Schlüsselwörter
Nocebo - Placebo - Kommunikation
Keywords
Nocebo - placebo - communication
Abb. 1 Der Begriff Nocebo stammt aus der Arzneimittelforschung. Es können Symptome verursacht
werden durch die Erwartung von Symptomen und damit verbundenen Gefühlszuständen. ©
Imperium Lucis/Fotolia
„Es ist der Geist, der sich den Körper baut.“
Der Arzt und Dichter Friedrich von Schiller, Wallensteins Tod III, 13
Dass Angst und schlechte Gedanken krank machen können bzw. Krankheitsverläufe negativ
beeinflussen ist seit Langem bekannt und gilt durch zahlreiche Studien als gesichert.
Erfahrungsmedizinisch gut belegt ist ebenfalls, dass Störungen in der Arzt-Patienten-Kommunikation
zu Heilungsblockaden, Verschlechterungen und zu Symptomen führen können, die medizinisch
oft nicht zu erklären sind. Einen Namen hat dieses Phänomen, dass Angst, Gedanken,
Informationen und Kommunikation der Gesundheit schaden können, erst vor ca. 50 Jahren
aus Erfahrungen in der klinischen Forschung bekommen: Kennedy [14] nannte dieses Phänomen Nocebo (lat.: Ich werde schaden).
Zunächst wurde der neue Begriff sehr eng gefasst. Kennedy [14] meinte damit negative Nebeneffekte von Placebos, d. h. das Entstehen von Symptomen,
die wie die positiven Effekte einer Zuckerpille zum Erstaunen der Forscher als unspezifische
Wirkungen auftraten. So antworteten in einer Studie zu einem Brechmittel 80 % der
Patienten, die zur Placebogruppe gehörten, dennoch mit Erbrechen. Vergleichbare Beobachtungen
werden seitdem in fast allen placebokontrollierten Studien gemacht. Der nicht gewünschte
Effekt wird daher auch als der böse Bruder des Placebos bezeichnet.
Eine Erweiterung erhielt der Begriff spätestens durch Hahn [10], der außerhalb des engen pharmakologischen Kontexts aus der anthropologischen Forschung
Fälle des psychogenen Todes berichtete und die Kategorie der Erwartung in den Vordergrund
rückte: Die Erwartung von Krankheit und die damit verbundenen Affektzustände (v. a.
Angst) können nach Hahn [10] Symptome bzw. Krankheit bis hin zum Tod erzeugen.
In diesem Artikel verfolge ich einen erweiterten Nocebobegriff in Anlehnung an Hahn
[10], ohne jedoch den engen Begriff (ungewollte negative Effekte von Placebos) zu vernachlässigen.
Beide hängen nämlich eng miteinander zusammen. Voraussetzung ist immer eine zu Angst
führende negative Erwartungshaltung des Patienten, die wiederum durch Information
oder Kommunikation stimuliert worden ist. Der Begriff Kommunikation umfasst dabei
nicht nur die direkte zwischenmenschliche Kommunikation, sondern auch die Medienkommunikation
und die Selbstkommunikation (das innere Gespräch mit sich selbst) sowie schließlich
die interne Kommunikation im biologischen System Mensch und die komplexen Wechselwirkungen
mit der natürlichen Umwelt und sozialen Umgebung. Angeregt werden kann Angst bzw.
eine negative Erwartungshaltung durch schriftliche Texte zu Wirkmitteln (insbesondere
Beipackzettel von Medikamenten), aber auch durch die Gesprächsführung des Arztes.
Darüber hinaus können durch Medien und systemische Faktoren (Umfeld, Co-Therapeuten)
Noceboreize gegeben werden.
Aufgabe des Artikels ist es, einen kurzen Überblick zum Nocebomechanismus zu geben
und diesen durch Beispiele zu belegen. Einem späteren Beitrag bleibt es vorbehalten,
Überlegungen zu den verschiedenen Typen des Noceboeffekts und zur Bedeutung des Phänomens
insbesondere für die komplementäre Medizin vorzustellen sowie Vorschläge zu machen,
wie diese ungewollten Effekte in der klinischen Praxis zum Wohle des Patienten vermieden
werden können.
Beispiele für das Nocebophänomen im klinischen Alltag
Beispiele für das Nocebophänomen im klinischen Alltag
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert seit 2011 die Forschergruppe FOR 1328
[4], die sich interdisziplinär mit der Placebo- und Noceboforschung beschäftigt und
wesentlich zur Aufklärung dieser Phänomene beigetragen hat. Auf der Homepage der Forschergruppe
gibt es einen Überblick mit Beispielen von Noceboeffekten im engeren und weiteren
Sinn, von denen hier einige zusammengefasst werden:
-
Wenn Krebspatienten glaubten ein neues Medikament zu erhalten, entwickelten 71 %
von ihnen mindestens zwei neue Symptome, auch wenn sie Teil der Placebogruppe waren.
-
Einige wissenschaftlich gut untersuchte Präparate, wie zum Beispiel Proglumide, verloren
ihre Wirksamkeit (…) vollständig, wenn die positiven Erwartungen an ihre Wirkung
eliminiert wurden.
-
Sogar bei alltäglichen medizinischen Interventionen wie einer lokalen betäubenden
Injektion in die Haut, bestimmten die Äußerungen des Arztes über zu erwartende Schmerzen
die vom Patienten wahrgenommene Schmerzintensität.
In den USA sorgte vor zwanzig Jahren die große Framingham-Herz-Studie für Aufsehen
als sich Folgendes herausstellte:
-
Frauen, die glaubten, dass sie eher als andere anfällig für Herzerkrankungen seien,
starben 3,7-mal häufiger an Herzinfarkt und plötzlichem Herztod als Frauen ohne eine
solche Angst, wobei die Studie hinsichtlich anderer Risikofaktoren bereits bereinigt
war [9].
Zwei weitere spektakuläre Beispiele aus den USA für die Macht der Erwartungen berichtet
Heier [12] in seiner Übersicht zum Nocebo:
-
„Sam Shoeman hätte nicht sterben müssen. Aber er war überzeugt davon, todkrank zu
sein. Seine Ärzte gaben ihm nur wenige Monate. Und so schnell starb er auch. Allerdings
nicht an seinem Tumor. Der war am Ende nicht bedrohlich. Shoeman starb an seiner Überzeugung,
sterben zu müssen.“
-
„Derek Adams hatte sterben wollen. Er nahm 29 Kapseln eines Antidepressivums, die
er im Rahmen einer Medikamentenstudie bekommen hatte. Die Überdosis war zu hoch, die
Ärzte konnten ihm nicht mehr helfen. Bis sich herausstellte: Seine Überdosis waren
nur Placebos – er gehörte zur Kontrollgruppe der Studie. Doch er war sicher, sich
tödlich vergiftet zu haben. Als er erfuhr, dass er nur ein Scheinmedikament geschluckt
hatte, verschwanden die Symptome sofort.“
Aus der Schweiz wurde 2012 ein interessanter Fall bekannt:
-
Bei einem vermeintlichen Antrax-Anschlag wurden 34 Personen mit Übelkeit und Kopfweh
ins Krankenhaus eingeliefert. Es stellte sich aber heraus, dass es sich nur um ein
ungefährliches weißes Pulver gehandelt hat. Im Interview erklärt der Historiker Sarasin
[18]: „Es braucht die giftige Substanz gar nicht. Der Glaube daran reicht aus. Der Körper
reagiert dann tatsächlich mit Vergiftungssymptomen.“
Weitere medizinisch mittlerweile gut belegte Nocebophänomene sind psychosomatische
Vergiftungserscheinungen [6], Stress-Kardiomyopathie bzw. das Broken Heart Syndrome [7] und medieninduzierte Noceboeffekte, die sogar eine feste Bezeichnung bekommen haben
wie z. B. Morbus Mohl [5]:
-
Der Name bezieht sich auf den Moderator Hans Mohl, der 30 Jahre lang das monatlich
gesendete Gesundheitsmagazin Praxis im ZDF moderierte. Ärzte stellten fest, dass an
den Tagen nach der Ausstrahlung eine Vielzahl von Patienten die Arztpraxen aufsuchten
und über die Symptome klagten, über die in der Sendung berichtet wurde.
Eingang hat der Begriff Nocebo mittlerweile auch in die juristische Fachliteratur
gefunden. Donner-Wielke/Wielke [8] beschäftigten sich mit durch Auffahrunfälle verursachte gesundheitliche Schäden
und konnten experimentell einen Noceboeffekt nach einem Auffahrunfall nachweisen.
Ergebnis ihrer Studie war: Auch bei „Stößen sehr geringer Intensität bis zum Wert
von Null km/h“ können „im Licht des psychologischen sog. Noceboeffekts“ Beschwerden
im HWS-Bereich ausgelöst werden. Denn „allein die Erwartungshaltung, in der gegebenen
Versuchsanordnung eventuelle Beschwerden im Bereich der HWS zu erleiden, kann zu den
entsprechenden Reaktionen führen. (…) Knapp 20 % der Versuchspersonen berichten auch
nach einem 0-km/h-Stoß über Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule.“
Begriff und Merkmale
Die Arbeitsdefinition von Hahn [10] ist einfach und umfassend zugleich: „Der Noceboeffekt ist die Verursachung von Krankheit
(oder Tod) durch Erwartung von Krankheit (oder Tod) und damit assoziierte Gefühlszustände“.
Noceboeffekte stellen damit nicht nur eine Beeinträchtigung für das Wohlbefinden
dar, sie können vielmehr „eine echte Gefährdung“ für den Patienten sein [21].
Weit gefasst handelt es sich beim Entstehen eines Noceboeffekts um eine Assoziation,
bei der sich eine negative Erwartungshaltung (unbewusst) mit einer Konditionierung
verknüpft. Reize aus der Umwelt (durch Medikamente mit spezifischen Wirkmitteln oder
Placebos ohne spezifische Wirkmittel, echte Behandlungen oder Scheinbehandlungen,
aber auch durch Informationen und Kommunikation bis hin zu Geräuschen und Gerüchen)
führen über die negative Erwartungshaltung zu negativen Reaktionen auf körperlicher
und psychischer Ebene, ohne dass diese Reize einen konkreten Wirkstoff enthalten,
auf den die Reaktionen direkt zurückgeführt werden könnten.
Negative Reaktionen können sowohl subjektiver Art (Unwohlsein, Übelkeit, Kopfschmerzen,
Ermüdung, Leistungsabfall etc.) sein, als auch objektiv messbare Symptome (Herzrate,
Blutdruck, Temperatur etc.). Die Symptome können zeitlich begrenzt sein, sich aber
auch chronifizieren, sodass das Entstehen von Erkrankungen begünstigt werden kann.
Der Nocebomechanismus ist immer mit Angst bei den Betroffenen verbunden, die einerseits
durch die negative Erwartungshaltung gefördert wird und andererseits diese weiter
stimuliert.
Noceboeffekte lassen sich aber keineswegs auf psychologische Prozesse begrenzen, denn
es handelt sich hierbei nicht um die Einbildung von Symptomen. Die Effekte sind vielmehr
real, körperlich und messbar: „Die Erwartung manipuliert das Immunsystem – und macht
anfällig für Krankheiten. Angst manipuliert Herz und Kreislauf – und kann zu akut
bedrohlichen Zuständen führen“ [11]. Insbesondere panische Angst sowie das Gefühl des Kontrollverlusts setzen biochemische
Prozesse in Gang und bewirken reale physiologische Veränderungen.
Rief, et al. [17] beschreiben, dass viele Patienten mit körperlichen Symptomen ihren Körper genau
auf mögliche Symptomveränderungen beobachten. Die Erwartung dieser Symptome induziert
nun eine bestimmte Gehirnaktivität, die die Perzeption dieser Symptome wiederum begünstigt.
Dementsprechend sieht das DFG-Projekt FOR 1328 [4] auf der Grundlage einer Analyse der Forschungsliteratur Hinweise dafür, dass es
sich bei Noceboeffekten „um komplexe psychoneurobiologische Phänomene (handelt),
die sowohl Einfluss auf die Aktivität bestimmter Hirnregionen nehmen, als auch auf
periphere physiologische Prozesse“.
Zech et al. [21] sehen Noceboeffekte als „körpereigene Reaktionen wie Schmerz oder Entzündung“: nocebobedingter
Schmerz wird zwar nicht durch eine Noxe ausgelöst, ist aber für den Betroffenen genauso
real. Gut erforscht ist in diesem Zusammenhang die analgetische Wirkung von Lachgas,
die bei einer entsprechenden Suggestion (Die Substanz erhöht die Körperempfindungen)
nicht nur aufgehoben wurde, „sondern in eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit (…) gewandelt“
werden konnte. „Wurde Carisoprodol, ein muskelrelaxierendes Medikament als Stimulans
(Koffein) angekündigt, so war nicht nur die gefühlte Anspannung höher statt niedriger,
auch die Plasmakonzentrationen der Substanz und des Metaboliten Meprobamat waren niedriger
als bei korrekter Ankündigung als Relaxans (…). Das bedeutet, dass durch die Aufklärung
nicht nur ein subjektives Empfinden verändert wurde, sondern die physiologische Aufnahme
des oral gegebenen Medikaments“.
Häuser et al. [11] sehen in ihrer umfassenden Übersichtsarbeit sowohl Placebos als auch Nocebos „als
psychobiologische Phänomene (…), die durch den gesamten therapeutischen Kontext entstehen“
bzw. durch unspezifische Effekte, die im Falle des Placebos für den Patienten nützlich
und im Falle des Nocebos schädlich sind. Sie unterscheiden zwischen einem Noceboeffekt
und einer Noceboantwort: Den Begriff Noceboeffekt begrenzen sie auf den Rahmen klinischer
Studien, bei denen im Placeboarm der Studie negative Effekte entstehen; unter einer
Noceboantwort verstehen sie negative Effekte, die „nur durch negative Erwartungen
des Patienten und/oder negative verbale und nonverbale Kommunikation der Behandler
ohne eine (Schein-)Behandlung hervorgerufen werden“.
Interessant ist eine Differenzierung bei Hahn [10] der zwei Formen von Nocebos unterscheidet: Eine spezifische Form, wo das Subjekt
ein ganz bestimmtes negatives Ergebnis erwartet, das dann konsequenterweise auch eintritt.
Als Beispiel nennt Hahn [10] die Erwartung eines Patienten bei einer Operation zu sterben, was dann auch wirklich
eintritt – freilich nicht durch die Operation, sondern durch die Erwartung und die
damit assoziierten Affekte des Patienten. Dem gegenüber steht eine generische Form,
wo das Subjekt nur vage negative Erwartungen hat bzw. generell pessimistisch ist.
Auch hier realisieren sich die Erwartungen in Form bestimmter Symptome bis hin zu
Krankheit und Tod, wobei diese nicht spezifisch erwartet worden sind.
Heier [12] weist schließlich darauf hin, dass Noceboeffekte „sogar dann funktionieren, wenn
der Betroffene weiß, dass er getäuscht wird”.
Lösungen
Das Nocebophänomen zeigt, „dass negative Überzeugungen und Erwartungshaltungen unserer
Gesundheit schaden“ [16]. Nocebos mindern des Weiteren den Effekt von Behandlungen. Allerdings „gelingen“
sie nur unter bestimmten Bedingungen: Allein ein auslösender Reiz (Beipackzettel,
Medienbericht, misslungenes Arzt-Patienten-Gespräch etc.) reicht nicht aus. Es müssen
bestimmte Kontextfaktoren (im Umfeld und durch vorherige Erfahrungen des Betroffenen)
hinzukommen sowie schließlich ein förderliches Milieu beim Patienten finden (Ängstlichkeit,
Konditionierung durch frühere negative Erfahrungen etc.). Zur Lösung des Noceboproblems
spielen daher Selbstkommunikation, Psychohygiene und Resilienzfaktoren eine große
Rolle.
Noceboeffekte verursachen Leid bei Patienten, erschweren die Arbeit von Ärzten und
verursachen schließlich Kosten für die Gesundheitssysteme. Die gesellschaftliche Bedeutung
des Nocebophänomens sei daher kurz zumindest für den engeren Bereich der Arzneimittel
gestreift, wo bereits Schätzungen vorliegen. Noceboeffekte sind in der vorliegenden
Forschungsliteratur nicht nur für Scheinmedikamente (Placebos) gut belegt, sondern
auch für Medikamente mit spezifischen Wirkmitteln, bei denen in der klinischen Praxis
ebenfalls unerwünschte schädliche Nebenwirkungen beobachtet werden können, die nicht
unmittelbar von den Wirkstoffen im Medikament herrühren müssen. Vielmehr kann ein
Teil der Nebenwirkungen sowie ausbleibende Compliance auf den Nocebomechanismus zurückgeführt
werden. Barsky et al. [1] gehen für die USA davon aus, dass ca. 89 % der durch Nebenwirkungen verursachten
Kosten von Medikamenten auf das Konto von Nocebos gehen. Nach Strausz [20] belaufen sich die Kosten in Deutschland auf zwei bis drei Milliarden Dollar im Jahr.
Über mögliche Kosten des Nocebophänomens im weitesten Sinne gibt es bislang überhaupt
keine Schätzungen.
Handlungsbedarf ist somit vorhanden, und es ist dringend erforderlich, dass neben
der weiteren wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens auf der Ebene der Versorgung
Lösungen erarbeitet werden. Darüber hinaus ist das Nocebo gerade aus Sicht der komplementären
Medizin nicht nur eine interessante Erscheinung, sondern auch mit der Chance eines
Paradigmenwechsels verbunden. Das Nocebo ist – konsequent zu Ende gedacht – ein Beweis
für die Selbstheilungskräfte, da es sich ja auch umkehren lässt. Eine wirkliche Lösung
ist nur auf der Grundlage eines ganzheitlichen Menschenbildes möglich. Die Suche
nach einer etwaigen „Nocebopersönlichkeit“ und damit verbunden nach einer genetischen
Disposition, nach möglichen Prädiktoren sowie bestimmten Indikationen, die Nocebos
befördern, ist eher eine Fortsetzung des alten Denkens. Dass Menschen sich über ihr
Bewusstsein und ihren Geist krank, aber eben auch gesund machen können, ist nichts
Pathologisches, sondern erklärt sich durch das gleichzeitige Dasein des Menschen als
Natur- und Kulturwesen [19]. Abzulehnen sind in diesem Zusammenhang besonders alle Bestrebungen, den „schwarzen
Peter“ betroffenen Patienten zuzuschieben, diese zu pathologisieren (Angststörung,
Depression etc.) und dann gezielt pharmakologisch zu therapieren, damit Noceboantworten
gelindert werden können.
Verbesserung der Kommunikation
Einfacher und auch nachhaltiger lässt sich das Noceboproblem durch Kommunikation
lösen. Eine Verbesserung der Kommunikation durch Optimierung der Textgestaltung und
durch die ärztliche Gesprächsführung allein reicht aber nicht aus – entscheidend ist,
was beim Patienten ankommt. Denn der Patient selbst „entscheidet“, ob Noceboeffekte
„gelingen“ oder nicht. Zu stärken ist daher nicht nur die Kompetenz der professionellen
Akteure, sondern auch die der Angehörigen und des Patienten, der erkennen kann, dass
seine Gedanken und Gefühle, seine Einstellungen und Erwartungen Einfluss auf Krankheit
und Heilung haben.
Wie wichtig eine Verbesserung der ärztlichen Gesprächskompetenz sowie eine Stärkung
der Patientenkompetenz sind, wird auch durch die Studie der Gesundheitssystemforscherin
Dehn-Hindenberg [2] zur Patientenzufriedenheit bestätigt. Ergebnis dieser Studie war, dass nicht der
Behandlungserfolg für die Patientenzufriedenheit entscheidend ist, „sondern die Gesprächskompetenzen
des Arztes sind es“. Am wichtigsten für die Patienten war: „Sich verstanden fühlen“
(Platz 1), „Infos über Behandlungsmöglichkeiten“ (Platz 2) und „Informationen über
Selbsthilfe“ (Platz 3). Zu den wichtigsten Kriterien der Therapie gehören gemäß dieser
Studie: „Ermutigung“ und „Einfühlungsvermögen“.
Abb. 2 Die Gesprächskompetenz spielt eine wichtige Rolle, um Noceboeffekte zu vermeiden.
Entscheidend ist nicht nur, wie der Arzt etwas sagt, sondern auch, was der Patient
versteht. © Gina Sanders/Fotolia; nachgestellte Situation
Ethisches Dilemma
In der Praxis gibt es freilich ein ethisches Dilemma für den Arzt im Hinblick auf
mögliche Nocebowirkungen, worauf Jütte [13] hinweist: „Einerseits ist er zur Aufklärung des Patienten verpflichtet, andererseits
läuft er Gefahr, gerade durch die Aufklärung seinem Patienten zu schaden.“ Jütte zeigt
aber Auswege aus diesem Dilemma: „Zum Beispiel könne man einem Patienten das Nocebophänomen
erklären und ihm anbieten, ihn über weniger gravierende UAW nicht zu informieren.
Wichtig sei, dass der Patient im Sinne einer gemeinsamen Entscheidungsfindung in eine
solche Praxis einwillige. Auch komme es bei der Aufklärung auf den Kontext an (Framing).
Statt zu betonen, dass eine UAW – im Sinne der BfArM-Definition – häufig vorkomme,
könne man auch betonen, dass 95 % der Patienten diese Nebenwirkung nicht erlebten“.
Die Konsequenz für den Arzt ist klar: „Reden, reden, reden. Patienten dürfen nicht
verunsichert, nicht verängstigt, nicht in Panik versetzt werden“ [11]. Der ärztliche Beistand und die therapeutische Beziehung sind „der wirkmächtigste
Faktor bei der Entstehung wie bei der Abwendung von Aufklärungsschäden“ [21]. Zech et al. [21] vergleichen die unsachgemäße Risikoaufklärung mit „einer schlecht durchgeführten
Operation oder Narkose“, die den Behandlungserfolg insgesamt gefährdet: „Eine unsachgemäße
medizinische Aufklärung bedeutet eine Gefährdung des Patienten. Kenntnisse über Noceboeffekte,
Negativsuggestionen und ihre Wirkweise ermöglichen eine Entschärfung. Der beste Schutz
vor Aufklärungsschäden ist eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung.“
Fazit
Nicht zuletzt sollte es bei der Bewältigung der Noceboproblematik in der Praxis darum
gehen, das Nocebo als Chance zu sehen, es explizit aufzugreifen und seine subtile
Kraft zusammen mit dem Patienten in heilende Impulse umzukehren. Wenn Arzt und Patient
das Potenzial von Bewusstsein und Geist für den Behandlungserfolg wirklich verstehen,
lassen sich gezielt Placeboeffekte herstellen. Diese können Therapien gleich welcher
Art sinnvoll begleiten, ihre Wirkungen verstärken und unerwünschte Nebenwirkungen
vermeiden.
Veronika Carstens [3] hat bereits lange vor dem Beginn der eigentlichen Placebo- und Noceboforschung diese
Möglichkeiten erkannt und für die komplementäre Medizin eine klare Botschaft hinterlassen.
Voller Bewunderung für neue Erkenntnisse aus der Forschung fragte sie 1998: „Wer von
uns hätte eine solche meßbare Kraft, die von unseren Gedanken ausgeht, vermutet? (…)
In jedem Augenblick und nicht nur wenn wir sprechen, sondern auch wenn wir ‚nur‘ denken.
Welch eine Verantwortung!“
Information und Kommunikation sind mächtige Werkzeuge in der Therapie, aber sie sind
– wie Lown [15] es für die Worte des Arztes im Gespräch mit Patienten formuliert hat – ein zweischneidiges
Schwert. Sie können dem Patienten nicht nur nutzen, sondern auch schaden.
Wie der Arzt ungewollte und negative Effekte in der Kommunikation vermeiden sowie
die Patientenkompetenz in Sachen Nocebo stärken kann, wird in der Fortsetzung dieses
Artikels mit besonderem Augenmerk für die Naturheilkunde und komplementäre Medizin
behandelt.