Sprache · Stimme · Gehör 2016; 40(03): 131-135
DOI: 10.1055/s-0042-109595
Schwerpunktthema
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stimm- und Kehlkopfveränderungen im Alter (Presbyphonie und Presbylarynx)

Vocal Changes and Laryngeal Modifications in the Elderly (Presbyphonia and Presbylarynx)
W. Angerstein
1   Selbstständiger Funktionsbereich für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitäts-Klinikum Düsseldorf
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. med. Wolfgang Angerstein
Selbstständiger Funktionsbereich für Phoniatrie und Pädaudiologie
Universitäts-Klinikum Düsseldorf
Moorenstraße 5/Geb. 13.77
40225 Düsseldorf

Publication History

Publication Date:
04 October 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Etwa 20% der über 60-Jährigen weisen eine Altersstimmstörung (Presbyphonie) auf, die oftmals von Presbyakusis (Altersschwerhörigkeit), Presbyphagie (Schluckstörungen im Alter), Presbyvertigo (Altersschwindel) und/oder Presbyopie (Alterssichtigkeit) begleitet wird.

Presbyphonie betrifft die Singstimme häufiger, früher und deutlicher als die Sprechstimme. Aber nicht nur Qualität und Belastbarkeit von Sing- und Sprechstimme werden beeinträchtigt, auch der Atemantrieb wird durch die eingeschränkte Lungenfunktion schwächer. Durch das Absenken des Kehlkopfes verändern sich bei Senioren zudem die Resonanzverhältnisse im Ansatzrohr, und das Aspirationsrisiko steigt.

Die stimmlichen Einbußen beruhen auf morphologischen Altersveränderungen des Kehlkopfes (Prebylarynx), die sowohl das ektolaryngeale Kehlkopfskelett als auch die endolaryngealen Weichteile (insbesondere die Stimmlippen) betreffen. Der Vokalismuskel atrophiert und wird hypoton, was zu einer spindelförmig-ovalären Glottisschlussinsuffizienz mit Luftverlust bei Phonation führt. Die Schleimhäute trocknen aus im Sinne einer Laryngitis sicca.

Bei der Stimmrehabilitation im Alter müssen allgemeine und speziell auf die Stimme bezogene Behandlungsoptionen unterschieden werden: Zu den allgemeinen Therapieansätzen gehört die Mitbehandlung internistischer und neurologischer Grunderkrankungen (z. B. Reflux, neurodegenerative oder zerebrovaskuläre Erkrankungen) – auch Nebenwirkungen von Medikamenten müssen beachtet werden. Ein gesunder Lebensstil ohne Noxen begünstigt den Funktionserhalt von Phonations- und Atemorganen. Stimmtherapeutisch kommen sowohl Tonisierungsübungen zur Verbesserung des phonatorischen Glottisschlusses als auch detonisierende Entspannungsübungen zum Abbau supraglottischer hyperfunktioneller Pressmechanismen in Betracht. In Einzelfällen mit großem Glottisspalt bei Phonation kann eine phonochirurgische Stimmlippenaugmentation den Glottisschluss verbessern und somit die Stimme kräftigen. Stimmhygienische Maßnahmen (z. B. regelmäßiges Befeuchten der Atemwege) ergänzen das Stimmtraining.

Singen im Alter hat sowohl psychosozial (Steigerung des Wohlbefindens und der sozialen Teilhabe) als auch immunologisch (Anstieg des IgA im Speichel) positive Effekte.


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Abstract

In about 20% of the population older than 60 years of age, voice problems (presbyphonia) are manifest, often combined with hearing deficits (presbyacusis), swallowing disorders (presbyphagia), dizziness (presbyvertigo) and/or impaired vision (presbyopia).

The singing voice is afflicted more often, earlier and more severely than the speaking voice. But it is not just the vocal quality and capacity that are affected. Due to reduced pulmonary function, the breathing impetus is also weakened. As a result of the descending of the larynx, resonance properties of the vocal tract change in seniors, and there is increased risk of aspiration.

Vocal deficits are caused by age-related morphological changes in the larynx (presbylarynx). These alterations concern both the ectolaryngeal skeleton and the endolaryngeal soft tissues (particularly the vocal folds). The vocalis muscle atrophies and becomes hypotonic, which becomes clinically apparent as vocal fold bowing and spindle-shaped glottic chink with loss of air during phonation. The laryngeal mucosa dries out (laryngitis sicca).

Vocal rehabilitation in the elderly includes both general and voice-specific therapeutic options. Underlying internal and neurological diseases (e. g. reflux, neurodegenerative or cerebrovascular affections), as well as side effects of drugs must be considered. A healthy lifestyle without pathogenic agents promotes good function of phonatory and respiratory organs. As far as voice therapy is concerned, glottal attack exercises can improve glottal closure during phonation, and relaxation exercises may reduce supraglottic hyperfunctional compression. In special cases with large glottic chink, phonosurgical augmentation of the vocal folds may enhance glottal closure and vocal strength. Vocal hygiene (e. g. regular airway moisturisation) complements voice exercises.

In the elderly, singing has proven pychosocial benefits (improvement of well-being and social participation) and verified positive immunological effects (salivary IgA increase).


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Lernziel

Die klinische Symptomatik der Altersstimme sowie die zugrunde liegenden morphologischen Kehlkopfveränderungen werden vorgestellt, Behandlungsansätze der Altersstimme werden diskutiert.

Einleitung

Prävalenz

Wir alle wissen, dass unsere Lebenserwartung aufgrund der demografischen Entwicklung ständig steigt. Die Menschen werden immer älter. Eine längere Lebenserwartung bedeutet jedoch auch eine längere Beanspruchung des Stimmapparates mit der Gefahr einer Stimmüberlastung insbesondere im fortgeschrittenen Lebensalter. Daher ist die demografische Entwicklung unserer modernen Kommunikationsgesellschaft mit dem Risiko einer Zunahme von Stimmstörungen im Alter (Presbyphonie) belastet. Die Häufigkeitsangaben über Stimmstörungen im Alter differieren zwischen 10 und 47% [1] [2] [3] [4] [5], sodass zusammengefasst etwa 20% der über 60-Jährigen eine Altersstimmstörung aufweisen dürften.


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Komorbiditäten

Presbyphonie wird oftmals begleitet von Presbyakusis (Altersschwerhörigkeit [1]), Presbyphagie (Schluckstörungen im Alter [5]), Presbyvertigo (Altersschwindel) und/oder Presbyopie (Alterssichtigkeit). Die meisten gesicherten Daten betreffen die Presbyakusis: Etwa 50% aller stimmgestörten älteren Patienten haben einen Hörverlust, und 10,5% der Senioren haben zusätzlich zum Hörverlust Stimmprobleme [2]. Bei etwa 30% der über 65-Jährigen ist die Höreinbuße so gravierend, dass eine Hörhilfe angezeigt ist [6]. Hörstörungen im Alter verschlechtern Qualität und Belastbarkeit der Stimme [7].

Die oben genannten „Presby“-Erkrankungen wirken sich allesamt negativ auf die kommunikative und soziale Kompetenz der Senioren aus: Aufgrund der erheblichen kommunikativen Defizite (vor allem durch Presbyphonie und Presbyakusis) sinkt die Lebensqualität älterer Menschen bis hin zu sozialer Isolation mit depressiven Episoden [2] [8].


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Die Stimme im Alter (Presbyphonie)

Presbyphonie betrifft die Singstimme (stärkere Beanspruchung des Phonationsapparates) häufiger, früher und deutlicher als die Sprechstimme (geringere Belastung des Phonationsapparates) [1] [9]. Dabei sind höhere Singstimmlagen (Sopran, Tenor) aufgrund der stärkeren muskulären Anspannung häufiger und früher betroffen als tiefere Stimmlagen (Alt, Bass) mit geringerer muskulärer Anspannung.

Fachärztliche Untersuchung

Selbstverständlich ist auch bei altersbedingten Stimmveränderungen eine fachärztliche Untersuchung (Phoniater oder HNO-Arzt) von Larynx, Stimmgebung und Hörvermögen dringend angezeigt, und zwar

  • zum Ausschluss einer Organerkrankung des Kehlkopfes (gutartige oder bösartige Tumoren, Entzündungen, Lähmungen, Ödeme),

  • um festzustellen, ob eine medizinische Stimmübungsbehandlung angezeigt ist zur Leistungs- und Qualitätsverbesserung der Stimme,

  • um ggf. durch die Verordnung von Hörhilfen eine Verbesserung des audio-phonatorischen Feedback für die eigene Stimme und für fremde Stimmen zu erreichen.


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Merkmale der Altersstimme

Die Altersstimme weist folgende Merkmale auf [1] [3] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14]: Sie wird schwächer, kraftloser, weniger belastbar, rascher ermüdbar, leiser, matt, weniger tragfähig, belegt, behaucht, eingeschränkt modulationsfähig, instabil und brüchig-kippelnd bis zittrig. Der sog. „Alterstremor“ des Larynx mit Stimmzittern [3] [10] [11] [15] wird verursacht einerseits durch eine mangelnde Kontinuität des Atemstromes, andererseits durch eine gestörte zentralnervöse Steuerung und Koordination des Kehlkopfes [1] [9]. Aufgrund einer Presbyakusis kann die Stimme auch raue, gepresste Anteile aufweisen [7].


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Veränderte Singstimme

Veränderungen der Singstimme im Alter [1] [9] zeigen sich u. a. in einer Abnahme der Geläufigkeit: Ältere Sängerinnen und Sänger haben Probleme bei schnellen Tonfolgen und Koloraturen, die Tempi werden schleppender und zäher, schnelles Singen wird insgesamt schwieriger. Weiterhin bestehen Intonationsschwierigkeiten: Die Tontreff-Sicherheit sowie die Koloraturfähigkeit der Singstimme nimmt im Alter ab, es kommt zum Detonieren (Stimmabweichung nach unten). Das Vibrato wird zunehmend größer mit einer Tendenz um Tremolieren. Bei der Singstimmfeld-Messung (Phonetografie) fällt auf, dass Stimmumfang (Ambitus) und Stimmdynamik geringer werden bei häufig fehlender Höhe der Singstimme. Registerübergänge treten stärker hervor, es kommt zu Problemen beim Registerausgleich. Die Brustresonanz nimmt tendenziell ab, die Lautstärkeregulation ist (besonders im Piano) häufig beeinträchtigt.


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Hormonelle Komponente

Altersstimmprobleme sind hormonell zumindest mitbedingt: Bei Männern kommt es im Rahmen der Andropause zu Testosteronmangel [8], weshalb die mittlere Sprechstimmlage tendenziell höher wird [8] [9] [10] [13] bis hin zum „Greisendiskant“ (plötzliches Umschlagen der Stimme in die Fistellage). Bei Frauen tritt im Rahmen der Menopause ein zunehmender Östrogenmangel [8] [9] mit Überwiegen der Nebennierenrinden-Funktion auf. Dies führt zu einem Absinken der mittleren Sprechstimmlage (sog. „Virilisierung“) [3] [8] [9] [10] [13] [16]. Derartige hormonbedingte Veränderungen der stimmlichen Tonhöhe/Grundfrequenz treten zwischen dem 45. und 70. Lebensjahr auf. Nach dem Klimakterium nähern sich somit die Grundfrequenzen männlicher und weiblicher Stimmen einander an (die männliche Stimme wird höher, die weibliche Stimme wird tiefer).


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Atemantrieb

Der Atemantrieb wird mit zunehmendem Alter schwächer [8] [9], was negativen Einfluss auf die stimmliche Belastbarkeit älterer Menschen hat. Durch die eingeschränkte Lungenfunktion [1] [9] [13] sinken Tonhaltedauer und Vitalkapazität [3] [8] [9] [11].


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Absinken des Kehlkopfs

Schließlich wird auch die Pharynxmuskulatur schwächer und schlaffer. Diese Hypotonie der Aufhängemuskulatur des Kehlkopfes bewirkt, dass der Larynx im Alter um mehrere Zentimeter absinkt. Das Absinken des Kehlkopfes [13] führt einerseits zu veränderten Resonanzverhältnissen im Ansatzrohr mit Änderung des Stimmklangs, andererseits zu einem Anstieg des Aspirationsrisikos bei Senioren (Presbyphagie).


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Der Alterskehlkopf (Presbylarynx)

Die o. g. stimmlichen Veränderungen beruhen auf morphologischen Altersveränderungen des Kehlkopfes, die seit über 100 Jahren [17] [18] immer wieder systematisch untersucht wurden:

Kehlkopfveränderungen

Die zunehmende Ossifikation der Kehlkopfknorpel (insbesondere Schildknorpel, Ringknorpel und Aryknorpel) [1] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] führt zu einer mechanischen Versteifung des Kehlkopfskeletts (Ektolarynx). Die Processus vocales der Aryknorpel treten oftmals prominent hervor [1] [15] [19]. Arthrotische Versteifungen der Crico-Arytenoid-Gelenke [1] [3] [8] [9] [11] können zu Bewegungseinschränkungen der Stimmlippen, aber auch zu Schwingungsirregularitäten führen. Arthrotische Versteifungen der Crico-Thyroid-Gelenke können die crico-thyreoidale Approximation und damit die für hohe Stimmlagen erforderliche Spannungserhöhung der Stimmlippen behindern. Arteriosklerotische Durchblutungsstörungen [1] [9] [10] [13] sowie die postklimakterische Atrophie von Schleimhäuten und Schleimdrüsen [1] [3] [8] [9] [10] [13] [16] führen häufig im Alter zu einer Laryngitis sicca mit Trockenheitsgefühl im Hals und ständigem Räusperzwang.


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Veränderungen der Stimmlippen

Auch die Stimmlippen selbst weisen charakteristische morphologische Altersveränderungen auf [20] [21] [22]: Im M. vocalis kommt es zur Degeneration und Atrophie elastischer Fasern [1] [9] [10] [11] [14], welche durch Bindegewebsfasern ersetzt werden [3] [8] [20] [21]. Die Zahl der Myofibrillen sinkt. Es resultiert eine Vokalisinsuffizienz/Internusschwäche mit Stimmlippenatrophie [1] [8] [9] [11] [12] [13] [14] [16] [22] und spindelförmig-ovalärem Glottisspalt bei Phonation [1], im angloamerikanischen Schrifttum als „vocal fold bowing“ bekannt [3] [8] [10] [11] [12] [14] [15] [19]. Die muskuläre Hypotonie der Stimmlippen [1] [9], häufig begleitet von einer fettigen Degeneration elastischer Fasern [13], führt ebenso wie die Laryngitis sicca zu Schwingungsirregularitäten der Stimmlippen [3] [10] [15]. Um den durch die Glottisschlussinsuffizienz [9] [10] bedingten Luftverlust während der Phonation zu kompensieren, entwickeln sich häufig supraglottische hyperfunktionelle Pressmechanismen wie Taschenfalteneinsatz oder posterior-anteriore Kontraktionen mit pathologischer Annäherung zwischen Aryknorpeln und Epiglottis [8].


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Weitere Veränderungen

Aber auch die übrigen laryngealen [10], pharyngealen und Atemmuskeln sowie die zugehörigen Bandapparate atrophieren und degenerieren [1] [9] mit konsekutiver Hypotonie.

Insgesamt resultiert aus den Veränderungen ein Verlust an Elastizität, Spannkraft und Dehnungsfähigkeit im gesamten Phonations- und Atemapparat [9].


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Behandlungsoptionen

Bei der Stimmrehabilitation im Alter müssen allgemeine und speziell auf die Stimme bezogene Therapieansätze unterschieden werden [9]:

Allgemeine Therapieansätze

Zu den allgemeinen Therapieansätzen gehört der Ausschluss oder die Mitbehandlung internistischer und/oder neurologischer Grunderkrankungen im Sinne einer interdisziplinären Basistherapie [9]. So nimmt beispielsweise das Refluxrisiko (und damit das Risiko einer Refluxlaryngitis) im Alter kontinuierlich zu [4] [23]. Besonders beachtet werden müssen zerebrovaskuläre Erkrankungen (die zentrale Stimmstörungen bedingen können) und Nebenwirkungen von Medikamenten [1] [9] [24]. Weitere allgemeine Therapieansätze sind gesunde Lebensweise und naturgemäße Lebensführung, Regelmäßigkeit im Tagesablauf, ausreichend Schlaf, eine vitaminreiche, fettarme und ballaststoffreiche Ernährung sowie die Meidung von Nikotin [9]. Alkohol und Süßigkeiten sollten nur in Maßen genoßen werden, u. a. zur Prävention gastro-ösophago-laryngealer Refluxepisoden.


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Spezielle Therapieansätze

Therapieansätze speziell für die Stimme beinhalten die Einhaltung individueller Sprech- und Gesangspausen zur Vermeidung stimmlicher Überlastung (verlängerte stimmliche und körperliche Erholungszeiten nach Stimmbelastung im Alter! [1] [9]). Weiterhin ist auf eine gute Befeuchtung der Atemwege (regelmäßige Flüssigkeitszufuhr, Inhalationen) zu achten, um einer Laryngitis sicca vorzubeugen [1] [9]. Hormongaben sind sicher nicht die Methode der Wahl bei Altersveränderungen der Stimme, sie sollten nur bei stärkeren klimakterischen Beschwerden und auch dann nur unter regelmäßiger fachärztlicher Kontrolle, nach strenger Indikationsstellung, möglichst gering dosiert und nur über einen begrenzten Zeitraum erfolgen [9]. Zudem müssen lebensgefährliche Nebenwirkungen (Mamma-Karzinom und Herzinfarkt bei Frauen bei regelmäßiger Östrogeneinnahme, Prostatakarzinom bei Männern bei regelmäßiger Testosteroneinnahme) berücksichtigt und mit den Betroffenen besprochen werden.

Aufgrund der muskulären (insbesondere glottischen) Atrophie und Hypotonie kommen in der Stimmtherapie vorwiegend tonisierende Übungen zur Verbesserung des phonatorischen Glottisschlusses (im angloamerikanischen Schrifttum als „glottal attack exercises“ bekannt [8]) in Betracht. Supraglottische hyperfunktionelle Pressmechanismen sollten durch detonisierende Entspannungsübungen abgebaut werden [8]. Bei Sängern sollte das Liedgut altersadaptiert werden (z. B. weniger dramatische und mehr lyrische Partien, evtl. Eingruppierung in tiefere Stimmlagen), eine gesangspädagogische Mitbetreuung ist oftmals hilfreich [9] [25]. Phonochirurgisch („operative Klangpflege“/„Stimmtuning“) kommt die paraglottische (zwischen Schildknorpel und Vokalismuskel) Injektion von Kollagen, Hyaluronsäure oder körpereigenem Fett in Betracht, um bei einer ausgeprägten Glottisschlussinsuffizienz mit Vokalismuskel-Atrophie den phonatorischen Glottisschluss zu verbessern und damit die Stimme zu kräftigen [1] [8] [11] [12]. Die Patienten müssen jedoch darüber informiert werden, dass diese Substanzen durch körpereigene Abbauprozesse in durchschnittlich 3–6 Monaten resorbiert werden. Um einen dauerhaft guten phonatorischen Glottisschluss zu erreichen, müssen die Injektionen somit regelmäßig wiederholt werden.


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Therapeutische Effekte des Singens im Alter

Psychosoziale Effekte

Gesangspädagogische Betreuung, z. B. mit dem Anti-Aging-Stimmtrainings-Programm nach Bengtson-Opitz [25], fördert nicht nur die stimmliche Belastbarkeit. Singen im Alter hat darüber hinaus auch positive psychosoziale Effekte (Verbesserung der sozialen Teilhabe, Reduktion von Angst und Depressionen, Steigerung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens und der Stimmungslage, Förderung gemeinschaftlichen Empfindens und Erlebens, allgemein Steigerung der Lebensqualität). Diese salutogenetischen Effekte des Singens im Alter wurden in etlichen Studien wiederholt nachgewiesen [26] [27] [28] [29]. Chorsingen könnte sogar die Lebenserwartung verlängern [30].


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Immunologische Effekte

Auch in experimentellen laborchemischen Studien konnten positive Gesundheitseffekte durch Chorsingen und Musizieren nachgewiesen werden: So steigert Singen statistisch signifikant die Produktion von Immunglobulin A (IgA) im Speichel und schützt damit die oberen Atemwege vor Infektionen [31] [32] [33]. Singen stimuliert also das Immunsystem und stärkt die Abwehrkräfte, was insbesondere für Senioren elementar wichtig ist. In den gleichen Studien [31] [32] [33] konnten mit psychometrischen Rating-Skalen auch signifikante Verbesserungen des seelischen Wohlbefindens und der Stimmungslage beim Chorsingen gemessen werden.

Singen im Alter hat demnach positive psychosoziale und immunologische Auswirkungen.

Fazit

Etwa 20% der über 60-Jährigen leiden unter Stimmproblemen. Diese Stimmveränderungen im Alter (Presbyphonie) gehen einher mit morphologischen Alterungsprozessen im Kehlkopf (Presbylarynx). Therapeutische Optionen beinhalten einerseits die Behandlung internistischer und neurologischer Grunderkrankungen, andererseits einen gesunden Lebensstil zum Funktionserhalt des Atem- und Stimmapparates. Stimmtherapeutisch wären zu nennen: Tonisierungsübungen auf Glottisebene, Abbau supraglottischer Pressmechanismen, ggf. phonochirurgische paraglottische Injektionen zur Verbesserung des phonatorischen Glottisschlusses, sowie stimmhygienische Maßnahmen (z. B. regelmäßige Befeuchtung der Atemwege). Singen im Alter hat sowohl psychosozial als auch immunologisch positive Effekte.


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Zur Person

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Univ.-Prof. Dr med. Wolfgang Angerstein, Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Facharzt für HNO-Heilkunde. Zusatzbezeichnungen: Stimm- und Sprachstörungen, Chirotherapie, Homöopathie, Naturheilverfahren, Verkehrsmedizin.
Im Universitäts-Klinikum der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf tätig als Leiter des Selbstständigen Funktionsbereichs für Phoniatrie und Pädaudiologie, Mitglied des Leitungsteams der Interdisziplinären Ambulanz für Musikermedizin und Koordinator des Interdisziplinären Fachbereichs für Naturheilverfahren und Komplementärmedizin.
Forschungsschwerpunkte: Ultraschall bei Artikulation, Phonation, Saugen und Schlucken; funktionelle Schwingungsanalysen der Mundlippen bei Blasmusikern.

Interessenkonflikt:

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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