Wir haben den nötigen Wissensvorsprung. Deshalb können wir in den Krankenhäusern nicht
einfach wegschauen, wenn es darum geht, ein würdiges Altern in den eigenen vier Wänden
möglich zu machen“, erklärt Prof. Axel Ekkernkamp. Es gehe dabei nicht nur darum,
einer wachsenden Gesellschaftsgruppe, der früher oder später jeder von uns angehören
wird, ein existenzielles Anliegen zu erfüllen. „Aging in Place“ sei zudem die einzige
Möglichkeit, das System vor dem Kollaps zu bewahren.
Der Ärztliche Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin sieht bei
der Bewältigung dieser Aufgabe viele Anknüpfungspunkte an einen weiteren Trend unserer
Zeit: Die Entwicklung sogenannter „Smart Homes“. Einkaufende Kühlschränke und andere
intelligente, weitgehend automatisierte Systeme in barrierefreier, mit medizinischem
Support vernetzter Umgebung werden es älteren Menschen hoffentlich in naher Zukunft
ermöglichen, besser und länger alleine zurechtzukommen und bei Bedarf unverzüglich
Hilfe zu bekommen. Eine große Rolle wird dabei das Telemonitoring spielen.
Veränderungsstress
Allen voran seien Techniker gefordert, Visionen vom eHome wahr werden zu lassen, erklärt
der Keyspeaker der 35. Fachtagung zum Thema Technik im Krankenhaus. Mit vereinten
Kräften müssen die Experten sämtlicher technischer Fachrichtungen die passenden Antworten
finden auf 2 Megatrends, die das Gesundheitswesen unter erheblichen Veränderungsstress
setzen: Der demografische Wandel und die längst überfällige Digitalisierung unseres
Gesundheitswesens.
„Deutschland liegt derzeit bei der Nutzung von E-Health in der EU lediglich im hinteren
Mittelfeld. Nur 1–2 % ihrer Budgets geben die Kliniken hierzulande für IT aus. Unser
Nachbar Dänemark investiert hier das Zehnfache“, schrieb Ekkernkamp am 19. April 2015
in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung und fordert: „Alles, was digitalisiert
werden kann, sollte auch digitalisiert werden.“ Das „Wie“ spielt dabei natürlich eine
große Rolle. IT-gestützte Kommunikationsstrukturen dürfen nicht zum Selbstzweck werden
und im schlimmsten Fall den Aufwand erhöhen. Sie sollen Transparenz schaffen, die
Versorgungsqualität verbessern, Prozesse optimieren und vor allen Dingen Zeit sparen
helfen.
Mehr Qualität durch Digitalisierung
Mehr Qualität durch Digitalisierung
Ein plakatives Beispiel dafür, wie Digitalisierung Qualität verbessern kann, sieht
Ekkernkamp bei der Medikation: Medikationsfehler verursachen längere Liegezeiten,
teure Zusatztherapien und mehr Todesfälle als der Straßenverkehr. Deutschland ist
im internationalen Ländervergleich Schlusslicht bei der Beschäftigung klinischer Pharmazeuten.
Um die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen, setzen erste Krankenhäuser daher nun auf
E-Medikation im Kontext ihrer KIS-Lösungen. Entsprechende Systeme informieren die
Ärzte über Wechselwirkungen von Medikamenten und empfohlene Dosen. Sie helfen bei
der Bewertung der Hausmedikation und der Umstellung auf eine äquivalente Krankenhausmedikation.
Im Idealfall steuern sie am Ende Apparate, die die Dosierboxen für die Patienten automatisch
befüllen.
Systeme, die eine Verwechslung von Patienten vermeiden oder sicherstellen, dass der
Chirurg an der richtigen Körperpartie ansetzt und nicht etwa ein gesundes Bein amputiert,
sind weitere Beispiele dafür, wie moderne Technologien Medizin unterstützen und gleichzeitig
die Versorgungsqualität erhöhen können. Der intelligente Stationswagen wird der Schwester
lästige Dokumentationspflichten abnehmen, Lagerbestände und Warenanforderungen selbstständig
übernehmen, ...
Abb. 1 Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp: „Die Gesellschaft sollte endlich die heutigen sagenhaften
technischen Möglichkeiten für die Gesundheit nutzen.“
Big Data
Oft noch als abgehobene Spielerei abgetane Technologien wie diese werden unser Gesundheitswesen
in den kommenden Jahren grundlegend verändern. Wir werden es dabei mit Datenvolumina
zu tun kriegen, die weitaus höhere Speicher- und Übertragungskapazitäten erfordern,
als sie bisher zur Verfügung stehen. „Was die Bewältigung dieser Aufgabe angeht, stehen
wir erst am Anfang des Problems. Eng damit verknüpft ist das Thema Datensicherheit.
Da haben die Techniker in den nächsten Jahren einiges zu tun“, erklärt Ekkernkamp
und steckt damit ein weiteres Feld ab, in dem Technik zum Erfolg des Gesundheitswesens
beitragen muss.
Er ist überzeugt: „Big Data verändert alle bisher bekannten zeitlichen und räumlichen
Dimensionen.“ Es reicht nicht, dass Informationen vernetzt zur Verfügung stehen, sie
müssen auch intelligent genutzt werden. Zum Beispiel für Risiko-Screenings: Anhand
von Patientendaten lässt sich berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit es nach Eingriffen
zu Komplikationen kommt, anhand von Gerätedaten könnte man Ausfälle vorhersagen und
so rechtzeitig die nötigen Maßnahmen ergreifen.
Robotik reloaded
Dass der Erfolg chirurgischer Eingriffe weiterhin von der Tagesform und der Kondition
der Operateure abhängen soll, ist für Ekkernkamp kein hinnehmbarer Zustand. Er findet:
Der Schiffbruch mit den ersten Hüftgelenkrobotern sollte mittlerweile endgültig verdaut
sein und einem neuen erfolgreicheren Anlauf in Richtung Robotik in der Medizin Platz
machen.
Sagenhafte Möglichkeiten
Großes Potenzial sieht Ekkernkamp ferner im dreidimensionalen Print: „In fünf Jahren
werden wir damit künstliche Organe schaffen, in zehn Jahren Fleisch herstellen können.“
Der zukunftsorientierte Mediziner hält all das nicht für unwahrscheinlicher als ein
fahrerloses computergesteuertes Auto und fordert: Die Gesellschaft müsse endlich damit
anfangen, die vielen sagenhaften technischen Innovationen für die Gesundheit zu nutzen.
Dann werden wir in naher Zukunft Krankenhäuser und Möglichkeiten haben, die sich heute
noch gar niemand vorstellen kann.
Der Beitrag erschien zuerst in kma - krankenhaustechnik 2015; 9: 20–21.