physiopraxis 2016; 14(11/12): 68
DOI: 10.1055/s-0042-116931
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Die Rechtsfrage: Dürfen Physiotherapeuten weiterhin freiberuflich tätig sein?

Andreas Pitz

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Publication Date:
25 November 2016 (online)

 

„Das Thema ‚Freiberuflichkeit‘ beschäftigt meine Kollegen und mich sehr. Vor Kurzem wurde ein neues Urteil erlassen, das diese Form der Berufstätigkeit abschaffen soll (Az. L1 KR 351/12). Gilt es bundesweit oder ist es länderspezifisch? Bislang war Freiberuflichkeit über die Statusfeststellung möglich. Gibt es diese Regelung nicht mehr?“

Physiotherapeutin aus Menden im Sauerland


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Prof. Dr. Andreas Pitz

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Prof. Dr. Andreas Pitz ist Professor für Medizin- und Sozialrecht an der Hochschule RheinMain sowie Richter am Sozialgericht.

Die Antwort unseres Experten

Die beiden Tätigkeitsformen „selbstständige Tätigkeit“ sowie „angestellte Beschäftigung“ wird es immer geben. Die Deutsche Rentenversicherung hat jetzt jedoch „die Zügel angezogen“ und hinterfragt vermehrt selbstständige Beschäftigungsverhältnisse. Der Hintergrund dazu ist einleuchtend: Während Selbstständige weitgehend von der Versicherungspflicht und damit von der Beitragspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung befreit sind, fallen für Angestellte die üblichen Beiträge zur Sozialversicherung an.

Ob eine selbstständige Tätigkeit oder eine angestellte Beschäftigung vorliegt, ist immer eine Einzelfallfrage. Sie wird anhand verschiedener, bundesweit einheitlicher Kriterien von der Deutschen Rentenversicherung geprüft. Dazu gehören Weisungsabhängigkeit, Eingliederung in die Arbeitsorganisation, Vorliegen eines unternehmerischen Risikos oder das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte. Es gibt daher auch kein wegweisendes Urteil.

Das Landessozialgericht Niedersachsen- Bremen hat sich beispielsweise mit einer Physiotherapeutin befasst, die selbst keine Kassenzulassung hatte und in einer Physiotherapiepraxis als „freie Mitarbeiterin“ tätig war (Az. L1 KR 351/12). Das Gericht ging davon aus, dass in diesem Fall keine selbstständige Tätigkeit vorlag, weil die Therapeutin keine eigenen Betriebsräume hatte und die Praxis sowohl die Arbeitsmaterialien stellte als auch die Zuweisung der Patienten regelte. Ein unternehmerisches Risiko konnte damit nicht festgestellt werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Therapeuten können weiterhin selbstständig tätig sein, jedoch ist der rechtliche Rahmen bei der klassischen „freien Mitarbeit“ deutlich enger geworden. Maßgeblich für die Entscheidung pro oder contra Selbstständigkeit ist immer das konkret ausgestaltete und gelebte Auftragsverhältnis. Wenn Praxen oder selbstständige Therapeuten auf „freie Mitarbeiter“ zurückgreifen wollen, sollten sie daher einen erfahrenen Rechtsanwalt zur Ausgestaltung des Auftragsverhältnisses einbinden, bevor sie bei der Deutschen Rentenversicherung einen Antrag auf Statusfeststellung stellen.

Andreas Pitz

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