Abkürzungen
               
               
                  BGHSt Bundesgerichtshof: 
                  in Strafsachen
                  
               
               
                  KG: 
                  Kammergericht
                  
               
               
                  MPG: 
                  Medizinproduktegesetz
                  
               
               
                  MPV: 
                  Medizinprodukteverordnung
                  
               
               
                  OLG: 
                  Oberlandesgericht
                  
               
               
                  ProdHaftG: 
                  Produkthaftungsgesetz
                  
               
               
                  SV Sachverständiger: 
                  (vor Gericht)
                  
               
               
                  TEP: 
                  Totalendoprothese
                  
                 
         
         Die Ausgangslage
            In der Praxis ist „Mix & Match“ gängiger Implantate verschiedener Hersteller weit
               verbreitet; sei es für die Hüft-, aber auch für Schulter- und Ellenbogenprothesen.
               Ausgangspunkt der ärztlichen Überlegung hinsichtlich der operativen Therapie ist dabei
               regelhaft, dem Patienten eine umfangreiche, aus ärztlicher Sicht unnötige Operation
               zu ersparen und stattdessen dem Patienten einen kleineren und weniger belastenden
               Eingriff zu ermöglichen.
               
               
                  
                     Unter „Mix und Match“ versteht man die Kombination von zwei zueinander passenden und
                        funktionierenden Implantaten, die aber nicht als funktionelle Implantateinheit zugelassen
                        sind (und meist von unterschiedlichen Herstellern stammen). Dies kann u. a. notwendig
                        werden, wenn man nur eine Komponente einer Endoprothese (z. B. Pfanne oder Schaft)
                        austauscht, weil für den Wechsel beim Originalhersteller kein geeignetes Wechselimplantat
                        vorliegt oder die herstellende Firma nicht mehr existiert.
                   
                
             
            Die medizinische Thematik stellt sich dabei wie folgt dar:
            Es gibt in der Endoprothetik aller Gelenke Lockerungserscheinungen. Oft ist nur einer
               der beiden Implantatpartner („Schaft“ oder „Pfanne“) gelockert. In diesen Fällen steht
               ein Komplettwechsel der Prothese im Raum. Dieser bringt aber ein für die Patienten
               oft erhebliches Zusatzrisiko mit sich:
            
               
               - 
                  
                  
Einerseits wird der Operationsumfang deutlich ausgedehnt mit längerer Operationszeit
                     und ggf. der Notwendigkeit zu Bluttransfusionen, was z. B. in der Schulterendoprothetik
                     sonst eher nicht notwendig ist.
                   
               
               - 
                  
                  
Andererseits gibt es gerade beim Schaftwechsel von Ellenbogenprothesen ein nicht unerhebliches
                     Komplikationspotenzial mit Frakturen des Oberarmknochens.
                   
               
               - 
                  
                  
Zudem gesellt sich durch die Ausweitung des Eingriffs ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko
                     hinzu.
                   
               
            Kommt es im Verlauf tatsächlich zu Komplikationen, steht schnell aus Sicht des Patienten
               der Vorwurf ärztlichen Fehlverhaltens im Raum.
            Was ist also zu tun?
               
               
                  
                     Das Kammergericht Berlin sprach aktuell einen Operateur in einem derartigen Fall von
                        jeglichem fehlerhaften Verhalten frei.
                   
                
             
          
         
         Der Fall
            Zur Entscheidung lag ein Fall, bei dem es medizinisch im Interesse einer schonenden
               Behandlung angezeigt war, nicht die Hüft-TEP (Abb. [1]) vollständig zu revidieren, sondern lediglich einen Steckkopf mit einer größeren
               Halslänge aufzusetzen und den Hüftschaft im Körper zu belassen. Der Steckkopf stammte
               von einem anderen Hersteller als jenem des Hüftschafts; der Hersteller des Steckkopfs
               hatte sein Produkt explizit für verschiedene Hersteller freigegeben. Nachfolgend kam
               es zu wiederholten Luxationen (Verrenkung/Auskugelung), die durch entsprechende Eingriffe
               reponiert wurden. Schließlich erfolgte eine Revisionsoperation, hierbei wurden Teile
               der Hüftprothese ausgetauscht; und zwar wurde auf einen steckbaren Konus der Originalprothese
               ein Konusadapter einer anderen Firma mit einem entsprechend verlängerten Kopfstück
               wiederum einer anderen Firma gesetzt. Es kam zum Prothesenbruch (Bruch des Aufsteckkonus
               des Hüftstiels), so dass eine erneute Revisionsoperation erforderlich wurde. Dabei
               kombinierte man bei dem Austausch von Teilen der Prothese wiederum einen Konusadapter
               der einen mit einer Halsverlängerung einer anderen Firma. Der Patient klagte auf Schadensersatz
               und Schmerzensgeld und machte geltend, dass die Operation behandlungsfehlerhaft erfolgte
               und bei den Revisionsoperationen unzulässige Produktkombinationen verwendet worden
               seien, die Ursache für den Bruch gewesen seien.
Abb. 1   Totalendoprothese des Hüftgelenks. Der endoprothetische Gelenkersatz ist mittlerweile
                  so gut wie in allen Gelenken möglich. Die besten Ergebnisse, v. a. in Bezug auf die
                  Langzeiterfolge, werden am Hüftgelenk erzielt. Die Implantate – in der Regel aus Metall,
                  Kunststoff oder Keramik – werden entweder mit einem speziellen Zement im Knochen verankert
                  oder „zementfrei“ implantiert. Welche Prothese eingesetzt wird, hängt von verschiedenen
                  Faktoren ab: z. B. vom Alter, Primärstabilität des Knochens, eventuell Vorerkrankungen
                  des Knochens (Osteoporose), Anspruch des Patienten. Komplikationen des künstlichen
                  Gelenkersatzes sind in erster Linie Lockerung des Implantats und Infektionen. (Bild:
                  Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine
                  Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 3. Aufl. Stuttgart:
                  Thieme; 2011).
            
               Tipps und Tricks 
                  
Maßnahmen, die vor der Durchführung eines revisionsendoprothetischen Eingriffs durchgeführt
                     werden sollten
                   
               
                  
                     
                        
                        - 
                           
                           
Sich Kenntnis verschaffen über:
                           
                           
                              
                              - 
                                 
                                 
den verwendeten Konus
                                  
                              
                              - 
                                 
                                 
den Kopfdurchmesser
                                  
                              
                              - 
                                 
                                 
den verwendeten Schaft (spezieller Ausschläger erforderlich?)
                                  
                              
                              - 
                                 
                                 
die verwendete Pfanne (Ausdrehinstrumentarium bei Schraubpfannen?)
                                  
                              
                              - 
                                 
                                 
die Pfannengröße (v. a. bei geplantem Wechsel des Inlays)
                                  
                              
                            
                        
                        - 
                           
                           
Endoprothesenpass einsehen; ist dieser nicht verfügbar und erlaubt das Röntgenbild
                              keine eindeutige Zuordnung, kann die Nachfrage beim Hersteller die OP-Planung erleichtern.
                            
                        
                   
                
             
          
         
         Entscheidung des Kammergerichts
            Kritik
            
            Diese Argumentation erscheint zunächst stringent. Auffallend ist aber bereits, dass
               das Kammergericht weitgehend übereinstimmt mit dem „Aspekt der allgemeinen Verkehrsanschauung“,
               einer ansonsten „bürokratischen“ Betrachtungsweise des Regelungszwecks des ProdHaftG
               und damit letztlich mit allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen nach dem Motto:
            
            „Was medizinisch geboten ist, kann medizinprodukterechtlich bzw. produkthaftungsrechtlich
               nicht verboten sein“ (Abb. [2]).
            
Abb. 2   Das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) beschreibt die Haftung bei fehlerhaften Produkten
                  (Bild: L. Gojda/Fotolia.com).
            
            
            Das Urteil mag dabei im Ergebnis dem Billigkeitsgefühl des gerecht Denkenden entsprechen.
               Die Begründung trägt das Ergebnis aber nicht. Ganz im Gegenteil vermitteln die Urteilsgründe
               das ungute Gefühl, dass sich das Gericht mit der ihm (wohl) unbekannten Materie des
               Medizinprodukterechts nicht weiter auseinandersetzen wollte. Vielmehr bewegt es sich
               auf dem bekannten Terrain des Arzthaftungsrechts, wenn es sich bei der Prüfung der
               Rechtmäßigkeit ärztlichen Handelns allein auf die Stellungnahme des Sachverständigen
               verlässt.
            
            So führt es unter Berufung auf den medizinischen Sachverständigen wörtlich aus: „Aus
               medizinischer Sicht ist die Verwendung der Verlängerung aber nicht zu beanstanden.“
            
               Der Fall 
                  
Ausführung des Kammergerichts
                   
               
                  
                     „Aus medizinischer Sicht ist die Verwendung der Verlängerung aber nicht zu beanstanden.“
                   
                
             
            
            Dabei handelt es sich aber nicht um die Begründung, sondern um das zu begründende
               Ergebnis.
            
            Zudem wird das KG seiner rechtlichen Verpflichtung nicht gerecht, den Sachverständigen
               anzuleiten und letztlich zu überprüfen.
            
               Zusatzinformation 
                  
Ausführungen des BGHSt (Bundesgerichtshof in Strafsachen)
                   
               
                  
                     „Der verfahrensrechtliche Ausgangspunkt für die Beurteilung eines Sachverhalts liegt
                        darin, dass der Tatrichter zu einem eigenen Urteil auch in schwierigen Fachfragen
                        verpflichtet ist. Er hat die Entscheidung auch über diese Fragen selbst zu erarbeiten,
                        ihre Begründung selbst zu durchdenken. Er darf sich dabei vom Sachverständigen nur
                        helfen lassen. Je weniger sich der Richter auf die bloße Autorität des Sachverständigen
                        verlässt, je mehr er den Sachverständigen nötigt, ihn – den Richter – über allgemeine
                        Erfahrungen zu belehren und mit möglichst gemeinverständlichen Gründen zu überzeugen,
                        desto vollkommener erfüllen beide ihre verfahrensrechtliche Aufgabe.“
                     
                        (so schon BGHSt 3, 113, 118); s. a. Tab. [1].
                   
                
             
            
            Die letztlich vom KG angebotene Begründung überzeugt allerdings nicht. So soll nach
               Ansicht des Gerichts keine Herstellung im Sinne des ProdHaftG eines Medizinprodukts
               vorliegen, wenn zwei Medizinprodukte unterschiedlicher Hersteller miteinander kombiniert
               werden. Das ist schlicht falsch. Die sogenannte Eigenherstellung von Medizinprodukten
               nach § 12 Abs. 1 S. 3 iVm. § 3 Nr. 21 MPG hat der EuGH bereits als Herstellungsprozess im Sinne des ProdHaftG qualifiziert
               (Abb. [3]) (EuGH, Urteil v. 10. 5. 2001 – C203/99, MPJ 2005,146; vgl. dazu bei Weimer/Jäkel,
                  Ratgeber Medizinprodukterecht, 2012, Rdn. 118).
            
Abb. 3   Die Kombination zweier Medizinprodukte unterschiedlicher Hersteller ist eine Herstellung
                  im Sinne des ProdHaftG (Bild: PhotoDisc).
            
            
            
               
                  
                     
                     
                        Tabelle 1  Fragenkatalog.
                        
                     
                  
                     
                     
                        
                        | 
                            Frage 
                         | 
                        
                        
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                        | 
                            Wie lautet die medizinische Thematik hinter Mix & Match in der Prothetik? 
                         | 
                        
                        
                            Es gibt in der Endoprothetik aller Gelenke Lockerungserscheinungen. Oft ist nur einer
                              der beiden Implantatpartner („Schaft“ oder „Pfanne“) gelockert. In diesen Fällen steht
                              ein Komplettwechsel der Prothese im Raum. Dieser bringt aber ein für die Patienten
                              oft erhebliches Zusatzrisiko mit sich. 
                         | 
                        
                         | 
                        
                     
                     
                        
                        | 
                            Warum hält das Kammgericht Berlin Mix & Match für zulässig? 
                         | 
                        
                        
                            Das KG Berlin argumentiert, der Arzt werde nicht zum Hersteller im Sinne des ProdHaftG.
                              Es erfolgte lediglich eine Reparatur und keine Neuherstellung. Würde man es anders
                              sehen, müsste der Arzt, will er sich nicht den Haftungsrisiken nach dem ProdHaftG
                              aussetzen, gegen das Patientenwohl die Hüftprothese insgesamt austauschen. 
                         | 
                        
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                        | 
                            Was ist die Aufgabe eines medizinischen Sachverständigen vor Gericht? 
                         | 
                        
                        
                            Der Sachverständige (SV) ist bloßer Gehilfe des Gerichts. Der Richter darf sich dabei
                              vom Sachverständigen nur helfen lassen. „Je weniger sich der Richter auf die bloße
                              Autorität des Sachverständigen verlässt, je mehr er den Sachverständigen nötigt, ihn
                              – den Richter – über allgemeine Erfahrungen zu belehren und mit möglichst gemeinverständlichen
                              Gründen zu überzeugen, desto vollkommener erfüllen beide ihre verfahrensrechtliche
                              Aufgabe.“ 
                         | 
                        
                        
                            
                              so schon BGHSt 3, 113, 118
                               
                         | 
                        
                     
                     
                        
                        | 
                            Welche Anforderungen müssen bei einer Eigenherstellung eines Medizinprodukts beachtet
                              werden? 
                         | 
                        
                        
                            Im Vorfeld des planbaren Eingriffs muss ein sogenanntes vereinfachtes Konformitätsbewertungsverfahren
                              gemäß § 7 Abs. 9 MPV durchgeführt werden. 
                         | 
                        
                        
                            § 7 Abs. 9 MPV 
                         | 
                        
                     
                     
                        
                        | 
                            Welche Anforderungen müssen bei einer Sonderanfertigung für einen Patienten erfüllt
                              werden? 
                         | 
                        
                        
                            Es müsste ein vereinfachtes Konformitätsbewertungsverfahren nach § 7 Abs. 5 MPV durchgeführt werden. 
                         | 
                        
                        
                            § 7 Abs. 5 MPV 
                         | 
                        
                     
                     
                        
                        | 
                            Wann wäre ein haftungsrechtlich relevanter Herstellungsprozess zu verneinen? 
                         | 
                        
                        
                            Ein tatbestandlich relevantes Herstellungsgeschehen ließe sich allenfalls dann verneinen,
                              wenn die zusammengefügten Teilstücke von ein und demselben Produzenten bezogen und
                              dann nach dessen vorgezeichneter Anleitung miteinander kombiniert worden wären. 
                         | 
                        
                         | 
                        
                     
                     
                        
                        | 
                            Welche Konsequenzen resultieren aus dem Umstand, dass es sich bei Mix & Match um einen
                              Herstellungsprozess eines Medizinprodukts handelt? 
                         | 
                        
                        
                            Selbstverständlich hat ein Operateur im Vorfeld einer geplanten und planbaren Operation
                              die haftungsrechtliche sowie medizinprodukterechtliche Pflicht, zu überprüfen, welche
                              Prothese im Patienten verbaut wurde und welche Kombinationsmöglichkeiten bestehen. 
                         | 
                        
                         | 
                        
                     
                     
                        
                        | 
                            Ist der ärztliche Standard losgelöst vom Medizinprodukterecht bzw. geht die ärztliche
                              Therapiefreiheit dem MPG vor? 
                         | 
                        
                        
                            Es kann keinen ärztlichen Standard geben, der gegen das Medizinprodukterecht verstößt,
                              ist doch der ordnungsgemäße Betrieb bzw. die fehlerfreie Anwendung eines Medizinprodukts
                              aus dem Behandlungsvertrag resultierende Nebenpflicht und Bestandteil der deliktsrechtlichen
                              Verkehrssicherungspflicht. 
                         | 
                        
                         | 
                        
                     
               
             
            
            
            Eigenherstellung
            
            Liegt aber eine Eigenherstellung vor, so muss der Hersteller bestimmte regulatorische
               Anforderungen beachten. Danach hätte der Operateur im Vorfeld des planbaren Eingriffs
               ein sogenanntes vereinfachtes Konformitätsbewertungsverfahren durchführen müssen. § 12 Abs. 1 S. 3 MPG stellt eine Privilegierung für die Herstellung von Medizinprodukten innerhalb einer
               Gesundheitseinrichtung dar. Wenn diese Produkte den Herrschaftsbereich des Betreibers
               niemals verlassen, also nicht in Verkehr gebracht werden, muss nur ein Teil der klassischen
               Herstellerpflichten übernommen werden.
            
            Die zusammenfassende Beschreibung der Verfahren der Eigenherstellung findet sich seit
               der 4. MPG-Novelle für sonstige Medizinprodukte – wie hier – in § 7 Abs. 9 MPV. Danach zählen zu den Pflichten des Eigenherstellers die in der Checkliste zusammengefassten
               Aufgaben. Es muss eine Dokumentation beigelegt werden, aus der sich Fertigungsstätte,
               Auslegung, Herstellung und Leistungsdaten sowie qualitätssichernde Maßnahmen ergeben
               etc.
            
               Checkliste 
                  
Pflichten eines Eigenherstellers von Medizinprodukten
                   
               
                  
                     
                        
                        - 
                           
                           
Abgabe einer Erklärung mit den Angaben Name und Anschrift des Herstellers
                            
                        
                        - 
                           
                           
die zur Identifizierung des jeweiligen Produkts notwendigen Daten
                            
                        
                        - 
                           
                           
Versicherung, dass das Produkt die grundlegenden Anforderungen nach Anhang I der Richtlinie 93/42 erfüllt
                            
                        
                        - 
                           
                           
Dokumentation mit folgenden Angaben:
                           
                           
                            
                        
                        - 
                           
                           
Aufbewahrung der Erklärung und der Dokumentation über 15 Jahre
                            
                        
                   
                
             
            
            Selbst wenn es sich im konkreten Einzelfall um eine Sonderanfertigung für einen konkreten
               Patienten und nicht um eine standardisierte Vorgehensweise gehandelt haben sollte,
               müsste der Arzt ein Konformitätsbewertungsverfahren nach § 7 Abs. 5 MPV (s. a. [Infobox „Hintergrundinformation“]) durchführen und die Erklärung nach Nummer 2.1. des Anhangs VII der Richtlinie 93/42/EWG ausstellen und dem Patienten eine Kopie mitgeben. Der Arzt hat weiter eine Dokumentation
               nach Nummer 3.1. des Anhangs VII zu erstellen und alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Übereinstimmung
               des hergestellten Medizinprodukts mit dieser Dokumentation zu gewährleisten. Diese
               Dokumentation samt Erklärung ist 15 Jahre aufzubewahren.
            
            Letztlich muss der Arzt zusichern, die Erfahrungen mit Produkten in der der Herstellung
               nachgelagerten Phase auszuwerten und zu dokumentieren sowie angemessene Vorkehrungen
               zu treffen, um erforderliche Korrekturen durchzuführen (Abb. [4]).
            
Abb. 4   Eine sorgfältige Dokumentation ist für den Arzt unerlässlich (Bild: I. Drutu/istockphoto).
            
            
               Hintergrundinformation 
                  
Konformitätsbewertungsverfahren
                   
               
                  
                     Hersteller müssen für jedes ihrer Produkte die Produktsicherheit nachweisen und gewährleisten,
                        dass es den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Bei Medizinprodukten besteht aufgrund
                        eines erhöhten Gefährdungspotenzials dieser Produkte die Besonderheit, dass zusätzlich
                        auch die medizinisch-technische Leistungsfähigkeit nachgewiesen werden muss in der
                        Art, wie sie vom Hersteller in der Produktkennzeichnung als medizinische Indikation
                        dargestellt ist.
                   
                
             
            
            Bei der Durchführung eines solchen Konformitätsbewertungsverfahrens hilft die Verwendung
               einer harmonisierten Norm der Din EN 14 791 (Einzelheiten bei Weimer/Jäkel, Ratgeber Medizinprodukterecht, 2012,
                  Rdn. 117).
               
            
            Wird diese harmonisierte Norm eingehalten, wird zwar nicht zwingend der Entlastungsbeweis
               nach § 1 Abs. 2 ProdHaftG im Produkthaftungsprozess geführt worden sein (vgl. Weimer, „Passivlegitimation MP-Hersteller vs. Krankenhausträger“, in: Jorzig/Uphoff
                  [Hrsg.] Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht e. V., „Medizinprodukte
                  in der Anwendung: Alle machen mit, keiner haftet“, 2013, S. 49 ff.; OLG Hamm, Urteil
                  vom 26. 10. 2010 [Az: I-21 U 163/08]). Gleichwohl ist die Darlegung der regulatorischen Compliance notwendiger Bestandteil
               der Verteidigungsstrategie zur Abwehr von Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen
               wie auch der Verteidigung im Strafprozess-, aber auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren.
            
               
               
                  
                     Gemäß § 42 Abs. 2 Nr. 6 MPG handelt nämlich ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 12 Abs. 1 MPG ein Medizinprodukt aus Eigenherstellung bzw. Sonderanfertigung in Betrieb nimmt.
                        Auch strafrechtlich erwachsen Risiken, da der Hersteller verpflichtet ist, sich von
                        der Gefahrlosigkeit seines Produkts zu überzeugen (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG).
                        
                   
                
             
            
            Ein Verstoß gegen § 12 Abs. 1 MPG kann nach § 41 Nr. 1 MPG mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden.
            
               Prinzipien 
                  
Verstoß gegen Betreiber- und Anwenderpflichten
                   
               
                  
                     Aus einem Verstoß gegen Betreiber- und Anwenderpflichten resultieren u. U. Risiken
                        hinsichtlich:
                     
                        
                        - 
                           
                           
Strafrecht:
                           
                           
                              
                              - 
                                 
                                 
Geldstrafe
                                  
                              
                              - 
                                 
                                 
Freiheitsstrafe
                                  
                              
                            
                        
                        - 
                           
                           
Ordnungswidrigkeit:
                           
                           
                            
                        
                        - 
                           
                           
Zivilrecht:
                           
                           
                              
                              - 
                                 
                                 
Schadensersatz
                                  
                              
                              - 
                                 
                                 
Schmerzensgeld
                                  
                              
                            
                        
                   
                
             
             
         
         Entscheidung des OLG Koblenz
            Überzeugender ist denn auch die Rechtsauffassung des OLG Koblenz. In dem Beschluss
               vom OLG Koblenz (v. 26. 03. 2013 – 5 U 1474/12, Rn. 21) wird feststellt:
               Der Fall 
                  
Ausführung des Oberlandesgerichts
                   
               
                  
                     „[…] Allerdings vermag die Erwägung des Landgerichts, die vom Krankenhaus (zu dessen
                        Herstellerhaftung im Unterschied zur fehlenden Einstandspflicht des ausführenden Operateurs;
                        vgl. Oechsler in Staudinger, BGB, 2009, § 4 ProdHaftG Rndr. 9 ff.) zu verantwortende Zusammenfügung des Prothesenschafts mit dem Gelenkkopf sei nicht
                        die Herstellung eines Produkts im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG, nicht zu greifen.
                     Der Gelenkkopf wurde am 28. 05. 2003 intraoperativ auf den Konus des Prothesenschafts
                        aufgesteckt. Dieser Vorgang, bei dem aus zwei Einzelteilen ein funktionstaugliches
                        Ersatzstück geschaffen wurde, unterfiel § 4 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG (Oechsler a. a. O. § 4 ProdHaftG Rndr. 21 f.; Sprau in Palandt,
                           BGB, 72. Aufl., § 4 ProdHaftG Rndr. 3; Wagner in Münchner Kommentar, BGB, 5. Aufl.,
                           § 4 ProdHaftG Rndr. 8). Dass es sich bei dem neu entstandenen Produkt um ein Körperimplantat handelte, ändert
                        daran nichts (Oechsler a. a. O. § 2 ProdHaftG Rndr. 39; Wagner a. a. O. § 2 ProdHaftG Rndr. 17;
                           Graf von Westphalen in Foerste/Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, 3. Aufl.,
                           § 49 Rndr. 20).
                        
                     Ein tatbestandlich relevantes Herstellungsgeschehen ließe sich allenfalls dann verneinen,
                        wenn die zusammengefügten Teilstücke von ein und demselben Produzenten bezogen und
                        dann nach dessen vorgezeichneter Anleitung miteinander kombiniert worden wären (so Wagner a. a. O. § 4 ProdHaftG Rndr. 8; a. A. jedoch Oechsler a. a. O., § 4 ProdHaftG
                           Rndr. 27; Graf von Westphalen a. a. O. § 49 Rndr. 19 f.).
                        
                     Davon kann indessen keine Rede sein. Die von einer solchen Sondersituation verschiedenen
                        Gegebenheiten des vorliegenden Falls wurden im Termin vom 31. 05. 2012 erörtert (Anhörung Prof. Dr. F., Protokoll Seite 5 = Blatt 211 GA). Mit diesen Erwägungen ist jedoch am Ende nichts gewonnen. Denn es steht nicht fest,
                        dass die implantierte Prothese von ihrem Material oder ihrer Zusammenfügung her mit
                        einem Fehler (§ 3 ProdHaftG) behaftet war; dafür trägt der Kläger die Beweislast (§ 1 Abs. 4 S. 1 ProdHaftG).
                     Aus dem bloßen Umstand, dass der Gelenkkopf zerbrach, lässt sich insoweit nichts ableiten,
                        weil damit statistisch gerechnet werden musste.“
                   
                
             
            Das Urteil des KG Berlin erschöpft sich demgegenüber in allgemeinen Gerechtigkeitsausführungen,
               ohne aber unter eine konkrete Norm zu subsumieren. Die Begründung im Urteil (Rdn. 105) (s. folgende [Infobox]) kann zwar unter dem Gesichtspunkt eines rechtfertigenden Notstands diskutiert werden.
               Eine solche Situation des rechtfertigenden Notstands wird im Urteil aber nicht beschrieben.
               Der Fall 
                  
Ausführung des Kammergerichts
                   
               
                  
                     „[…] ein Verstoß gegen das Medizinproduktegesetz und die Medizinprodukte-Betreiberverordnung
                        ist in Anbetracht des Umstandes, dass das streitgegenständliche Vorgehen medizinisch
                        sachgerecht und im Vergleich zur Auswechselung der gesamten Prothese einschließlich
                        Schaft das erheblich schonendere Vorgehen darstellte, unter Abwägung einer Nutzen-Risiko-Abwägung,
                        zu verneinen.“
                   
                
             
               
               
                  
                     Der häufigste Grund für revisionsendoprothetische Eingriffe ist die aseptische Prothesenlockerung.
                        Aber auch Infektionen, Dislokationen, periprothetische Frakturen und Implantatbrüche
                        kommen vor (s. [Übersicht]).
                   
                
             
               Übersicht 
                  
Die wichtigsten Gründe für Revisionsendoprothetik
                   
               
             
          
         
         Die Konsequenz
            Selbstverständlich hat ein Operateur im Vorfeld einer geplanten und planbaren Operation
               die haftungsrechtliche sowie medizinprodukterechtliche Pflicht, zu überprüfen, welche
               Prothese im Patienten verbaut wurde und welche Kombinationsmöglichkeiten bestehen
               (Abb. [5]).
Abb. 5   Dem Arzt obliegt die Aufgabe, vor der Operation detailliert zu prüfen, über welche
                  Prothesen der Patient bereits verfügt (Bild: Jupiterimages).
            
            Wenn nach Prüfung keine weitere Kombinationsmöglichkeit im Sinne einer der beteiligten
               Hersteller beigelegten Positivliste existiert, entsteht eine sehr interessante Abwägungsfrage,
               ob ein Krankenhausträger/Operateur verpflichtet sein bzw. werden kann, ein Medizinprodukt
               eigenherzustellen bzw. sonderanzufertigen, um einen größeren Eingriff für den Patienten
               zu vermeiden (Stichwort: Pflicht zur Durchführung eines vereinfachten Konformitätsbewertungsverfahrens
               nach DIN EN 14 791). Das ist im Ergebnis aber wohl kaum vor dem Hintergrund eines
               aus der Eigenherstellung entstehenden Haftungsrisikos aus dem ProdHaftG bzw. § 823 Abs. 2 BGB iV mit §§ 12 Abs. 1 S. 3, S. 1; 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG anzunehmen.
            Vorliegend lassen sich aber den Urteilsgründen des KG durchaus Anhaltspunkte entnehmen,
               die auf ein zulässiges Kombinationsprodukt zumindest schließen lassen. Im Urteil heißt
               es nämlich:
               Der Fall 
                  
Ausführungen des Kammergerichts
                   
               
                  
                     „Aus medizinischer Sicht ist die Verwendung der […] Verlängerung aber nicht zu beanstanden,
                        vielmehr wurde dieser [Steckkopf] sogar explizit für die sekundäre Stabilisierung
                        von instabilen Hüftendoprothesen verschiedener Hersteller entwickelt.“
                   
                
             
            Wenn die Verlängerung aber für die sekundäre Stabilisierung hergestellt wurde, ist
               die Kombination beider Teilprodukte wohl vom Hersteller der Verlängerung als zulässig
               beschrieben worden. Diesem Gesichtspunkt hätte das KG Berlin nachgehen müssen, indem
               es in die zwingenden Gebrauchs- und Herstellerinformationen Einblick hätte nehmen
               müssen (Abb. [6]).
Abb. 6   Röntgenaufnahme einer Hüft-TEP (Bild: N. Larento/Fotolia.com).
            
            Es mag bei Lektüre des Urteils der Eindruck entstehen, dass der ärztliche Facharztstandard
               im Arzthaftungsrecht quasi in Konkurrenz zum Medizinprodukterecht stehen könne und
               die ggf. auftretende Widersprüchlichkeit im Wege einer praktischen Konkordanz aufgelöst
               werden müsse. Das ist nicht richtig.
               Hintergrundinformation 
                  
Arzthaftungsrecht
                   
               
                  
                     Jede ärztliche Maßnahme greift in innere Lebensvorgänge ein oder verletzt die körperliche
                        Integrität des Patienten.
                     Der Arzt schuldet eine fachgerechte Behandlung des Patienten, nicht jedoch einen konkreten
                        Erfolg. Neben dieser Hauptleistungspflicht bestehen diverse vertragliche Nebenpflichten,
                        insbesondere die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aufklärung oder zur Dokumentation.
                     Ein zentrales Element der Arzthaftung ist das System von beweisrechtlichen Regelungen,
                        mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit eine Behauptung bewiesen sein muss, um Grundlage
                        einer gerichtlichen Entscheidung werden zu können, und welche Partei für welche Behauptungen
                        den Beweis antreten muss.
                   
                
             
               
               
                  
                     Es kann keinen ärztlichen Standard geben, der gegen das Medizinprodukterecht verstößt,
                        ist doch der ordnungsgemäße Betrieb bzw. die fehlerfreie Anwendung eines Medizinprodukts
                        aus dem Behandlungsvertrag resultierende Nebenpflicht und Bestandteil der deliktsrechtlichen
                        Verkehrssicherungspflicht.
                   
                
             
            Das Arzthaftungsrecht steht damit nicht im Konkurrenzverhältnis zum Medizinprodukterecht,
               sondern das Medizinprodukterecht ist dessen notwendiger und natürlicher Bestandteil.
               Der Operateur hat sich damit im Vorfeld der planbaren Operation über die verbauten
               Implantate und deren Kompatibilität mit möglichen Ersatzteilen zu informieren, will
               er sich vor Gericht wie auf hoher See nicht allein und in Gottes Hand wieder finden.