Schlüsselwörter Selbsteinschätzung - subjektive körperliche Aktivität - Akzelerometer - Rückenschmerzpatienten
Key words self-assessment - self-reported physical activity - accelerometer - low back pain
Einleitung
Die Hinführung zu einem körperlich aktiven Lebensstil ist ein übergeordnetes Ziel
der Bewegungstherapie und rehabilitativen Nachsorge [1 ]
[2 ], das auch bei der großen Gruppe von Rehabilitanden mit chronischen Rückenschmerzen
von zentraler Bedeutung ist [3 ]
[4 ]
[5 ].
In der Bewegungsförderung ist die Frage nach der patientenbezogenen Selbsteinschätzung
des körperlichen Aktivitätsverhaltens sowohl für die therapeutische Praxis als auch
aus wissenschaftlicher Sicht von großer Relevanz. Für die therapeutische Praxis ist
bspw. zu berücksichtigen, dass die patientenbezogene Selbsteinschätzung, das heißt
in diesem Fall das Ausmaß der Übereinstimmung von subjektiver und objektiver körperlicher
Aktivität, die Motivation und Intention zur Veränderung des Bewegungsverhaltens maßgeblich
beeinflussen kann [6 ]
[7 ]. So kann eine Überschätzung des eigenen Aktivitätsverhaltens eine potentielle Barriere
für den Erfolg von Interventionen sein, da sich TeilnehmerInnen unter Umständen bereits
als ausreichend aktiv einschätzen und somit eine bewegungsbezogene Verhaltensveränderung
nicht als notwendig empfinden [6 ]
[7 ]
[8 ]
[9 ].
Aus wissenschaftlicher Sicht ist für die Bewertung von Interventionseffekten neben
den Fragen nach der Objektivität, Reliabilität und Validität eines Instruments zur
Messung körperlicher Aktivität auch die Frage nach dessen Anwendbarkeit in der Praxis
von zentraler Bedeutung [10 ]. Bezüglich der Operationalisierung von körperlicher Aktivität wird dabei in der
Literatur ein inverser Zusammenhang zwischen Messgenauigkeit und Praktikabilität beschrieben,
d. h. mit steigender Praktikabilität nimmt die Messpräzision ab [11 ]. [Abb. 1 ] zeigt Methoden zur Operationalisierung körperlicher Aktivität und unterscheidet
dabei Referenz-Methoden, objektive Verfahren und subjektive Verfahren. Während die
Messpräzision von den subjektiven Verfahren in Richtung Referenz-Methoden zunimmt,
nimmt die Praktikabilität, d. h. die Durchführung in der Routineanwendung, gleichzeitig
ab [10 ]
[12 ]. Die Herausforderung in der anwendungsorientierten Wissenschaft besteht darin, für
die jeweilige Untersuchung ein praktikables Instrument mit bestmöglicher Messpräzision
auszuwählen.
Abb. 1 Messverfahren körperlicher Aktivität (modifiziert nach Beneke & Leithäuser, 2008
und Müller, 2010 [10 ]
[12 ])
Ausgehend von der Einteilung in [Abb. 1 ] zeigten bereits mehrere Studien, dass Daten zur körperlichen Aktivität aus subjektiven
und objektiven Verfahren häufig nicht übereinstimmen. Prince et al. [13 ] zeigten dazu in einem umfassenden Review, dass es bei den subjektiven Erhebungen
sowohl zu deutlichen Über- als auch Unterschätzungen im Vergleich zu objektiven Daten
kam. Dabei konnte allerdings kein klares Muster bezüglich der Abweichungen identifiziert
werden [13 ]. Auch Gaede-Illig, Alfermann, Zachariae und Menzel [14 ] zeigten in einer Studie an über 430 Probanden, dass subjektive Angaben stark von
objektiven Werten zur körperlichen Aktivität abwichen, wobei sie im Mittel eine subjektive
Überschätzung der körperlichen Aktivität beschreiben [14 ]. Zu den gleichen Ergebnissen kam ein Review zur Validität eines international anerkannten
Fragebogens (IPAQ-SF), das eine zum Teil deutliche Überschätzung der subjektiven körperlichen
Aktivität im Vergleich zu objektiven Daten beschreibt [15 ]. Analog zur Tendenz der Überschätzung der subjektiven körperlichen Aktivität zeigt
die Studienlage zudem eine zum Teil deutliche Unterschätzung von Sitzzeiten bzw. körperlicher
Inaktivität [16 ]
[17 ]
[18 ]. Die Notwendigkeit einer ergänzenden indikationsspezifischen Betrachtung des Themas
zeigt eine Arbeit von van Weering, Vollenbroek-Hutten und Hermens [19 ], die zeigte, dass die Selbsteinschätzung von Rückenschmerzpatienten im Vergleich
zu gesunden Probanden deutlich schlechter ist [19 ].
Ausgehend von der in der Literatur aufgezeigten Problemlage bei der Übereinstimmung
subjektiver und objektiver Verfahren sowie der Bedeutung der patientenbezogenen Selbsteinschätzung
für die Interventionskonzeption und -evaluation von Bewegungsförderungsmaßnahmen ist
das Ziel der vorliegenden Studie die subjektiven und objektiven körperlichen Aktivität
bei Patienten mit Rückenschmerzen zu vergleichen.
Material und Methodik
Studiendesign
Die Studie wurde als Teilprojekt im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Förderung
körperlicher Aktivität und Teilhabe durchgeführt [20 ]. Erhebungszeitraum war Juni–Juli 2014 und das Forschungsprojekt wurde durch die
Ethik-Kommission der Deutschen Sporthochschule Köln genehmigt.
In einer Informationsveranstaltung erhielten die TeilnehmerInnen für 7 Tage einen
Akzelerometer zur objektiven Erfassung körperlicher Aktivität. Am Ende der Tragedauer
beantworteten die TeilnehmerInnen einen Fragebogen zur körperlichen Aktivität in den
letzten 7 Tagen. Inhalte der Informationsveranstaltung waren die Aufklärung über die
Messinstrumente und deren Handhabung, die Messung des Körpergewichts und das Unterschreiben
der Einwilligungserklärung.
Stichprobe
Die Stichprobe bestand aus Rehabilitanden, die vor mindestens 6 Monaten eine stationäre
Rehabilitation wegen Rückenschmerzen durchgeführt hatten. Ausschlusskriterien für
das gesamte Forschungsprojekt waren unzureichende Deutschkenntnisse, posttraumatische
Zustände (z. B. Rückenbeschwerden als Unfallfolge), operative Eingriffe in den letzten
3 Monaten vor der Rehabilitation, Alter über 65 Jahre und eine geplante Operation
im Anschluss an die stationäre Rehabilitation [20 ]. Einschlusskriterium für die vorliegende Querschnittstudie war eine mindestens seit
6 Monaten abgeschlossene stationäre orthopädische Rehabilitation, keine operativen
Eingriffe im Anschluss an die Rehabilitation, die Bereitschaft, einen Bewegungssensor
zu tragen und eine unterschriebene Einverständniserklärung. Zudem wurden nur TeilnehmerInnen
in die Auswertung eingeschlossen, die den Bewegungssensor mindestens 10 Stunden an
4 verschiedenen Tagen getragen hatten [21 ]
[22 ].
Messinstrumente
Die Operationalisierung der subjektiven körperlichen Aktivität erfolgte mittels Global
Physical Activity Questionnaire (GPAQ) [23 ]
[24 ]. Der GPAQ wird von der WHO zur Erfassung der körperlichen Aktivität empfohlen [23 ]
[24 ]
[25 ]
[26 ] und besteht aus 16 Items. Umfang und Intensität (moderat bzw. intensiv) von körperlicher
Aktivität werden in den 3 Lebensbereichen Arbeit, Transport und Freizeit erhoben.
Zudem wird in einem Item die tägliche Sitzzeit erfasst.
Die Quantifizierung der objektiven körperlichen Aktivität erfolgte anhand eines triaxialen
Akzelerometers (Actigraph GT3X +). Dieser wurde während der Wachzeiten auf Höhe der
Spina iliaca anterior getragen. Der Actigraph GT3X+misst leichte, moderate und intensive
körperliche Aktivität sowie sitzende Aktivität.
Alter, Geschlecht und Schulabschluss der TeilnehmerInnen wurden mittels Fragebogen
erhoben. Zudem wurde nach ungewöhnlichen Ereignissen im Erhebungszeitraum gefragt
(„Ist die letzte Woche eine gewöhnliche Woche gewesen?“ (ja/nein), „Sind Sie Ihren
üblichen Tätigkeiten nachgegangen?“ (ja/nein)).
Statistische Auswertung
Im Rahmen der Datenaufbereitung wurden die Akzelerometerdaten anhand der Freedson-
und Troiano-Algorithmen [27 ]
[28 ] ausgelesen und validiert. Sowohl für subjektive (GPAQ)[1 ] als auch für objektive Daten (Akzelerometer)[2 ] wurden Tagesdurchschnittswerte für moderate und intensive Aktivität sowie die Sitzzeit
berechnet, um Probanden mit unterschiedlichen Tragezeiten vergleichbar zu machen.
Die Stichprobenbeschreibung und deskriptive Ergebnisdarstellung zur körperlichen Aktivität
erfolgte auf Grundlage der Gesamtstichprobe anhand von Mittelwert (MW), Standardabweichung
(SD) und Median (MED).
Die statistische Überprüfung des Zusammenhangs der subjektiven (GPAQ) und objektiven
(Akzelerometer) Aktivitätsdaten erfolgte anhand des Rang-Korrelationskoeffizienten
nach Spearman (rho). Dabei wurden Korrelationen bis 0,3 als geringer, über 0,3–0,7
als mittelstark und über 0,7 als starker Zusammenhang bewertet. Es wurden jeweils
die subjektiven und objektiven Daten der moderaten Aktivität, der intensiven Aktivität
sowie Sitzzeiten verglichen. Ergänzend wurde ein Streudiagramm erstellt, wobei TeilnehmerInnen
mit Abweichungen außerhalb eines Intervalls von±10% des jeweiligen objektiven Mittelwerts
als Über- bzw. Unterschätzer klassifiziert wurden. Aufgrund fehlender Standards bei
wurde das Toleranzintervall wurde aus praxisorientierter Perspektive auf Grundlage
einer Diskussion von Sportwissenschaftlern und Therapeuten festgelegt.
Um neben Zusammenhängen auch den Grad an Übereinstimmung zwischen subjektiver und
objektiver Aktivität zu identifizieren, wurde zudem eine Bland-Altman-Analyse durchgeführt,
wobei die durchschnittliche Differenz (MW) sowie die Übereinstimmungsgrenzen (1,96-faches
der Standardabweichung) dargestellt wurden [29 ]
[30 ].
Die Datenauswertung erfolgte für die Gesamtstichprobe und getrennt nach Geschlechtern.
Unterschiede zwischen den Geschlechtern wurden mittels Mann-Whitney-U-Test überprüft.
TeilnehmerInnen, die eine Tragedauer des Akzelerometers von mindestens 10 Stunden
an 4 Tagen unterschritten hatten, wurden bei der Evaluation nicht berücksichtigt.
Signifikanztests wurden mit einem Signifikanzniveau von p≤ 0,05 berechnet. Die Auswertung
wurde mit IBM SPSS Statistics 22® durchgeführt.
Ergebnisse
Stichprobenbeschreibung
Die Auswahlpopulation bestand aus 55 potentiellen TeilnehmerInnen. Davon konnten 27
TeilnehmerInnen (49%) in die Studie eingeschlossen werden. Bei 25 ProbandInnen konnten
subjektive und objektive Datenpaare ausgewertet werden ([Abb. 2 ]).
Abb. 2 Flussdiagramm: TeilnehmerInnen-Rekrutierung und Auswertung
[Tab. 1 ] gibt einen Überblick über die Stichprobe aus 18 Männern und 9 Frauen. Geschlechtsspezifische
Unterschiede zeigten sich beim Bildungsabschluss, wo Männer signifikant häufiger Hauptschulabschluss
als höchsten Schulabschluss genannt haben (p=0,05). Bezüglich des Untersuchungszeitraums
gaben 20 von 27 TeilnehmerInnen an, dass es sich um eine gewöhnliche Woche in ihrem
Alltag handelte und 22 von 27 TeilnehmerInnen, dass sie im Erhebungszeitraum ihren
üblichen Tätigkeiten nachgegangen seien.
Tab. 1 Stichprobenbeschreibung.
Männer (n=18)
Frauen (n=9)
p
Alter (Jahre) [MW (SD)]
52 (± 7)
53 (± 7)
0,86 1
BMI [MW(SD)]
31 (± 5)
27 (± 3)
0,23 1
Höchster Schulabschluss „Hauptschule“ (n;%)
14 (82%)
4 (44%)
0,05 2 *
„Ist die letzte Woche eine gewöhnliche Woche gewesen?“ (ja) (n;%)
13 (72%)
7 (78%)
0,76 2
„Sind Sie Ihren üblichen Tätigkeiten nachgegangen?“
15 (83%)
7 (78%)
0,73 2
1 Mann-Whitney-U-Test; 2 Pearson-Chi-Quadrat; * Signifikanzniveau p≤0,05
Subjektive und objektive körperliche Aktivität
[Tab. 2 ] fasst die deskriptiven Ergebnisse zur subjektiven und objektiven körperlichen Aktivität
zusammen. Bei den subjektiven Angaben zur körperlichen Aktivität zeigten sich keine
signifikanten geschlechtsbezogenen Unterschiede.
Tab. 2 Subjektive und objektive körperliche Aktivität.
Tagesumfang [min/Tag]
Gesamt (n=27) MW (SD) MED
Männer (n=18) MW (SD) MED
Frauen (n=9) MW (SD) MED
p1
Subjektive Aktivität (GPAQ) (n=26)
Moderat
130 (± 115) 107
121 (± 110) 111
145 (± 129) 77
0,60
Intensiv
47 (± 77) 4
55 (± 89) 9
33 (± 59) 0
0,40
Sitzzeit
310 (± 168) 270
297 (± 128) 270
348 (± 229) 420
0,71
Objektive Aktivität (Akzelerometer) (n=26)
Moderat
41 (± 19) 42
45 (± 20) 51
31 (± 15) 31
0,13
Intensiv
1 (± 2) 0
1 (± 2) 0
2 (± 4) 0
0,77
Sitzzeit
544 (± 85) 558
569 (± 78) 565
487 (± 76) 477
0,04*
1 Mann-Whitney-U-Test; * Signifikanzniveau p≤0,05
Die objektiven Daten zur körperlichen Aktivität zeigten bezogen auf die Sitzzeit einen
signifikanten Geschlechtsunterschied (p=0,04), mit längeren Sitzzeiten bei den Männern
(565 vs. 477 min/Tag).
Zusammenhang zwischen subjektiver und objektiver körperlicher Aktivität
[Tab. 3 ] zeigt die Korrelationen subjektiver und objektiver körperliche Aktivität bei moderater
bzw. intensiver Aktivität sowie den Sitzzeiten. Dabei zeigte sich in keinem Bereich
in der Gesamtstichprobe oder im Rahmen der geschlechtsspezifischen Auswertung eine
signifikante Korrelation zwischen subjektiver und objektiver Aktivität. Auffällig
waren die negativen Korrelationen bei Frauen im Vergleich zu Männern, welche positive
Korrelationen aufweisen. Für die Sitzzeiten ist dieses Phänomen umgekehrt, Männer
zeigen einen negativen, Frauen einen positiven schwachen Zusammenhang. Während die
Zusammenhänge bei Männern durchweg als gering zu bezeichnen sind (rho=− 0,22–0,06),
zeigten sich bei Frauen geringe bis mittlere Zusammenhänge zwischen subjektiven und
objektiven Werten (rho=− 0,55–0,30).
Tab. 3 Korrelationskoeffizienten (rho) zur Übereinstimmung subjektiver und objektiver körperlicher
Aktivität
Gesamtstichprobe (n=25)
Männer (n=17)
Frauen (n=8)
Moderate Aktivität [rho (p)
1
]
−0,01 (0,98)
0,06 (0,81)
−0,55 (0,16)
Intensive Aktivität [rho (p)
1
]
−0,17 (0,42)
0,02 (0,93)
−0,53 (0,18)
Sitzzeit [rho (p)
1
]
−0,04 (0,86)
−0,22 (0,39)
0,30 (0,47)
1 Rang-Korrelationskoeffizienten nach Spearman;*Signifikanzniveau p≤0,05
Abweichungen zwischen subjektiver und objektiver Aktivität
Wie [Tab. 3 ] zeigt, lag zwischen der subjektiven und der objektiven moderaten körperlichen Aktivität
im Tagesmittel eine sehr schwache negative Korrelation vor (rho=− 0,01). Das Streudiagramm
zu den Ergebnissen der moderaten körperlichen Aktivität im Tagesmittel ([Abb. 3 ]) zeigt, dass, ausgehend vom Referenzintervall von±10% des objektiven Mittelwerts,
24 TeilnehmerInnen (96%) außerhalb des Intervalls lagen. 16 TeilnehmerInnen (64%)
lagen oberhalb des Intervalls und sind damit als „Überschätzer“ zu klassifizieren
und 8 Teilnehmer (32%) als Unterschätzer. Frauen (75%) überschätzten ihre moderate
körperliche Aktivität dabei prozentual häufiger als Männer (59%).
Abb. 3 Zusammenhang zwischen objektiver (Actigraph) und subjektiver (GPAQ) moderater körperlicher
Aktivität im Tagesmittel. Referenzintervall:±4,1 min (10%)
[Abb. 4 ] stellt die Bland-Altman Analyse zur individuellen Abweichung für die moderate körperliche
Aktivität im Tagesmittel dar. Die mittlere Differenz zwischen den objektiven und subjektiven
Daten (Actigraph – GPAQ) betrug−79 min (SD=110), d. h. im Mittel überschätzen die
TeilnehmerInnen die Dauer ihrer moderaten körperlichen Aktivität um mehr als eine
Stunde pro Tag. Die Abweichungen unterscheiden sich nicht signifikant zwischen männlichen
und weiblichen Probanden (p=0,84).
Abb. 4 Bland-Altman-Plot zur moderaten körperlichen Aktivität
Zwischen der subjektiven und objektiven intensiven körperlichen Aktivität zeigte sich
im Tagesmittel (r=− 0,17) eine sehr schwache negative Korrelation in der Gesamtstichprobe
([Tab. 3 ]). Das Streudiagramm in [Abb. 5 ] illustriert die Zusammenhänge der intensiven körperlichen Aktivität im Tagesmittel.
Zur Kategorisierung der Einschätzung wurde ein Intervall von±10% des objektiven Mittelwerts
gesetzt. Insgesamt lagen 18 TeilnehmerInnen (72%) außerhalb des Intervalls, wobei
sich 6 TeilnehmerInnen (24%) unterschätzten. Die Daten von 7 TeilnehmerInnen (28%)
lagen innerhalb des Intervalls. 10 Männer (58%) bzw. 2 Frauen (25%) überschätzten
ihre intensive Aktivität.
Abb. 5 Zusammenhang zwischen objektiver (Actigraph) und subjektiver (GPAQ) intensiver körperlicher
Aktivität im Tagesmittel; Referenzintervall:±0,1 min (10%)
[Abb. 6 ] stellt einen Bland-Altman Analyse zur Abweichung für die intensive körperliche Aktivität
im Tagesmittel dar. Die mittlere Differenz zwischen den objektiven und subjektiven
Angaben (Actigraph – GPAQ) betrug -46 min (SD=79), d. h. im Mittel überschätzen die
TeilnehmerInnen die Dauer ihrer intensiven körperlichen Aktivität um 46 min pro Tag.
Auffällig ist, dass die Streuung im Bereich niedriger objektiver Aktivität am größten
ist. Es zeigen sich keine signifikanten Geschlechtsunterschiede in den Abweichungen
(p=0,11).
Abb. 6 Bland-Altman-Plot zur intensiven körperlichen Aktivität
Bezüglich der Sitzzeiten lag zwischen den subjektiven und objektiven Ergebnissen der
Gesamtstichprobe eine sehr schwache Korrelation im Tagesmittel vor (r=0,01) ([Tab. 3 ]).
[Abb. 7 ] stellt die Ergebnisse im Tagesmittel inklusive des Intervalls von±0% des objektiven
Mittelwerts in einem Streudiagramm dar. Anhand des Intervalls zeigt sich, dass 3 TeilnehmerInnen
(12%) mit ihren Einschätzungen innerhalb des vorgegebenen Intervalls liegen. Insgesamt
20 TeilnehmerInnen (80%) unterschätzen sich bezüglich ihrer täglichen Sitzzeiten,
2 überschätzen sich (8%).
Abb. 7 Zusammenhang zwischen objektiver (Actigraph) und subjektiver (GPAQ) sitzender körperlicher
(In-)Aktivität im Tagesmittel. Referenzintervall:±54,4 min (10%)
[Abb. 8 ] zeigt die Bland-Altman Analyse zu den Sitzzeiten. Die mittlere Differenz zwischen
den objektiven und subjektiven Angaben (Actigraph – GPAQ) betrug 249 min (SD=181),
d. h. im Mittel unterschätzen die TeilnehmerInnen die Dauer ihrer Sitzzeiten um mehr
als 4 Stunden pro Tag. Die Abweichungen unterscheiden sich nicht signifikant zwischen
männlichen und weiblichen Probanden (p=0,11).
Abb. 8 Bland-Altman-Plot sitzender körperlicher (In-)Aktivität
Diskussion
Ziel dieser Studie war es, die Übereinstimmung von subjektiver und objektiver körperlicher
Aktivität bei poststationären Rehabilitanden mit Rückenschmerzen zu vergleichen. Dabei
zeigten sich keine signifikanten linearen Zusammenhänge zwischen subjektiver und objektiver
Aktivität, sodass sich zusammenfassend sagen lässt, dass der GPAQ und der Actigraph
nur geringe Übereinstimmungen zeigen. Die Bland-Altman Plots zeigen Überschätzungen
der subjektiven Angaben im Vergleich zur objektiven Aktivität von 46 min/Tag (intensive
Aktivität) bis 78 min/Tag (moderate Aktivität). Die Sitzzeiten werden hingegen um
249 min/Tag, d. h. mehr als 4 Stunden pro Tag, unterschätzt. Es zeigen sich keine
geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Abweichungen der Selbsteinschätzung.
Die vorliegenden Ergebnisse von Rückenpatienten entsprechen vergleichbaren Studien
mit anderen Studienpopulationen und vergleichbaren Fragebogeninstrumenten. In der
Literatur zeigen sich ebenfalls lediglich geringe bis moderate Übereinstimmungen mit
Tendenz zur Überschätzung der objektiven körperlichen Aktivität [14 ]
[17 ]
[18 ]
[31 ]
[32 ]
[33 ]
[34 ]. Auch mehrere Reviews kamen zu dem Ergebnis einer mangelnden Übereinstimmung von
subjektiver und objektiver körperlicher Aktivität [13 ]
[15 ]. Prince et al. [13 ] beschreiben dabei Tendenzen zu unterschiedlichen Abweichungen je nach Geschlecht
und Aktivitätsbereich. Sie geben an, dass die Überschätzung im Bereich der intensiven
Intensität am größten ist [13 ], was in den vorliegenden Ergebnissen ebenfalls zu erkennen ist. Die von Prince et
al. [13 ] angemerkte Tendenz zu höheren Korrelationen zwischen subjektiver und objektiver
Aktivität bei Männern findet sich in den vorliegenden Daten allerdings nicht. Im Gegensatz
dazu fanden Hoos, Espinoza, Marshall und Arredondo [35 ] in ihrer Studie einen stärkeren Zusammenhang subjektiver und objektiver Aktivität
im Bereich der intensiven Aktivitäten, wohingegen sie Schwierigkeiten bei der Einschätzung
moderater Aktivitäten beschreiben [35 ]. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie können dies allerdings nicht bestätigen.
Da die objektiven Daten der vorliegenden Arbeit keine intensive Aktivität bei Männern
und Frauen zeigen, gibt es Anlass zu hinterfragen, ob die Patienten aufgrund ihrer
mangelnden Bewegungserfahrung überhaupt in der Lage sind, moderate und intensive Aktivität
in der subjektiven Wahrnehmung zu unterscheiden. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere
bei körperlich inaktiven Personengruppen mit der Interpretation von subjektiven Angaben
zur körperlichen Aktivität sehr zurückhaltend umgegangen werden muss. Altschuler et
al. [36 ] weisen darauf hin, dass die Erhebung der Intensität körperlicher Aktivität durch
Fragen nach der Schwere der Atmung bzw. Zunahme des Pulses, wie es auch beim GPAQ
erfolgt, einen großen Interpretationsspielraum bietet. So könnten Personen mit niedrigem
Fitnesslevel, die schneller außer Atem kommen, entsprechende Intensität eher überschätzen
[36 ]. Aus dem gleichen Grund ist es auch möglich, dass körperlich aktive Personengruppen
die Intensitäten ihrer Aktivitäten eher unterschätzen. Folglich gilt es bei der Interpretation
von Selbstangaben zur körperlichen Aktivität, insbesondere auch hinsichtlich der Bewertung
von Intensitätsangaben, vorsichtig zu sein [21 ].
Im Vergleich mit weiteren indikationsbezogenen Studien, d. h. Studien mit Rückenschmerzpatienten,
sind die vorliegenden Ergebnisse mit Ergebnissen von van Weering, Vollenbroek-Hutten
und Hermens [19 ] vergleichbar. Auch in dieser Studie zeigt sich eine schwache Korrelation zwischen
subjektiver und objektiver Aktivität bei Rückenpatienten. Auffällig ist jedoch, dass
etwa 30% der Rückenpatienten ihr Aktivitätsverhalten unterschätzen, wohingegen es
lediglich 14% überschätzen.
Huijnen et al. [37 ] untersuchten den Zusammenhang subjektiver und objektiver Aktivität bei chronischen
Rückenpatienten unter Berücksichtigung von Schmerz und Depression. In der adjustierten
Auswertung zeigte sich ein signifikanter moderater Zusammenhang, wobei die Diskrepanzen
in der Selbsteinschätzung bei Patienten mit höheren Depressionswerten größer waren
und eine Tendenz zur Unterschätzung zeigte [37 ].
Auffällig in den vorliegenden Daten sind die negativen Korrelationen bei Frauen, auch
wenn diese nicht als signifikant bezeichnet werden können. Sowohl bei moderater als
auch intensiver körperlicher Aktivität zeigen sich negative Assoziationen mittlerer
Stärke (moderat: -0,55; intensiv: -0,53), was darauf hindeutet, dass Frauen dazu tendieren,
ihre körperliche Aktivität mit zunehmender objektiver Aktivität geringer einzuschätzen.
Während sich bei Männern bezogen auf die körperliche Aktivität zwar sehr schwache,
jedoch positive Korrelationen zeigen (moderat: 0,06; intensiv: 0,02), stellt sich
bezogen auf Sitzzeiten ein umgekehrtes Bild und bei Männern eine geringfügige negative
Assoziation (-0,22) dar. Damit schätzen Männer ihre Sitzzeit mit zunehmender objektiver
Sitzzeit tendenziell geringer ein. Im Gegensatz dazu zeigt die positive Assoziation
bei Frauen, dass eine längere Sitzzeit auch mit einer höheren subjektiven Einschätzung
der Sitzzeit einher geht (0,30). Auch wenn der Stichprobenumfang der vorliegenden
Untersuchung sehr gering und nicht repräsentativ für die gewählte Indikationsgruppe
ist, könnte die Frage nach geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Selbsteinschätzung
ein explorativer Ansatz für weitere Forschungsarbeiten in diesem Bereich sein.
Die Stärke der vorliegenden Studie liegt im parallelen Einsatz der subjektiven und
objektiven Messinstrumente. Auch dass die Evaluation des Zusammenhangs objektiver
und subjektiver Daten nicht nur mittels Korrelationen ausgewertet wurde, sondern das
Ausmaß des Zusammenhangs ergänzend anhand der Bland-Altman Analyse dargestellt wurde,
ist als eine Stärke der Studie anzusehen.
Eine Limitation stellt insbesondere die kleine Stichprobengröße dar. Auch die Erhebung
objektiver Aktivität mittels Actigraph zeigt einige Limitationen. So können aufgrund
der Positionierung des Akzelerometers an der Hüfte reine Aktivitäten der oberen Extremität
und auch Radfahren nur unzureichend erfasst werden. Hinzu kommt, dass die Auswertung
der Daten maßgeblich von den gewählten Auswertungsalgorithmen beeinflusst wird. In
diesem Fall wurde für die Einteilung der Aktivitätsintensitäten der Algorithmus von
Freedson [27 ] gewählt, da dieser in der Literatur am häufigsten verwendet wird.
Des Weiteren kann auch die Kategorisierung der TeilnehmerInnen anhand der Streudiagramme
auf Grundlage des gewählten Toleranzintervalls als kritisch betrachtet werden, wobei
insbesondere das aus praktischer Sicht sehr konservativ gewählte Toleranzintervall
von±10% diskutiert werden kann.
Ausblick
Die vorliegenden Ergebnisse unterstreichen die Herausforderungen bei der Erfassung
körperlicher Aktivität. Je nach Fragestellung und Studienziel gilt es deshalb aus
dem Kontinuum zwischen Präzision und Praktikabilität geeignete Messinstrumente auszuwählen.
Bei subjektiven Instrumenten gilt es zudem, Aspekte der Über- bzw. Unterschätzung
zu kontrollieren. Dafür erscheint zumindest in Subgruppen der jeweiligen Studienpopulation
ein paralleler Einsatz von objektiven und subjektiven Verfahren empfehlenswert [14 ]. Insbesondere bei der Evaluation von Interventionsstudien mittels Fragebögen gilt
es zu beachten, dass es aufgrund einer veränderten Selbsteinschätzung der Patienten
zu Interventionsende zu Verzerrungen bei der Beurteilung von Interventionseffekten
kommen kann. Folglich ist die Überprüfung des Zusammenhangs subjektiver und objektiver
Aktivität zu unterschiedlichen Messzeitpunkten im Interventionsverlauf von großem
Interesse.
Aus indikationsspezifischer Perspektive sind weitere Auswertungen von Interesse, um
mögliche Zusammenhänge von Schmerzen bzw. Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und
der aktivitätsbezogenen Selbsteinschätzung zu untersuchen.
Um konkrete Interventionsansätze für die therapeutische Praxis zur Verbesserung der
aktivitätsbezogenen Selbsteinschätzung abzuleiten, ist zudem eine Längsschnittstudie
zur Selbsteinschätzung körperlicher Aktivität vor und nach dem Rehabilitationsaufenthaltes
von hoher Relevanz.