Benchmarking erscheint intuitiv sinnvoll, hat sich jedoch in der Praxis als enttäuschend
erwiesen. Kaplan und Norton beobachten, dass „95 % der Unternehmen, die Benchmarking
versucht haben, zwar eine Menge Geld ausgegeben, aber im Gegenzug sehr wenig bekommen
haben [1]“.
Die Beführworter von Benchmarking gehen von einer ganzen Reihe von Prämissen aus,
die größtenteils unbewiesen sind.
Bei der Verwendung von Benchmarking setzen wir voraus, dass die Teilnehmer durch den
Benchmarking-Prozess motiviert werden, Verbesserungen anzustreben. Außerdem wird unterstellt,
dass die beim Benchmarking gemessenen Parameter auch tatsächlich vergleichbar und
zudem klinisch relevant sind. Die Fragen, die erlaubt sein müssen, sind allerdings,
wem diese Parameter nutzen, ob sie einen Wert für den Patienten darstellen, und vor
allem, ob sie wirklich einen Motivationsschub erzeugen. Außerdem ist im Gegensatz
zur Industrie ein Wertzuwachs im Gesundheitswesen oft schwer zu definieren, da es
außer den Patienten auch noch andere relevante „Kunden“ gibt, nicht zuletzt Angehörige,
Betreiber und Ärzte.
Das Streben danach, beim Benchmarking die besten Ergebnisse zu erreichen, stellt uns
vor die Herausforderung, wohin man sich weiter entwickeln kann, wenn man Bestergebnisse
erzielt hat. Woher kommt die nächste Motivation zur Veränderung? Beispiele aus der
Industrie zeigen, dass das bloße Kopieren der „Klassenbesten“ wenig Innovationskraft
entfacht. Wirklich erfolgreiche Unternehmen werden zumeist von Innovationen außerhalb
ihres direkten Wirkungskreises inspiriert, um wesentliche Qualitätsverbesserungen
zu erzielen [2]. Der Wunsch, sich mit den Besten der Branche zu messen, führt oft zu einer Homogenisierung,
die sich innovationshemmend auswirken kann, weil es als Motivation ausreicht, möglichst
nahe an den momentan Besten heranzukommen, anstatt selber Innovationskraft zu entwickeln.
Durch die Homogenisierung verliert man in der Industrie zudem diejenigen Aspekte,
die das eigene Produkt aus der Masse herausheben und wiedererkennbar machen. Im besten
Fall kann Benchmarking dann zu einer Reduzierung der Varianzbreite führen, um einen
Standard verlässlich und wiederholbar erreichen zu können. Dies mag im Gesundheitswesen
in bestimmten Bereichen durchaus angestrebt werden, ist aber ein hoher Aufwand, um
Standardisierung zu erreichen. Während Benchmarking also theoretisch dazu betragen
kann, Qualitätsstandards zu erhöhen, muss man sich andererseits im Klaren sein, dass
man dadurch im besten Falle mit der Konkurrenz Schritt hält, aber nie innovativ an
ihr vorbeizieht.
Ein weiteres Problem ist das des Selektionsbias, was die veröffentlichten Erfolge
von Unternehmen angeht. Denrell führt aus, wie gute Resultate zu weiteren Erfolgen
führen, da die Belegschaft Erfolge als Selbstverständlichkeit verinnerlicht [3]. Misserfolge werden von Unternehmen zumeist nicht veröffentlicht und somit auch
nur sehr selten analysiert, obwohl man aus ihnen mindestens genauso viel lernen kann
wie aus Erfolgen. Der daraus entstehende Selektionsbias macht sinnvolle und qualitativ
hochwertige Vergleiche schwierig.
In der Medizin und anderswo gibt es erstaunlich wenige Beispiele dafür, dass Benchmarking
zu flächendeckenden Verbesserungen geführt hat. Wissenschaftliche Erhebungen fehlen
fast ganz. Steinert et al. zeigen in ihrer Erfahrung mit Benchmarking für Zwangsmaßnahmen,
dass es eine typische Regression zur Mitte gibt (Reduzierung der Varianzbreite) [4]. Mit anderen Worten ausgedrückt, werden die „Klassenbesten“ schlechter und die Schlechtesten
besser. Es ist außerdem oft schwierig, in medizinischen Bereichen „best practice“
zu definieren, weil sich Qualitälitätsstandards ständig weiterentwickeln und permanent
im Fluss befinden. Was heute noch das Beste ist, kann morgen schon überholt sein,
wodurch „best practice“ gezwungen ist, sich immer weiterzuentwickeln.
Eine weitere Sorge muss sein, dass durch Benchmarking Kausalitäten impliziert werden,
die so nicht existieren. Die Gründe, warum ein Krankenhaus bessere Ergebnisse erzielt
als ein anderes, sind oft komplex und multikausal. Außerdem ist nicht jede Verbesserungsstrategie
für jedes Krankenhaus richtig. Eben dies wird aber oft impliziert, wenn erfolgreichere
Unternehmen analysiert werden. Hinzu wirkt sich auch die Tendenz, nur die Erfolgreichen
einer Branche wahrzunehmen und ihre Strategien zu veröffentlichen, zusätzlich einengend
auf die Ergebnisse aus. Die Kopie eines Konzepts führt dann nicht automatisch zum
gleichen Erfolg. Dies ist ein weiteres Problem des oben erwähnten Selektionsbias.
Stattdessen sind gerade im Gesundheitswesen oft lokal akzeptable und durchführbare
Lösungen gefragt.
Macht das, von dem wir glauben, dass es den Unterschied ausmacht, wirklich den Unterschied
aus? Benchmarking ist stark mit einer negativistischen Psychologie assoziiert: Während
grundsätzlich qualitätsförderndes Verhalten angestrebt wird und Mitarbeiter ermutigt
werden sollen, Erfolg anzustreben, ist doch oft eine weniger günstigere Wirkung die
Betonung des Versagens, und damit einhergehend die Provokation von Abwehrverhalten.
Die Betonung von Versagen zeigt sich in Großbritannien zum Beispiel durch die Untersuchungen
sogenannter „serious untoward incidents“, also von Ereignissen mit extrem schlechtem
Ausgang, wie z. B. Suiziden in der Psychiatrie. Der Fokus liegt hier auf der Fehleranalyse,
wobei oft unzulässige Schlüsse aus Einzelfällen gezogen werden. Ähnlich wie beim Benchmarking
liegt der Fokus auf dem Versagen, und Kausalitäten sind häufig nicht empirisch bewiesen.
Dies führt bei dem betroffenen Personal meist zu defensiven Erklärungsmodellen und
reduzierter Motivation. Nur durch erhebliche Vertrauensarbeit kann in einer solchen
Atmosphäre Tranzparenz hergestellt werden.
Zusammenfassend kann Benchmarking immer nur ein Ausgangspunkt sein. Wir müssen erwägen,
welche Verbesserungsstrategien wirklich einen Qualitätsgewinn für den Patienten darstellen
und auf unsere jeweilige Situation anwendbar sind. Wir müssen uns immer im Klaren
sein, ob die von uns ausgesuchten Parameter auch wirklich vergleichbar und klinisch
sinnvoll sind. Außerdem sollten, in Analogie zu dem industriellen Prinzip schlanker
Organisationen, Krankenhäuser von überflüssigen Dingen befreit werden, die keinen
Qualitätsgewinn für die Patienten bringen. Am Wichtigsten ist allerdings, dass die
Organisationen klare Visionen darüber entwickeln, was sie erreichen möchten, und wie
dies umsetzbar ist.