieben [4]. Die Erkrankung kann auch mehrere Jahre nach dem Ende dieser Behandlung auftreten
[5]. Manchen Autoren zufolge sollte ein positiver ANA-Titer vor Therapiebeginn die Entscheidung,
eine IFN-Therapie einzuleiten, nicht beeinflussen, da die Effektivität der Behandlung
nicht geringer ist [6]. Unser Fall zeigt, dass eine Therapie mit IFN das Risiko für Autoimmunphänomene
erhöhen kann. Dies gilt insbesondere für prädisponierte Patienten, die z. B. positive
Autoantikörpertiter aufweisen.
Unentdeckt durch geringe Ausprägung | In unseren Fall konnte eine retrospektiv präexistente, subklinische AIH nicht detektiert
werden, obwohl zunächst testweise nicht-pegyliertes IFN-alfa-2a verabreicht wurde.
Erst die Therapie mit pegyliertem IFN über 16 Wochen induzierte bzw. aggravierte die
AIH, sodass diese laborchemisch apparent wurde. Allerdings reichte der berechnete
AIH-Score des Patienten [7] nicht, um diese zu beweisen (▸ [
Tab. 2
]), und ein histologisches Korrelat lag auch nicht vor. Dies ist wahrscheinlich –
bemessen an den nur leicht erhöhten IgG-Globulinen – auf die geringe Ausprägung der
AIH zurückzuführen.
Tab. 2 Berechneter Autoimmunhepatitis-Gesamt-Score des Patienten 16 Wochen nach Therapiebeginn.
Geschlecht
|
Männlich
|
Alkalische Phosphatase (U / l)
|
182
|
Glutamat-Oxalacetat- und Glutamat-Pyruvat-Transaminasen (U / I)
|
208
|
Immunglobuline G über Normal
|
< 1,0 ×
|
Autoantikörper ANA 1:320
|
1: > 80
|
AMA nachweisbar
|
nein
|
andere Autoimmunhepatitis-assoziierte Antikörper (pANCA, anti-SLA etc.)
|
nein
|
Virushepatitis
|
ja
|
Hepatotoxische Medikamente
|
ja
|
Alkohol
|
< 25 g / Tag
|
HLA-DR3 / DR4 nachweisbar
|
–
|
andere Autoimmunerkrankungen
|
ja
|
Therapieansprechen
|
komplett
|
Leberhistologie
|
biliäre Veränderungen
|
Gesamt-Score = 1 (Autoimmunhepatitis unwahrscheinlich)
|
HCV-assoziierte Nierenschäden | Im Zusammenhang mit der HCV-Infektion können zudem verschiedene Pathologien der Niere
auftreten. Der häufigste derartige histologische Befund ist die Typ-I-membranoproliferative
Glomerulonephritis mit Typ-II-Misch-Kryoglobulinämie [8].
Medikamenten-induzierte Nierenschäden | Einige antivirale Medikamente, einschließlich der Kombination aus pegyliertem IFN-alfa-2a
und RBV, können laut Literatur nephrotoxisch wirken [9]. Der genaue Mechanismus ist noch nicht vollständig geklärt. Sekundäre Formen der
medikamentös induzierten Glomerulonephritis können zusätzlich das klinische Bild bei
Patienten mit Nierenbeteiligung erschweren.
Auslöser wahrscheinlich IFN | In unserem Fall trat die Nephropathie erst nach 21 Wochen unter der Therapie mit
pegyliertem IFN-alfa-2a und RBV auf. Nach dem Ende der Behandlung normalisierten sich
die Werte rasch. Wir gehen daher von einer IFN-induzierten Glomerulonephritis aus.
Bei bestehender HCV-Infektion wäre auch eine Hepatitis-assoziierte Glomerulonephritis
differenzialdiagnostisch zu erwägen. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, da sich die
renale Schädigung unter virussuppressiver Therapie nicht verbesserte, sondern verschlimmerte.
Zudem war bei dem Patienten zu diesem Zeitpunkt keine HCV-RNA mehr nachweisbar. Letzlich
kann eine Kryoglobulinämie aber nicht sicher ausgeschlossen werden.
Konsequenz für Klinik und Praxis
-
Mit Autoimmunreaktionen unter einer antiviralen Medikation mit Interferon (IFN) sollte
man vor allem bei genetisch prädisponierten Patienten mit positiven Autoimmunmarkern
rechnen.
-
Die Autoimmunität kann so hochgradig und unbeherrschbar sein, dass die Therapie vorzeitig
beendet werden muss.
-
Der Patient sollte klinisch und laborchemisch überwacht werden, da einige Nebenwirkungen
erst nach längerer Anwendung auftreten können.
-
Da es heutzutage alternative, IFN-freie Therapieoptionen gibt, muss der Einsatz von
IFN angesichts solcher nebenwirkungsreicher Therapieverläufe mit Autoimmunität kritisch
gesehen werden.
Glossar Antikörper
AMA
:
anti-mitochondriale Antikörper
ANA
:
anti-nukleäre Antikörper
ANCA
:
anti-Neutrophile cytoplasmatische Antikörper
anti-TG
:
anti-Thyreoglobulin-Antikörper
anti-TPO
:
anti-Thyreoperoxidase-Antikörper
LKM
:
anti-Leber-Niere-Mikrosomen-Antikörper
SLA
:
anti-lösliches-Leberantigen-Antikörper
SMA
:
anti-glatte-Muskulatur-Antikörper
TRAK
:
Thyreotropin-Rezeptor-Antikörper