Rund 13 000 Nierenexperten diskutierten auf der ASN Kidney Week 2015 Anfang November
2015 in San Diego (Kalifornien, USA) neueste Ergebnisse aus der Nephrologie. Dr. Dirk
Henrich vom Dialysezentrum Saarlouis, PD Thiemo Pfab, Diaverum Potsdam, Dr. Stefan
Degenhardt vom Nieren- und Diabeteszentrum Viersen, Prof. Frank Dellanna vom Medizinischen
Versorgungszentrum DaVita Rhein-Ruhr und Dr. Patrick Biggar vom KfH-Nierenzentrum
Coburg fassten die Topergebnisse zusammen.
Neues aus der konventionellen ESF-Therapie
Die ASN-Highlights zur Therapie mit konventionellen Erythropoese stimulierenden Faktoren
(ESF) präsentierte Henrich. So untersuchte die kalifornische Arbeitsgruppe von Kamyar
Kalantar-Zadeh die prädiktive Aussagekraft des Hb-Werts (Hb: Hämoglobin) in der Prädialyse
[
1
]. In der retrospektiven Studie mit über 18 000 US-Veteranen wiesen Patienten mit
einem Hb-Wert zwischen 10 und 11 g/dl innerhalb der ersten 3 Monate nach Dialysebeginn
die niedrigste Mortalität auf, während diese bei Werten von unter 9 g/dl bzw. über
13 g/dl deutlich höher lag. Allerdings war für den Einschluss minimal nur ein einzelner
Hb-Wert erforderlich, merkte Henrich kritisch an.
Aufsehen erregte eine Studie zur Kostenentwicklung aus Kanada [
2
]. Dort kürzte die ortsansässige Krankenkasse aus Kostengründen die Erstattung der
wöchentlichen maximalen ESF-Dosis um 50 %. In der Studie wurden Patienten mit ESF-Dosen
von mehr als 75 µg/Woche Darbepoetin bzw. 15 000 IE/Woche Epoetin auf ein Äquivalent
von 75 µg/Woche Darbepoetin gekürzt. Bereits rund 4 Monate nach der Dosisreduktion
war bei jedem zweiten Patienten der Hb-Wert auf unter 9 g/dl abgesunken, sodass die
ESF-Dosis wieder erhöht werden musste. Die Anzahl der Bluttransfusionen blieb davon
unbeeinflusst. Nach einer multivariaten Analyse war lediglich ein höherer Hb-Wert
vor der Umstellung prädiktiv mit einem geringeren Anämierisiko verbunden. „Die klinischen,
ökonomischen und ethischen Implikationen dieses Vorgehens bleiben noch offen“, mahnte
Henrich.
Ein weiterer Diskussionspunkt auf dem ASN war die Frage nach der Vergleichbarkeit
der einzelnen ESF-Therapeutika. Nach einer Metaanalyse von insgesamt 17 randomisierten
Studien mit 5397 Patienten, die ebenfalls auf dem ASN vorgestellt wurde [
3
], sind die verschiedenen ESF in Bezug auf Wirksamkeit und Sicherheitsaspekten in
allen Stadien der chronischen Niereninsuffizienz vergleichbar [
3
].
Die Autoren der Metaanalyse urteilten: „Es gab keine relevanten Unterschiede der getesteten
ESF in Bezug auf den Behandlungserfolg bei erwachsenen CKD-Patienten.” Das bestätigte
auch Henrich: „Erst- und Zweitgenerations-ESF sind wirksam in der Therapie der renalen
Anämie. Es gibt keine Daten zum Auftreten neuer unerwünschter Ereignisse. Nach den
hier vorgestellten Daten bieten die langwirksamen ESF keinen Wirkungsvorteil gegenüber
den rekombinanten Erythropoetinen.“
Auch zur Thematik ESF-Hyporesponse, d. h. einem verminderten Ansprechen auf eine ESF-Therapie,
die bei einigen Patienten ein Erreichen des Hb-Zielwerts erschwert, gab es neue Erkenntnisse.
Die Daten von Luo J et al. bestätigen, dass eine ESF-Hyporesponse mit einer relevant
erhöhten Mortalität verbunden ist [
4
]. Risikofaktoren scheinen u. a. auch das weibliche Geschlecht [
5
] und ein Vitamin-D-Mangel [
6
] zu sein, während die Gabe von Statinen nach Daten aus der JDOPPS[
1
] mit über 3000 Patienten die Hyporesponse bei Dialysepatienten zu verringern scheint
[
7
].
Eisenpräparate in der Prädialyse und Dialyse
Neue Ergebnisse zur Therapie mit Eisenpräparaten lieferten Post-hoc-Ergänzungsanalysen
zur FIND-CKD[
2
]-Studie [
8
], wie Pfab berichtete. MacDougall und Mitarbeiter hatten bei 626 nicht dialysepflichtigen
Patienten mit chronischer Nierenerkrankung und Eisenmangelanämie beobachtet, dass
eine orale Eisentherapie vergleichbar effektiv ist wie unter niedrig dosierter intravenös
(i. v.) applizierter Eisencarboxymaltose, jedoch schlechter vertragen wird. Außerdem
konnte eine hoch dosierte i. v. Eisentherapie (Ziel-Ferritin-Wert 400–600 μg/l) ein
besseres Ergebnis erzielen als niedrig dosierte i. v. Eisencarboxymaltose (Ziel-Ferritin-Wert
100–200 μg/l).
Neue Safety-Daten von Roger und Mitarbeitern ergaben für alle 3 Patientengruppen vergleichbare
Ergebnisse in Bezug auf ernste Nebenwirkungen [
9
]. „Orales Eisen ist effektiv in der Prädialyse. Man kann guten Gewissens damit beginnen.
Die i. v. Gabe ist gut verträglich und sicher, wobei es am effektivsten ist, hoch
einzusteigen und dies nach den vorgestellten Studien über ein Jahr nicht mit erhöhten
Risiken verbunden ist“, schlussfolgerte Pfab.
Eine innovative Darreichungsform bietet Eisen-Pyrophosphat-Zitrat, das über das Dialysat
als Zugabe zum Bikarbonatanteil (2 µM, 110 µg/l) verabreicht werden kann und dosisabhängig
den Eisenwert im Blut erhöht [
10
]]. Das Sicherheitsprofil erscheint nach mehr als 100 000 Behandlungen gut, bisher
wurde in der Verlängerungsstudie der beiden Zulassungsstudien CRUISE[
3
] 1 und 2 keine Anaphylaxie beobachtet [
11
].
Hepcidin und Pegol
„Hepcidin ist ein Akute-Phase-Protein und zentraler Regulator der Eisenhomöostase.
Eine erhöhte Hepcidinaktivität führt zu Eisenmangel und Anämie, eine verminderte steigert
dagegen die intestinale Eisenresorption und begünstigt die Eisenüberladung“, erklärte
Degenhardt. Substanzen, die den Hepcidinspiegel senken, sind daher vielversprechend.
In Phase 2 untersuchten Szczech und Mitarbeiter [
12
] die Wirksamkeit des oralen HIF-Stabilisators (HIF: Hypoxie induzierbarer Transkriptionsfaktor)
Roxadustat. Je höher der Hepcidinausgangswert war, desto besser konnte der Hepcidinspiegel
bei CKD-Patienten gesenkt werden, so ihr Ergebnis.
Statine können nach den Ergebnissen einer kleinen kontrollierten Studie mit Crossover-Design
ebenfalls den Hepcidinspiegel senken [
13
], wie Hasegawa und Mitarbeiter in der JDOPPS-Studie bestätigen konnten [
7
]. Andererseits erfüllt Hepcidin offenbar auch protektive Wirkungen gegenüber einer
durch bakterielles Endotoxin induzierten Sepsis, weil es die Zytokinspiegel herunterreguliert,
wie eine amerikanische Studie am Mausmodell demonstrierte [
14
].
Einen neuen Behandlungsansatz bietet außerdem das spiegelmere Lexaptepid Pegol. Das
linksdrehende Pegol bindet an Hepcidin, wird jedoch von den natürlich vorkommenden
Enzymen, die auf rechtsdrehende Proteine spezialisiert sind, nicht prozessiert, sodass
Hepcidin inaktiviert wird, erläuterte Degenhardt.
In einer Studie mit gesunden Probanden, die zu einer Endotoxingabe bereit waren, verhinderte
Pegol den Eisenabfall. Bei Myelompatienten mit funktionellem Eisenmangel steigerten
2 Einzeldosen Lexaptepid in einem Monat den Hb-Wert um mindestens 1 g/dl, bei Dialysepatienten
mit ESF-Hyporesponse zeigte der Crossover-Vergleich mit Placebo einen Anstieg der
Serum-Eisen-Konzentrationen nach Lexaptepid [
15
]. „Lexaptepid ist ein vielversprechendes Agens zur Behandlung der Epo-Hyporesponse.
Zur Beurteilung der Sicherheit ist die Datenbasis jedoch noch zu schmal“, fasste Degenhardt
zusammen.
Sotatercept
Sotatercept ist ein künstliches Fusionsprotein, das aus dem Fc-Fragment des Immununglobulins
IgG1 und dem Aktivin-A-Rezeptor besteht. Aktivin A, ein Mitglied der TGF-beta-Superfamilie,
stammt aus dem Knochenmark und hemmt einerseits die Osteoblasten und andererseits
die späten Erythrozyten an der Ausreifung und dem Übergang in der Peripherie. Wird
Activin A abgefangen, erreicht man damit sowohl einen positiven Effekt auf die Erythropoese
als auch auf die osteoblastäre Funktion. Damit ist Sotatercept besonders für Patienten
mit Anämie und komorbider renaler Osteopathie interessant, erläuterte Dellanna, der
die frühe Phase-2-Studie präsentierte.
In der Dosis-Findungs-Studie REN 002 wurden 36 Patienten mit einem stabilen Hb-Wert
zwischen 10 und 12 g/dl von ESF randomisiert auf Sotatercept umgestellt [
16
]: in Gruppe 1 zunächst auf i. v. (0,1 mg/kg alle 2 Wochen) oder subkutan (s. c.;
0,13 mg/kg alle 2 Wochen), jeweils bis zu 8 Dosierungen. Sank der Hb-Wert auf unter
9 g/dl, war eine ESA-Rescue-Therapie erlaubt. In Gruppe 2 verdoppelten die Autoren
dann die Dosen und beobachteten jeweils Pharmakokinetik, Sicherheit, Verträglichkeit
und Wirksamkeit auf den Hb-Wert über 112 Tage.
Interessanterweise war die maximale Dosiskonzentration (Cmax) nicht dosisabhängig
und in den i. v. Gruppen höher als in den s. c. Gruppen.
„Das Nebenwirkungsprofil war günstig und innerhalb der Gruppen vergleichbar, auch
wenn Blutdruckanstiege vereinzelt beobachtet wurden“, so Dellanna. „Es ist gut wirksam,
man sieht einen zügigen Effekt und kann den Hb über die Ausschwemmung der reifen Erythrozyten
aus dem Knochenmark rasch anheben. Man sieht weder einen Retikulozyten- noch einen
Epo-Anstieg. Um den Hb-Wert rasch und anhaltend zu erhöhen, ist das ein gutes und
vielversprechendes Medikament“, urteilte Dellanna. Die Ergebnisse der späteren Phase
2 bleiben abzuwarten.
HIF-Stabilisatoren
Neue Studien zu HIF-Stabilisatoren diskutierte Biggar. Spinowitz und Mitarbeiter untermauerten
den Anstieg des Hb-Werts in einer Phase-2-Studie mit der Substanz AKB-6548 zur Behandlung
der Anämie bei nicht dialysepflichtigen CKD-Patienten [
17
]. Hepcidin und Ferritinwerte fielen entsprechend ab. Darüber hinaus spielen HIF z.
B. eine zentrale Rolle in der Differenzierung myokardialer Strukturen, erklärte Biggar.
Im Mausmodell induzierten HIF-Stabilisatoren eine Fibrosebildung [
18
].
Potenzielle Gefahren können außerdem Tumorwachstum und Induktion einer Präeklampsie
während der Schwangerschaft sein. Dennoch ist das Verträglichkeitsprofil nach den
bisher vorliegenden Studien günstig. „Bei insgesamt noch relativ kleinen Probandenzahlen
und kurzen Studiendauern wird über eine zuverlässige Anhebung des Hb-Werts und wenigen
Nebenwirkungen berichtet mit Betonung der Eisenutilisation“, zog Biggar sein Fazit.
Die Analyse aus 2 Phase-2-Studien mit Roxadustat deutet außerdem auf einen moderaten
Anstieg der Lebensqualität hin [
19
], wobei bevorzugt Patienten mit sehr schlechten Ausgangswerten von der Therapie profitierten,
betonte Biggar. Derzeit wird in groß angelegten Studien die Auswirkungen auf Mortalität
und Lebensverlängerung untersucht.
Dr. Katrin Wolf, Eitorf
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Hexal AG, Holzkirchen.
Die Beitragsinhalte stammen vom „Hexal Advisory Board Meeting“, München, 15.01.2016,
veranstaltet von der Hexal AG, Holzkirchen.
Die Autorin ist freie Journalistin.