Schlüsselwörter
Leadless pacemaker - transcatheter pacemaker - atrial fibrillation - bradycardia
Keywords
elektrodenloser Herzschrittmacher - Schrittmacher - Vorhofflimmern - Bradykardie
Die elektrische Stimulation des Herzens ist heute die Standardtherapie bei symptomatischen
Bradykardien. Herzschrittmacher reduzieren Symptome, Synkopen und verlängern das Überleben
von Hoch-Risiko-Patienten [1], [2]. Dennoch spielen insbesondere Elektroden-assoziierte Komplikationen eine bedeutsame
Rolle. Eine neue Form von „elektrodenlosen“ Schrittmachern könnte diese vermindern.
Limitationen transvenöser Herzschrittmacher | Seit der Etablierung transvenöser Schrittmacher in den 1960er Jahren haben technische
Weiterentwicklungen u. a. die Batterielaufzeit und die Größe / Form implantierbarer
Aggregate verbessert. Trotz dieser erfreulichen und bedeutsamen technischen Entwicklungen
werden bei bis zu 20 % der Patienten innerhalb von 5 Jahren Komplikationen beschrieben
[3]. Diese stehen insbesondere im Zusammenhang mit
-
den Schrittmacherelektroden und / oder
-
der Agregattasche.
Besonders beeinträchtigt sind Patienten u. a. bei
-
Pneumo- / Hämatothorax nach Punktion der Vena subklavia
-
Taschenhämatome und -Infektionen
-
Elektrodenfehlfunktionen (Brüche, Isolationsdefekte u. a.)
Damit verbundene Risiken sind insbesondere vor dem Hintergrund der Zunahme von älteren
Patienten mit zahlreichen Komorbiditäten von unveränderter Aktualität. Hinzu kommt,
dass bei einzelnen Patienten der übliche venöse Zugangsweg nicht möglich ist. Dann
ist mit herkömmlichen Schrittmachersystemen ein epikardialer Zugang zum Herzen notwendig.
Vorteile „elektrodenloser“ Schrittmacher | Miniaturisierte, „elektrodenlose“ Schrittmacher, könnten – über ihren kosmetischen
Vorteil hinaus – die genannten Limitationen teilweise überwinden [4]. Zudem können sie mit der Implantation verbundene Einschränkungen der körperlichen
Aktivität vermeiden – insbesondere im Hinblick auf die obere Extremität.
Noch nicht ausgereift: biologische Schrittmacher | Seit einigen Jahren werden Gen- und Stammzelltherapeutische Ansätze zur Behandlung
von Störungen in der Erregungsbildung bzw. -ausbreitung entwickelt. Derartige biologische
Schrittmacher wurden in Tierexperimenten bereits erfolgreich getestet. Sie befinden
sich jedoch momentan in einer vergleichsweise frühen Entwicklungsphase und können
noch nicht klinisch eingesetzt werden. In den vergangenen Jahrzehnten wurden zahlreiche
medizintechnische Bemühungen unternommen, um Herzschrittmachersysteme zu entwickeln,
welche sich vollständig in das Herz implantieren lassen. Bereits 1970 wurde der erste
miniaturisierte Prototyp eines „elektrodenlosen“ Herzschrittmachers präsentiert, welcher
jedoch seinerzeit nicht bis zur klinischen Etablierung weiterentwickelt wurde [4].
Erfahrungen aus der Praxis | Verschiedene Ansätze mit unterschiedlichen Energieformen und myokardialen Fixierungsmöglichkeiten
haben inzwischen den klinischen Einsatz von zwei entsprechenden Herzschrittmachern
ermöglicht.
Ein-Kammer-Systeme ermöglichen über eine vollständige femorale transvenöse Implantation
eine rechtsventrikuläre Stimulation.
Die ersten klinischen Daten dazu sind vielversprechend [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11]. Darüber hinaus erwies sich eine linksventrikuläre endokardiale Stimulation zur
kardialen Resynchronisationstherapie als machbar [12], [13].
Rechtsventrikuläre Stimulation
Rechtsventrikuläre Stimulation
Schrittmacher-Systeme | Aktuell sind zwei vollständig Katheter-basiert implantierbare Schrittmachersysteme
verfügbar (▸ [
Abb. 1
]). Gemeinsam ist beiden, dass sie wie ein herkömmlicher VVI-R-Schrittmacher funktionieren
[7], [10]:
Abb. 1 Perkutan Katheter-basiert implantierbare Schrittmachersysteme. Dargestellt sind zwei
1-Kammer-VVI-Schrittmacher-Systeme, welche aktuell über einen transvenösen Zugang
implantiert werden können. (A) MicraTPS (Medtronic GmbH), (B) Nanostim (St. Jude Medical
GmbH).
Die erwartete Batterielaufzeit entspricht mit im Mittel 7 bis > 12 Jahren etwa der
konventioneller Schrittmacher. Bemerkenswert ist dabei, dass die Laufzeit vor allem
vom Umfang und Ausmaß der notwendigen Stimulation beeinflusst wird. Im Falle einer
Batterieerschöpfung ist eine Explantation und / oder Implantation eines neuen Systems
vorgesehen. Klinische Langzeit-Verlaufsbeobachtungen zu chronisch implantierten Systemen
liegen aktuell nur eingeschränkt vor. Experimentelle Untersuchungen legen nahe, dass
die Implantation mehrerer Systeme die Herzfunktion nicht beeinträchtigt. Gegenstand
aktueller Untersuchungen ist außerdem die Frage, wie sich die jeweilige Schrittmacher-Fixierung
(Nanostim: Schraubelektrode, Micra: Nitinol-Anker) auf mögliche Langzeitverläufe /
Explantationen auswirken könnte [14], [15], [16], [17], [18], [19]. Die Nachsorge der Schrittmacher erfolgt mittels gängiger Abfragegeräte. Bei der
Identifikation des Gerätes ist zu berücksichtigen, dass sich der Schrittmacher vollständig
im Herzen befindet. Somit entfällt das Aufsuchen des Aggregates bzw. einer Narbe im
Bereich der Schrittmacher-Tasche.
High-Tech im Herzen | Die Sensoren zur Wahrnehmung der Patientenaktivität befinden sich ebenfalls im ständig
bewegten rechten Ventrikel. Sie unterscheiden sich daher technisch in einigen Details
grundsätzlich von den Sensoren herkömmlicher Schrittmacher. Die Frequenzadaptation
erfolgt über
Für eine einfache Anwendbarkeit wurde eine gewohnte automatisierte bzw. manuelle Anpassung
der Frequenzadaptation entwickelt. Eine orientierende Übersicht der Unterschiede bzw.
Gemeinsamkeiten von konventionellen vs. Katheter-basiert implantierbaren Schrittmacher
findet sich in ▸ [
Tab. 1
].
Tab. 1 Kurzübersicht zu Besonderheiten von konventionell vs. transkatheter, transfemoral
implantierbaren Herzschrittmachern.
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Konventionelle Schrittmacher-Implantation
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Transkatheter-Schrittmacher-Implantation
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Systemaufbau
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1. Aggregat zzgl. Konnektor
2. Elektrode(n)
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miniaturisiertes, integriertes System
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Implantation
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chirurgische Tasche + thorakales Einbringen / Positionieren der Elektrode (7F)
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perkutane, transfemoral, -venöse Positionierung (27F)
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Fluoroskopie-Exposition
(für Implantationsteam)
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vergleichsweise große Nähe zur Strahlenquelle
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größerer Abstand zur Strahlenquelle + Möglichkeit für umfangreicheren Strahlenschutz
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Mögliche spezifische Komplikationen
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Systemexplantation
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umfangreiche, spezialisierte Ausbildung notwendig
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Batterieaustausch
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Zugang zur SM-Tasche notwendig
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Explantation und / oder (additive) Neuimplantation
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MRT Kompatibilität
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systemabhängig, z. T. full-body (i. d. R. bis 1,5 T)
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full-body (Micra TPS bis 3 T)
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Voruntersuchungen | Aufgrund der noch vergleichsweise eingeschränkten Erfahrungen sind eine spezifische
-
Auswahl,
-
Aufklärung und
-
Vorbereitung
potenzieller Patienten besonders bedeutsam. Die Voruntersuchungen entsprechen dabei
denen vergleichbarer Herzkatheter-Untersuchungen. Sie sind v. a. von der Anamnese
des Patienten abhängig.
Grundsätzlich kann eine Katheter-basierte Schrittmacher-Implantation erwogen werden,
sofern eine Indikation für eine VVI-Schrittmacher-Implantation besteht.
Diskutiert werden verschiedene Begleitumstände, welche das Prozedurrisiko erhöhen
könnten. Daher sollte das System kritisch ausgewählt werden. Bei einer permanenten
Schrittmacher-Abhängigkeit bzw. fehlendem adäquatem Ersatzrhythmus ist aktuell noch
ein zurückhaltender Einsatz zu empfehlen – denn Langzeit-Beobachtungen liegen nur
eingeschränkt vor. Eine Übersicht von Kontraindikationen findet sich in ▸ [
Tab. 2
].
Tab. 2 Kontraindikationen für perkutan Katheter-basiert implantierbare Herzschrittmacher.
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Relative und absolute Kontraindikationen
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vollständige Herzschrittmacherabhängigkeit (Eigenrhythmus < 30 bpm)
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instabile Angina Pectoris bzw. akuter Myokardinfarkt
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Vorhandensein aktiver Herzrhythmus- oder sonstiger Implantate, welche Strom verwenden
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mechanischer Trikuspidalklappenersatz
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implantierter Vena-cava-Filter
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Linksherz-Unterstützungssysteme
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Übergewichtigkeit, durch welche eine telemetrische Kommunikation über > 12,5 cm erforderlich
ist
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femoral venöse Anatomie, welche kein Vorbringen eines 23F Einführungsbesteck ermöglicht
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Unmöglichkeit der Tolerierbarkeit einer akuten Sternotomie
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Nickel / Titan (Nitinol)-Unverträglichkeit
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relevante pulmonale Hypertonie
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Patientenbetreuung | Im Einzelfall können – ähnlich wie bei konventionellen Schrittmachern – herzchirurgische
Interventionen notwenig werden. Deshalb müssen eine entsprechende Infrastruktur einschließlich
der personellen Voraussetzungen dringend sichergestellt werden.
Implantation | Die Implantation wird in der Regel im elektrophysiologischen Katheterlabor beim wachen
bzw. analgosedierten Patienten durchgeführt. Eine periprozedurale Antibiose sowie
Antikoagulation erfolgen nach Ermessen des Implanteurs.
-
Nach einer entsprechenden Lokalanästhesie der primär zu punktierenden Leiste (im Normalfall
rechts) wird die Vena femoralis in Seldinger-Technik punktiert.
-
Der „Implantations-Katheter“ wird in den rechten Vorhof eingeführt.
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Über einen speziellen Steuerungsmechanismus wird letzterer im rechtsventrikulären
Apex positioniert und der Schrittmacher dort schließlich fixiert.
-
Fällt ein Belastungstest zur Sicherstellung der effektiven Fixierung positiv aus und
bestehen darüber hinaus gute Messwerte (Reizschwelle, Wahrnehmung, Impedanz), wird
der Schrittmacher vollständig freigesetzt.
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Wenn die Schrittmacher-Position unverändert adäquat ist und die Messwerte stabil sind,
können der Positionierungskatheter sowie die Einführungsschleuse entfernt und die
Blutstillung sichergestellt werden.
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Der Schrittmacher kann weiter programmiert werden.
▸ [
Abb. 2
] zeigt die fluoroskopische Darstellung eines intrakardial positionierten „elektrodenlosen“
Schrittmacher. Eine weitere Schrittmacher-Kontrolle und ggf. Sensor-Anpassung erfolgt
am ersten postoperativen Tag nach der Mobilisierung des Patienten.
Abb. 2 Fluoroskopische Ansicht eines im rechten Ventrikel positionierten „elektrodenlosen“
Schrittmachers. Anteriore Ansicht eines 1-Kammer-VVI-Schrittmachers, der apikoseptal
implantiert wurde (Micra). Deutlich sichtbar sind 2 der 4 Nitinol-Anker (Pfeile),
welche den Schrittmacher im Myokard fixieren.
Ausblick
Patientencharakteristika | Katheter-basiert transvenös implantierbare, vollständig intrakardial lokalisierte
Herzschrittmacher werden zunehmend in der Behandlung bradykarder Herzrhythmusstörungen
eingesetzt [20], [21].
In Deutschland können von diesen Systemen bisher insbesondere Patienten mit bradykardem
Vorhofflimmern profitieren.
Welche Patienten (Alter, Geschlecht, Komorbiditäten, Gefäßstatus, frühere / zukünftige
Implantate u. a.) am meisten profitieren, ist aktuell noch offen.
Optimierung | Weitere technische Entwicklungen sind unterdessen zentral, um den klinischen Einsatz
„elektrodenloser“ Schrittmachersystemen auch in anderen bzw. mehreren Herzkammern
zu ermöglichen. Ein bisher eingesetztes System zur linksventrikulären Stimulation
erhält über einen subkutan implantierten Transmitter Ultraschallenergie, welche in
elektrische Energie umgewandelt wird [12], [13]. Es wird über die Arteria femoralis in Kombination mit einem herkömmlichen Schrittmacher
einschließlich eines pektoral implantierten Schrittmacher-Aggretates eingesetzt. Die
potenziellen Vorteile dieser transaortal, direkt linksventrikulär implantierbaren
Systeme müssen noch untersucht werden.
Subkutan implantierbare Defibrillatoren | Der Einsatz „elektrodenloser“ Schrittmacher gemeinsam mit subkutan implantierbaren
Kardioverter-Defibrillatoren könnte ebenfalls neue Perspektiven eröffnen. Hierzu liegt
inzwischen eine erste Kasuistik mit Langzeiterfahrungen vor [22]. Während der Nachbeobachtungszeit von 6 Monaten kam es bei intakter Schrittmacher-
sowie Defibrillatorfunktion zu keinen Fehlfunktionen bzw. Interferenzen der beiden
Systeme. Es muss jedoch bedacht werden, dass eine Schrittmacherstimulation während
eines Kammerflimmerns die Defibrillatortherapie behindern könnte.
Eine derartige Kombination sollte aktuell lediglich bei den sehr seltenen Einzelfällen
mit fehlenden alternativen Therapieoptionen erwogen werden.
Kombination mit anderen Systemen | In Zukunft könnten auch Kombinationen mit transvaskulär zu positionierenden Defibrillatoren
möglich werden. Ein entsprechendes Modell wurde bereits entwickelt und im Hinblick
auf die erfolgreiche Defibrillation klinisch getestet [23], [24]. Weitere Untersuchungen in Kombination mit weiteren medizintechnischen Innovationen
werden zeigen, inwieweit Katheter-basierte „elektrodenlose“ Ein-, Zwei- und Drei-Kammer-Schrittmacher-
bzw. Defibrillatorsysteme das Armamentarium zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen
in der klinischen Praxis erweitern werden.
Konsequenz für Klinik und Praxis
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Für Patienten mit Indikation für einen Ein-Kammer-VVI-Schrittmacher kann die Implantation
eines „elektrodenlosen“ Herzschrittmachers erwogen werden.
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Dies gilt insbesondere für Patienten mit unzureichenden Zugangswegen im Bereich der
oberen Extremität bzw. erhöhtem Risiko für Elektrodendefekte.
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Langzeiterfahrungen müssen in Form von klinischen Studien und Registern noch weiter
gesammelt werden. Darüber müssen Patienten und deren Angehörigen ausführlich informiert
werden.
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In der Betreuung von entsprechenden Patienten entfällt das Aufsuchen des Aggregates
bzw. einer Narbe im Bereich der konventionellen Schrittmacher-Tasche.