Der Klinikarzt 2016; 45(11): 570-571
DOI: 10.1055/s-0042-118680
Forum der Industrie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Patient Blood Management

Standardisierte Operationsvorbereitung für mehr Patientensicherheit
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. November 2016 (online)

 

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Beim Patient Blood Management (PBM) handelt es sich um ein evidenzbasiertes, multidisziplinäres Behandlungskonzept zur Reduktion und Vermeidung von Anämie und Blutverlust bei Operationen, welches den verantwortungsbewussten Umgang mit Fremdblutprodukten mit einschließt. Wie das möglich ist, diskutierten Experten auf einem Symposium der Ferring Arzneimittel GmbH im Rahmen des diesjährigen HAI, dem Hauptstadtkongress der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI) in Berlin.

Neue Möglichkeiten durch PBM-Konzept

Obwohl der Bedarf an Bluttransfusionen durch die moderne Medizin weiter steigt, sinkt die Spendebereitschaft seit Jahren. Gleichzeitig steigt das Bewusstsein dafür, dass Spenderblut ein Risiko für Patienten darstellen kann. Das Immunsystem des Empfängers kann geschwächt werden und auch bei exakt passender Blutgruppe können neue Infektionen auftreten [1]. Mit dem PBM-Konzept stehen neue Möglichkeiten zur Verfügung, um das Anämie- und Blutungsrisiko von Patienten im operativen Bereich deutlich zu verringern und patienteneigene Ressourcen zu schonen und zu stärken. Weltweit unternehmen Kliniken Anstrengungen, um die 3 Säulen des PBM [2]

  • Erythropoiese optimieren

  • Blutverlust und Blutung minimieren

  • physiologische Anämietoleranz verbessern

im Praxisalltag zu implementieren und eine bestmögliche Versorgung der Patienten zu gewährleisten ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Die Säulen des Patient Blood Managements.

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Zeit bis zur OP effektiv nutzen

In Deutschland wurde PBM zunächst an den Universitätskliniken Frankfurt, Bonn, Kiel und Münster eingeführt. Inzwischen konnten zahlreiche weitere Kliniken für das Projekt begeistert werden. Prof. Dr. Patrick Meybohm, Frankfurt am Main, berichtete von der Umsetzung des Konzeptes und was bei den einzelnen PBM-Säulen zu beachten ist.

Die präoperative Anämie gilt als einer der stärksten Prädiktoren für die Gabe von Erythrozytenkonzentraten (EK) während oder nach einer Operation. Darüber hinaus wird sie als eigenständiger und unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten von postoperativen Komplikationen und einer erhöhten postoperativen Sterblichkeit angesehen [3]. Prinzipiell sollte daher jede Anämie nach Möglichkeit präoperativ abgeklärt und therapiert werden. Aber auch iatrogen ausgelöste Anämien – Stichwort: perioperative Blutentnahmen und interventionelle Prozeduren – sollen beim PBM weitestgehend vermieden werden. So könne zum Beispiel bei intensivpflichtigen Patienten einzig durch Blutlaborkontrollen ein Blutverlust von 600 ml oder mehr pro Woche auftreten, erklärte Meybohm. In Frankfurt ging man daher dazu über, durch die Verkleinerung der Blutentnahmeröhrchen und strenge Indikationsstellung die täglichen Blutabnahmen und Abnahmemengen deutlich zu reduzieren um so unnötige Blutverluste zu vermeiden.

Auch ein adäquates und sorgfältiges Gerinnungsmanagement sei elementar für die Prophylaxe und die effiziente Therapie perioperativer Blutungen, so der Experte. Bei Verdacht auf eine Hyperfibrinolyse kommt eine medikamentöse antihyperfibrinolytische Therapie, beispielsweise mit Tranexamsäure, infrage. Und die zellulär vermittelte (primäre) Hämostase kann beispielsweise mittels Vasopressinanaloga (Desmopressin, 1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin, DDAVP) verbessert werden. Letztlich gibt eine Transfusionstrigger-Checkliste Hilfestellung bei der Entscheidung darüber, ob ein EK-Einsatz doch unumgänglich ist. Primäres Ziel bei einer Koagulopathie muss nach Ansicht von Meybohm jedoch die kausale Therapie der Ursache und nicht die symptomatische Therapie mittels Fremdblutersatz sein. Hier sei es wichtig, die Zeit bis zur OP effektiv zu nutzen.


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Gerinnungsmanagement bei Thrombozytenfunktionsstörungen

Unter den Gerinnungsstörungen spielen Prof. Dr. Christian von Heymann, Berlin, zufolge, die primären Hämostasestörungen die wesentliche Rolle, gefolgt von den kombinierten Hämostasestörungen. In einer retrospektiven Studie an über 5600 Patienten hatten ca. 3–5 % aller Patienten mit einer elektiven Operation eine eingeschränkte Hämostase aufgrund einer erworbenen, meist medikamentös verursachten Thrombozytendysfunktion [4]. Davon wiesen 73 % bereits präoperativ eine medikamenteninduzierte Thrombozytendysfunktion (zumeist NSAR/ASS aus analgetischer Indikation) und 26 % ein von-Willebrand-Syndrom (vWS) auf [4]. Insbesondere bei unklarer Blutungsneigung müsse stets auch an ein von-Willebrand-Syndrom gedacht werden, denn es gehöre zu den häufigen Gerinnungsstörungen und kann angeboren oder erworben sein (u. a. durch Aortenstenosen oder „Kunstherzen“), so von Heymann. Leitlinien empfehlen den Einsatz von DDAVP bei vWS Typ 1, 2A, 2M und 2N, milder Hämophilie A oder medikamentös (z. B. durch ASS) bedingten Thrombozytenfunktionsstörungen [5], [6], [7].

Den Nutzen einer therapeutischen Intervention untersuchte eine prospektive Studie [4]: Danach kann das Blutungsrisiko von Patienten mit positiver Blutungsanamnese durch das Therapieregime mit Desmopressin (z. B. MINIRIN® parenteral) auf das Niveau nicht betroffener Patienten gesenkt werden. In der Studie sprachen über 90 % der Patienten mit eingeschränkter primärer Hämostase auf Desmopressin parenteral an (Response PFA-100; Platelet Function Analyzer). Die Transfusionsrate entsprach in der Patientengruppe mit präoperativ durch Desmopressin behandelten primären Hämostasestörungen der Patientengruppe ohne Hämostasestörungen ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Senkung des Bedarfs an Bluttransfusionen auf das Niveau von Patienten ohne Hämostasestörung.

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Durch PBM Verbrauch und Kosten von Blutpräparaten senken

Dass das Konzept PBM aufgeht, zeigen aktuelle Studiendaten, wonach durch PBM die Anzahl der Bluttransfusionen um ca. 20 % verringert werden kann [8]. Das schont nicht nur die kostbaren Blutreserven [9], sondern erhöht ebenso die Patientensicherheit [10]. Diese Erfolge veranlassen viele Kliniken dazu, PBM zu etablieren. Denn letztlich würden die Patientensicherheit und ein geringerer Einsatz von Bluttransfusionen auch von den Patienten selbst als sehr positiv wahrgenommen. Das hat nach Ansicht von Prof. Dr. Pascal Knüfermann, Bonn, Einfluss auf die Außenwirkung einer Klinik. So konnte im Gemeinschaftskrankenhaus Bonn, einem freigemeinnützigen Krankenhaus der Regelversorgung, mit der PMB-Einführung der Verbrauch von Blutprodukten deutlich gesenkt werden, so Knüfermann. Die Transfusionswahrscheinlichkeit für alle Eingriffe in der Orthopädie/Unfallchirurgie sank von ca. 12 % im Jahr 2010 auf unter 4 % im Jahr 2014. Die Transfusionswahrscheinlichkeit im Bereich der Hüft-Endoprothetik sank in dem gleichen Zeitraum von 32% auf 6 %. Parallel dazu sanken die Gesamtkosten für allogene Blutprodukte von 422 400 auf 234 800 Euro (eigene Daten), so der Redner.

Derzeit befindet sich PBM unter den 10 Qualitätsindikatoren für die Anästhesiologie, die durch das Forum für Qualitätsmanagement und Ökonomie, beauftragt durch die DGAI, erarbeitet wurden. Ziel dieser Indikatoren ist es, relevante, verständliche, messbare, und erreichbare Qualitätskriterien zu definieren [11].

Bettina Baierl, Berlin

Qelle: Symposium „Patient Blood Management (PBM): Ziele und Umsetzung – Transfusionsbedarf verringern“ im Rahmen des HAI (Hauptstadtkongress der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V.) am 16. September 2016 in Berlin. Veranstalter: Ferring Arzneimittel GmbH.

Der Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von Ferring Arzneimittel GmbH.


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  • Literatur

  • 1 Rohde JM et al Health care-associated infection after red blood cell transfusion: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2014; 311: 1317-1326
  • 2 Hofmann A et al Five drivers shifting the paradigm from product-focused transfusion practice to patient blood management. The oncologist 2011; 16 (Suppl. 03) S3-S11
  • 3 Musallam KM et al Preoperative anaemia and postoperative outcomes in non-cardiac surgery: a retrospective cohort study. Lancet 2011; 378: 1396-1407
  • 4 Koscielny J et al A practical concept for preoperative management of patients with impaired primary hemostasis. Clin Appl Thromb Hemost 2004; 10: 155-166
  • 5 Querschnitts-Leitlinien (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten. 4. überarbeitete und aktualisierte Auflage 2014
  • 6 Consensus Statement from the International Society for Minimally Invasive Cardiothoracic Surgery (ISMICS). 2011
  • 7 Kozek-Langenecker SA et al Management of severe perioperative bleeding, Guidelines from the European Society of Anaesthesiology. Eur J Anaesthesiol 2013; 30: 270-382
  • 8 Meybohm P et al Patient Blood Management is Associated With a Substantial Reduction of Red Blood Cell Utilization and Safe for Patient’s Outcome: A Prospective, Multicenter Cohort Study With a Noninferiority Design. Ann Surg 2016; 264: 203-211
  • 9 Meybohm P et al Patient Blood Management Bundles to Facilitate Implementation. Transfus Med Rev. 2016 [Epub ahead of print]
  • 10 Kotzé A et al Effect of a patient blood management programme on preoperative anaemia, transfusion rate, and outcome after primary hip or knee arthroplasty: a quality improvement cycle. Br J Anaesth 2012; 108: 943-952
  • 11 Coburn M et al Qualitätsindikatoren Anästhesiologie. 2015; Anästh Intensivmed 2016; 2016: 219-230

  • Literatur

  • 1 Rohde JM et al Health care-associated infection after red blood cell transfusion: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2014; 311: 1317-1326
  • 2 Hofmann A et al Five drivers shifting the paradigm from product-focused transfusion practice to patient blood management. The oncologist 2011; 16 (Suppl. 03) S3-S11
  • 3 Musallam KM et al Preoperative anaemia and postoperative outcomes in non-cardiac surgery: a retrospective cohort study. Lancet 2011; 378: 1396-1407
  • 4 Koscielny J et al A practical concept for preoperative management of patients with impaired primary hemostasis. Clin Appl Thromb Hemost 2004; 10: 155-166
  • 5 Querschnitts-Leitlinien (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten. 4. überarbeitete und aktualisierte Auflage 2014
  • 6 Consensus Statement from the International Society for Minimally Invasive Cardiothoracic Surgery (ISMICS). 2011
  • 7 Kozek-Langenecker SA et al Management of severe perioperative bleeding, Guidelines from the European Society of Anaesthesiology. Eur J Anaesthesiol 2013; 30: 270-382
  • 8 Meybohm P et al Patient Blood Management is Associated With a Substantial Reduction of Red Blood Cell Utilization and Safe for Patient’s Outcome: A Prospective, Multicenter Cohort Study With a Noninferiority Design. Ann Surg 2016; 264: 203-211
  • 9 Meybohm P et al Patient Blood Management Bundles to Facilitate Implementation. Transfus Med Rev. 2016 [Epub ahead of print]
  • 10 Kotzé A et al Effect of a patient blood management programme on preoperative anaemia, transfusion rate, and outcome after primary hip or knee arthroplasty: a quality improvement cycle. Br J Anaesth 2012; 108: 943-952
  • 11 Coburn M et al Qualitätsindikatoren Anästhesiologie. 2015; Anästh Intensivmed 2016; 2016: 219-230

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Abb. 1 Die Säulen des Patient Blood Managements.
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Abb. 2 Senkung des Bedarfs an Bluttransfusionen auf das Niveau von Patienten ohne Hämostasestörung.