Frau Dr. Hünefeld, warum beteiligt sich die Franziskus Stiftung an der ASV?
Dr. med. Daisy Hünefeld: Die ASV ist eine Möglichkeit, um eine verbindliche Kooperation mit niedergelassenen
Ärzten einzugehen. Sie ist aber erst wenig verbreitet. Es gibt bundesweit derzeit
nur wenige ASV-Verträge. Als uns niedergelassene Ärzte in Hamm Anfang 2014 fragten,
ob wir uns an einer ASV für onkologische Erkrankungen beteiligen würden, sahen wir
dies als Chance, uns frühzeitig mit dem neuen Versorgungsmodell vertraut zu machen
und bestehende Kooperationen auf diese Weise fortzuführen.
Wen sprechen Sie mit der Versorgungsform an?
Dr. med. Daisy Hünefeld: Die Kooperationsvereinbarung in Hamm, die die St. Barbara-Klinik Hamm GmbH – eine
Einrichtung unserer Stiftung – mit niedergelassenen Ärzten eingegangen ist, und an
der die Evangelische Krankenhaus Hamm gGmbH ebenfalls beteiligt ist, zielt auf eine
Verbesserung für Patienten mit gastrointestinalen Tumoren und Tumoren der Bauchhöhle.
Grundsätzlich richtet sich eine ASV kassenunabhängig an alle Patienten, die das 18.
Lebensjahr vollendet haben und deren Erkrankung einen schweren Verlauf aufweist. Im
vierten Quartal 2015, als unser Vertrag anlief, nahmen 26 Patienten teil. Im ersten
Quartal 2016 kamen 33 Patienten neu hinzu. Trotz eingeschränkter Arztwahl überwiegen
für die Patienten die Vorteile durch das ASV-Angebot, insbesondere die enge Teamarbeit
der beteiligten Fachärzte wird äußerst positiv bewertet. So ist uns aus Hamm bislang
kein einziger Fall bekannt, in dem der Patient dieses Versorgungsangebot ablehnte.
Wie dynamisch ist das Geschehen mit Blick auf Vertragsauflösungen und neue Verträge?
Dr. med. Daisy Hünefeld: Die Zusammenarbeit in Hamm ist recht stabil. Sie stützt sich auf Kooperationen, die
schon vorher bestanden. Neue Vertragsabschlüsse oder Vertragsauflösungen sind selten,
vielmehr sind bewährte Strukturen in ein neues Qualitätskonzept überführt worden.
Die Vertragsgestaltung war allerdings sehr aufwendig, da noch keine Vertragsmuster
vorlagen. Sie dauerte ein gutes Jahr.
Die ASV erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der teilnehmenden Vertragsärzte
und Krankenhäuser. Wer gehört dazu und wer leitet die Kernteams?
Dr. med. Daisy Hünefeld: Der Teamleiter ist ein niedergelassener Onkologe. Aus dem ambulanten Sektor sind
insgesamt 4 Fachärzte aus der Hämatologie und Onkologie sowie 2 Fachärzte aus der
Gastroenterologie im Kernteam vertreten. Aus der St. Barbara-Klinik Hamm-Heessen nehmen
Ärzte aus der Viszeralchirurgie, Anästhesiologie, Radiologie und der Gynäkologie sowie
eine Psychotherapeutin teil. Aus dem Evangelischen Krankenhaus Hamm beteiligen sich
neben Ärzten aus der Viszeralchirurgie auch Kollegen aus der Nuklearmedizin und der
Radiologie, eine Psychologin sowie Strahlentherapeuten des dortigen MVZ. Für die Behandlung
durch die Mitglieder des Kernteams benötigt der Patient keine Überweisung, abgerechnet
wird nach dem EBM für die vertragsärztliche Versorgung abzüglich eines 5-prozentigen
Investitionskostenabschlags für öffentlich geförderte Krankenhäuser. In Hamm stellen
die Kernärzte aber trotzdem Überweisungen aus, da sie diese für die interne engmaschige
Kommunikation nutzen. Dem erweiterten Team gehören 12 Fachärzte an. Sie ergänzen die
patientenindividuell benötigten, zusätzlichen Kenntnisse je Krankheitsverlauf. Für
diese Behandlungen sind quartalsweise Überweisungen erforderlich.
Was bedeutet die aktualisierte ASV-Richtlinie für Ihre Kooperation in Hamm?
Dr. med. Daisy Hünefeld: Als die Möglichkeit zur ASV eingeführt wurde, gab es noch einige offene Fragen bezüglich
der Vergütung und des Qualitätskonzeptes, die nun geklärt worden sind. Prinzipiell
könnte eine ASV auch ohne Krankenhausbeteiligung umgesetzt werden. Für die Versorgung
von Patienten mit Bauchhöhlen-Tumoren ist die Einbindung der Krankenhäuser jedoch
erforderlich, da die Möglichkeiten einer stationären Notfalloperation, einer 24-Stunden-Notfallversorgung
und eines 24-Stunden-Notfalllabores gegeben sein müssen. Pro Kernteam müssen mindestens
140 Patienten pro Jahr behandelt werden, nur in den ersten beiden Jahren darf hiervon
abgewichen werden. Vorgesehen ist außerdem eine wöchentliche Tumorkonferenz des Kernteams.
Bei Bedarf werden Fachärzte des erweiterten Teams hinzugezogen. Auch sollen Selbsthilfegruppen
und Beratungsdienste eingebunden werden, hier werden aktuell die Kontakte geknüpft
und Gespräche geführt. Da die Beteiligung dieser Gruppen ohne weitere vertragliche
Vereinbarungen möglich ist, sind wir sehr optimistisch, in Kürze auch für diesen Bereich
kompetente und erfahrene Partner an unserer Seite zu haben.
Wie bewerten Sie die fachlichen, personellen und räumlichen, aber auch die zeitlichen
Anforderungen, die die ASV mit sich bringt?
Dr. med. Daisy Hünefeld: Zu Beginn brauchte es Zeit, die bestehenden Kooperationen in das neue Qualitätskonzept
zu überführen. So manches Gespräch, um organisatorische Dinge, Ablauf- oder auch Abrechnungsfragen
zu klären, ist nötig. Alles in allem beträgt der Zeitaufwand hierfür ca. 4–5 Stunden
pro Woche. Doch nach wie vor ist der Abstimmungsbedarf hoch. Es gilt vor allem, die
wöchentlichen Tumorkonferenzen mit den externen Partnern in die Abläufe auf den Stationen
zu integrieren. Etwas mehr zeitlicher Gestaltungsraum wäre hier wünschenswert. Andererseits
zeigt sich deutlich, dass die Strukturvorgaben des G-BA, wenn sie einmal eingeführt
sind, die Arbeit erleichtern. Hierzu gehört definitiv das Vorstellen der Patienten
in den Tumorkonferenzen. Die ASV ermöglicht einen sehr strukturierten und vor allem
niederschwelligen Austausch zwischen den beteiligten Fachärzten. Wir sind darauf vorbereitet,
künftig mehr Patienten im Rahmen der ASV versorgen zu können. Die personelle und fachliche
Verantwortung liegt dabei primär bei den Chef- und Oberärzten der Onkologie.
War es schwer, die Beteiligten dafür zu begeistern?
Dr. med. Daisy Hünefeld: Da die Initiative für die ASV aus dem niedergelassenen Bereich kam, ist die Grundmotivation
dort durchweg hoch. Aber auch die Klinikärzte haben rasch erkannt, dass dies eine
sehr gute Möglichkeit ist, um gemeinsam mit den niedergelassenen Kollegen schwerkranke
Patienten ambulant zu betreuen. Finanzielle Erwägungen waren hierbei nicht ausschlaggebend.
Die Zahl der Patienten, für die das Krankenhaus über die ASV zusätzliche Leistungen
in Rechnung stellen könnte, ist äußerst niedrig. Im ersten Quartal 2016 waren es z. B.
2 radiologische Untersuchungen.
Was sind Ihre ASV-Ziele für das nächste Jahr?
Dr. med. Daisy Hünefeld: Im nächsten Jahr wollen wir die ASV-Strukturen in Hamm weiter festigen und ausbauen.
Spannend wird sein, zu welchen Behandlungsergebnissen die ASV führt. Dies werden wir
jedoch erst in 2–3 Jahren evaluieren können, wenn eine ausreichend große Datenbasis
vorliegt. Eine neue ASV ist derzeit nicht geplant. Die Initiative muss aus dem niedergelassenen
Bereich kommen, da es uns nicht darum geht, eine Konkurrenz aufzubauen. Vielmehr sehen
wir es als gemeinsame Aufgabe an, die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten
sektorenübergreifend zu gestalten. Ob sich eine ASV eignet oder besser ein anderes
Modell gewählt werden sollte, um aus Schnittstellen Verbindungslinien zu machen, hängt
sehr stark von den regionalen Gegebenheiten ab.
Frau Dr. Hünefeld, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Dr. Adelheid Weßling, freie Journalistin, Düsseldorf.