Hirntod (irreversibler Hirnfunktionsausfall), Organspende und Transplantation sind
in der Intensivmedizin nicht Begriffe theoretischer medizinethischer Diskussionen,
sondern praktische Herausforderungen der täglichen Arbeit. Wir diagnostizieren den
Hirntod bei Patienten, deren Leben wir nicht retten konnten, und behandeln Patienten,
deren Rettung nur durch eine Organtransplantation eines anderen Patienten möglich
ist. Organspender und Organempfänger sind gleichermaßen unsere Patienten. Wir sehen
von beiden Seiten auf dieses Thema. Mit einem Gefühl der Ohnmacht haben viele von
uns in den letzten Jahren miterlebt, wie in der öffentlichen Diskussion ein Akt größter
Mitmenschlichkeit – ein Mensch entscheidet über seinen Tod hinaus, durch eine Entnahme
seiner Organe das Weiterleben eines anderen Menschen zu ermöglichen – Zweifeln und
Vorwürfen ausgesetzt wurde.
Wir sollten uns aber nicht allein darauf zurückziehen, dass es sich bei den in den
Medien thematisierten „Organspendeskandalen“ um Einzelfälle gehandelt hat. Bei einem
derart wichtigen Thema besteht kein Zweifel, dass selbst bei Einzelfällen auf unserer
Seite Handlungsbedarf besteht, die Abläufe zu vereinheitlichen, die Kompetenz zu steigern,
die Kommunikation zu verbessern und die Transparenz zu erhöhen.
Im Präsidium der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin
(DIVI) haben wir uns deshalb Ende 2014 entschlossen, der im Auftrag des Bundesministeriums
für Gesundheit (BMG) tätigen Bundesärztekammer (BÄK) unsere Mitwirkung bei der Umsetzung
des Transplantationsgesetzes von 1997, novelliert 2012, anzubieten. Dieses geschah
in enger Abstimmung und im Konsens mit den Vorständen der bereits zuvor involvierten
Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) und der Deutschen Stiftung Organtransplantation
(DSO). Mitglieder der wissenschaftlichen Sektionen der DIVI Organspende und -transplantation,
Ethik, Koma und Neuromedizinstandards wurden von der Ständigen Kommission Organtransplantation
(StäKo) der BÄK für die Amtsperiode 2015 –19 in die Arbeitsgruppen „Spenderbeurteilung
und Empfängerschutz“ (Federführend: Prof. Klaus Hahnenkamp/Greifswald) und „Transplantationsbeauftragte“
(Federführend: Frau Nadja Komm/Heidelberg) berufen und haben bereits ihre Arbeit aufgenommen.
Als Kernpunkte der Arbeit stellen sich bereits jetzt die Analyse und Diskussion der
Behandlung von Intensivpatienten mit infauster Prognose und Kommunikation mit den
Angehörigen vor Eintritt des Hirntodes sowie eine bessere Einbindung des für die sogenannten
Entnahmekliniken im Gesetz vorgeschriebenen Transplantationsbeauftragten in das intensivmedizinische
Management dar. Beide Ziele können nur durch hohes Engagement und Kooperation des
Intensivbehandlungsteams erreicht werden.
Am 30. März 2015 genehmigte das Bundesministerium für Gesundheit die 4. Fortschreibung
der Richtlinie zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls gemäß § 16
Abs. 3 Transplantationsgesetz (TPG) vorgelegt vom Arbeitskreis „Fortschreibung der
Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes“ des Wissenschaftlichen Beirats der BÄK.
Sie beruht nach wie vor auf den bereits 1982 erstmalig vom Wissenschaftlichen Beirat
der BÄK formulierten Prinzipien. Allerdings wurden einige für die Ausführung relevante
Details präzisiert. Die wichtigsten sind, dass die Hirntodfeststellung durch zwei
voneinander unabhängige in der Intensivmedizin erfahrene Fachärzte erfolgt, mindestens
einer hiervon muss Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie sein. Bei Patienten
vor Vollendung des 14. Lebensjahres muss einer der zwei Ärzte Facharzt für Kinder-
und Jugendmedizin sein. Wenn dieser Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Neuropädiater
ist, erübrigt sich die Hinzuziehung eines Neurologen oder Neurochirurgen.
Wenngleich bisher kein Fall eines fälschlicherweise diagnostizierten Hirntodes bekannt
ist, die Diagnostik also bislang in der Praxis sicher war, ist aus Gründen der Akzeptanz
und Glaubwürdigkeit in Zukunft verstärkt darauf zu achten, dass alle formalen Festlegungen
eingehalten werden. Dabei trägt der/die Transplantationsbeauftragte eine zentrale
Verantwortung. Um ihr gerecht zu werden, benötigt er/sie die volle Unterstützung der
auf den Intensivstationen tätigen Schwestern, Ärzte und Pfleger und eine professionelle
Einbindung in die SOPs der einzelnen Häuser.
Gerhard Jorch
Hugo Van Aken