Sprache · Stimme · Gehör 2016; 40(03): 126-130
DOI: 10.1055/s-0042-108255
Schwerpunktthema
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sprache bei Demenz

Speech in Patients with Dementia
S. Krupp
1   Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck am Krankenhaus Rotes Kreuz Lübeck Geriatriezentrum
,
P. Thode
1   Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck am Krankenhaus Rotes Kreuz Lübeck Geriatriezentrum
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Korrespondenzadresse

Dr. Sonja Krupp
Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck
Krankenhaus Rotes Kreuz Lübeck Geriatriezentrum
Marlistraße 10
23566 Lübeck

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. Oktober 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Störungen der Kognition verschlechtern stets die Kommunikationsfähigkeit. Im Frühstadium unterscheiden sich die verschiedenen Demenzformen hinsichtlich der typischen sprachpathologischen Symptome. Dies ist eines der vielen Argumente für die zügige Durchführung einer differenzierenden Diagnostik, denn von der richtigen Zuordnung hängt die Herangehensweise in- und außerhalb der sprachtherapeutischen Behandlung ab. Die Sprachtherapie zielt auf Aktivierung und Erhalt kommunikativer Fähigkeiten des Patienten direkt und über Beratung und Training der Haupt-Kontaktpersonen. Diese erlernen Kommunikationsstrategien, die die Defizite des dementen Menschen berücksichtigen und ihm helfen können, länger an der Kommunikation teilzuhaben.


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Abstract

Cognitive disorders always worsen communication skills. At the early stage, different forms of dementia differ in their typical speech pathological symptoms. This is one of numerous arguments in favor of carrying out rapid differential diagnostis, as therapeutic approach within and outside of speech therapy depends on the right classification. Speech therapy aims to activate and maintain the patient’s communicative abilities directly and via counselling and training offered to the main contact persons. They learn communication strategies that take into account the deficits of a person suffering from dementia and can thus help him participate in communication processes for a longer time.


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Lernziel

Sprachpathologische Symptome sollen dem typischen Verlauf demenzieller Erkrankungen zugeordnet werden können. Es wird erläutert, wie Ärzte, Therapeuten, Pflegende, An- und Zugehörige sich flexibel den Möglichkeiten des erkrankten Menschen anpassen und die Kommunikation mit ihm weiterhin zu einem für beide Seiten positiven Erlebnis gestalten können.

Einleitung

Wie verändert eine demenzielle Entwicklung die Art, wie ein Mensch mit uns spricht – und wie können wir uns am besten auf ihn einstellen und seine Kommunikationsfähigkeit fördern?

Diagnostik

Sobald kognitive Störungen auffallen, sollte auch eine Ursachenklärung starten, da die passende Therapie von der exakten Diagnose abhängt. Zur Bildgebung bei Verdacht auf eine demenzielle Entwicklung ist die Durchführung einer MRT geboten, deren Aussagefähigkeit in der Regel auch ohne Kontrastmittel [1] den Verzicht auf weitere bildgebende Verfahren ermöglicht. Bei der frühen frontotemporalen Demenz (FTD) mag eine Positronen-Emissions-Tomografie mit radioaktiver Fluordesoxyglucose notwendig sein.


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Sprachauffälligkeiten

Sprache zu verstehen und korrekt zu produzieren ist eine so komplexe Leistung, dass sich auch im Frühstadium einer Demenz in der Regel Defizite nachweisen lassen. Daher enthalten die meisten Tests zu kognitivem Assessment Items, die sprachliche Kompetenzen erfassen. Nach Steiner [2] kann die Erfassung der Sprachleistungen wegen ihrer kognitiven Schlüsselfunktion als Indikator für die Leistungsfähigkeit des kognitiv-mnestischen Systems dienen. Zu berücksichtigen sind dabei allerdings Bildungsstand und Fremdsprachlichkeit. Das frühe Auftreten von Sprachauffälligkeiten bei demenziellen Erkrankungen ist ein wichtiger differenzialdiagnostischer Aspekt in der Abgrenzung zur depressiven Pseudodemenz.

Störungen der Kommunikationsfähigkeit sind ein früher Hinweis auf eine mögliche demenzielle Entwicklung.


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Was unterscheidet „Aphasie bei Demenz“ von anderen Aphasie-Formen?

„Klassische“ Aphasiker wissen genau, was sie sagen wollen, ihnen gelingt lediglich die Umsetzung in Sprache nicht (fehlerfrei). Bei Demenz beginnt das Problem bereits auf einer vorsprachlichen Ebene. Das gestörte Ultrakurzzeitgedächtnis kann beim Hören u. U. zum Vergessen des Anfangs eines Satzes führen, während dieser noch gesprochen wird. Eine Reduktion des Arbeitsspeichers vermindert die Möglichkeiten, Assoziationen mit gespeicherten Informationen zur Interpretation des Gehörten zu knüpfen und in die Vorbereitung einer passenden Antwort einzubeziehen. Eine Sprachstörung kann bei Demenz auch ohne abgrenzbare Läsion in den primären Spracharealen auftreten. Die hohe Dunkelziffer kognitiver Störungen bei älteren Menschen macht es notwendig, bei Sprachstörungen generell nach einer Haupt- oder Mitverursachung durch eine demenzielle Entwicklung zu fahnden – z. B. im Rahmen geriatrischen Assessments.


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Demenzformen und ihre typischen Sprachpathologien

Während sich Demenzen verschiedenen Typs im Endstadium kaum noch in ihren Sprach- und sonstigen Symptomen unterscheiden, sondern zuletzt in Sprachlosigkeit münden [3], ist die Abfolge des Auftretens sprachlicher Defizite in einer demenziellen Entwicklung durchaus unterschiedlich, entsprechend der am stärksten betroffenen Hirnregionen.

Demenz vom Alzheimer Typ

Die Demenz vom Alzheimer Typ ist mit großem Abstand am häufigsten. Bei zunehmender Verschlechterung der Umwandlung von Gedanken in Sprache bleibt der Satzbau zunächst korrekt, vereinfacht sich aber. Wortfindungsstörungen gehören zu den Frühzeichen. Dass besonders das Merken von Namen leidet, sollte nicht verwundern, da sich die Bezeichnung von Personen nicht herleiten lässt und es sich um „lebende Objekte“ handelt, die ihr Aussehen ständig ändern – sodass relativ früh nur noch wenige von ihnen erkannt werden.


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Frontotemporale Demenzen

Bei den frontotemporalen Demenzen unterscheiden viele Autoren zwischen der primär progressiven Aphasie (PPA), die wiederum in 3 Spielarten untergliedert wird [4] und der am ehesten mit M. Pick bezeichneten Variante mit Verhaltensauffälligkeiten als Leitsymptom. Hier führt sozial unangepasstes Verhalten früh zu Konflikten mit An- und Zugehörigen – da viele Betroffene anfangs noch im Berufsleben stehen, natürlich auch und besonders dort. Dabei fehlt in der Regel jegliche Krankheitseinsicht, was die Probleme potenziert.


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Demenz bei M. Parkinson

Die Punktprävalenz für Demenz bei M. Parkinson wird mit knapp einem Drittel angegeben [5], nach über 10 Jahren Krankheitsverlauf hat bei etwa 75% der Parkinson-Erkrankten eine demenzielle Entwicklung eingesetzt [6]. Dysarthrie, das Sprechen störende Hypersalivation und eine fortschreitende Reduktion die Kommunikation unterstützender Mimik setzen typischerweise vor dem kognitiven Abbau ein.


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Lewy-Körperchen-Demenz

Parkinson- und Lewy-Körperchen-Demenz unterscheiden sich in der Reihenfolge des Auftretens der Symptome (erst motorisch versus erst kognitiv), münden aber in das gleiche Zustandsbild [7].

Über die Einteilung der Demenzen besteht weiterhin Uneinigkeit [8] [9]. [Tab. 1] [3] [9] [10] [11] [12] [13] stellt den Versuch dar, typische sprachpathologische Veränderungen den zugrunde liegenden Demenzformen stadiengerecht zuzuordnen und orientierende Hinweise für therapeutische bzw. alltagskommunikative Kommunikationsstrategien zu geben.

Tab. 1 Vom Symptom über die Diagnose zur Therapie.

sprachliche Symptome

weitere Symptome

Demenzform

Therapie/Strategie zur Kommunikation

früh: Wortfindungsstörung, Satzabbrüche, Wiederholungen, floskelhafte Äußerungen, Syntax wird einfacher
mittel: Fehlbenennungen, Konfabulationen, Echolalie, Sprachverständnis, Schreiben und Lesen werden schlechter
spät: wenige Wörter, simple Phrasen, Neologismen, schlechtes Sprachverständnis

früh: fehlende Speicherung neuer Gedächtnisinhalte, affektive Symptome
mittel: Exekutivprobleme, Agnosie, Akalkulie
spät: Hyperaktivität/Apathie, psychotische Symptome, zwanghafte motorische Abläufe wie Nesteln

Alzheimer Demenz (AD)

früh: externe Memo-Techniken (selbst oder fremdproduziert)
früh-spät: USOT

unflüssige verlangsamte Sprachproduktion, oft mit typischen aphasischen Symptomen

menstische und/oder affektive Störungen, Depression, Herdsymptome (z. B. Paresen)

Vaskuläre Demenz (VD)

früh/stabil: SOT (z. B. Wortabruf, Sprachverständnis)
früh-spät: USOT

später als die Verhaltensstörungen: wortkarg, sprachlich wenig flexibel, zwanghaftes Nachsprechen
spät: Mutismus, kaum sprachliche Reaktionen auf Ansprache

früh: Verhaltensänderungen: sozial unangepasst, Verflachung des Affekts, Antriebssteigerung/Apathie
später: Gedächtnisstörungen

FTD Behavioraler Typ

USOT

früh: Agrammatismus und/oder unflüssige Spontansprache mit Sprechanstrengung und Lautfehlern wie bei Sprechapraxie, phonologische Paraphasien, eingeschränktes Satzverständnis

erst spät kognitive Veränderungen

FTD Typ PPA
–nichtflüssige, agrammatische Variante

früh: SOT (phonologische Leistungen, wiederholter Gebrauch persönlich bedeutsamer Wörter früh-spät: USOT

früh: Benennen auf Wortebene und Wortverständnis schlecht, später: Oberflächenalexie (buchstabierendes Lesen mit Fehlern bei unterschiedlicher Schreib- u. Sprechweise)

später: Fehlhandlungen mit Objekten, da semantisches System zerfällt

FTD Typ PPA
– semantische Variante

früh: SOT (Schlüsselwortschatz, Training semantischer Merkmale)
früh-spät: USOT

früh: unflüssige, langsame Sprachproduktion, phonematische Paraphasien, semantisches Wissen und Wortverständnis lange erhalten, kein Agrammatismus

später: apperzeptive Agnosie, Zahlen schwierig
nicht-sprachliche Symptome wie bei AD möglich

FTD, PPA
– logopenische Variante

USOT

früh: klassische Parkinson Symptome bezüglich Artikulation/Stimme, später: verlangsamte sprachliche Verarbeitung

Dysphagie, psychomotorische Verlangsamung, visuelle Halluzinationen

Parkinson Demenz, (PD)

früh: SOT (z. B. Lee Silverman Voice Treatment)
später: USOT

spät: Parkinson-Symptome bezüglich Artikulation/Stimme

früh: stark fluktuierende kognitive Leistungen, visuelle Halluzinationen, exekutive/konstruktive Störungen

Lewy-Body-Demenz (LBD)

USOT

FTD=Frontotemporale Demenz

PPA=primär progressive Aphasie

SOT=symptomorientierte Therapie

USOT=umgekehrt symptomorientierte Therapie

Bei Verdacht auf eine demenzielle Entwicklung muss diese kurzfristig ausgeschlossen werden – oder Differenzialdiagnostik erfolgen, in der Regel ein natives MRT.


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Kommunikationsverhalten/Therapie

Grundsätzliches

Grundsätzlich gilt: Menschen mit eingeschränkter Kommunikations-Kompetenz sollten wir optimale Kommunikations-Bedingungen schaffen (s. Infobox).

Infobox: Regeln zur Kommunikations-Erleichterung
  • Gespräche werden nicht „nebenbei“ geführt, sondern mit voller Konzentration auf das Gegenüber

  • Sprechgeschwindigkeit leicht reduzieren

  • betonte (aber nicht gekünstelte) Satzmelodie

  • angepasste Lautstärke, keine Störgeräusche (auch Musik kann ablenkend wirken!)

  • vorhandene Hilfsmittel (Hörgerät, Brille) nutzen (benötigte Hilfsmittel zeitnah anpassen lassen!)

  • schlüssige Mimik und Gestik

  • beim Lesen: gut lesbare Schrift (von der Größe, dem Zeilenabstand und der Schriftart her), viel Licht

  • Sprachstil orientieren an den Regeln für „Leichte Sprache“ [14]

  • Verzicht auf Wörter, die nicht zum üblichen Wortschatz des Gegenübers gehörten

  • kurze, einfache Sätze

  • Schlüsselwörter am Satzende

  • positiv formulieren statt mit „nicht“

  • Alternativen nacheinander erfragen statt mit „oder“


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Schreiben und Lesen erhalten!

Der Erhalt der Schriftsprachlichkeit hilft kognitiv eingeschränkten Menschen bei der Kompensation ihrer Defizite. Im Frühstadium einer demenziellen Entwicklung nutzen die davon Betroffenen oft spontan die Möglichkeit, Geplantes (z. B. Termine) sofort schriftlich zu fixieren, ehe es sich im Nebel des Vergessens auflöst. Dies ist zweifellos eine sinnvolle Strategie, um die Phase selbstständiger Lebensführung zu verlängern. Umgekehrt betrachtet muss es hellhörig machen, wenn z. B. eine ältere Hausfrau, die stets „aus dem Kopf“ einkaufte, plötzlich anfängt, eine Liste zu führen – oder sogar mehrere in der Wohnung verteilt sind.

Aus der Praxis

Frau K. leidet an einer Alzheimer-Demenz mit hochgradig gestörtem Kurzzeitgedächtnis. Sie kann sich nicht das Datum merken und ist räumlich desorientiert. Mal ist ihr bewusst, dass sie sich zurzeit in einem Krankenhaus befindet, mal nicht. Momentan ist sie beschwerdefrei und fragt immer wieder, was sie eigentlich hier solle, so dass die Tochter befürchtet, ihre Mutter könne noch vor der Koronarangiografie wegen mehrfacher Angina pectoris verlangen, aus dem Krankenhaus entlassen zu werden. Sie schreibt in großer Schrift auf einen Zettel: „Liebe Mama, du hattest Herzschmerzen. Deshalb bist du im Krankenhaus. Morgen früh untersuchen die Ärzte dein Herz. Danach besuche ich dich. Alles Gute und bis morgen!“ Sie reicht den Zettel ihrer Mutter und bittet diese, die Notiz vorzulesen und den Zettel gut sichtbar auf dem Nachttisch zu deponieren.

Frau K. liest die Nachricht mehrfach – und hält ihn, ruhig lächelnd, in der Hand, als die Tochter sie am nächsten Tag abholt. Durch das wiederholte Lesen der an sie gerichteten Nachricht konnte sie sich jeweils selbst beruhigen. Über die Notiz war eine allzeit verfügbare Verankerung für die situative Re-Orientierung geschaffen worden. Dafür musste der Zettel allerdings so auffällig platziert werden, dass er immer wieder „zufällig“ gefunden wurde…


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SOT vs. USOT

Symptomorientierte Therapie

Logopädie bei demenziell bedingten Symptomen hat noch nicht annähernd der Stellenwert erlangt, der ihr gebührt. Das mag daran liegen, dass man mit Sprachtherapie vor allem symptomorientierte Therapie (SOT) assoziiert, wie sie bei Sprachstörungen anderer Genese geleistet wird. Über die Aufmerksamkeit bezüglich Fehlern soll die interne Sprachkontrolle wieder aufgebaut werden, die gestörte Sprachverarbeitung wird gezielt trainiert, z. B. mit Übungen für den Satzbau, die Unterscheidung semantischer Merkmale, den Wortabruf oder zum Erkennen phonologischer Kontraste.

Dieser therapeutische Ansatz ist aber bei progredienten Demenzen spätestens im mittleren Stadium zum Scheitern verurteilt. Lediglich bei einer Demenz, bei der bereits „die Talsohle erreicht“ ist, kann SOT auch langfristig mehr Nutzen als Frustration bringen. Die Möglichkeit des Stillstands der organischen Veränderungen mit Teilerholung der beeinträchtigten Funktionen besteht z. B. bei vaskulärer Demenz nach der Minimierung gefäßschädigender Einflüsse.


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Umgekehrt symptomorientierte Therapie

Bei Demenzen degenerativer Ursache – der großen Mehrheit – verschiebt sich der Therapieschwerpunkt zur umgekehrt symptomorientierten Therapie (USOT). Hierbei steht das Erkennen und Bewahren (noch) vorhandener sprachlicher Kompetenzen im Zentrum. Umwegstrategien werden genutzt, frustrierende Leistungskontrollen vermieden (errorless learning) [15], stattdessen die Kommunikation angekurbelt, z. B. über Biografiearbeit oder modifizierte handlungsorientierte Therapie (HOT) [16] [17], dabei über Validation eine wertschätzende Grundhaltung gespiegelt.

Ein defizitorientiertes Training (SOT) ist bei demenziell bedingten Sprachstörungen selten, eine ressourcenorientierte Herangehensweise (USOT) immer richtig.


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Biografiearbeit: Wo der demente Mensch Experte ist

Anlässe für negative Gefühle transportierende Kommunikation lassen sich auch bei höchster Motivation, alles richtig zu machen, nicht völlig vermeiden. Desto wichtiger ist es, die Waage in Richtung positiver Empfindungen durch Kommunikation ausschlagen zu lassen, indem gezielt das Selbstwertgefühl stärkende Gesprächserlebnisse geschaffen werden. Da das autobiografische Gedächtnis lange erhalten bleibt und im Hinblick auf das Selbstwertgefühl von hohem Wert ist, liegt es nahe, lebensgeschichtliche Ereignisse (hier ist der Betroffene Experte und seinem Gesprächspartner „überlegen“!) zu dokumentieren. In einem späteren Krankheitsstadium können Zitate dieser Inhalte helfen, die Kommunikation in Gang zu bringen, denn Gespräche setzen ein teilweises Überlappen des Wissens, einen Anknüpfungspunkt, voraus. Da der Demenzkranke immer weniger aus der aktuellen Welt versteht, muss sein Gesprächspartner immer stärker auf Wissen über die vergangene Welt des Erkrankten zurückgreifen. Autobiografische Geschichten verdeutlichen die Lebenseinstellung des dementen Menschen und können so auch zur Entscheidungshilfe werden, wenn es darum geht, den mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu ergründen.

Biografiearbeit spielt eine wichtige Rolle in verschiedenen therapeutischen Verfahren: Der Selbst-Erhaltungs-Therapie (SET) nach Romero [18] dem Kommunikationstraining „EduKation“ nach Engel [19] und dem Kommunizieren, Dokumentieren und Präsentieren „KODOP“ nach Steiner [20]. Hierbei trainiert der Sprachtherapeut Bezugspersonen des Demenzkranken darin, Interviews zu emotional berührenden Themen zu führen. Das Notieren am PC hat den Vorteil, puzzle-artig geäußerte Erinnerungsschnipsel durch spontane oder gezielt erfragte Ergänzungen allmählich zu einer schlüssigen Geschichte entwickeln zu können – oftmals in mehreren Sitzungen, bei denen anfangs das bereits Erarbeitete gemeinsam gelesen und dadurch immer mehr Detailwissen reaktiviert wird, das wiederum die Geschichte weiter ausschmückt. Je öfter das autobiografische Werk zur Förderung der Kommunikation mit anderen (z. B. Besuchern) eingesetzt wird, desto größer die Chance, die Inhalte präsent zu halten.


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Validation

USOT ist ohne die Beachtung von Grundsätzen aus der integrativen Validation nach Richard [21] undenkbar. Sprache dient hier vor allem der Spiegelung der realen Gefühlswelt des kognitiv beeinträchtigten Menschen, der sich stets ernst genommen und wertgeschätzt fühlen soll.

Redewendungen und Sprichwörter, Gruß- und Höflichkeitsfloskeln gehören zu den automatisierten Sprachleistungen, die tief verankert sind. Sie werden bei fortschreitender Demenz noch lange Zeit korrekt eingesetzt und noch länger verstanden, daher sollten sie reichlich an passender Stelle zur Schaffung einer gemeinsamen Kommunikationsbasis eingesetzt werden.


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Motorisches und kognitives Training kombiniert, aktiviert auch sprachlich

Körperliche Aktivität, Kommunikation und soziale Einbindung senken das Risiko für die Entwicklung einer Demenz [13], vermutlich verlangsamen sie auch deren Fortschreiten. Diese Faktoren berücksichtigt das über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung induzierte, in der Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck entwickelte „Lübecker Modell Bewegungswelten“[*]: Hier wird über die Einbettung der Bewegungsübungen in „Mottos“ („Apfelernte“, „Waldspaziergang“) die gleichzeitige motorische und kognitive Aktivierung angestrebt. Das in Senioreneinrichtungen stattfindende Training reaktiviert lebensgeschichtliche Erinnerungen und stimuliert auch Teilnehmer mit leichten bis mittelschweren kognitiven Einbußen zu Gesprächsbeiträgen.


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Sich verändernden Fähigkeiten anpassen

Ebenso, wie bei einer erfolgreichen Rehabilitation einer rückbildungsfähigen Stimm-/Sprech-/Sprachstörung die Wahl der therapeutischen Mittel und Wege fortschreitend überprüft werden muss, um bei steigenden Fähigkeiten den optimalen Trainingseffekt zu erzielen, ist dies bei einer progredienten demenziellen Entwicklung der Fall – nur dort in umgekehrter Richtung. Stark ausgeprägte Leistungsschwankungen erfordern immer wieder eine kurzfristige Anpassung. Mit fortschreitender kognitiver Erkrankung tritt die über Wörter vermittelte Sachinformation immer weiter in den Hintergrund. Relativ dazu wird der über Körpersprache und die Stimme selbst sowie die Satzmelodie vermittelte emotionale Inhalt immer bedeutsamer. Bei schwerer Störung der Expression können Kommunikationstafeln mit Bildern im Sinne einer Basiskommunikation das Mitteilen von Bedürfnissen ermöglichen.

Fazit

(Verbale) Sprachlosigkeit kennzeichnet das Endstadium aller Demenzen, aber nicht aller Dementen. Therapeutischer Nihilismus ist ebenso fehl am Platze wie bei extrakraniellen Erkrankungen, die nicht geheilt, sondern „nur“ in ihrem Verlauf oder ihren Auswirkungen auf die Lebensqualität der Erkrankten gelindert werden können. Sprachtherapie bei demenzieller Entwicklung macht nicht nur im Ausnahmefall, sondern in der Regel Sinn für den Patienten und seine Kontaktpersonen – vorausgesetzt, Arzt und Therapeut leisten vorab die hierzu notwendige Differenzialdiagnostik.


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Zur Person

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Dr. med. Sonja Krupp ist seit 2002 Oberärztin am Krankenhaus Rotes Kreuz Lübeck Geriatriezentrum, wissenschaftliche Leitung der 2011 gegründeten Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck und leitet die AG Assessment der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie.

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Petra Thode arbeitet seit der Logopädie-Ausbildung in Hamburg im neurologischen Bereich. Sie war viele Jahre in den Segeberger Kliniken tätig, unterrichtete 5 Jahre an der Logopädieschule in Schwerin und arbeitet seit 13 Jahren im Krankenhaus Rotes Kreuz Lübeck Geriatriezentrum. Daneben führt sie Fortbildungen zu unterschiedlichen Themen durch und arbeitet in verschiedenen Arbeitsgruppen mit.

Interessenkonflikt:

Die Autorinnen geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

* http://www.aelter-werden-in-balance.de/luebecker-modell/ (Stand: 05.07.2016):



Korrespondenzadresse

Dr. Sonja Krupp
Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck
Krankenhaus Rotes Kreuz Lübeck Geriatriezentrum
Marlistraße 10
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