Einleitung
Das Keratitis-ichthyosis-deafness (KID)-Syndrom stellt mit bisher ca. 100 in der Literatur beschriebenen Fällen eine
seltene syndromale Ichthyose dar [1]
[2]
[3]. Ursache der Erkrankung sind Mutationen im GJB2-Gen, welches das Transmembranprotein Connexin 26 codiert [4]
[5]. Die Vererbung der Erkrankung erfolgt autosomal-dominant. Erstmanifestationen in
einer Familie sind durch Spontanmutationen (ca. 90 %) zu erklären [6]. Bezüglich der Innenohrtaubheit besteht mit der frühzeitigen Anlage eines Cochlea-Implantates
eine kurative Therapiemöglichkeit. Die Therapie der Hautveränderungen ist symptomatisch
und stellt eine Herausforderung für Behandler und Patient dar. Im Vordergrund steht
eine Keratolyse unter Verwendung von harnstoff- oder salicylsäurehaltigen Externa
sowie von Öl- und Salzbädern oder einer mechanischen Dermabrasion. Ergänzend erfolgt
eine befundabhängige Behandlung der bakteriellen und mykotischen Superinfektionen
[3]
[7]
[8]
[9]
[10]. Eine Systemtherapie mit Acitretin in der Dosierung von 0,5 – 1 mg/kg KG kann unter
Beachtung der Sicherheitskontrollen und Kontraindikationen erwogen werden. Da die
chronisch hyperproliferative Hauterkrankung die Entwicklung kutaner Neoplasien fördert,
ist die histologische Kontrolle und Differenzierung zwischen hyperkeratotischen Auflagerungen
im Rahmen der Ichthyose und frühzeitiger Entstehung von Plattenepithelkarzinomen von
immenser Bedeutung [9]
[11]
[12].
Anamnese
Ein 56-jähriger Vater und sein 18-jähriger Sohn stellten sich aufgrund eines ausgeprägten
KID-Syndroms zum wiederholten Male zur intensivierten topischen und dermatochirurgischen
Therapie vor. Die Erkrankung ist bei beiden Patienten bereits im Jahre 2002 durch
den Nachweis einer Mutation im GJB2, dem Gen für Connexin 26, bestätigt worden.
Bei beiden Patienten bestehen seit Geburt erythroderme Hautveränderungen mit Lichenifikation
und pflastersteinartiger Hautverdickung. Im Verlauf kam es zu einer Ausbildung von
progredienten, teils massiven Hyperkeratosen am gesamten Integument, besonders an
den Extremitäten und im Gesicht. Beide Patienten sind seit Geburt gehörlos und verständigen
sich durch Gebärdensprache und Lippenlesen mit der Umwelt. Es bestanden bisher keine
Symptome hinsichtlich einer Keratitis der Augen. Im Laufe des Lebens kam es bei beiden
Patienten zu rezidivierenden, fötiden, bakteriell und/oder mykotischen Superinfektionen
der Haut, beispielsweise auch in den äußeren Gehörgängen. Über mehrere Jahre bestand
eine Besiedelung von Haut und Schleimhäuten durch einen multiresistenten Staphylococcus aureus (MRSA), der bei beiden Patienten erfolgreich saniert wurde.
Die Familie befand sich in unregelmäßigen Abständen zur stationären Behandlung in
Hautkliniken in Nordrhein-Westfalen, häufiger in der Universitätshautklinik Münster
oder der Hautklinik Dortmund. Beim Vater wurde im Alter von 29 Jahren ein Plattenepithelkarzinom
exzidiert; beim Sohn kam es bereits in der Pubertät zu Plattenepithelkarzinomen an
beiden Ohrläppchen, dem rechten Knie sowie dem linken Unterschenkel.
Die häusliche Therapie mit topischen Keratolytika, Ölbädern und intensiver Hautpflege
war trotz Unterstützung eines ambulanten Pflegedienstes insuffizient. Beim Vater war
die Systemtherapie mit Acitretin aufgrund gastrointestinaler Nebenwirkungen abgesetzt
worden, der Sohn erhält seit dem 11. Lebensjahr bis zum heutigen Zeitpunkt eine Acitretin-Tagesdosis
von 10 mg. Diese wurde präoperativ zur verbesserten Wundheilung pausiert. Vater und
Sohn sind an die Selbsthilfegruppe Ichthyosis e. V. angebunden.
Hautbefund
Im Bereich des gesamten Integuments unter Betonung der unteren Extremität finden sich
bei beiden Patienten multiple, teils großflächig konfluierende, festhaftende, bräunliche,
verruziforme Hyperkeratosen ([Abb. 1], [Abb. 2]) mit ausgeprägtem Foetor. Zudem bestehen eine diffus vernarbende Alopezie am Oberkopf,
Onchyodystrophien aller Finger- und Zehennägel und eine Körperbehaarung fehlt. Dominant
ist die ausgeprägte Lichenifikation mit beetartigen, teils linearen, dicken, pflastersteinartigen
Keratosen bei moderater Erythrodermie.
Abb. 1 Befund des Sohnes präoperativ.
Abb. 2 Befund des Vaters präoperativ.
Wundabstrich
Beim Sohn im Bereich der rechten Ohrmuschel Nachweis einer Superinfektion durch Pseudomonas aeruginosa und Proteus mirabilis. Bei beiden Patienten MRSA-Screening negativ.
Histologie
Hautflachexzidate mit einer hochgradigen, teils schlanken, teils plumpen, papillomatösen
Epidermishyperplasie, einer ausgeprägten Hyperparakeratose ([Abb. 4]) und Darstellung binukleärer Keratinozyten ([Abb. 5]).
Abb. 3 Befund des Sohnes am 10. postoperativen Tag nach erfolgter Dermabrasion.
Abb. 4 Übersicht der ausgeprägten Papillomatosis cutis mit Hyperparakeratose. HE, 2-fache
Vergrößerung.
Abb. 5 Detailansicht binukleärer Keratinozyten (siehe Pfeil). HE, 40-fache Vergrößerung.
Therapie und Verlauf
Präoperativ erfolgte über drei Tage die Aufweichung der massiven Hyperkeratosen mit
Salicylvaseline 10 % und Urea 10 % in Cold Cream. Danach wurden in Intubationsnarkose
großflächige Dermabrasionen an beiden Beinen der Patienten durchgeführt ([Abb. 3]). Die histologischen Untersuchungen zeigten neben den ichthyosetypischen Hyperkeratosen
([Abb. 4], [Abb. 5]) keinen Hinweis für karzinogene Veränderungen. Die postoperative Wundversorgung
erfolgte mit fetthaltigen Gazen und antiseptischen Salben. Flankierend erfolgte eine
Antibiose mit Cefuroxim 500 mg p. o. 2 × täglich. Aufgrund starker Schmerzen erweiterten
wir die Schmerztherapie auf Metamizol 500 mg p. o. 3 × täglich, Tramadol retard 100 mg
2 × täglich und Morphin 10 mg s. c. 2 × täglich. Der Sohn zeigte postoperativ einen
Hämoglobin-Abfall auf 7,2 g/dl, der durch zwei Erythrozytenkonzentrate auf 8,6 g/dl
korrigiert wurde.
Zur Optimierung der intensiven häuslichen Lokaltherapie erfolgte die Anbindung an
einen Pflegedienst.
Diskussion
Als Ichthyosen wird eine Gruppe von ca. 40 heterogenen, genetisch bedingten Verhornungsstörungen
zusammengefasst. Seit der internationalen Konsensus-Konferenz in Sorèze 2009 [1]
[2] werden Ichthyosen, die eine rein kutane Beteiligung haben (nicht-syndromale Ichthyosen),
von Verhornungsstörungen unterschieden, die weitere extrakutane Organsysteme wie ZNS,
Gehör etc. betreffen (syndromale Ichthyosen) [3]
[7]
[8].
Das Keratitis-Ichthyosis-Taubheit-Syndrom (Syn. Keratitis-ichthyosis-deafness (KID)-Syndrome, Ichthyosis hystrix Typ Rheydt,)
zählt zusammen mit dem Hystrix-like-Ichthyosis-Taubheit-Syndrom (HID) zur Gruppe der syndromalen Ichthyosen. Beide Erkrankungen – KID und HID – werden
als klinische Varianten derselben hereditären Erkrankung angesehen und sind durch
eine dominant wirksame Mutation im Gen von Connexin 26 (GJB2), das auf Chromosom 13q11-q12 liegt, verursacht [4]
[5]. Das Krankheitsbild wurde erstmals 1915 von Burns beschrieben [13] und ist mit ca. 100 in der Literatur beschriebenen Fällen sehr selten. 90 % der
Fälle sind durch eine Neumutation in GJB2 zu erklären. Insgesamt wurden bislang elf Familien beschrieben, bei denen diese Mutation
weitervererbt wurde [6]. Die ausgeprägte Hypakusis beim KID wird durch eine neurosensorische Innenohrschwerhörigkeit
verursacht. Eine potentielle ausgeprägte vaskuläre Keratitis kann bis zur Erblindung
führen.
Klinisch zeigt sich bei Geburt eine Erythrodermie mit starker Lichenifikation. Im
Laufe des Lebens kommt es zur Ausbildung teils verrukös, teils baumrindenartig aufgelagerter,
bräunlicher Hyperkeratosen, die auch bei unseren beiden Patienten stark ausgeprägt
waren (vgl. [Abb. 1] und [Abb. 2]). Im Falle des HID sind die Hautveränderungen symmetrisch generalisiert verteilt,
beim KID kommt es zu einer Betonung spezieller Prädilektionsstellen, insbesondere
im Gesicht und palmoplantar [14].
Des Weiteren zeigen sich Störungen der Hautanhangsgebilde. Neben Nageldystrophien
kommt es zu Haarwachstumsstörungen in Form diffuser Alopezien sowie mangelnder oder
gänzlich fehlender Körperbehaarung aufgrund einer hohen Expression von Connexin 26
in der inneren und äußeren Haarwurzelscheide des Haarfollikels [9]. Zahnanomalien sind beschrieben.
Wie bei vielen Ichthyoseformen leiden die Patienten an einer Hitzeintoleranz mit Neigung
zu Hyperthermie, die zu einer Reduktion der körperlichen Belastbarkeit führt.
Eine der häufigsten Komplikationen sind bakterielle und mykotische Superinfektionen,
z. B. durch Staphylokokken, Streptokokken, Proteus mirabilis, Escheria coli und/oder Pseudomonas aeruginosa [9]. Starker Foetor kann zu sozialer Ausgrenzung der Betroffenen führen. Fast die Hälfte
der Patienten mit KID entwickelt im Verlauf eine chronische kutane Infektion. Schwere
Superinfektionen mit letalem Ausgang wurden bei Säuglingen beobachtet.
Die mykotischen Superinfektionen sind typischerweise Infektionen mit Candida albicans oder Trichophyton rubrum. Sie betreffen in Form einer Paronychie Finger und/oder Füße oder als mukokutane
Infektion die gastrointestinale und/oder Genitalschleimhaut. Hierbei konnte in einem
Fallbericht japanischer Kollegen an einem Patienten mit KID gezeigt werden, dass therapieresistente
mukokutane Candidosen sowohl durch Fehlregulationen des angeborenen als auch des erworbenen
Immunsystems bedingt sind. So kommt es bei Patienten mit KID nicht nur zu einer verringerten
Bildung der antimikrobiellen Peptide Cathelicidin und seines Metaboliten LL-37, die
von Keratinozyten synthetisiert werden. Auch die Th17-Subpopulation, die eine wesentliche
Rolle in der zielgerichteten T-Helferzell-gesteuerten Immunantwort gegen Candidainfektionen
spielt und über die antigenpräsentierenden Langerhans-Zellen aktiviert wird, ist bei
Patienten mit KID durch einen Mangel an Langerhans-Zellen gestört [9]
[10].
Mit Blick auf die hyperproliferative Erkrankung und die chronischen Infektionen ist
das erhöhte Risiko zur Entwicklung von benignen und malignen kutanen Neoplasien aufzuzeigen.
In der Literatur wird vorrangig das Auftreten benigner und maligner Trichilemmalzysten
sowie die Entstehung von Plattenepithelkarzinomen auf dem Boden der langjährig bestehenden
Hyperkeratosen beschrieben [9]. Wichtig erscheint hierbei, dass viele Patienten mit KID, wie auch in unserem Fall
dargestellt, bereits vor dem 20. Lebensjahr eine kutane Neoplasie entwickeln. Ein
aggressives Tumorverhalten mit erhöhtem Metastasierungsrisiko wurde in mehreren Fallberichten
beschrieben [11]
[12]. Autoren empfahlen ein radikales operatives Vorgehen bei akralen Plattenepithelkarzinomen
bei Patienten mit KID (bis hin zur Teil- oder Totalamputation) [9], denn das metastasierte Plattenepithelkarzinom stellt auch eine häufige Todesursache
beim KID dar. Fraglich ist in diesem Zusammenhang ein protektiver Effekt der Systemtherapie
mit Acitretin [9]. Entscheidend ist die Durchführung regelmäßiger dermatologischer Kontrolluntersuchungen
ab dem frühen Jugendalter.
Abgesehen von der kausalen Therapiemöglichkeit der Innenohrschwerhörigkeit durch Cochleaimplantate
ist eine Heilung der Erkrankung nicht möglich. Die Unterstützung dieser Patienten
in Zentren mit der notwendigen dermatologischen Expertise ist empfehlenswert, da ein
hoher Personal- und Zeitaufwand besteht u. a. mit der Herausforderung der Kommunikation
in Gebärdensprache. Keratolytische Behandlungen in Form von Bädern, Salben und intensiver
Hautpflege sind für die Patienten zeit- und kostenaufwendig. Als Wirkstoffe werden
Harnstoff, zeitlich und arealweise begrenzt Salicylsäure (große Zurückhaltung im Kindesalter)
oder Vitamin-A-Säure-haltige Externa eingesetzt. Eine ergänzende mechanische Keratolyse
kann mittels Mikrofasertüchern, Waschhandschuhen oder Bimssteinen erfolgen [3]
[7]
[8]. Operative Vorgehensweisen, wie in unserem Fall die Dermabrasion, sind ausgedehnten
therapierefraktären Befunden vorbehalten (vgl. [Abb. 2]). Großflächige radikale Exzisionen und ein Leitlinien-gerechtes Vorgehen sind im
Falle kutaner Neoplasien indiziert. Im Falle von Superinfektionen kommen antiseptische
Externa sowie zeitweise systemische Antibiotika und Antimykotika zum Einsatz. Die
Wirksamkeit systemischer Retinoide bei Patienten mit KID wurde in mehreren Fallberichten
befürwortet [3]
[6]
[9]
[15]. Dies betrifft sowohl die antiproliferative Wirkung zur Reduktion der Hyperkeratosen
als auch die chemotherapeutische Prophylaxe von Hauttumoren. Bezüglich der notwendigen
Kontrollen (Blutwerte, Teratogenität bei Frauen) ist die Relation des Benefit vs.
Risiko individuell zu besprechen.
In diesem multimodalen, interdisziplinären Vorgehen mit Kinderärzten, Hausärzten,
HNO- und Augenärzten, der Vernetzung von Praxis und Klinik, der Anbindung an die Selbsthilfegruppe
(Ichthyosis e. V.) und bei einem entsprechenden Eigenengagement der Patienten lässt
sich ein zufriedenstellender Befund erzielen.