Einleitung
Es ist September, in Ihrer Praxis wird Max vorgestellt. Er ist sieben Jahre alt. Als
Kleinkind war er wegen einer atopischen Dermatitis in Ihrer Behandlung. In den letzten
Jahren war er nur bei Infekten und Vorsorgen vorstellig. Beide Eltern leiden unter
einer allergischen Rhinokonjunktivitis im Frühjahr, bei der Mutter besteht zudem ein
allergisches Asthma bronchiale. Deshalb ist den Eltern rasch aufgefallen, dass auch
Max nun schon das zweite Jahr im Frühjahr Symptome einer allergischen Rhinokonjunktivitis
zeigt. Max berichtet, dass er manchmal nach Essen von rohem Apfel etwas Jucken im
Mund habe. Asthmabeschwerden werden nicht angegeben. Aktuell ist Max völlig beschwerdefrei.
Welche Diagnostik würden Sie durchführen? Wie würden Sie Max behandeln?
Allergische Erkrankungen stellen das häufigste Gesundheitsproblem im Kindes- und Jugendalter
dar und können für betroffene Kinder sowie deren Familien zu erheblichen Beeinträchtigungen
im alltäglichen Leben führen. Nach den Ergebnissen der ersten Folgebefragung der Studie
zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS-Welle 1 von 2009 – 2012)
ergaben sich Lebenszeitprävalenzen von 12,6 % (11,8 – 13,58) für allergische Rhinokonjunktivitis
(ARC) und 6,3 % (5,7 – 6,9) für Asthma bronchiale [1]. Andere Autoren sprechen von höheren Zahlen, besonders für die ARC zwischen 10 und
30 %, insbesondere bei Jugendlichen [2] (Abb. [1]).
Abb. 1 Auf dem Vormarsch: Asthma bronchiale und weitere allergische Erkrankungen. Quelle
Fotolia.
Insgesamt wird von einer zunehmenden Prävalenz ausgegangen. Die direkten Kosten und
die indirekten Folgekosten belasten das Gesundheitssystem immens. Jede zehnte Krankschreibung
in Deutschland wird einem allergischen Krankheitsbild zugeordnet [9].
Die spezifische Immuntherapie (SIT; Synonyme: Allergen-Immuntherapie [ASIT], Desensibilisierung, Hyposensibilisierung,
Allergieimpfung) gehört neben Allergenkarenz und Pharmakotherapie zu den drei Säulen
der antiallergischen Therapie. Sie stellt hierbei die einzige kausale Therapie von
IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen dar [3].
Merke: Die SIT stellt die einzige kausale Therapie von allergischen Erkrankungen dar.
Bei Kindern und Jugendlichen ist die SIT besonders erfolgversprechend. Über mehrere
Jahre betrachtet ist sie im Vergleich zur Pharmakotherapie auch deutlich kosteneffektiver
[9]. Entscheidend für den Therapieerfolg ist neben einer korrekten Indikationsstellung
die Compliance der Patienten, dies setzt eine gute Aufklärung voraus.
Der folgende Beitrag gibt eine kurze theoretische Einführung sowie einen Überblick
über die praktische Durchführung und die Nebenwirkungen der Therapie. Anschließend
wird versucht, anhand von Fallbeispielen die Indikationen und Kontraindikationen genauer
darzustellen.
In vielen Artikeln und Büchern zu Allergie und Anaphylaxie wird als erste Fallbeschreibung
einer tödlich verlaufenden Anaphylaxie nach Insektenstich der Tod des Pharao Menses
(um 3000 v. Chr.) genannt, allerdings ist dies nicht unumstritten. In der griechischen
Geschichte wird von dem aus Athen stammenden Verräter Hippias, der die Perser in der
Schlacht um Marathon beriet, berichtet, dass er unter Heuschnupfen litt [4].
Im Mittelalter wurde die Erkrankung als „rose fever“ bezeichnet. Ab dem 18. Jahrhundert
wurde der Terminus „hay fever“ bekannter und man identifizierte Pollenflug als Auslöser
der Beschwerden.
1906 führte der österreichische Kinderarzt Clemens von Pirquet den Begriff „Allergie“
in die medizinische Fachsprache ein. 1911 veröffentliche L. Noon im Lancet seinen
Artikel „Prophylactic inoculation against hay fever“ über den ersten Versuch einer
SIT [5]. Nach und nach wurde die Therapie vermehrt angewendet, zunächst aber völlig empirisch
[6].
Erst in den 60er Jahren erfolgte die Erstbeschreibung von IgE. 1978 fand die erste
randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte SIT-Studie statt, seitdem hat sich
in den letzten 30 Jahren ein beeindruckender Fortschritt dieser Therapie entwickelt
[7].
Die SIT gilt heute, über 100 Jahre nach der Erstbeschreibung, als einzige Behandlung
mit Effekt sowohl auf die Symptomlast als auch auf die Progression allergischer Erkrankungen
[8].
Grundlagen
Die SIT ist eine immunmodulierende Therapie. Da es sich im Folgenden um einen praxisorientierten
Beitrag handeln soll, wird für die detaillierte Darstellung der immunologischen Vorgänge
auf die weiterführende Literatur verwiesen [8]
[9]
[33]
[34].
Zusammenfassend werden bei der SIT Allergenextrakte als Molekülmischungen entweder
über die Subkutis (subkutane Immuntherapie, SCIT) oder über die Schleimhaut (sublinguale Immuntherapie, SLIT) dem Immunsystem präsentiert. In Studien werden auch andere Applikationsorte (nasal,
bronchial, direkt in Lymphknoten, intradermal) untersucht, in der Praxis werden derzeit
bisher nur SLIT und SCIT angewendet. Die Allergenextrakte finden sich nach Applikation
in den lokalen Lymphknoten wieder [9] (Abb. [2]).
Abb. 2 Vorstellungen zum Wirkmechanismus der spezifischen subkutanen (SCIT) und sublingualen
Immuntherapie (SLIT). Aus: Bachert C, Heppt WJ. Praktische Allergologie. 2. Aufl.
Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2010.
Derzeit werden mehrere Wirkmechanismen der SIT postuliert: Durch die Gabe von Allergenextrakten
werden spezifische Antikörper blockiert, toleranzinduzierende Zellen (regulatorische
T-Zellen) und Botenstoffe (z. B. IL-10) werden aktiviert, die dann eine spezifische
Immunantwort blockieren und die Entzündungsreaktion im Gewebe vermindern (Abb. [2]).
Warum ist eine SIT im Kindesalter besonders sinnvoll?
-
Allergene sind oft die Haupt-Triggerfaktoren der Erkrankung.
-
Die Erkrankung hat noch nicht zu Sekundärveränderungen geführt.
-
Der sogenannte Etagenwechsel kann möglicherweise verhindert werden.
-
Neusensibilisierungen treten seltener auf.
Indikationen und Kontraindikationen zur SIT
Indikationen und Kontraindikationen zur SIT
Indikationen
Bei Kindern wird eine sichere Indikation zur SIT bei der allergischen Rhinokonjunktivitis
(ARC), bei mildem bis moderatem Asthma bronchiale und bei Insektengiftallergie gestellt
[7].
Es wird geschätzt, dass in Europa 1 – 5 % der Kinder mit der Diagnose allergischen Rhinokonjunktivitis (ARC) mit einer SIT behandelt werden, ca. 75 % davon mit der subkutanen Applikationsweise
(SCIT) und 25 % mit der sublingualen (SLIT) [23]. Bei der ARC konnte eine deutliche Reduktion der Symptomlast sowie des Medikamentenverbrauchs
nachgewiesen werden [20]. Dies gilt insbesondere für ARC durch Pollen, aber auch für die Symptomlast der
Hausstaubmilbenallergiker.
Ebenso zeigten sich für intermittierendes, oder nur gering persistierendes Asthma bronchiale Therapieeffekte, die Asthmatherapie wird aber dadurch nicht ersetzt. Es ließ sich
bei Patienten nach SCIT eine Reduktion der bronchialen Hyperreagibilität nachweisen
[17].
Im Kindesalter vor allem bedeutsam sind präventive Aspekte der SIT. So treten bei
Kindern nach oder unter SCIT weniger Neusensibilisierungen auf [18]. Außerdem gibt es guten Anhalt dafür, dass durch SCIT bei Kindern mit ARC ein geringeres
Risiko besteht, ein Asthma bronchiale zu entwickeln [19].
Für die Insektengiftallergien besteht eine sichere Indikation bei Kindern zwischen 2 und 16 Jahren, die eine Anaphylaxie
II° oder höhergradig (s. u.) nach einem Insektenstich erlitten haben. Nach SIT für
Bienengift sind ca. 85 % der Patienten geschützt, bei Wespengift 90 – 95 % [21]. Die Indikationsstellung bei Kindern mit Urtikaria (Anaphylaxie Grad I) oder verstärkten
Lokalreaktionen nach Insektenstich unterscheidet sich von der Indikationsstellung
im Erwachsenenalter. Im Gegensatz zu Erwachsenen, bei denen bereits eine Urtikaria
zur Indikationsstellung ausreicht, besteht bei Kindern mit systemischer Hautreaktion
(Urtikaria, Anaphylaxie Grad I) nur eine relative Indikation zur SIT, abhängig auch
von Lebensumständen und dem persönlichen Risiko. In dieser Gruppe konnte gezeigt werden,
dass erneute Stiche nur in knapp 10 % der Fälle zu erneuten Symptomen führten, die
dann nicht schwerwiegender waren als beim ersten Ereignis [22]
[35]. Für verstärkte Lokalreaktionen besteht keine Indikation zur SIT [7].
Bei atopischer Dermatitis gibt es Hinweise darauf, dass eine SIT Ausprägung und Medikamentenverbrauch positiv
beeinflussen. Sie wird daher nicht mehr als Kontraindikation angesehen. Für eine alleinige
Indikation zur SIT ist dies bisher aber nicht ausreichend [7].
Auch das Pollen-assoziierte orale Allergiesyndrom stellt derzeit noch keine alleinige Indikation dar, da nicht alle behandelten Kinder
von einer SIT diesbezüglich profitieren (Abb. [3]).
Abb. 3 Mögliche Indikationen für die SIT: Insektengifte (a), und Pollen (b). Quelle Fotolia.
In den letzten Jahren hat es gerade im pädiatrischen Bereich viele Forschungsaktivitäten
im Bereich der spezifischen oralen Toleranzinduktion (SOTI), einer Sonderform der SIT, gegeben. Dieses betrifft Kinder mit Nahrungsmittelallergie, ebenfalls einer Allergie mit deutlich zunehmender Prävalenz. Obwohl im Prinzip wirksam,
ist sie zurzeit ebenfalls nicht als Standardtherapie empfohlen, da noch zu viele Fragen
offen sind, vor allem bezüglich Sicherheit, anhaltender Wirksamkeit und Patientenauswahl.
Das Thema kann aufgrund der vielschichtigen Daten an dieser Stelle nicht behandelt
werden.
Konsens:
-
allergische Rhinokonjunktivitis
-
intermittierendes bzw. geringgradiges persistierendes Asthma bronchiale
-
Insektengiftallergie (Z. n. Anaphylaxie > Grad II)
In Diskussion, keine Standardindikation:
-
atopische Dermatitis
-
Pollen-assoziiertes orales Allergiesyndrom
-
ausschließlich die Haut betreffende Systemreaktionen bei Hymenopterenallergie [7]
-
Nahrungsmittelallergie (SOTI)
Kontraindikationen
Bei der Entscheidung bezüglich einer SIT sind mehrere Kontraindikationen zu beachten
(Tab. [1]). Ein teilkontrolliertes oder unkontrolliertes Asthma bronchiale stellt prinzipiell
eine Kontraindikation dar, wobei ein teilkontrolliertes Asthma bronchiale im Kindesalter
mit selten auftretender Symptomatik keine absolute Kontraindikation ist [9]. Außerdem ist die SIT-Einleitung kontraindiziert bei Autoimmunerkrankungen, Immundefekten,
Immunsuppression und malignen neoplastischen Erkrankungen mit aktuellem Krankheitswert.
Tabelle 1
Kontraindikationen bei SIT mit Allergenen [9].
Subkutane Applikation (SCIT)
|
Sublinguale Applikation (SLIT)
|
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Die Indikation bezüglich Autoimmunerkrankungen ist hierbei in stetiger Diskussion,
explicit ist laut Leitlinien bei Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis, Diabetes mellitus
und stabilen Verläufen von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder rheumatoider
Arthritis die Einleitung einer SIT nicht streng kontraindiziert. Die Indikation sollte
aber immer abgewogen und mit den Patienten ausführlich besprochen werden. Sollte sich
während der SIT-Behandlung der Verdacht auf eine Neuerkrankung mit einer Autoimmunerkrankung
ergeben, wird empfohlen, die SIT zu beenden.
Die SIT-Einleitung während einer Schwangerschaft ist kontraindiziert (Ausnahme: schwere Insektengiftallergie), die weitere Durchführung
einer bis dahin ohne schweren Nebenwirkungen verlaufenden SIT jedoch möglich [9].
Im Weiteren ist die SIT kontraindiziert bei Z. n. schwerer systemischer Reaktion bei
einer SIT in der Vergangenheit. Außerdem besteht eine Kontraindikation bei allen Erkrankungen,
bei denen aus verschiedenen Gründen Adrenalin als wichtigstes Medikament der Anaphylaxietherapie
nicht gegeben werden kann oder vermutlich weniger wirksam ist (z. B. Komedikation
Beta-Blocker, ACE-Hemmer) [9].
Allergenpräparate
Durch herstellerspezifische Prozessierung entstehen Allergenextrakte, die sich in
Zusammensetzung und Allergenaktivität unterscheiden. Daher sind auch bei gleichem
Allergen die Präparate nicht direkt vergleichbar; es gibt keine einheitliche Messung
des Allergengehalts [9]. Dazu kommt die Schwierigkeit, dass auch die Anwendungsstudien mit anderen Zielpunkten
durchgeführt werden, wodurch ein direkter Vergleich von Präparaten unmöglich ist.
Die European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI) hat deshalb 2014 in einem Positionspapier einen Vorschlag für Studienscores (Klinik,
Verlauf, Medikamentenverbrauch) vorgelegt, so dass zukünftig Ergebnisse der Studien
bei Einhaltung dann einfacher zu vergleichen wären [11].
Für die Inhalationsallergene kommen SCIT- und SLIT-Präparationen mit verschiedenen
Dosierungsschemata zur Anwendung. Für die Insektengiftallergene stehen ausschließlich
SCIT-Präparate zur Verfügung, die ganzjährig verabreicht werden.
SCIT-Präparate
Für die SCIT stehen nicht modifizierte Präparate mit unveränderter Allergenkonformation
(sog. native Extrakte) und chemisch modifizierte Extrakte (sog. Allergoide) zur Auswahl. Die Idee bei der Entwicklung der Allergoide war, weniger Nebenwirkungen
bei gleicher immunogener Wirkung zu erreichen. Es besteht aber bei den gemeldeten
Nebenwirkungen bisher kein signifikanter Unterschied zwischen nativen Extrakten und
Allergoiden [10].
Bei der SCIT werden native Allergene und Allergoide vorwiegend als Semidepotextrakte
eingesetzt. Hierbei wird das Allergen an einen Trägerstoff wie z. B. Aluminiumhydroxid
gekoppelt, der zum einen den schnellen Abstrom des Allergens verhindert, andererseits
eine verstärkte Immunantwort fördern soll (Aluminiumhydroxid, Monophosphoryllipid
A) [25]. Es existieren auch wässrige Extrakte (ohne Depoteigenschaften), die vorwiegend
bei schnellen Aufdosierungen wie bei der Einleitung einer Insektengift-SIT benötigt
werden [8]. Alle Extrakte müssen gekühlt aufbewahrt werden (2 – 8° C).
SLIT-Präparate
Die SLIT kann in Form von Tabletten (keine Kühlung notwendig) und Tropfen verabreicht
werden. Der Allergengehalt der verschiedenen Extrakte muss insgesamt deutlich höher
sein als bei der SCIT, er unterscheidet sich in den verschiedenen Präparaten. Überwiegend
werden bei der SLIT nicht modifizierte Allergene verwendet, seltener modifizierte
Extrakte [13].
Therapiedauer
Die Therapiedauer beträgt bisher mindestens drei (bis fünf) Jahre. Die Wirkung einer
SIT ist wesentlich von der insgesamt über die Jahre applizierten Gesamtdosis abhängig.
Das Aufdosierungsintervall und Injektionsschema ist bei den Präparaten unterschiedlich.
Man unterscheidet präsaisonale, kosaisonale und ganzjährige Injektions- bzw. Einnahmeschemata.
Auch diesbezüglich sind die Daten nicht eindeutig.
Merke: Die Effektivität der SIT hängt von der applizierten Gesamtdosis des Allergens ab.
Es existieren verschiedene Schemata für Aufdosierungs- und Fortsetzungsbehandlung.
Applikationsform und Wirksamkeit
In den letzten Jahren gab es eine sehr kontroverse Diskussion über die optimale Applikationsform
(SCIT oder SLIT). Eine generelle Empfehlung kann nicht gegeben werden, es sollte immer
die Datenlage für das jeweilige Allergen und Produkt berücksichtigt werden. Hier sind
durch neue Produkte und Studien auch laufend erneute Änderungen zu erwarten. Direkt
vergleichende pädiatrische Studien existieren nicht.
Vor diesem Hintergrund ist eine Tabelle zu lesen, die in Zusammenhang mit der neuen
S2k-Leitlinie veröffentlicht wurde. Die Autoren versuchten dabei aufzuzeigen, welche
Studien für welche Präparate vorliegen, um die Datenlage übersichtlicher zu gestalten
(www.dgaki.de/leitlinien/s2k-leitlinie-sit/sit-produkte-studien-zulassung/). Sie wiesen ausdrücklich darauf hin, dass sich die Auflistung der Datenlage nicht
zur Erstellung einer Positiv-Negativ-Liste eigne, da natürlich Präparate existieren
würden, mit denen SIT schon seit Jahren mit guten klinischen Erfahrungen durchgeführt
würden, für die aber keine aktuellen Studien vorlägen.
Den bisherigen Stand zusammenfassend besteht langjährige Erfahrung bezüglich Wirksamkeit
und Sicherheit mit der SCIT. Bei der SLIT mit Graspollenextrakt hat sich bei Kindern
eine gute Wirksamkeit bezüglich der Symptomlast bei allergischer Rhinokonjunktivitis
gezeigt [38]. Für Asthma bronchiale allerdings sind die Ergebnisse bei Kindern bisher nicht gut
dokumentiert, auch nicht für weitere präventive Effekte der SIT, wie etwa weniger
Neusensibilisierungen [37]. Bezüglich eines Effekts auf die Asthmaprävention wird in Kürze eine Veröffentlichung
der GAP-Studie („Grazax asthma prevention“) erwartet. Seit 2015 ist für Erwachsene
ein Hausstaubmilbenextrakt als Tablette zugelassen, für den in Studien eine gute Wirksamkeit
für ARC und Asthma gezeigt wurde, der aber für Kinder bisher noch nicht zugelassen
ist [36].
Zusammenfassend kann die Entscheidung über Präparat und Applikationsweg nicht generalisiert,
sondern nur Allergen- und Präparate-spezifisch erfolgen. Vor allem sind es wohl die
Auswahlkriterien, die noch besser spezifiziert werden sollten, um für den einzelnen
Patienten und seine Allergie die individuell beste Therapieform bestimmen zu können.
Letztendlich entscheidend für gute Wirksamkeit ist auch die Compliance. Eine gute
Therapieadhärenz ist nur zu erreichen, wenn der Patient die Behandlung in dieser Applikationsform
unterstützt.
Merke: Eine generelle Aussage über den besten Applikationsweg (SLIT oder SCIT) kann nicht
erfolgen, es sollte immer die Datenlage für das jeweilige Produkt berücksichtigt werden.
Zulassung von Allergenpräparaten
Um zu verstehen, warum die Datenlage für die Extrakte uneinheitlich und inkomplett
ist, erfolgt ein Exkurs über die bisherige Praxis der Zulassung.
Für die Erstbeschreibung der SIT verwendete L. Noon einen Extrakt aus Pollen, die
seine Schwester Dorothy gesammelt hatte. In den weiteren Jahren wurden viele Allergenpräparate
benutzt, die als Individualrezeptur (named patient product) hergestellt wurden. Über
6000 verschiedene Extrakte wurden verwendet, damit bestand eine sehr unübersichtliche
Situation.
1985 wurde die European Medicines Agency (EMA) gegründet, unter anderem, um in der
EU die verfügbaren Medikamente zu vereinheitlichen und Qualitätsstandards zu sichern.
Für Deutschland wird diese Aufgabe vom Paul-Ehrlich-Institut wahrgenommen. Seit 1989
werden in der EU Allergenextrakte als Arzneimittel bezeichnet. Zusätzlich trat in
Deutschland 2008 die Therapieallergene-Verordnung (TAV) in Kraft. Demnach müssen alle
Rezepturen, die mindestens einen Extrakt einer Allergenquelle enthalten, die häufig
Allergien auslöst, als Fertigarzneimittel beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zugelassen
werden. Es wird eine Übergangsfrist (voraussichtlich bis 2021) gewährt.
Zu den sogenannten TAV-Allergenen zählen Süßgräser (außer Mais), früh blühende Bäume, Hausstaubmilbe, Bienen- und Wespengift.
Therapieallergene, die diese TAV-Allergene nicht enthalten, müssen nicht zugelassen
werden und unterliegen dann keiner behördlichen Qualitätskontrolle. Sie dürfen aber
nicht mit TAV-Allergenen gemischt werden.
Seit 1993 wurden nur noch Zulassungen erteilt, wenn für den Wirkungsnachweis mindestens
eine placebokontrollierte Studie erfolgreich durchgeführt worden war. Die Präparate
für die Insektengiftallergene waren hiervon ausgenommen. Derzeit sind bei der European
Medicines Agency (EMA) 116 Anträge auf Zulassung in Bearbeitung (Stand August 2015).
Laut EMA-Standards ist für die Zulassung neuer Arzneimittel Folgendes erforderlich:
einjährige Dosisfindungsstudie (an Erwachsenen), gefolgt von einer 5-jährigen (3 Jahre
Behandlung, 2 Jahre Follow-up) placebokontrollierten Studie zu Wirkung und Sicherheit
bei Erwachsenen und einer weiteren 5-jährigen placebokontrollierten Studie an Kindern
[6]. Letztere wird auf Basis eines Pediatric Investigation Plan (PIP) durchgeführt.
Aufgrund der Menge der auf Zulassung wartenden Präparate wird geschätzt, dass hierfür
ca. 17000 Kinder in Studien eingeschlossen werden müssten, bei denen eine Indikation
zur SIT besteht. Der Placebogruppe würde somit über 5 Jahre eine wirksame Therapie
und ggf. präventive Wirkungen der Therapie vorenthalten. Manche Autoren äußern, dass
sie dies für unethisch halten, und plädieren dafür, eine kürzere Dosisfindungs- und
Sicherheitsstudie (1 Jahr), wie auch eine kurze Effektivitätsstudie an Kindern durchzuführen,
sich aber bzgl. Verträglichkeit und Wirksamkeit auf die Erwachsenenstudien zu beziehen
[24]; dies vor allem vor dem Hintergrund, dass bei der bestehenden Datenlage der älteren
Präparate die Wirkung im Kindesalter stets besser war als bei Erwachsenen.
Auch für eine Zusammenstellung der in Zulassung befindlichen Präparate sei auf den
folgenden Link der S2k-Leitlinie verwiesen: www.dgaki.de/leitlinien/s2k-leitlinie-sit/sit-produkte-studien-zulassung/.
Praktische Durchführung
Aufklärung
Das Aufklärungsgespräch sollte dokumentiert werden und es ist nach Möglichkeit ein
Handout mitzugeben. Eine schriftliche Einwilligung wird empfohlen (Vorlagen z. B.
unter www.dgaki.de/Leitlinien/s2k-Leitlinie-sit/) [9].
Auch rein organisatorische Fragen sollten geklärt werden: Es sollte ein Tag für die
Injektion gewählt werden, an dem keine sportliche Aktivität nach der Injektion mehr
erfolgt (z. B. Fußballtraining). Die bei Erwachsenen noch zu erwähnenden nicht empfohlenen
Saunabesuche und Alkoholgenuss nach SIT spielen im Kindesalter meistens keine Rolle.
Außerdem sollte über das Vorgehen mit Impfungen und geplanten Operationen gesprochen
werden. Im Notfall kann natürlich jeder Eingriff und jede Impfung jederzeit erfolgen,
ist es aber planbar, dann empfiehlt sich die Impfung nicht in die Aufdosierungsphase
zu legen. In der Fortsetzungsbehandlung sollte genau zwischen den Injektionen (i. A.
2 Wochen nach der letzten SIT) geimpft werden [3].
Verhalten am Tag der Injektion
Wenn der Patient das erste Mal zur Injektion kommt, kann je nach Temperament und Alter
des Kindes sowie Stil des Arztes ein Betäubungspflaster (z. B. EMLA®) geklebt werden. Dies muss nicht erfolgen, kann aber besonders in der Aufdosierungsphase
mit den meist wöchentlichen Intervallen besonders bei jungen Kindern die Durchführung
erleichtern. Das Therapieallergen wird beim ersten Mal von der Familie mitgebracht
und meistens in der Praxis/Klinik im Kühlschrank (2 – 8° C) gelagert, ein Einfrieren
ist unbedingt zu vermeiden.
Vor jeder (!) Injektion sollte eine Kurzanamnese erhoben werden, es geht vor allem
um die Verträglichkeit der letzten SIT (Lokalreaktionen?), kürzlich aufgetretene Erkrankungen/Infekte,
aktuelle Medikation und derzeit bestehende Allergiesymptome. Kurze Dokumentation dieser
Informationen ist empfohlen. Danach wird festgelegt, ob und in welcher Dosierung eine
Injektion erfolgt. Da dieses Gespräch jedes Mal stattfindet, sind die Patienten bald
geschult, diese Dinge auch gut zu beachten. Bei frischen Infekten (Fieber) sollte
keine Injektion erfolgen. Insbesondere bei Asthmatikern sollte bei Obstruktion (Kontrolle
über Klinik, Peak Flow Meter oder Lungenfunktion) keine Injektion erfolgen.
Injektion
Nachdem sich der Arzt überzeugt hat, dass das Präparat dem Patienten korrekt zugeordnet
(Namensabgleich) und die korrekte Dosis festgelegt ist, kann die Injektion erfolgen.
Eine korrekte Injektionstechnik ist sehr wichtig, um Lokalreaktionen zu vermeiden
(Abb. [4]). Die Injektion muss vom Arzt durchgeführt werden.
Der Flasche wird etwas bewegt, um den Extrakt zu durchmischen. Die Nadel wird nach
dem Aufziehen des Allergens gewechselt, um Lokalreaktionen zu vermindern. Es wird
eine 1-ml-Spritze mit einer Injektionsnadel von 14 – 18 G (bei zu kleiner Nadelgröße
keine Aspiration möglich) mit kurzem Anschliff und einer Länge von mindestens 25 mm
verwendet [9]. Die Injektion erfolgt vorzugsweise etwa eine Handbreit über dem Olekranon an der
Streckseite des Oberarms streng subkutan in eine abgehobene Hautfalte mit einem Winkel
von 45 %. Bei mehr Unterhautfettgewebe müssen ein steilerer Winkel und ggf. eine längere
Nadel gewählt werden (Abb. [4]).
Abb. 4 a – c Korrekte Injektionstechnik bei SCIT. a Zu flacher Winkel (begünstigt Lokalreaktionen). b Korrekte Technik. c Steilerer Winkel bei adipösem Patienten. Nachzeichnung mit freundlicher Genehmigung
von B. Niggemann.
Die Kinder entspannen den Arm oft besser, wenn er locker hängen kann, z. B., indem
der Daumen in die Gürtelschlaufen der Hose eingehängt wird (Abb. [5]). Vor der Injektion wird aspiriert, bei größeren Volumina (1 ml) auch ein zweites
Mal in der Mitte der Injektion. Zu oberflächliche Injektion führt zu vermehrten Lokalreaktionen,
zu tiefe Injektion zu schnellem Abfluten des Allergens mit unerwünschten Allgemeinreaktionen.
Nach Entfernen der Nadel sollte noch eine kurze Zeit mit einem Tupfer komprimiert
werden, um den Rückstrom der Allergenlösung zu vermeiden [3].
Abb. 5 a – f Injektion s. c. a Entspannte Haltung des Armes. b Desinfektion. c Anheben einer Hautfalte. d Injektion mit möglichst 45°-Winkel und Aspiration. e Ggf. Zwischenaspiration. f Nach der Injektion noch kurze Kompression.
Die verabreichte Dosis, der Injektionsort und die Zeit sollten dokumentiert werden.
Der Patient verbleibt danach 30 Minuten unter ärztlicher Kontrolle, d. h., er sollte
sich tatsächlich im Sichtfeld des Praxis/Klinikpersonals befinden. Nach der Beobachtungszeit
wird die Injektionsstelle kontrolliert und die Verträglichkeit dokumentiert, dies
kann auch durch eine erfahrene MTA erfolgen.
Erfolgt eine Behandlung mit zwei Spritzen, sollten zwischen den Injektionen 15 Minuten
liegen und die zweite Injektion hat in den anderen Arm zu erfolgen. Die Nachbeobachtungszeit
beträgt dann 30 Minuten nach der letzten Spritze.
Nach der Injektion ist eine lokale Kühlung manchen Patienten angenehm. Diese sollte
nur mit gekühlten und nicht mit gefrorenen Cold Packs erfolgen, um thermische Schädigungen
der Haut zu vermeiden.
Tritt bei der Aspiration oder nach der Injektion Blut aus, sollte wie folgt gehandelt
werden:
Verhalten bei Blutaustritt oder blutiger Aspiration
-
Rückfluss von Blut bei der ersten Aspiration, d. h., bevor Allergen injiziert wurde: Meistens nicht gefährlich, Nadel entfernen, nach kurzer Pause Injektion am anderen
Arm zu wiederholen.
-
Nach Injektion des Allergens oder bei Zwischenaspiration Rückfluss von Blut in die
Spritze: Gefährliche Situation, Injektion sofort beenden, i. v. Zugang legen, Notfallmedikamente bereitlegen.
-
Geringer Blutaustritt auf der Hautoberfläche nach Herausziehen der Nadel (häufigste
Situation): meistens verletztes Hautgefäß, keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen, engmaschige Beobachtung,
übliche 30 Minuten Nachbeobachtungszeit bei Symptomfreiheit.
Verhalten bei Flaschenwechsel und verlängerten Injektionsintervallen
Die Empfehlungen sind je nach Hersteller unterschiedlich, diese sollten aber bekannt
sein und eingehalten werden [25]. Deshalb ist es günstig, nicht zu viele verschiedene Extrakte in einer Praxis/Klinik
zu benutzen, damit hier wenig Fehler durch Verwechslung der Angaben entstehen können.
Verhalten bei Infekten
Bei leichten Infektionen ohne Fieber und gutem Allgemeinbefinden kann die SIT wie
gewohnt erfolgen. Bei fieberhaften Infekten sollte eine Woche nach Gesundung erst
wieder mit der SIT begonnen werden [3].
Gabe der SLIT
Die erste Gabe erfolgt in Anwesenheit eines Arztes. Tablette oder Tropfen werden unter
die Zunge gegeben und sollen möglichst für zwei bis drei Minuten dort verbleiben.
In den ersten fünf Minuten sollte nichts getrunken oder gegessen werden. Bei Auffälligkeiten
sollte der Arzt kontaktiert werden. Bei Fieber, Asthmabeschwerden, Verletzung oder
Entzündung der Mundhöhle sollte keine SLIT erfolgen. In den ersten Wochen werden oft
ausgeprägtere lokale Nebenwirkungen beobachtet, die sich dann im Weiteren zurückbilden
[9].
SIT in der Schwangerschaft
Eine bereits begonnene und ohne systemische Nebenwirkungen laufende SIT sollte fortgeführt
werden. Der Neubeginn einer SIT während einer Schwangerschaft gilt im Allgemeinen
als kontraindiziert. Einzige Ausnahme ist allerdings eine lebensbedrohliche Hymenopterenallergie
[9].
Dauer der Therapie
Die Dauer der Therapie beträgt drei bis fünf Jahre. Der Therapieerfolg kann nur anhand
klinischer Parameter wie Ausprägung der allergischen Symptome und weniger Medikamentenverbrauch
festgestellt werden. Verwertbare immunologische Parameter für den Praxisalltag sind
nicht verfügbar, spezifische IgE und Prick-Test bleiben meist positiv, auch wenn schon
eine Toleranzentwicklung besteht [3].
Falls gegen die eigentlichen Empfehlungen Mischungen von Allergenen verwendet wurden,
kann es sinnvoll sein, die Therapiedauer länger als drei Jahre zu wählen, damit die
Gesamtdosis der Allergene möglichst hoch ist. Für Patienten mit Mastozytose ist eine
Fortführung der SIT länger als fünf Jahre bei Hymenopterenallergie empfohlen.
Nebenwirkungen
Die möglichen Nebenwirkungen umfassen ein großes Spektrum (Tab. [2]) – von leichten Lokalreaktionen bis hin zu lebensbedrohlichen systemischen Wirkungen
[26]. Die Häufigkeit aller Nebenwirkungen variiert zwischen 0,5 und 47 % angegeben [27], sie treten nicht nur in der Aufdosierungs- sondern auch in der Erhaltungstherapie
auf. Nach den Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts treten schwere, lebensbedrohliche
Situationen mit einer Häufigkeit weniger als 1:10000 Fällen auf. Insbesondere SIT-Schemata,
die mit schnellen Aufdosierungen einhergehen, zeigen höhere Nebenwirkungsraten.
Tabelle 2
Gradeinteilung der systemischen Nebenwirkungen bei SCIT und SLIT nach der World Allergy
Organization.
Grad I – Symptome an einem Organ
|
Grad II – Symptome an mehr als einem Organ
|
Grad III – untere Atemwege
|
Grad IV
|
-
Haut: Juckreiz, Urtikaria, Flush oder Hitzegefühl oder Angioödem (nicht Larynx/Uvula)
-
obere Atemwege: Rhinitis, Juckreiz, Hustenreiz oder Räuspern, Konjunktivitis
-
Andere: Übelkeit, metallischer Geschmack oder Kopfschmerzen
|
-
untere Atemwege: Asthma, Husten, Kurzatmigkeit, FEV-1-Abfall oder PEF-Verlust
-
gastrointestinal: Bauchkrämpfe, Erbrechen oder Durchfall
-
Andere: Uteruskontraktionen
|
|
|
Risikofaktoren für systemische Reaktionen während einer SIT
-
aktuelle allergische Symptome und potenzielle Allergenbelastung
-
akute Infekte
-
Mastzellerkrankungen (hohe Serumtryptase)
-
Hyperthyreose
-
instabiles bzw. unzureichend behandeltes Asthma bronchiale
-
hoher Sensibilisierungsgrad des Patienten
-
inadäquate Dosissteigerung während der Einleitungstherapie
-
Medikamentenanwendung (Beta-Blocker)
-
unangemessene Kreislaufbelastungen, Alkoholkonsum, starke Anstrengung, Sauna
-
ungeeignete Injektionstechnik
-
Überdosierung des Allergenextrakts
-
vom Hersteller empfohlene Dosisreduktion bei Wechsel auf neue Packung übersehen [9]
Merke: Die möglichen Nebenwirkungen reichen von leichten Lokalreaktionen bis zum schweren
anaphylaktischen Schock. Der betreuende Arzt sollte die Notfallversorgung von Kindern
beherrschen. Notfallmaßnahmen sollten im Team regelmäßig trainiert werden.
Um Nebenwirkungen zu vermeiden, sollte keine Injektion erfolgen, wenn akute Infektionen
oder andere allergische Symptome bestehen. Besonders die simultane natürliche Allergenexposition,
z. B. während der Pollensaison, kann die Reaktionsschwelle verschieben [26]. Je nach Extrakt ist hier eine Verringerung der SIT-Dosis für dieses Intervall indiziert
(Herstellerinformation beachten). Auch eine Intervallüberschreitung birgt ein Risiko
für eine stärkere Reaktion. Da die meisten Nebenwirkungen in den ersten 30 Minuten
nach Injektion auftreten, sollte sich der Patient in dieser Beobachtungszeit in unmittelbarer
Nähe zum Arzt befinden.
Die Behandlung der unerwünschten systemischen Nebenwirkungen ist ausführlich in der
Leitlinie zur Anaphylaxie dargestellt. Damit die Therapie ohne Zeitverzögerung erfolgen
kann, sollten die benötigten Medikamente unmittelbar in der Nähe des Patienten gelagert
werden, z. B. auf einem „Notfalltablett“. Es ist auch hilfreich, Formblätter mit Notfalldosierungen
für diesen Patienten (gewichtsbezogen) bereitzuhalten.
In der Leitlinie [9] wird folgende Notfallausrüstung gefordert:
-
Stethoskop, Blutdruckmessgerät
-
Stauschlauch, Spritzen, Venenverweilkanülen, Infusionsbesteck
-
Sauerstoff mit Maske/Brille
-
Guedel-Tubus, Beatmungsbeutel, Absaugvorrichtung, Intubationsbesteck
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Adrenalin zur Injektion und Adrenalin-Autoinjektor
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H1-Antihistaminikum zur Injektion
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Glukokortikoid zur Injektion
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Infusionslösungen (NaCl 0,9 %, kolloidale Lösungen)
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Salbutamol (und Inhalierhilfe)
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ggf. externer Defibrillator
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ggf. Pulsoximeter
Die Gabe von Antihistaminika vor der Injektion wird kontrovers diskutiert. Man ist
sich aber einig, dass eine Prämedikation mit Antihistaminika die Wirksamkeit der SIT
nicht beeinträchtigt. Für die Prämedikation vor der Injektion spricht, dass die Häufigkeit
schwerer systemischer Nebenwirkungen geringer ist. Gegen die Therapie spricht, dass
möglicherweise frühe Symptome als Hinweis auf eine systemische Reaktion maskiert werden
können [3]. Deshalb wird eine Prämedikation vor der Injektion im Allgemeinen nicht empfohlen,
nach Ablauf des Beobachtungsintervalls 30 Minuten nach der Injektion kann die Gabe
von Antihistaminika aber großzügig erfolgen.
Merke: Eine Prämedikation mit einem Antihistaminikum führt statistisch zur reduzierten Häufigkeit
systemischer schwerer Nebenwirkungen, allerdings sind systemische Reaktionen trotz
dieser Prämedikation nicht ausgeschlossen [9]. Sie wird im Allgemeinen trotzdem nicht empfohlen, da befürchtet wird, dass hierdurch
klinische Zeichen einer beginnenden systemischen Reaktionen später und damit außerhalb
des Beobachtungszeitraums von 30 Minuten auftreten.
Compliance
Tatsächlich ist die Compliance bei der langen Therapiedauer der SIT problematisch.
In Studien wird für SLIT und SCIT eine Therapieadhärenz von ca. 70 % oder besser angegeben.
Nach Berechnung der gesetzlichen Krankenkassen (Folgerezepte für SIT-Lösungen) liegt
die Therapieadhärenz um 44 % im dritten Jahr.
Bei Befragungen geben die Patienten folgende Gründe für Non-Compliance an: Zum einen
scheint die Information zu Anfang über Art und Dauer der Therapie immens wichtig zu
sein, vor allem in Bezug auf die präventiven Effekte der SCIT. Nur wenn Patienten
die Therapie gut verstehen und auch unterstützen, kann die Compliance über die langjährige
Therapie gut bleiben. Fehlende Wirkung der SIT führt zur Non-Compliance, ebenso wie
häufige Nebenwirkungen. Aber auch einfache organisatorische Dinge in der Praxis/Klinik
spielen eine Rolle, oft ist durch Wartezeiten etc. der Zeitaufwand für den Patienten
deutlich höher als 30 Minuten. Bei der SCIT ist die Compliance einfach zu überprüfen,
schwieriger ist es, sie bei der SLIT zu beurteilen.
Ausblick
Die SIT zeigt in vielen Bereichen innovative Veränderungen [9]. Interessant sind die Überlegungen zu anderen Applikationsorten. Hier ist vor allem
die direkte Applikation in den Lymphknoten erwähnenswert, weil dadurch offensichtlich
schon nach wenigen Injektionen (3- bis 6-mal) sehr gute Immunantworten verzeichnet
werden. Diese scheinen vergleichbar mit einer mehrjährigen Therapie. Auch andere,
neue Adjuvanzien können vielleicht die SIT-Wirkung noch verstärken.
Mittels rekombinanter Allergene können Immuntherapeutika hochstandardisiert in genau
definierter Konzentration hergestellt werden. Durch Modifizierung solcher Allergene
entstehen somit neuartige Präparate, die ein besseres Wirkungs-/Nebenwirkungspotenzial
bieten. In den meisten bisher verfügbaren SIT-Lösungen sind im Wesentlichen die Hauptallergene
vorhanden, also z. B. in einem Graspollenextrakt Phl p1 und Phl p5b. Patienten, die
nicht für die Hauptallergene sensibilisiert sind (also z. B. nur mit Phl p7 und Phl
p12) werden bisher auch möglicherweise weniger Benefit durch die SIT haben. Dies betrifft
in der Praxis im Kindesalter nach unserer Einschätzung eher eine kleinere Patientengruppe.
Der Gedanke ist, dass diese Patienten mit rekombinanter Diagnostik eine genaue Bestimmung
ihrer Sensibilisierungen erhalten und möglicherweise dann ein individuell genau zugeschnittenes
SIT-Präparat bekommen.
Fallbesprechungen
Anhand von Beispielen sollen diagnostische Wege zur Indikationsstellung und der Umgang
mit häufig wiederkehrenden Problemen aufgezeigt werden. Hierfür existieren keine allgemeingültigen
Empfehlungen, die dargestellte Vorgehensweise stellt subjektiv das Vorgehen der Autoren
dar.
Sie erinnern sich an Max, sieben Jahre alt? Als Kleinkind war er wegen einer atopischen
Dermatitis in Ihrer Behandlung, in den letzten Jahren nur bei Infekten und Vorsorgen
vorstellig. Seine Eltern haben beide Heuschnupfen, die Mutter auch Asthma. Deshalb
ist den Eltern rasch aufgefallen, dass auch Max nun schon das zweite Jahr im Frühjahr
Symptome einer allergischen Rhinokonjunktivitis zeigte, die mit Antihistaminika gut
behandelbar war. Diese hat er über insgesamt sechs Wochen immer wieder eingenommen.
Zudem besteht ein orales Allergiesyndrom nach Essen von rohem Apfel. Asthmabeschwerden
werden nicht angegeben. Aktuell ist Max völlig beschwerdefrei.
Welche Diagnostik würden Sie durchführen? Wie würden Sie Max behandeln?
Neben Anamnese und klinischer Untersuchung gehört zur Indikationsstellung nun der
Nachweis von spezifischen IgE-Antikörpern. Dies kann entweder durch einen Haut-Prick-Test
oder eine Laboranalyse durchgeführt werden. Bei suggestiver Klinik und negativem Ergebnis
im ersten Test sind ggf. auch beide Testverfahren sinnvoll. Zusätzlich kann eine Lungenfunktion
als Ausgangsbefund durchgeführt werden, es sollte nach den Symptomen eines noch nicht
erkannten Asthma bronchiale gefragt werden.
Bei Max zeigt sich nun ein leicht erhöhtes Gesamt-IgE und ein erhöhtes spezifisches
IgE für Birkenpollen. Außerdem besteht eine hohe Symptomlast
(Medikamenteneinnahme über fast 6 Wochen in der Saison). Damit sind die Voraussetzungen
für eine SIT erfüllt. Da die Klinik über zwei Jahre in der selben Pollensaison bestanden
hat und mit dem Sensibilisierungsschema gut übereinpasst, sind keine weiteren Untersuchungen
erforderlich. Es ist aber sinnvoll, mit der Therapie frühzeitig zu starten, um neben
der Therapie der ARC auch ggf. präventiv gegen Neusensibilisierungen zu wirken und
einen Etagenwechsel zu verhindern, der bei Max aufgrund der familiären Belastung droht.
Das zusätzliche pollenassoziierte orale Allergiesyndrom oder die atopische Dermatitis
von Max können positiv beeinflusst werden, sind aber für sich genommen keine Indikation
zur Therapie.
Merke: Im Kindesalter ist neben den therapeutischen Effekten der SIT auch immer die mögliche
präventive Wirkung bei der Indikationsstellung zu bedenken.
Indikation zur SIT mit Allergenen
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Nachweis einer IgE-vermittelten Sensibilisierung und eindeutiger Zusammenhang mit
klinischer Symptomatik (ggf. Provokationstestung)
-
Verfügbarkeit standardisierter bzw. qualitativ hochwertiger Allergenextrakte
-
Unmöglichkeit einer adäquaten Allergenkarenz
-
ausreichende Compliance bzw. Therapieadhärenz zu erwarten
-
Wirksamkeitsnachweis der SIT für die gegebene klinische Erkrankung mit dem zur Anwendung
geplanten Präparat
-
Alter > 5 Jahre, bei SLIT > 4 Jahre
Eine ausführliche Beratung über die Vor- und Nachteile der SIT (Tab. [3]) und über die medikamentösen Behandlungsindikationen ist für die weitere Therapieadhärenz
extrem wichtig. Max und seiner Familie sollte unbedingt klar sein, dass die Therapie
– einmal begonnen – über insgesamt drei Jahre durchgeführt werden sollte, da die höchste
kumulative Dosis die meiste Wirkung erzielt. Die praktische Durchführung sollte mit
dem Kind besprochen werden. Wenn die Familie sich für die Therapie entscheidet, ist
es sinnvoll, die SIT so zu starten, dass vor Beginn der Birkenpollensaison die Dosis
der Fortsetzungsbehandlung erreicht wird (Aufdosierungsintervall des gewählten Präparats
beachten).
Tabelle 3
Aufklärung über Vor- und Nachteile der SIT im Kindesalter (nach [25]).
Vorteile
|
Nachteile
|
einzige kausale Behandlung von Allergien
|
allergische Allgemeinreaktionen (Urtikaria, Asthma, Anaphylaxie) nicht auszuschließen
|
besseres Ansprechen im Kindesalter zu erwarten (kürzere Krankheitsdauer, schmaleres
Sensibilisierungsmuster, noch keine irreversiblen chronischen Veränderungen)
|
verstärkte Lokalreaktion möglich
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bessere klinische Wirksamkeit verglichen mit der Medikamententherapie bei Heuschnupfen
|
zeitintensive Therapie (Arztbesuche, Wartezeit)
|
Verbesserung der Lebensqualität im Alltag
|
wiederholte Injektionen oder tägliche Einnahme erforderlich
|
Vermeidung weiterer Sensibilisierungen und des Etagenwechsels möglich
|
keine Garantie für Therapieerfolg
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Die SCIT reduziert Asthmasymptome und den Bedarf an Asthmamedikamenten.
|
Neusensibilisierungen und Etagenwechsel nicht immer vermeidbar
|
nachhaltige Wirkung nach Beendigung der Therapie nachgewiesen
|
häufig weiterhin begleitende Pharmakotherapie notwendig
|
Am nächsten Tag wird Henriette (drei Jahre alt) in Ihre Praxis gebracht. Sie wurde
vor vier Wochen von einem Insekt in die Hand gestochen. Die Familie vermutet einen
Bienenstich. Zehn Minuten danach sei sie sehr blass geworden, habe eine Urtikaria
entwickelt und vereinzelt gehustet. Sie sei sehr abgeschlagen gewesen, aber bei Bewusstsein.
Sie wurde ins Krankenhaus gebracht und dort behandelt. Es wurde ein Notfallset verschrieben,
inklusive Adrenalin-Autoinjektor. Der Nachbar von Henriette ist Imker.
Bei Henriette ist es zu einer systemischen Reaktion nach Insektenstich gekommen, die
über eine Hautreaktion hinausging. Damit besteht eine klare Indikation zur SIT (s. o.).
Allerdings ist Henriette erst drei Jahre alt, laut Leitlinie sollte eine SIT erst
ab dem vierten Lebensjahr (SLIT) bzw. ab dem fünften Lebensjahr (SCIT) durchgeführt
werden. Der Grund hierfür liegt darin, dass für die Indikation ARC oder Asthma die
klare Korrelation zwischen Allergenexposition und Klinik im Kleinkindalter selten
möglich ist. Die Einsicht zur Therapie fehlt im Kleinkindalter, die Traumatisierung
des Kindes durch die Therapie ist oft nicht unerheblich. Beginnende schwere systemische
Nebenwirkungen können bei Kleinkindern schwerer zu erkennen sein. Deshalb ist eine
SIT generell im Kleinkindalter nicht empfohlen, obwohl in Studien eine gute immunologische
Effektivität und Sicherheit der SIT ab dem dritten Lebensjahr nachgewiesen werden
konnte [7].
Merke: In Einzelfällen kann eine SCIT auch schon bei Kindern unter fünf Jahren gestartet
werden, dies sollte aber nur nach ausführlicher Aufklärung der Eltern sowie Abwägen
der Vor- und Nachteile erfolgen. Hierbei muss betont werden, dass eine
Zulassung erst ab dem Alter von 5 Jahren besteht.
Auch bei Henriette muss der Nachweis spezifischer IgE noch erfolgen. Im Prick-Test
zeigt sich eine Sensibilisierung für Biene und Wespe. Da eine echte Doppelsensibilisierung
in diesem Alter sehr unwahrscheinlich ist, sollte eine weitere Diagnostik erfolgen.
Hier ist nun die Komponentendiagnostik hilfreich. Neben Gesamt-IgE und spezifischem
IgE für Biene und Wespe sollten in diesem Fall als Leitallergene Api m1 (Biene) und
Ves v5 und Ves v1 für die Wespe bestimmt werden. In den allermeisten Fällen lässt
sich die Sensibilisierung dann weiter eingrenzen, für weitere Diagnostik sei auf die
Leitlinie verwiesen [21].
Die Leitlinie empfiehlt auch die Bestimmung der Serumtryptase. Bei Patienten mit hoher
Serumtryptase, z. B. bei Patienten mit Mastozytose, treten verstärkt Anaphylaxien
auf. Diese können auch unter SIT auftreten, außerdem sind dann Therapieverlängerungen
zu diskutieren.
Bei Henriette zeigte sich eine Bienengiftsensibilisierung und eine normale Serumtryptase.
Da eine systemische Reaktion nach dem Stich vorlag, besteht eine Indikation zur SIT
mit Bienengift, die aus allergologischer Sicht baldmöglichst gestartet werden sollte.
Es gilt nun zusammen mit den Eltern zu entscheiden, wann die SIT begonnen wird. Für
eine frühzeitige Therapie spricht in diesem Fall zusätzlich das erhöhte Risiko mit
einem Imker als Nachbarn.
Merke: Bei der Diagnostik zur Insektengiftallergie kann die Komponentendiagnostik hilfreich
sein, außerdem ist die Bestimmung der Serumtryptase vor SIT auch im Kindesalter empfohlen.
Entscheidet sich die Familie zur SIT, muss noch festgelegt werden, ob eine konventionelle
Aufdosierung in wöchentlichen Abständen erfolgt (16 Wochen bis zur Höchstdosis) oder
eine schnelle Aufdosierung (Rush- oder Ultrarush, verschiedene Schemata verfügbar)
durchgeführt werden soll. Letzteres sollte bei Kindern immer unter stationären Bedingungen
durchgeführt werden. Am Anfang des Sommers (vor der Insektensaison) ist die schnelle
Aufdosierung zu favorisieren, da bei Erreichen der Höchstdosis von einem „Schutz“
vor systemischen Reaktionen ausgegangen wird.
Die bei Erwachsenen durchgeführte Stichprovokation unter laufender SIT zur Bestimmung
der ausreichenden Dosierung ist bei Kindern nur im Ausnahmefall sinnvoll. Ein Feldstich
ohne systemische Reaktion bestätigt die Wirkung der SIT.
Laut Leitlinie sollen Bienen- und Wespenallergiker unter und nach SIT ihr Notfallset
trotzdem mit sich führen [21]. Hierzu gibt es unterschiedliche Ansichten, da zwar systemische Reaktionen (3 %
der Patienten) nach abgeschlossener SIT beobachtet wurden, aber keine schweren Anaphylaxien
[25]. In der derzeit gültigen Leitlinie ist das weitere Mitführen eines Notfallsets aber
noch empfohlen.
Tim ist zehn Jahre alt. Im Sommer habe er Heuschnupfen, eigentlich aber sehr häufig
eine behinderte Nasenatmung, vor allem morgens. Chronischer Husten bestehe nicht,
bei Infekten eher längere Hustenperioden, selten inhaliere er mit Salbutamol. Es ist
Dezember, Tim benutzt seit acht Wochen ein nasales Steroid. Eine Hausstaubmilbensensibilisierung
ist bekannt, eine Sanierung zu Hause weitgehend erfolgt. Die Beschwerden bestünden
seit Jahren, dieses Jahr habe er aber für eine weitgehende Symptomfreiheit sehr viele
Medikamente einnehmen müssen. Tim hat einen Symptomkalender mitgebracht, dieser zeigt
ARC-Beschwerden von Mai bis Anfang August und Ende September Asthma bei Infekt.
Bei Tim besteht eine ARC im Sommer und im Winter, offensichtlich auch ein saisonales,
eher infektgetriggertes Asthma bronchiale. Seine aktuelle Lungenfunktion ist unauffällig,
er gibt auch keine Asthmasymptome an. Im Prick-Test zeigt sich eine Sensibilisierung
für Graspollen, Katze und Hausstaubmilbe I + II. Eine Sensibilisierung für Birkenpollen,
Cladosporium herbarum oder Alternaria alternata liegt nicht vor.
Bei Tim liegt eine Polysensibilisierung vor. Es besteht ein intermittierendes, leichtes
Asthma bronchiale, das keine Kontraindikation zur SIT darstellt. Die Klinik der ARC
im Sommer lässt sich gut mit der Graspollensensibilisierung vereinbaren. Wichtig ist,
eine Sensibilisierung mit saisonalen Schimmelpilzen auszuschließen, da diese zur gleichen
Zeit wie die Graspollen klinisch relevant sein können. Falls dies zusätzlich vorliegt,
ist fraglich, ob der Patient von einer reinen SIT gegen Graspollen klinisch profitiert.
Dies liegt bei Tim aber nicht vor. Katzen gibt es bei Tim zu Hause nicht, eine Allergenvermeidung
ist also unproblematisch.
Merke: Bei einer Tierhaarsensibilisierung mit klinischer Relevanz sollte immer zuerst die
Allergenvermeidung versucht werden. Kann eine Allergenkarenz nicht gewährleistet werden,
kommt in seltenen Einzelfällen eine SCIT mit Tierhaarextrakten (am ehesten Katzenallergen)
infrage.
Im Weiteren sollte die klinische Relevanz der Sensibilisierung gegen Hausstaubmilben
untersucht werden. Dies wird durch Provokation, im Allgemeinen nasal oder konjunktival,
überprüft [7]. Theoretisch ist auch eine bronchiale Provokation denkbar, aber wegen höheren Nebenwirkungen
nur in Ausnahmefällen durchzuführen. Für die nasale Provokation sollte die Anwendung
von nasalen Steroiden mindestens eine Woche beendet sein. Tim stellt sich hierfür
nochmals vor und hat eine klinisch sehr deutliche Reaktion auf die nasale Applikation
von Hausstaubmilbenextrakt.
Merke: Für die Diagnose einer allergischen Rhinokonjunktivitis kann eine nasale oder konjunktivale
Provokation hilfreich sein. Hierzu muss eine Therapie mit nasalen Steroiden sieben
Tage, mit Antihistaminika drei Tage vor der Provokation beendet werden.
Bei Tim besteht also die Indikation zu einer SIT mit Graspollenextrakt und Hausstaubmilbenextrakt.
Allergene sollten möglichst nicht gemischt werden, um immer eine möglichst hohe Dosis
des Einzelallergens zu erzielen. Ganzjährige Allergene und saisonale Allergene dürfen
nie in einer Spritze miteinander gemischt werden, daher ist die SIT bei Tim eine 2-Spritzen-Therapie,
oder auch denkbar als Kombination aus SCIT (Hausstaubmilbe) und SLIT (Graspollen).
Die Aufdosierung im Frühjahr, vor Beginn der Pollensaison, ist günstig.
Merke: Nicht homologe Allergene verschiedener Gruppen sollten möglichst nicht gemischt werden,
saisonale und ganzjährige Allergene dürfen nicht gemischt werden. Eine Kombination
von SCIT und SLIT ist prinzipiell möglich.
Lena wird mit acht Jahren vorgestellt. Seit dem Kleinkindalter leidet sie unter einer
ausgeprägten atopischen Dermatitis. Es bestehen eine Monosensibilisierung für Hausstaubmilben
sowie eine ganzjährige ARC. Immer wieder bei Infekten besteht eine schwere Bronchoobstruktion,
sodass systemische Steroide erforderlich werden. In diesem Jahr war sie bereits einmal
stationär wegen infektexazerbiertem Asthma bronchiale, im letzten Winter dreimal.
Ihre Asthmatherapie besteht aus einem Kombinationspräparat mit einem Langzeit-Betamimetikum
und 500 µg Fluticason/d, dazu 5 mg Montelukast/d. In der Diagnostik sind eine Bildgebung,
Bronchoskopie, Schweißtest und Ziliendiagnostik ohne wegweisende pathologische Befunde
erfolgt. In der Lungenfunktion zeigt sich eine deutliche Obstruktion mit einem FEV-1
unterhalb der Standardabweichungen (Z-Score – 2,3).
Bei Lena besteht prinzipiell eine Indikation zur SIT, allerdings ist das Asthma bronchiale
trotz intensiver Therapie derzeit nicht kontrolliert, so dass der Beginn einer SIT
im Moment kontraindiziert ist (s. o.).
Für eine bessere Asthmakontrolle ist ein Therapieversuch mit Omalizumab möglich. Hierunter
verbesserten sich die Asthmakontrolle und Lungenfunktion, systemische Steroide waren
nicht mehr erforderlich, auch die Dosis des inhalativen Steroids konnte langsam reduziert
werden. Nach einem Jahr wurde nach Aufklärungsgespräch mit Lena und ihrer Familie
entschieden, unter fortlaufender Therapie mit Omalizumab eine SIT gegen Hausstaubmilben
zu starten. Die Wirkung der SIT bei gleichzeitiger Therapie mit Omalizumab ist gut
dokumentiert [29], die Effektivität zufriedenstellend. Trotzdem ist insgesamt die Indikation zur SIT
gut abzuwägen.
Merke: Eine SIT ist beim teil- oder unkontrollierten Asthma bronchiale kontraindiziert.
Falls für die Asthmatherapie die Gabe von Omalizumab erforderlich ist, kann die SIT
trotzdem effektiv durchgeführt werden, in der Literatur treten unter gleichzeitiger
Therapie weniger Nebenwirkungen auf [29].
Der acht Jahre alte Ben wird vorgestellt. Bei ihm besteht seit drei Jahren ein Asthma
bronchiale, unter einer Dauertherapie mit zweimal 125 µg Fluticason inhalativ ist
dieses aber stabil eingestellt. Ein Ausschleichen der Medikation vor sechs Monaten
hatte zu Asthmabeschwerden geführt. Zusätzlich wird über eine allergische Rhinokonjunktivitis
berichtet, wann genau diese auftritt, kann nicht klar angegeben werden. Außerdem ab
und zu Jucken im Mund, z. B. nach Essen von Apfel. Im Prick-Test Nachweis einer Sensibilisierungen
gegen Birkenpollen, Graspollen, Beifuß, Hausstaubmilbe und Katzenschuppen.
Bei Ben besteht eine Polysensibilisierung, die Indikationsstellung und die Auswahl
der SIT-Allergene sind somit etwas komplizierter. Zunächst ist es hilfreich, Ben einen
Beschwerdekalender führen zu lassen, auch wenn hierdurch ein Zeitverlust bis zum möglichen
Start der SIT entsteht.
Ben stellt sich im September des Folgejahrs vor. Im Beschwerdekalender besteht ein
deutlicher Beschwerdepeak im März für die ARC, im Sommer mäßige Symptomatik, dann
erneut im Herbst eine mäßige Zunahme der ARC und sehr gering auch der Asthmasymptome.
Gezielt kann nun weitere Diagnostik erfolgen: In der durchgeführten nasalen Provokation
mit Haustaubmilbenextrakt sehr deutliche Reaktion. Es erfolgt nun auch eine Labordiagnostik
mit Bestimmung der rekombinanten Allergene. Erwartungsgemäß zeigt sich betv1 als Hauptallergen
der Birkenpollen positiv, dies passt gut zu dem Beschwerdepeak im März und zu dem
angegebenen oralen Allergiesyndrom bei Essen von Apfel. Bei den Graspollen zeigt sich
aber weder eine Sensibilisierung für Phl p1 noch für Phl p5b, sondern nur für Phl
p7 und Phl p12, damit nicht für die Hauptallergene von Graspollenextrakten.
Generell sollte mit Ben und seiner Familie gut besprochen werden, dass bei Polysensibilisierung
und ganzjährigen Beschwerden der zu erwartende Benefit der SIT geringer ist als bei
einer Monosensibilisierung. Auch die präventiven Effekte der SIT spielen bei Ben keine
Rolle mehr, da schon länger ein Asthma bronchiale besteht. Dennoch ist die Klinik
der ARC zu mildern. Möglicherweise lässt sich auch das Asthma bronchiale positiv beeinflussen.
Deshalb kann eine SIT gegen Birkenpollen und Hausstaubmilben angeboten werden. Letztendlich
ist auch entscheidend für die Indikation, wie ausgeprägt die Klinik (Beschwerdetage,
Medikamentenverbrauch) der ARC ist.
Eine SIT gegen Graspollen sollte zunächst zurückgestellt werden, in dieser Saison
bestand die geringste Klinik. Bei der Testung hatte sich keine Sensibilisierung gegen
die in der SIT-Lösung vorhandenen Hauptallergene ergeben, so dass Ben hiervon aller
Voraussicht nach weniger profitieren würde. Eine SIT mit einer Mischung von Birken-
und Graspollen sollte aufgrund der dann geringeren kumulativen Einzeldosis ohnehin
möglichst nicht erfolgen, bei fehlender Sensibilisierung gegen das Graspollenhauptallergen
ist dies für das vorliegende Beispiel daher nicht sinnvoll.
Zusammengefasst verdeutlichen die Beispiele, wie individuell die Diagnostik und Indikationsstellung
für eine SIT im Kindesalter erfolgen sollte. Dies ist besonders bedeutsam, da es sich
um eine langjährige Therapie handelt, die zwar insgesamt als sicher gilt, aber immerhin
das Risiko schwerer allergischer Reaktionen birgt. Eine inkomplette Anamnese oder
Testung führt möglicherweise zur Auswahl eines falschen Extrakts und dann wirkungsloser
Therapie. Sind dem Patienten oder seinen Eltern die Einzelheiten der Therapie und
die zu erwartenden Wirkungen und Nebenwirkungen nicht klar, wird die Compliance schlecht
sein. Deshalb sind für eine korrekte Indikationsstellung, Aufklärung und Initiierung
der Therapie nicht nur allergologische Erfahrung des Arztes erforderlich, sondern
vor allem auch Zeit im Gespräch mit dem Patienten und seinen Eltern.
Die spezifische Immuntherapie stellt in der Allergologie die einzige kausale Therapie
dar. Sie ist insbesondere gut wirksam bei Patienten mit Insektengift- und Pollenallergie.
Für die allergische Rhinokonjunktivitis, aber auch für Patienten mit Asthma bronchiale
bestehen Therapieerfolge. Besonders im Kindesalter spielen aber auch die präventiven
Effekte (Vermeidung von Neusensibilisierungen und „Etagenwechsel“ zum Asthma bronchiale)
eine große Rolle.
Bei jeder Applikationsform kann es zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen, insgesamt
sind systemische und schwere Nebenwirkungen bei der SCIT aber häufiger.
Weitere Daten über Wirksamkeit, Applikationsform und Dosierungen werden notwendig
sein, um die Bewertung der einzelnen Extrakte und die Patientenauswahl zu verbessern,
im Sinne einer zunehmend individualisierten SIT.