Die onkologische Therapie hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht,
nicht zuletzt wegen der zunehmenden Verfügbarkeit von „targeted therapies“, wie z. B.
monoklonale Antikörper oder Tyrosinkinaseinhibitoren, welche gezielt in den Tumorstoffwechsel
eingreifen können. Diese neuartigen Therapien sind häufig schonender als die klassische
Chemotherapie und können daher auch bei älteren Patienten mit vorhandenen Komorbiditäten
eingesetzt werden. Gleichzeitig verschiebt sich der Altersdurchschnitt onkologisch
erkrankter Patienten immer mehr nach oben: So wird für die USA erwartet [1], dass im Jahre 2040 73 % der Krebspatienten älter als 65 Jahre alt sind („silver
tsunami“). Auch die „klassische“ Tumortherapie einschließlich Chirurgie und Chemo-/Radiotherapie
wird also künftig bei immer älteren Patienten eingesetzt werden. Hieraus ergibt sich,
dass Krebspatienten zunehmend bereits andere Komorbiditäten aufweisen, andererseits
aber auch durch Komplikationen der Therapie besonders gefährdet sind. Aus allen genannten
Aspekten ergibt sich ein weiter steigender Bedarf an intensivmedizinischer Betreuung
von Tumorpatienten.
Peter Schellongowski und Mitarbeiter [2] liefern in diesem Kontext einen wichtigen Beitrag in der aktuellen Ausgabe der Intensivmedizin
up2date. Zum einen werden relevante tumorspezifische Akuterkrankungen (z. B. Tumorlysesyndrom)
diskutiert, zum anderen aber auch spezifische Aspekte bei an Sepsis erkrankten hämatologisch-onkologischen
Patienten referiert. Schließlich wird auf die Besonderheiten neutropener bzw. allogen-stammzelltransplantierter
Patienten eingegangen.
Ethische Herausforderungen
Bei vielen schweren Krankheitsbildern immer älterer Patienten steht die Intensivmedizin
schon heute vor zunehmenden ethischen Herausforderungen in der Definition der Therapieziele
und der Frage, ob immer eine „maximale Intensivmedizin“ zum Einsatz kommen soll. Dieses
gilt in besonderem Maße für onkologische Erkrankungen, z. B. in einer nicht mehr kurativen
Situation. Entsprechend definieren die Autoren Kriterien für die Entscheidung „Full
code“ vs. „No ICU“. Ein wichtiger Ansatz ist auch der „ICU trial“, d. h. ein zeitlich
limitierter Versuch (sinnvollerweise mindestens 3 – 5 Tage), eine Besserung des akuten
Krankheitsbildes mit intensivmedizinischen Maßnahmen zu erreichen. Schon vorher ist
ggf. dann eine Absprache sinnvoll, eine Intensivtherapie auch wieder zu deeskalieren.
In jedem Fall sollte auch und gerade bei onkologischen Patienten nicht vergessen werden,
dass intensivmedizinische Maßnahmen nicht nur das Leben verlängern können, sondern
auch zu einer besseren Lebensqualität beitragen, z. B. durch eine nicht-invasive Beatmung
bei einem akuten Lungenödem. Dankenswerterweise legen die Autoren einen weiteren Schwerpunkt
auf die Darstellung der Ergebnisse intensivmedizinischer Behandlungen von Krebspatienten.
Hier zeigt sich, dass in den letzten ca. 20 Jahren erfreuliche Fortschritte erreicht
wurden (Verdoppelung des Überlebens). Zu einem therapeutischen Nihilismus besteht
also auch auf der Intensivstation kein Anlass. Allerdings verlangt gerade der Tumorpatient
eine besonders genaue Abwägung von Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Intensivmedizin.
Diese Herausforderung lässt sich sicher nur interdisziplinär, ggf. auch unter Einbeziehung
von Palliativmedizinern meistern.
Norbert Frey