Drug Res (Stuttg) 2016; 66(S 01): S15-S16
DOI: 10.1055/s-0042-112400
Symposium der Paul-Martini-Stiftung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Behandlung von HIV-Infektionen und AIDS

J. K. Rockstroh
Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik I, Bonn
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Korrespondenzadresse

Prof. Jürgen Rockstroh
Leitung Infektiologie/HIV
Universitätsklinikum Bonn
Sigmund-Freud-Straße 25
53105 Bonn

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
02. November 2016 (online)

 

Die erworbene Immunschwäche AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) wurde erstmals 1981 in Zusammenhang mit einer Häufung seltener Erkrankungen wie Kaposi-Sarkomen (KS) und Pneumocystis-Pneumonien (PCP) beschrieben. Obwohl diese Krankheitsbilder gelegentlich in verschiedenen Bevölkerungsgruppen vorkommen (so das KS bei älteren Männern aus dem Mittelmeerraum oder die PCP bei Leukämiepatienten nach intensiver Chemotherapie), war das Auftreten dieser Indikatorerkrankungen für einen Immundefekt bei bislang gesunden jungen Menschen noch nie beobachtet worden. Angesichts der anfangs betroffenen Patientengruppe, nämlich Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), wurden Erkrankung und Betroffene stark stigmatisiert. Nachdem man zunächst die Ursache in den spezifischen Lebensstilen vermutet hatte, konnte schließlich 1983 das Humane Immunschwäche Virus (HIV) als auslösender Erreger von AIDS identifiziert werden [1]. Nachfolgend kam es zu einer raschen Ausbreitung von HIV weltweit, häufig auch deshalb, weil Stigmatisierung und Kriminalisierung der Hauptbetroffenengruppen effektive Präventionsstrategien verhinderten. In 2016 wird weltweit von 37 Millionen Menschen, die mit HIV leben, ausgegangen; der überwiegende Anteil an HIV-Infizierten lebt in Subsahara-Afrika. Etwa 1,1 Millionen Menschen starben 2014 an AIDS. Damit ist ein deutlicher Rückgang der AIDS-assoziierten Todesfälle von fast 50 % seit 2005 zu verzeichnen, was auf einen breiteren Zugang zur antiretroviralen Therapie (ART) hindeutet. Erfreulich ist auch, dass weltweit seit 2000 die Zahl der jährlichen HIV-Neuinfektionen um 35 % zurückgegangen ist. In Deutschland lebten Ende 2014 laut Robert Koch-Institut 83 400 Menschen mit HIV/AIDS, darunter 15 100 Frauen.

Bereits 1987 wurde mit AZT (Zidovudin, Retrovir®) die erste antiretrovirale Substanz eingeführt. Wenngleich diese – als Monotherapie – die HIV-Vermehrung nur ungenügend unterdrückte, gelang es so zumindest, Symptome der HIV-Infektion kurzfristig zu verbessern und das Auftreten von AIDS zeitlich etwas zu verzögern. Was dann folgte, bleibt in der Medizin einmalig: Innerhalb weniger Jahre nach ihrer Entdeckung wurde aus einer unweigerlich tödlichen Erkrankung eine, die sich dauerhaft und effektiv behandeln ließ. Durch die rasche Einführung weiterer Medikamentenklassen und der so entstandenen Möglichkeit der antiretroviralen Kombinationstherapie gelang und gelingt es dauerhaft, die Virusvermehrung zu unterdrücken und ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern, solange die Medikamente regelmäßig eingenommen und vom Patienten gut vertragen werden. In der Tat lässt sich mittlerweile bei rechtzeitigem antiretroviralen Therapiebeginn, Abfall der HI-Viruslast unter die Nachweisgrenze und konsekutiver Erholung des Immunsystems und Anstieg der T-Helferzellen auf über 500 absolut/µl eine annährend normale Lebenserwartung bei den behandelten HIV-Patienten erreichen. Gleichzeitig lässt sich durch die Absenkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze auch die Infektiosität erheblich reduzieren.

Seit 2016 wird nach dem Vorliegen der Studienergebnisse der großen internationalen START-Studie bei allen HIV-Patienten unabhängig vom Immunstatus die Einleitung einer antiretroviralen Kombinationstherapie empfohlen. In der Studie konnte gezeigt werden, dass sich das Risiko für das Auftreten von AIDS-definierenden und auch nicht AIDS-definierenden Ereignissen bei einem sehr frühen HIV-Therapiebeginn (bei bereits über 500 Helferzellen) vermindern lässt im Vergleich zu Patienten, bei denen erst nach Abfall der Helferzellen unter 350/µl mit der Therapie begonnen wird [2]. Langzeittoxizitäten der ersten antiretroviralen Kombinationstherapien, aber auch die Entwicklung von Medikamenten-Resistenzen bedingten die Suche und Identifizierung weiterer viel versprechender Substanzen mit anderem Wirkmechanismus oder günstigerem Resistenzprofil. Auch Einnahmebedingungen und Verträglichkeit wurden verbessert. So stehen im Jahr 2016 mehrere HIV-Therapien mit lediglich 1–3 Tabletten einmal täglich zur Verfügung, was vor allem durch Fixdosis-Kombinationen möglich geworden ist. Als zunehmend bevorzugtes Erstlinienregime in den nationalen und internationalen Leitlinien haben sich antiretrovirale Therapiekombinationen bestehend aus zwei nukleos(t)idartigen Reverse Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) und einem Integrasehemmer entwickelt. In der Tat zeigen sich in kontrollierten, randomisierten Vergleichsstudien Integrasehemmer den Vertretern anderer Medikamentenklassen – insbesondere geboosteten Proteasehemmern (PI/c oder PI/r) oder Non-nukleosidartige Reverse Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) – überlegen, was im Wesentlichen an der besseren Kurz- und Langzeitverträglichkeit der Integrasehemmer liegt.

Dies alles soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine lebenslange medikamentöse Behandlung erhebliche Probleme bereiten wird – sowohl was Therapietreue als auch mögliche Langzeittoxizitäten (bislang begrenzte Erfahrung über zwanzig Jahre) angeht. Eine Infektion mit HIV sollte weiter unbedingt vermieden werden. Daher müssen unsere Anstrengungen neben einer weiteren Verbesserung der ART und neuen Konzepten und Studien zur Ausheilung von HIV (die sich allesamt allerdings noch im experimentellen Stadium befinden) vor allem der Prävention gelten, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Zusätzlich sollte an einer weiteren Verbesserung und verstärkten HIV-Test-Programmen gearbeitet werden. Mit rechtzeitiger HIV-Diagnose vor Ausbruch der Erkrankung lässt sich individuell für den betroffenen Patienten eine deutliche Prognoseverbesserung erzielen und gleichzeitig auch durch die Einleitung der HIV-Therapie und nachfolgende Kontrolle der HIV-Replikation eine weitere HIV-Übertragung verhindern.


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Prof. Jürgen Rockstroh

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Interessenskonflikte: JKR hat Honorare erhalten für Beratungen bei advisory boards oder Vorträge bei Fortbildungsmaßnahmen von: Abbott, AbbVie, Bionor, BMS, Cipla, Gilead Sciences, Janssen, Hexal, MSD und ViiV.

  • Literatur

  • 1 Barre-Sinoussi F, Chermann JC, Rey F et al. Isolation of a T-lymphotropic retrovirus from a patient at risk for AIDS. Science 1983; 220: 868-871
  • 2 Lundgren JD, Babiker AG, Gordin F et al. INSIGHT START Study Group. Initiation of Antiretroviral Therapy in Early Asymptomatic HIV Infection. N Engl J Med 2015; 373: 795-807

Korrespondenzadresse

Prof. Jürgen Rockstroh
Leitung Infektiologie/HIV
Universitätsklinikum Bonn
Sigmund-Freud-Straße 25
53105 Bonn

  • Literatur

  • 1 Barre-Sinoussi F, Chermann JC, Rey F et al. Isolation of a T-lymphotropic retrovirus from a patient at risk for AIDS. Science 1983; 220: 868-871
  • 2 Lundgren JD, Babiker AG, Gordin F et al. INSIGHT START Study Group. Initiation of Antiretroviral Therapy in Early Asymptomatic HIV Infection. N Engl J Med 2015; 373: 795-807

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