Mit einer Gelenkpunktion können unklare Ergüsse untersucht oder eine Infektion beurteilt
werden. Die Methode dient aber nicht nur der Diagnose, sondern auch der Therapie von
Gelenkerkrankungen. Bei richtiger Indikationsstellung ist die Punktion komplikations-
und für den Patienten schmerzarm.
Diagnostik bei geschwollenem Gelenk | Eine Indikation für eine Gelenkpunktion ist die Synovia-Analyse (Leukozytenzahl mit
Differenzialzellbild, Eiweißgehalt, LDH, Kristallanalyse, ggf. Kultur). Die Untersuchung
der Gelenkflüssigkeit
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erkennt die systemische oder lokale Natur eines Gelenkergusses,
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misst die lokale Aktivität einer Systemerkrankung,
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beweist eine Gelenkinfektion, inkl. mikrobielle Resistenzprüfung (ein negatives Ergebnis
schließt sie nicht aus),
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beweist eine Kristallarthropathie (ohne sie ausschließen zu können),
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beweist einen Hämarthros.
Therapie | Weitere Indikationen sind:
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Druckentlastung durch Erguss-Aspiration
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Reduktion der synovialitischen Aktivität durch Injektion eines Medikaments (z. B.
Kortison, Radionuklid)
Kontraindikationen
Relative Kontraindikation
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Gerinnungsstörungen / Antikoagulation: Eine vorhersehbare Muskelpenetration bei der
Punktion (z. B. Schulter- und Hüftgelenke) erfordert eine Umstellung der oralen Antikoagulation
auf Heparin.
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Alle anderen Gelenkpunktionen können in der Regel auch bei Antikoagulation mit dünner
Kanüle nach entsprechender Aufklärung (ggf. Hämatom, Hämarthros) erfolgen [4].
Verwendete Systeme | Kaliber und Länge der Punktionsnadel (▸ [
Tab. 1
]) orientieren sich an der Gelenkgröße, dem umgebenden Weichteilmantel und der zu
erwartenden Viskosität der Synovia. Die Größe der Spritze hängt von der erwarteten
Aspirationsmenge vs. dem Injektionsvolumen ab. Bei der Wahl der Kanülenlänge ist die
individuelle Patientenkonstitution (z. B. periartikuläre Pannikulose) zu berücksichtigen.
Eine Erguss-Aspiration ist aus physikalischen Gründen erst ab einem Kanülenkaliber
Gr. 12 möglich. Spritzenwechsel und Mehrfachpunktionen sollte man vermeiden.
Tab. 1 Gelenktyp und Kanülengröße
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Gelenktyp
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Kanülengrösse
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Bezeichnung
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Finger- / Zehenendgelenke
Zehenmittelgelenke
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0,30 × 13 mm
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–
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Fingermittelgelenke
Daumensattelgelenke
Finger- / Zehengrundgelenke
Handgelenkkompartimente
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0,45 × 25 mm
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Gr. 18
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Ellbogengelenke
Acromio- / Sternoclaviculargelenke
Oberes / unteres Sprunggelenk
Fußwurzel-/Mittelfußgelenke
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0,70 × 30 mm
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Gr. 12
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Kniegelenke
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0,90 × 40 mm
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Gr. 1
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Schultergelenke
Hüftgelenke
Sakroiliacalgelenke
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0,90 × 70 mm
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–
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Behandlungsraum | Im Behandlungsraum müssen patientennahe Gegenstände und Flächen täglich gereinigt
und desinfiziert werden. Nach Kontamination mit erregerhaltigem Material ist eine
zusätzliche Desinfektion notwendig. Die Anforderungen an den Behandlungsraum orientieren
sich an den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts [1]. Es wird eine ausreichend große, freie Arbeitsfläche zur Herrichtung des Zubehörs
benötigt. Diese muss leicht zu reinigen und zu desinfizieren sein und vor Umgebungskontamination
geschützt werden. Während der Punktion ist die Anzahl der Personen im Raum auf das
Notwendigste zu beschränken [1], [2]. ▸ [
Abb. 1
] zeigt die Materialien, die für eine Gelenkpunktion benötigt werden.
Abb. 1 Material für die Gelenkpunktion: (1) Schutzkittel, (2) Mundschutz, (3) Kanülen, (4)
Medikament, (5) Lokalanästhetikum, (6) Spritzen, (7) Tupfer, (8) Pflaster, (9) Lochtuch,
(10) Handschuhe, (11) Desinfektionsmittel
Patientenaufklärung | Vor der Punktion ist die ausführliche mündliche und schriftliche Information und
Aufklärung des Patienten erforderlich. Informieren Sie den Patienten über Indikation,
Erfolgschancen der Therapie, Alternativen, Ablauf, Risiken der Punktion und des zu
injizierenden Präparats und über die Nachsorge.
Vorbereitung des Patienten | Legen Sie das Injektionsfeld so weit frei, dass es zu keiner Kontamination durch
Kleidungsstücke kommen kann und Sie nicht behindert werden. Die Injektionsstelle und
ihre Umgebung wird mit einem Hautantiseptikum (satte Benetzung erforderlich) im Sprüh-
oder Wischverfahren behandelt.
Cave Störende Behaarung sollte nicht rasiert, sondern mit der Schere gekürzt werden.
Arzt und Assistenzpersonal | Von der Kleidung (insbesondere den Ärmeln) darf keine Infektionsgefahr ausgehen.
Empfehlenswert sind täglich gewaschene Schutzkittel mit endständig durch Gummizug
geschlossenen Ärmeln („Bündchenkittel“), auch wenn hierfür keine eindeutige wissenschaftliche
Evidenz gegeben ist. Nach hygienischer Händedesinfektion sind sterile Handschuhe anzulegen.
Gespräche sind auf das Notwendigste zu beschränken. Bei Gelenkpunktion mit Spritzenwechsel
oder Atemwegsinfektionen sollten Sie eine Gesichtsmaske verwenden. Der Arzt punktiert
nach Möglichkeit im Sitzen (Ausnahmen: Schulter-, Hüftgelenk).
Vorbereitung der Punktion / Injektion | Die sterilen Einmalkanülen, Einmalspritzen, verpackten Instrumente und Ampullen dürfen
erst unmittelbar vor der Injektion geöffnet werden. Das Gummiseptum von Injektionsflaschen
ist vor dem Einführen der Entnahmekanüle mit einem alkoholischen Mittel zu desinfizieren.
Verwenden Sie für jede einzelne Gelenkpunktion eine neue sterile Spritze und Kanüle.
Bei einem Wechsel oder Ablegen der Instrumente ist die sterile Abdeckung der Arbeitsfläche
bzw. des Punktionsortes (z. B. durch ein Lochtuch) erforderlich. Für die Risikominimierung
ultraschallgeführter Punktionen gelten ergänzende Empfehlungen [1], [2].
Sonografische Kontrolle | Machen Sie sich zunächst – nach differenzierter Anamnese – klinisch und bildoptisch
(z. B. sonografisch) ein genaues Bild von der Beschaffenheit des Gelenks, der Lage,
dem Volumen und der Viskosität des Gelenkergusses. Die Wahl des Punktionsorts ist
abhängig von
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Gelenkanatomie (z. B. Gefäß-, Nervenverlauf),
-
Hautbeschaffenheit und
-
Blutungsrisiko (z. B. Vermeidung von Muskelpenetration).
Die Gelenkpunktion können Sie klinisch orientiert oder bildgesteuert durchführen.
Eine ruhige Sprache (optional leise Musik) trägt zu einer entspannten Atmosphäre bei.
Spritze befüllen | Abdecktuch, Punktionskanüle, sterile Tupfer und ein steriles Pflaster werden angereicht.
Falls keine Fertigspritze (mit Medikament befüllt) verwendet wird, konnektiert der
Arzt steril zweimal je eine Kanüle mit einer leeren Spritze. Die erste dient der Aspiration
des Gelenkergusses. Die zweite wird steril mit dem zu injizierenden Medikament befüllt,
indem dieses entweder durch das sterilisierte Gummiseptum einer Injektionsflasche
oder sorgsam, ohne Berührung der Öffnungsränder, aus dem kurz zuvor vom Assistenzpersonal
geöffneten Behältnis (z. B. Ampulle) aufgezogen wird.
Patientenlagerung | Im Bereich der oberen Extremitäten wird beim sitzenden Patienten punktiert. Das zu
punktierende Ellbogen-, Hand- oder Fingergelenk ruht auf einem Behandlungstisch. Für
die Intervention an den unteren Extremitäten befindet sich der Patient in bequemer
Rückenlage, ausnahmsweise (z. B. Baker-Zyste) in Bauchlage.
Punktionsort finden | Den Punktionsort findet der Behandler durch Palpation des Gelenks in Orientierung
an den für jedes Gelenk charakteristischen knöchernen Randkonturen. Gegebenenfalls
hilft das Aufsuchen des Gelenkspalts durch passive Gelenkmobilisation, im Wissen um
die jedem Gelenk eigene Gelenkkapselanatomie. Dabei sind grundsätzlich verschiedene
Zugänge zum Gelenk möglich. Der gewählte Punktionsort wird mehrfach im Zeitintervall
von mindestens 1 min (darf nicht unterschritten werden) desinfiziert.
Arthrosonografie | Die Arthrosonografie hat sich als Bestätigung der klinisch gestellten Indikation
zur Gelenkpunktion und -injektion insbesondere bei mittleren und großen Gelenken bewährt.
Sie hilft, den Punktionsort festzulegen – insbesondere bei „multikompartimentären“
Gelenken, wie dem Handgelenk (radiokarpal, interkarpal oder radioulnares Kompartiment)
und dem Sprunggelenk (oberes und unteres Sprunggelenk, Talonavikulargelenk, etc.).
Mit Eddingstift aufgetragene Hautmarkierungen („Fadenkreuz“) nach vorausgegangener
Sonografie oder eine Durchleuchtung können als Orientierungshilfe dienen.
Bei Punktion des Hüftgelenks, der Sakroiliakal-, der Fußwurzel- und Mittelfußgelenke
wird die Sonografie oder Durchleuchtung empfohlen, um den Punktionsort (meist der
Gelenkspalt) korrekt zu erreichen.
Punktionsorte der verschiedenen Gelenke |
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Die Grund-, Mittel-und Endgelenke der Finger und Zehen werden medial oder lateral
vom distalwärts sitzenden Behandler punktiert, wobei die Kanüle mit einem Winkel von
ca. 45 ° zur Finger- oder Zehenachse und mit Punktionsnadelschliff zum Gelenkspalt
ausgerichtet ist (▸ [
Abb. 2
]).
-
Die Handgelenkkompartimente werden streckseitig erreicht, z. B. radiocarpal durch
Kanülenspitzenkontakt mit dem Os lunatum unmittelbar distal des Radiusendes, z. B.
radioulnar durch Kontakt mit der radialen Hälfte des Caput ulnae.
-
Die Punktion des Ellbogengelenks erfolgt lateral zwischen dem Olecranon und dem Epikondylus
humeri lateralis.
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Das Schultergelenk wird dorsal nach Penetration des M. infraspinatus im Kanülenspitzenkontakt
mit dem Humeruskopf, das Hüftgelenk ventral (ohne Kollisionsgefahr mit dem weiter
medial gelegenen Gefäß- / Nervenstrang) am Übergang Femurfkopf/-hals erreicht.
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Der Rezessus suprapatellaris des Kniegelenks wird von lateral in Höhe und im Mittel
2–3 cm dorsal des oberen Patellapols punktiert.
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Punktionsziel am oberen Sprunggelenk ist die Talusrolle ventrolateral, die distal
der Tibiakante und unmittelbar ventral des Außenknöchels erreicht wird (Cave: atypische
Lage der A. dorsalis pedis ist durch Palpation auszuschliessen). Der Gelenkspalt des
unteren Sprunggelenkes sollte lateral (je 1 cm kaudal und ventral der distalen Fibulaspitze)
aufgesucht werden.
Abb. 2 Punktion des Fingermittelgelenks.
Lokalanästhesie| Eine Lokalanästhesie ist die Ausnahme (z. B. bei ängstlichen Patienten). Bei zu erwartenden
schwierigen Punktionsbedingungen kann man das Gelenkkavum mit einem Lokalanästhetikum
aufsuchen. Ist die Punktionskanüle mit der Spitze respektive der Kanülenöffnung komplett
im Gelenkkavum, lässt sich das Lokalanästhetikum ohne großen Widerstand am Spritzenkolben
injizieren.
Punktion | Um den Patienten abzulenken, bitten Sie ihn, tief zu inspirieren. Währenddessen führen
Sie die Punktionsnadel bis zum intraartikulären Knorpel- / Knochenkontakt ein, bzw.
bis sich Gelenkerguss aspirieren lässt (bei mittleren und größeren Gelenken). Der
Patient wird dann sofort zum Weiteratmen aufgefordert. Nach Aspiration und vollständiger
Ergussentleerung (falls nötig durch wiederholten Spritzenwechsel bei in situ liegender
Kanüle) wird das Medikament injziert. Hoher Injektionswiderstand oder eine lokale
Schwellung am Punktionsort erfordern umgehend eine Korrektur der Nadelspitzenposition
(z. B. durch Zurückziehen der Kanüle).
Nach der Injektion | Unmittelbar nach Entfernen der Punktionsnadel wird der Punktionsort mit einem sterilen
Tupfer komprimiert und mit einem sterilen Pflaster oder Wundschnellverband (zum Verbleib
für 12 Stunden) abgedeckt. Die alleinige Gelenkpunktion erfordert keine nachfolgende
Gelenkentlastung. Je nach injiziertem Medikament, z. B. nach Glukokortikoid-Injektion,
sollte das punktierte Gelenk mindestens 24 Stunden physisch entlastet werden, um das
Abfluten der Wirksubstanz ins Kreislaufsystem zu mindern. Das heißt der Patient sollte
nach Behandlung der unteren Extremitäten nicht mehr gehen.
Komplikationen | Werden Kontraindikationen und Sterilitätsauflagen berücksichtigt, ist das Komplikationsrisiko
sehr gering. Eine Gelenkinfektion als die bedeutendste Komplikation tritt extrem selten
auf (1:20 000–50 000) [2], [3]. Auch das klinisch relevante Blutungsrisiko ist unerheblich und beträgt 1:500 selbst
unter Antikoagulation (INR > 2.0) mit Phenprocoumon [4]. Unverträglichkeiten der injizierten Substanz bedürfen gesonderter Betrachtung.
Konsequenz für Klinik und Praxis
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Die Gelenkpunktion ist diagnostisch und therapeutisch hocheffizient.
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Man braucht exakte Kenntnisse der Gelenkanatomie, um den richtigen Punktionsort zu
finden.
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Die Arthrosonografie liefert wichtige Informationen für die Indikationsstellung und
das Vorgehen bei der Gelenkpunktion.
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Die Methode ist komplikationsarm.