Schlüsselwörter
Nocebo - Placebo - Kommunikation
Keywords
Nocebo - placebo - communication
            
 
         
          Abb. 1 Der Begriff Nocebo stammt aus der Arzneimittelforschung. Es können Symptome verursacht
                  werden durch die Erwartung von Symptomen und damit verbundenen Gefühlszuständen. ©
                  Imperium Lucis/Fotolia
                  Abb. 1 Der Begriff Nocebo stammt aus der Arzneimittelforschung. Es können Symptome verursacht
                  werden durch die Erwartung von Symptomen und damit verbundenen Gefühlszuständen. ©
                  Imperium Lucis/Fotolia
            
               
               
                  
                     
                        „Es ist der Geist, der sich den Körper baut.“
                        
                     
                        Der Arzt und Dichter Friedrich von Schiller, Wallensteins Tod III, 13
                        
                   
                
             
            Dass Angst und schlechte Gedanken krank machen können bzw. Krankheitsverläufe negativ
               beeinflussen ist seit Langem bekannt und gilt durch zahlreiche Studien als gesichert.
               Erfahrungsmedizinisch gut belegt ist ebenfalls, dass Störungen in der Arzt-Patienten-Kommunikation
               zu Heilungsblockaden, Verschlechterungen und zu Symptomen führen können, die medizinisch
               oft nicht zu erklären sind. Einen Namen hat dieses Phänomen, dass Angst, Gedanken,
               Informationen und Kommunikation der Gesundheit schaden können, erst vor ca. 50 Jahren
               aus Erfahrungen in der klinischen Forschung bekommen: Kennedy [14] nannte dieses Phänomen Nocebo (lat.: Ich werde schaden).
            Zunächst wurde der neue Begriff sehr eng gefasst. Kennedy [14] meinte damit negative Nebeneffekte von Placebos, d. h. das Entstehen von Symptomen,
               die wie die positiven Effekte einer Zuckerpille zum Erstaunen der Forscher als unspezifische
               Wirkungen auftraten. So antworteten in einer Studie zu einem Brechmittel 80 % der
               Patienten, die zur Placebogruppe gehörten, dennoch mit Erbrechen. Vergleichbare Beobachtungen
               werden seitdem in fast allen placebokontrollierten Studien gemacht. Der nicht gewünschte
               Effekt wird daher auch als der böse Bruder des Placebos bezeichnet. 
            Eine Erweiterung erhielt der Begriff spätestens durch Hahn [10], der außerhalb des engen pharmakologischen Kontexts aus der anthropologischen Forschung
               Fälle des psychogenen Todes berichtete und die Kategorie der Erwartung in den Vordergrund
               rückte: Die Erwartung von Krankheit und die damit verbundenen Affektzustände (v. a.
               Angst) können nach Hahn [10] Symptome bzw. Krankheit bis hin zum Tod erzeugen.
            In diesem Artikel verfolge ich einen erweiterten Nocebobegriff in Anlehnung an Hahn
               [10], ohne jedoch den engen Begriff (ungewollte negative Effekte von Placebos) zu vernachlässigen.
               Beide hängen nämlich eng miteinander zusammen. Voraussetzung ist immer eine zu Angst
               führende negative Erwartungshaltung des Patienten, die wiederum durch Information
               oder Kommunikation stimuliert worden ist. Der Begriff Kommunikation umfasst dabei
               nicht nur die direkte zwischenmenschliche Kommunikation, sondern auch die Medienkommunikation
               und die Selbstkommunikation (das innere Gespräch mit sich selbst) sowie schließlich
               die interne Kommunikation im biologischen System Mensch und die komplexen Wechselwirkungen
               mit der natürlichen Umwelt und sozialen Umgebung. Angeregt werden kann Angst bzw.
               eine negative Erwartungshaltung durch schriftliche Texte zu Wirkmitteln (insbesondere
               Beipackzettel von Medikamenten), aber auch durch die Gesprächsführung des Arztes.
               Darüber hinaus können durch Medien und systemische Faktoren (Umfeld, Co-Therapeuten)
               Noceboreize gegeben werden.
            Aufgabe des Artikels ist es, einen kurzen Überblick zum Nocebomechanismus zu geben
               und diesen durch Beispiele zu belegen. Einem späteren Beitrag bleibt es vorbehalten,
               Überlegungen zu den verschiedenen Typen des Noceboeffekts und zur Bedeutung des Phänomens
               insbesondere für die komplementäre Medizin vorzustellen sowie Vorschläge zu machen,
               wie diese ungewollten Effekte in der klinischen Praxis zum Wohle des Patienten vermieden
               werden können.
         Beispiele für das Nocebophänomen im klinischen Alltag
         Beispiele für das Nocebophänomen im klinischen Alltag
            Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert seit 2011 die Forschergruppe FOR 1328
               [4], die sich interdisziplinär mit der Placebo- und Noceboforschung beschäftigt und
               wesentlich zur Aufklärung dieser Phänomene beigetragen hat. Auf der Homepage der Forschergruppe
               gibt es einen Überblick mit Beispielen von Noceboeffekten im engeren und weiteren
               Sinn, von denen hier einige zusammengefasst werden:
            
               
               - 
                  
                  	Wenn Krebspatienten glaubten ein neues Medikament zu erhalten, entwickelten 71 %
                     von ihnen mindestens zwei neue Symptome, auch wenn sie Teil der Placebogruppe waren. 
- 
                  
                  	Einige wissenschaftlich gut untersuchte Präparate, wie zum Beispiel Proglumide, verloren
                     ihre Wirksamkeit (…) vollständig, wenn die positiven Erwartungen an ihre Wirkung
                     eliminiert wurden. 
- 
                  
                  	Sogar bei alltäglichen medizinischen Interventionen wie einer lokalen betäubenden
                     Injektion in die Haut, bestimmten die Äußerungen des Arztes über zu erwartende Schmerzen
                     die vom Patienten wahrgenommene Schmerzintensität. 
In den USA sorgte vor zwanzig Jahren die große Framingham-Herz-Studie für Aufsehen
               als sich Folgendes herausstellte:
            
               
               - 
                  
                  	Frauen, die glaubten, dass sie eher als andere anfällig für Herzerkrankungen seien,
                     starben 3,7-mal häufiger an Herzinfarkt und plötzlichem Herztod als Frauen ohne eine
                     solche Angst, wobei die Studie hinsichtlich anderer Risikofaktoren bereits bereinigt
                     war [9]. 
Zwei weitere spektakuläre Beispiele aus den USA für die Macht der Erwartungen berichtet
               Heier [12] in seiner Übersicht zum Nocebo:
            
               
               - 
                  
                  	„Sam Shoeman hätte nicht sterben müssen. Aber er war überzeugt davon, todkrank zu
                     sein. Seine Ärzte gaben ihm nur wenige Monate. Und so schnell starb er auch. Allerdings
                     nicht an seinem Tumor. Der war am Ende nicht bedrohlich. Shoeman starb an seiner Überzeugung,
                     sterben zu müssen.“ 
- 
                  
                  	„Derek Adams hatte sterben wollen. Er nahm 29 Kapseln eines Antidepressivums, die
                     er im Rahmen einer Medikamentenstudie bekommen hatte. Die Überdosis war zu hoch, die
                     Ärzte konnten ihm nicht mehr helfen. Bis sich herausstellte: Seine Überdosis waren
                     nur Placebos – er gehörte zur Kontrollgruppe der Studie. Doch er war sicher, sich
                     tödlich vergiftet zu haben. Als er erfuhr, dass er nur ein Scheinmedikament geschluckt
                     hatte, verschwanden die Symptome sofort.“ 
Aus der Schweiz wurde 2012 ein interessanter Fall bekannt:
            
               
               - 
                  
                  	Bei einem vermeintlichen Antrax-Anschlag wurden 34 Personen mit Übelkeit und Kopfweh
                     ins Krankenhaus eingeliefert. Es stellte sich aber heraus, dass es sich nur um ein
                     ungefährliches weißes Pulver gehandelt hat. Im Interview erklärt der Historiker Sarasin
                     [18]: „Es braucht die giftige Substanz gar nicht. Der Glaube daran reicht aus. Der Körper
                     reagiert dann tatsächlich mit Vergiftungssymptomen.“ 
Weitere medizinisch mittlerweile gut belegte Nocebophänomene sind psychosomatische
               Vergiftungserscheinungen [6], Stress-Kardiomyopathie bzw. das Broken Heart Syndrome [7] und medieninduzierte Noceboeffekte, die sogar eine feste Bezeichnung bekommen haben
               wie z. B. Morbus Mohl [5]:
            
               
               - 
                  
                  	Der Name bezieht sich auf den Moderator Hans Mohl, der 30 Jahre lang das monatlich
                     gesendete Gesundheitsmagazin Praxis im ZDF moderierte. Ärzte stellten fest, dass an
                     den Tagen nach der Ausstrahlung eine Vielzahl von Patienten die Arztpraxen aufsuchten
                     und über die Symptome klagten, über die in der Sendung berichtet wurde. 
Eingang hat der Begriff Nocebo mittlerweile auch in die juristische Fachliteratur
               gefunden. Donner-Wielke/Wielke [8] beschäftigten sich mit durch Auffahrunfälle verursachte gesundheitliche Schäden
               und konnten experimentell einen Noceboeffekt nach einem Auffahrunfall nachweisen.
               Ergebnis ihrer Studie war: Auch bei „Stößen sehr geringer Intensität bis zum Wert
               von Null km/h“ können „im Licht des psychologischen sog. Noceboeffekts“ Beschwerden
               im HWS-Bereich ausgelöst werden. Denn „allein die Erwartungshaltung, in der gegebenen
               Versuchsanordnung eventuelle Beschwerden im Bereich der HWS zu erleiden, kann zu den
               entsprechenden Reaktionen führen. (…) Knapp 20 % der Versuchspersonen berichten auch
               nach einem 0-km/h-Stoß über Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule.“
         Begriff und Merkmale
            Die Arbeitsdefinition von Hahn [10] ist einfach und umfassend zugleich: „Der Noceboeffekt ist die Verursachung von Krankheit
               (oder Tod) durch Erwartung von Krankheit (oder Tod) und damit assoziierte Gefühlszustände“.
               Noceboeffekte stellen damit nicht nur eine Beeinträchtigung für das Wohlbefinden
               dar, sie können vielmehr „eine echte Gefährdung“ für den Patienten sein [21].
            Weit gefasst handelt es sich beim Entstehen eines Noceboeffekts um eine Assoziation,
               bei der sich eine negative Erwartungshaltung (unbewusst) mit einer Konditionierung
               verknüpft. Reize aus der Umwelt (durch Medikamente mit spezifischen Wirkmitteln oder
               Placebos ohne spezifische Wirkmittel, echte Behandlungen oder Scheinbehandlungen,
               aber auch durch Informationen und Kommunikation bis hin zu Geräuschen und Gerüchen)
               führen über die negative Erwartungshaltung zu negativen Reaktionen auf körperlicher
               und psychischer Ebene, ohne dass diese Reize einen konkreten Wirkstoff enthalten,
               auf den die Reaktionen direkt zurückgeführt werden könnten.
            Negative Reaktionen können sowohl subjektiver Art (Unwohlsein, Übelkeit, Kopfschmerzen,
               Ermüdung, Leistungsabfall etc.) sein, als auch objektiv messbare Symptome (Herzrate,
               Blutdruck, Temperatur etc.). Die Symptome können zeitlich begrenzt sein, sich aber
               auch chronifizieren, sodass das Entstehen von Erkrankungen begünstigt werden kann.
               Der Nocebomechanismus ist immer mit Angst bei den Betroffenen verbunden, die einerseits
               durch die negative Erwartungshaltung gefördert wird und andererseits diese weiter
               stimuliert.
            Noceboeffekte lassen sich aber keineswegs auf psychologische Prozesse begrenzen, denn
               es handelt sich hierbei nicht um die Einbildung von Symptomen. Die Effekte sind vielmehr
               real, körperlich und messbar: „Die Erwartung manipuliert das Immunsystem – und macht
               anfällig für Krankheiten. Angst manipuliert Herz und Kreislauf – und kann zu akut
               bedrohlichen Zuständen führen“ [11]. Insbesondere panische Angst sowie das Gefühl des Kontrollverlusts setzen biochemische
               Prozesse in Gang und bewirken reale physiologische Veränderungen.
            Rief, et al. [17] beschreiben, dass viele Patienten mit körperlichen Symptomen ihren Körper genau
               auf mögliche Symptomveränderungen beobachten. Die Erwartung dieser Symptome induziert
               nun eine bestimmte Gehirnaktivität, die die Perzeption dieser Symptome wiederum begünstigt.
               Dementsprechend sieht das DFG-Projekt FOR 1328 [4] auf der Grundlage einer Analyse der Forschungsliteratur Hinweise dafür, dass es
               sich bei Noceboeffekten „um komplexe psychoneurobiologische Phänomene (handelt),
               die sowohl Einfluss auf die Aktivität bestimmter Hirnregionen nehmen, als auch auf
               periphere physiologische Prozesse“.
            Zech et al. [21] sehen Noceboeffekte als „körpereigene Reaktionen wie Schmerz oder Entzündung“: nocebobedingter
               Schmerz wird zwar nicht durch eine Noxe ausgelöst, ist aber für den Betroffenen genauso
               real. Gut erforscht ist in diesem Zusammenhang die analgetische Wirkung von Lachgas,
               die bei einer entsprechenden Suggestion (Die Substanz erhöht die Körperempfindungen)
               nicht nur aufgehoben wurde, „sondern in eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit (…) gewandelt“
               werden konnte. „Wurde Carisoprodol, ein muskelrelaxierendes Medikament als Stimulans
               (Koffein) angekündigt, so war nicht nur die gefühlte Anspannung höher statt niedriger,
               auch die Plasmakonzentrationen der Substanz und des Metaboliten Meprobamat waren niedriger
               als bei korrekter Ankündigung als Relaxans (…). Das bedeutet, dass durch die Aufklärung
               nicht nur ein subjektives Empfinden verändert wurde, sondern die physiologische Aufnahme
               des oral gegebenen Medikaments“.
            Häuser et al. [11] sehen in ihrer umfassenden Übersichtsarbeit sowohl Placebos als auch Nocebos „als
               psychobiologische Phänomene (…), die durch den gesamten therapeutischen Kontext entstehen“
               bzw. durch unspezifische Effekte, die im Falle des Placebos für den Patienten nützlich
               und im Falle des Nocebos schädlich sind. Sie unterscheiden zwischen einem Noceboeffekt
               und einer Noceboantwort: Den Begriff Noceboeffekt begrenzen sie auf den Rahmen klinischer
               Studien, bei denen im Placeboarm der Studie negative Effekte entstehen; unter einer
               Noceboantwort verstehen sie negative Effekte, die „nur durch negative Erwartungen
               des Patienten und/oder negative verbale und nonverbale Kommunikation der Behandler
               ohne eine (Schein-)Behandlung hervorgerufen werden“.
            Interessant ist eine Differenzierung bei Hahn [10] der zwei Formen von Nocebos unterscheidet: Eine spezifische Form, wo das Subjekt
               ein ganz bestimmtes negatives Ergebnis erwartet, das dann konsequenterweise auch eintritt.
               Als Beispiel nennt Hahn [10] die Erwartung eines Patienten bei einer Operation zu sterben, was dann auch wirklich
               eintritt – freilich nicht durch die Operation, sondern durch die Erwartung und die
               damit assoziierten Affekte des Patienten. Dem gegenüber steht eine generische Form,
               wo das Subjekt nur vage negative Erwartungen hat bzw. generell pessimistisch ist.
               Auch hier realisieren sich die Erwartungen in Form bestimmter Symptome bis hin zu
               Krankheit und Tod, wobei diese nicht spezifisch erwartet worden sind.
            Heier [12] weist schließlich darauf hin, dass Noceboeffekte „sogar dann funktionieren, wenn
               der Betroffene weiß, dass er getäuscht wird”.
         Lösungen
            Das Nocebophänomen zeigt, „dass negative Überzeugungen und Erwartungshaltungen unserer
               Gesundheit schaden“ [16]. Nocebos mindern des Weiteren den Effekt von Behandlungen. Allerdings „gelingen“
               sie nur unter bestimmten Bedingungen: Allein ein auslösender Reiz (Beipackzettel,
               Medienbericht, misslungenes Arzt-Patienten-Gespräch etc.) reicht nicht aus. Es müssen
               bestimmte Kontextfaktoren (im Umfeld und durch vorherige Erfahrungen des Betroffenen)
               hinzukommen sowie schließlich ein förderliches Milieu beim Patienten finden (Ängstlichkeit,
               Konditionierung durch frühere negative Erfahrungen etc.). Zur Lösung des Noceboproblems
               spielen daher Selbstkommunikation, Psychohygiene und Resilienzfaktoren eine große
               Rolle.
            Noceboeffekte verursachen Leid bei Patienten, erschweren die Arbeit von Ärzten und
               verursachen schließlich Kosten für die Gesundheitssysteme. Die gesellschaftliche Bedeutung
               des Nocebophänomens sei daher kurz zumindest für den engeren Bereich der Arzneimittel
               gestreift, wo bereits Schätzungen vorliegen. Noceboeffekte sind in der vorliegenden
               Forschungsliteratur nicht nur für Scheinmedikamente (Placebos) gut belegt, sondern
               auch für Medikamente mit spezifischen Wirkmitteln, bei denen in der klinischen Praxis
               ebenfalls unerwünschte schädliche Nebenwirkungen beobachtet werden können, die nicht
               unmittelbar von den Wirkstoffen im Medikament herrühren müssen. Vielmehr kann ein
               Teil der Nebenwirkungen sowie ausbleibende Compliance auf den Nocebomechanismus zurückgeführt
               werden. Barsky et al. [1] gehen für die USA davon aus, dass ca. 89 % der durch Nebenwirkungen verursachten
               Kosten von Medikamenten auf das Konto von Nocebos gehen. Nach Strausz [20] belaufen sich die Kosten in Deutschland auf zwei bis drei Milliarden Dollar im Jahr.
               Über mögliche Kosten des Nocebophänomens im weitesten Sinne gibt es bislang überhaupt
               keine Schätzungen.
            Handlungsbedarf ist somit vorhanden, und es ist dringend erforderlich, dass neben
               der weiteren wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens auf der Ebene der Versorgung
               Lösungen erarbeitet werden. Darüber hinaus ist das Nocebo gerade aus Sicht der komplementären
               Medizin nicht nur eine interessante Erscheinung, sondern auch mit der Chance eines
               Paradigmenwechsels verbunden. Das Nocebo ist – konsequent zu Ende gedacht – ein Beweis
               für die Selbstheilungskräfte, da es sich ja auch umkehren lässt. Eine wirkliche Lösung
               ist nur auf der Grundlage eines ganzheitlichen Menschenbildes möglich. Die Suche
               nach einer etwaigen „Nocebopersönlichkeit“ und damit verbunden nach einer genetischen
               Disposition, nach möglichen Prädiktoren sowie bestimmten Indikationen, die Nocebos
               befördern, ist eher eine Fortsetzung des alten Denkens. Dass Menschen sich über ihr
               Bewusstsein und ihren Geist krank, aber eben auch gesund machen können, ist nichts
               Pathologisches, sondern erklärt sich durch das gleichzeitige Dasein des Menschen als
               Natur- und Kulturwesen [19]. Abzulehnen sind in diesem Zusammenhang besonders alle Bestrebungen, den „schwarzen
               Peter“ betroffenen Patienten zuzuschieben, diese zu pathologisieren (Angststörung,
               Depression etc.) und dann gezielt pharmakologisch zu therapieren, damit Noceboantworten
               gelindert werden können.
            Verbesserung der Kommunikation
            
            Einfacher und auch nachhaltiger lässt sich das Noceboproblem durch Kommunikation
               lösen. Eine Verbesserung der Kommunikation durch Optimierung der Textgestaltung und
               durch die ärztliche Gesprächsführung allein reicht aber nicht aus – entscheidend ist,
               was beim Patienten ankommt. Denn der Patient selbst „entscheidet“, ob Noceboeffekte
               „gelingen“ oder nicht. Zu stärken ist daher nicht nur die Kompetenz der professionellen
               Akteure, sondern auch die der Angehörigen und des Patienten, der erkennen kann, dass
               seine Gedanken und Gefühle, seine Einstellungen und Erwartungen Einfluss auf Krankheit
               und Heilung haben.
            
            Wie wichtig eine Verbesserung der ärztlichen Gesprächskompetenz sowie eine Stärkung
               der Patientenkompetenz sind, wird auch durch die Studie der Gesundheitssystemforscherin
               Dehn-Hindenberg [2] zur Patientenzufriedenheit bestätigt. Ergebnis dieser Studie war, dass nicht der
               Behandlungserfolg für die Patientenzufriedenheit entscheidend ist, „sondern die Gesprächskompetenzen
               des Arztes sind es“. Am wichtigsten für die Patienten war: „Sich verstanden fühlen“
               (Platz 1), „Infos über Behandlungsmöglichkeiten“ (Platz 2) und „Informationen über
               Selbsthilfe“ (Platz 3). Zu den wichtigsten Kriterien der Therapie gehören gemäß dieser
               Studie: „Ermutigung“ und „Einfühlungsvermögen“.
            
             Abb. 2 Die Gesprächskompetenz spielt eine wichtige Rolle, um Noceboeffekte zu vermeiden.
                  Entscheidend ist nicht nur, wie der Arzt etwas sagt, sondern auch, was der Patient
                  versteht. © Gina Sanders/Fotolia; nachgestellte Situation
                  Abb. 2 Die Gesprächskompetenz spielt eine wichtige Rolle, um Noceboeffekte zu vermeiden.
                  Entscheidend ist nicht nur, wie der Arzt etwas sagt, sondern auch, was der Patient
                  versteht. © Gina Sanders/Fotolia; nachgestellte Situation
            
            Ethisches Dilemma
            In der Praxis gibt es freilich ein ethisches Dilemma für den Arzt im Hinblick auf
               mögliche Nocebowirkungen, worauf Jütte [13] hinweist: „Einerseits ist er zur Aufklärung des Patienten verpflichtet, andererseits
               läuft er Gefahr, gerade durch die Aufklärung seinem Patienten zu schaden.“ Jütte zeigt
               aber Auswege aus diesem Dilemma: „Zum Beispiel könne man einem Patienten das Nocebophänomen
               erklären und ihm anbieten, ihn über weniger gravierende UAW nicht zu informieren.
               Wichtig sei, dass der Patient im Sinne einer gemeinsamen Entscheidungsfindung in eine
               solche Praxis einwillige. Auch komme es bei der Aufklärung auf den Kontext an (Framing).
               Statt zu betonen, dass eine UAW – im Sinne der BfArM-Definition – häufig vorkomme,
               könne man auch betonen, dass 95 % der Patienten diese Nebenwirkung nicht erlebten“.
            Die Konsequenz für den Arzt ist klar: „Reden, reden, reden. Patienten dürfen nicht
               verunsichert, nicht verängstigt, nicht in Panik versetzt werden“ [11]. Der ärztliche Beistand und die therapeutische Beziehung sind „der wirkmächtigste
               Faktor bei der Entstehung wie bei der Abwendung von Aufklärungsschäden“ [21]. Zech et al. [21] vergleichen die unsachgemäße Risikoaufklärung mit „einer schlecht durchgeführten
               Operation oder Narkose“, die den Behandlungserfolg insgesamt gefährdet: „Eine unsachgemäße
               medizinische Aufklärung bedeutet eine Gefährdung des Patienten. Kenntnisse über Noceboeffekte,
               Negativsuggestionen und ihre Wirkweise ermöglichen eine Entschärfung. Der beste Schutz
               vor Aufklärungsschäden ist eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung.“
         Fazit
            Nicht zuletzt sollte es bei der Bewältigung der Noceboproblematik in der Praxis darum
               gehen, das Nocebo als Chance zu sehen, es explizit aufzugreifen und seine subtile
               Kraft zusammen mit dem Patienten in heilende Impulse umzukehren. Wenn Arzt und Patient
               das Potenzial von Bewusstsein und Geist für den Behandlungserfolg wirklich verstehen,
               lassen sich gezielt Placeboeffekte herstellen. Diese können Therapien gleich welcher
               Art sinnvoll begleiten, ihre Wirkungen verstärken und unerwünschte Nebenwirkungen
               vermeiden.
            Veronika Carstens [3] hat bereits lange vor dem Beginn der eigentlichen Placebo- und Noceboforschung diese
               Möglichkeiten erkannt und für die komplementäre Medizin eine klare Botschaft hinterlassen.
               Voller Bewunderung für neue Erkenntnisse aus der Forschung fragte sie 1998: „Wer von
               uns hätte eine solche meßbare Kraft, die von unseren Gedanken ausgeht, vermutet? (…)
               In jedem Augenblick und nicht nur wenn wir sprechen, sondern auch wenn wir ‚nur‘ denken.
               Welch eine Verantwortung!“
            Information und Kommunikation sind mächtige Werkzeuge in der Therapie, aber sie sind
               – wie Lown [15] es für die Worte des Arztes im Gespräch mit Patienten formuliert hat – ein zweischneidiges
               Schwert. Sie können dem Patienten nicht nur nutzen, sondern auch schaden.
            Wie der Arzt ungewollte und negative Effekte in der Kommunikation vermeiden sowie
               die Patientenkompetenz in Sachen Nocebo stärken kann, wird in der Fortsetzung dieses
               Artikels mit besonderem Augenmerk für die Naturheilkunde und komplementäre Medizin
               behandelt.